Kaffee gefällig? (Teil 1)
von Alix FM
Disclaimer: Alle Rechte an der Fernsehserie JAG und ihren Charakteren gehören Donald P. Bellisario, Belisario Productions, CBS und Paramount.
Personen: Der komplette JAG – Cast Anfang 7. Staffel; sowie etliche Personen, die meiner Phantasie entsprungen sind
Rating: Angst / Romance
Inhalt: Während ein Killer die Anzahl der JAG – Anwälte zusehends dezimiert, plagen sich Harm & Mac mit ihren Beziehungsproblemen herum.
Spoiler: Ja; etliche Bezüge auf die ersten (acht) Episoden der 7. Staffel. Die Fic spielt zu einem Zeitpunkt unmittelbar nach diesen Episoden, entwickelt sich dann aber in eine eigene Richtung.
Bemerkungen: Ich hab’ die Geschichte ein paar Mal durch die Rechtschreib – Prüfung laufen und zusätzlich beta – lesen lassen, also hoffe ich, daß sie weitestgehend fehlerfrei ist. Für etwaige noch verbliebene Fehler sind voll und ganz meine Deutschlehrer zur Verantwortung zu ziehen. ;-) Bei entsprechendem Feedback (an: AlixFM@web.de) bin ich auch gern bereit, eine Fortsetzung zu schreiben, also sagt mir, was ihr davon haltet! Ansonsten viel Spaß beim Lesen!
Danksagung: Vielen Dank für’s beta – lesen, für die Anregungen und die Kritik, Kira! Aber das Kaffeetrinken gebe ich trotzdem nicht auf!!! J
FÜR KATRIN
12.30 Uhr Z-Zeit (07.30 Uhr EST)
Harms Apartment, Washington D.C.
Ein unnachgiebiges Schrillen bohrte sich in Harms Schädel. Mit einem Stöhnen schlug er die Augen auf und fegte den Wecker vom Nachttisch auf den Boden, wo er munter weiter klingelte. Harm seufzte. Er schwang die Beine aus dem Bett, hob den Wecker auf und schaltete ihn aus, bevor er ihn zurück auf den Nachttisch stellte. Dann erhob er sich und ging in die Küchenecke, wo er Kaffeewasser aufsetzte, bevor er ins Badezimmer verschwand.
12.30 Uhr Z-Zeit (07.30 Uhr EST)
Macs Apartment, Georgetown
Mac bog nach ihrem morgendlichen Jogging in die Straße ein, in der sich ihr Apartment befand. Während sie die Haustür aufschloß, angelte sie die Morgenzeitung aus dem Briefkasten. Beschwingt lief sie die Treppe hoch, wobei sie immer zwei Stufen auf einmal nahm. Sie schloß die Wohnungstür auf und betrat die Wohnung. Jingo winselte freudig auf und sprang an ihr hoch. Mac warf die Zeitung und die Schlüssel auf die Kommode im Flur und schloß die Tür hinter sich, bevor sie Jingo hinter den Ohren kraulte.
„Na, Junge? Du hast Hunger, nicht wahr? Dann wollen wir dir mal was zu futtern organisieren, hm?“ Mit Jingo bei Fuß ging sie in die Küche, wo sie einen Schrank öffnete und Jingos Freßnapf und eine Dose herausnahm. Nachdem sie den Inhalt der Dose in den Napf geschüttet und Jingo hingestellt hatte, begab sie sich unter die Dusche.
Mac strich sich durch das noch feuchte Haar, bevor sie sich mit der Morgenzeitung an den Küchentisch setzte und nach ihrem dampfenden Kaffeebecher langte. Geistesabwesend faltete sie die Zeitung auf, während sie mit der anderen Hand den Teller mit Rührei und Speck näher zu sich zog und zu essen begann. Sie überflog die Schlagzeilen flüchtig, bis ihr Auge an einer bestimmten haften blieb. „WIEDER TOTE ANWÄLTIN AUFGEFUNDEN – POLIZEI TAPPT IMMER NOCH IM DUNKELN!“, schrie sie eine fettgedruckte Überschrift an. Mac runzelte die Stirn. Sieht ganz nach einem Serientäter aus. Hoffentlich schnappen sie ihn, bevor er das nächste Mal zuschlägt. Sie las den Artikel aufmerksam durch, konnte ihm aber kaum neue Informationen entnehmen. Sie seufzte und faltete die Zeitung zusammen. Dann begann sie damit, das Geschirr abzuräumen.
13.00 Uhr Z-Zeit (08.00 Uhr EST)
Harms Apartment, Washington D.C.
Harm knabberte ohne großen Appetit an einer Toast-Scheibe, während er die Zeitung las. Ohne es zu wissen, blieb er am selben Artikel hängen, den auch Mac so aufmerksam studiert hatte. Nachdem er ihn gelesen hatte, knallte er die Zeitung verärgert auf den Tisch. Drei tote Anwälte und die Polizei weiß absolut nichts! Er langte nach seinem Kaffeebecher, trank ihn aus und stellte ihn zum Abtropfen in die Spüle, nachdem er ihn abgewaschen hatte. Dann griff er nach seiner Uniformjacke und seiner Aktenmappe und verließ die Wohnung.
17.38 Uhr Z-Zeit (12.38 Uhr EST)
JAG-Hauptquartier
Falls Church, Virginia
Harm verließ sein Büro und sah unschlüssig zu Macs Büro herüber. Früher wäre er einfach zu ihr hinüber gegangen und hätte gefragt, ob sie mit ihm zu Mittag essen wolle. Seit ihrer Trennung von Mic schien sich ihre Situation jedoch verkompliziert zu haben, zumal sie beide einem klärenden Gespräch auswichen. Er seufzte und entschied sich, Mac nicht zu stören.
„Oh, Sir“, riß ihn Bud, der gerade vorbeieilte, aus seinen Gedanken. „Der Admiral will Sie sehen. Sofort, Sir.“ Harm nickte. „Danke, Bud.“ Er ging zum Büro des Admirals und fragte sich, was er angestellt haben mochte, kam jedoch zu dem Schluß, daß er sich – diesmal – nichts hatte zuschulden kommen lassen.
„Sir?“ Er klopfte gegen den Türrahmen. „Kommen Sie rein, Commander“, forderte ihn Chegwidden auf. „Sie haben den Artikel über das dritte Opfer des... Anwalt-Mörders gelesen?“ Er tippte auf eine aufgeschlagene Zeitung und sah Harm fragend an. Harm nickte und wartete auf eine Erklärung. „Nachher werden zwei Detectives der Mordkommission vorbeikommen. Ich möchte, daß Sie ihnen in jeder Hinsicht behilflich sind.“
Harm runzelte verwirrt die Stirn. „Was will die Mordkommission bei JAG, Sir?“
Chegwidden seufzte. „Das dritte Opfer war Lt. Andrea Posey, Commander. Ist Ihnen noch gar nicht aufgefallen, daß sie heute nicht zum Dienst angetreten ist?“
Harm schüttelte den Kopf. „Ich war bis vor kurzem im Gericht, Sir. Der Williams-Fall.“
„Ach ja, richtig. Haben Sie gewonnen?“ Harm nickte. „Ja, Sir.“ „Gut. Dann haben Sie jetzt nichts zu tun und können sich um die Detectives kümmern. Sie wollten gleich da sein. Wegtreten!“, knurrte Chegwidden.
Harm verließ das Büro des Admirals und fühlte Ärger in sich hochsteigen. Lt. Posey war erst seit ein paar Wochen bei JAG gewesen; eine noch relativ unerfahrene Anwältin frisch von der Akademie. Wieso sollte sie jemand töten wollen? Sie war noch zu frisch, als daß sie schon Feinde gehabt haben könnte... , sinnierte Harm. Außerdem machte sie einen netten Eindruck. Sein Gedankengang wurde unterbrochen, als die Fahrstuhltüren sich öffneten, zwei Besucher erschienen und auf den Gunny zutraten. Nach einem kurzen Wortwechsel wies der Gunny auf Harm. Die beiden, ein älterer, untersetzter Mann und eine jüngere, rothaarige Frau, bahnten sich daraufhin einen Weg herüber zu Harm.
„Commander Rabb?“, fragte die Frau. Auf Harms Nicken hin zückte sie eine Polizeimarke. „Ich bin Detective Mitchell, das ist Detective Ryan“, sie wies auf den Mann. „Der Admiral hat mich über Ihr Kommen unterrichtet. Was kann ich für Sie tun, Detectives?“, erkundigte sich Harm. Die beiden Detectives tauschten einen Blick. „Haben Sie ein Büro, in dem wir uns unterhalten können?“, fragte die Frau. Harm nickte und wies einladend in Richtung seines Büros.
„Hatte Lt. Posey Feinde, von denen Sie wissen?“, fragte Detective Mitchell. Sie saß Harm gegenüber; ihr Partner lehnte am Türrahmen und hörte aufmerksam zu. Harm überlegte kurz und schüttelte bedauernd den Kopf. „Nicht, daß ich wüßte. Sie war einfach noch zu neu; gerade erst ein paar Wochen von der Akademie runter. Sie hatte auch noch keinen wirklich großen Fall. Meistens war sie mit Recherchen beschäftigt...“
Mitchell nickte. „Wissen Sie etwas über ihr Privatleben? Hatte sie einen Freund? War sie öfters in Bars zu finden?“ Harm hob die Schultern. „Das kann ich Ihnen nicht sagen, tut mir leid. Aber sie war ein eher unauffälliger Typ.“ Detective Ryan räusperte sich und schaltete sich in das Gespräch ein: „Das deckt sich mit unseren Ermittlungen. Commander, könnten Sie dafür sorgen, daß wir mit jedem ein Gespräch führen können, mit dem sie hier Kontakt hatte?“ „Ja, natürlich. Ich werde das in die Wege leiten.“
Harm zögerte. „Sind Sie der Meinung, daß es weitere Morde geben wird? Daß sie nicht das letzte Opfer war?“ Die beiden Detectives tauschten Blicke aus. „Da sind wir ziemlich sicher. Der Täter hinterläßt jedesmal ein Stück Papier mit der Aussage ’Ich bin noch nicht fertig!’.“
„Das würde heißen, er plant noch weitere Morde?“, fragte Harm entsetzt. „Davon gehen wir aus, ja“, bestätigte Ryan. „Wir würden ein großes Stück weiter kommen, wenn wir herausfinden könnten, was die Opfer noch gemein hatten. Ich meine, abgesehen davon, daß sie alle Anwälte waren.“
„Sonst wissen Sie noch nichts? Sie können doch jetzt nicht jede einzelne Anwältin der Stadt beschützen!“, fragte Harm. „Nein, das können wir nicht. Aber wenn er sich weiter an seinen Rhythmus hält, wird das nächste Opfer ein Mann. Das zweite Opfer war nämlich auch einer“, erläuterte Mitchell. „Wir hoffen, daß sich rechtzeitig Verbindungen durch die Fälle ergeben, die die jeweiligen Opfer bearbeitet haben. Aber die Überprüfung nimmt natürlich viel Zeit in Anspruch.“ Harm nickte. „Natürlich. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen... Ich werde die Akten raussuchen lassen, an denen Lt. Posey gearbeitet hat und Ihnen die Leute schicken, mit denen sie besser bekannt war.“ „Vielen Dank, Commander“, sagte Detective Ryan.
Den Rest des Tages verbrachte Harm damit, mit Gunnys Hilfe sämtliche Akten zusammenzusuchen und alle Leute aufzutreiben, mit denen Lt. Posey näher bekannt war. Am Abend war er vollkommen erschöpft und halb verhungert, da er seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Kurz nachdem er den Detectives den Stapel Akten ausgehändigt hatte, an denen Lt. Posey gearbeitet hatte, waren auch die Befragungen abgeschlossen. Mit einem Seufzer verabschiedete er die beiden Detectives. „Halten Sie uns auf dem laufenden, ja?“, bat er. Detective Mitchell nickte.
01.18 Uhr Z-Zeit (20.18 Uhr EST)
JAG-Hauptquartier
Falls Church, Virginia
Harm versuchte gerade, seine Aktenmappe in dem Chaos zu finden, das jetzt in seinem Büro herrschte, als es hinter ihm klopfte. Erschrocken fuhr er zusammen, stolperte über einen Aktenstapel hinter ihm und landete unsanft auf dem Boden. „Au!“, entfuhr es ihm. Dann sah er hoch; direkt in Macs amüsiertes Gesicht. „Haben Sie eine Bruchlandung hingelegt, Fliegerheld?“, grinste sie und musterte ihn. „Sie sehen ein bißchen schlecht aus, Harm. Geht’s Ihnen nicht gut? Sind Sie heute überhaupt zum Essen gekommen?“
Bevor Harm antworten konnte, hatte sein Magen das für ihn übernommen und knurrte laut und vernehmlich. Mac lachte. „Das heißt wohl nein. Kommen Sie, ich lad’ Sie ein.“ Sie streckte eine Hand aus und half Harm wieder auf die Beine. „Aber nur, wenn wir nicht in ein Restaurant gehen, wo man Angst haben muß, daß einen das Essen beißen könnte“, machte er zur Bedingung. „Okay, okay“, resignierte Mac. „Suchen Sie eins aus.“
02.12 Uhr Z-Zeit (21.12 Uhr EST)
Restaurant “La Dolce Vita“, Georgetown
Harm und Mac saßen in einem hübschen italienischen Restaurant. Mac musterte anerkennend ihre Umgebung. Ein Kellner tauchte auf und reichte ihnen die Speisekarten. „Was darf ich Ihnen zu trinken bringen?“, fragte er. „Ich nehme eine Cola light“, bestellte Harm. „Und für Ihre Frau?“, erkundigte sich der Kellner, an Mac gewandt. „Sie ist...“, setzte Harm an, winkte dann aber ab. „Ich nehme ein Tonic, bitte“, erklärte Mac ungerührt. „Sofort, Ma’am.“ Der Kellner eilte davon.
Harm und Mac vertieften sich in die Speisekarten. Der Kellner tauchte wenige Minuten später wieder auf und brachte ihre bestellten Getränke. „Haben Sie schon gewählt?“, wollte er wissen. Mac klappte ihre Karte zu und verlangte die Grillplatte, was Harm mit spöttisch hochgezogenen Augenbrauen quittierte. „Ich hätte gern die vegetarische Lasagne und einen Salatteller“, verlangte er schließlich, klappte seine Karte ebenfalls zu und reichte sie dem Kellner.
„Bei Ihrem Eßverhalten sterben Sie noch eines frühen Todes, Mac“, spöttelte er. „Aber immerhin nicht den Hungertod wie Sie“, konterte Mac fröhlich. „Bei dem bißchen Gemüse, was Sie zu sich nehmen...“
„Uah. Marines essen wohl wirklich alles, was ungesund ist, wie?“, wollte Harm scherzhaft wissen. „Bringt man euch das in der Ausbildung bei?“ „Klar. Gleich nach dem Programmpunkt ’Wie ärgere ich Navy-Angehörige am effektivsten’“, grinste Mac unschuldig. „Ohhhh“, stöhnte Harm entnervt. „Ich geb’s auf.“
Mac schob den Teller zufrieden von sich und langte nach der Speisekarte, was ihr einen entsetzten Blick von Harm eintrug. „Sind Sie immer noch nicht satt?“ Mac lächelte kurz und widmete sich weiter dem Studium der Dessertkarte. Harm seufzte und winkte dem Kellner. „Könnte ich einen Cappuccino bekommen? Und die Dame nimmt...“ Er schickte einen fragenden Blick zu Mac. „Ein Stück Obstkuchen mit Sahne“, vollendete sie den Satz. „Kommt sofort“, sagte der Kellner und eilte davon.
„Harm?“ Macs Tonfall änderte sich jetzt. „Was haben die Detectives über Lt. Posey erzählt? Haben sie irgendeine Spur?“ Harm seufzte wieder und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. „Sie glauben, daß es irgendeine Verbindung zwischen allen drei Opfern geben muß. Die müssen sie so schnell wie irgend möglich finden; deshalb werden jetzt sämtliche Akten aller Fälle der drei Opfer durchgesehen. Sie sind der Meinung, daß er noch weitere Morde plant und wollen das natürlich verhindern...“
Mac schaute entsetzt. „Harm, wenn das bekannt wird...“ Harm nickte. „Ja, ich weiß... Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als abzuwarten.“
Der Obstkuchen und der Cappuccino kamen. Die Stimmung war jetzt jedoch gedrückt; beide hingen eine Weile ihren eigenen trübsinnigen Gedanken nach. Schließlich versuchte Harm, die Stimmung wieder etwas aufzuheitern und wies auf Macs so gut wie gar nicht angerührten Kuchen. „Okay, wer sind Sie und was haben Sie mit meiner Partnerin gemacht? Ich weiß genau, daß sie niemals einen Kuchen stehen lassen würde!“ Mac grinste schwach und fiel über den Kuchen her. „Wer läßt hier was stehen?“
04.05 Uhr Z-Zeit (23.05 Uhr EST)
Macs Apartment, Georgetown
Mac schloß die Tür ihres Apartments hinter sich, wehrte Jingo mit der einen Hand ab, als er wieder freudig an ihr hochspringen wollte, und warf die Hausschlüssel mit der anderen auf die Kommode. Dann streifte sie die Schuhe ab und lehnte ihre Aktenmappe gegen die Kommode, ehe sie damit begann, sich aus ihrer Uniform zu schälen. Derjenige, der hochhackige Schuhe erfunden hat, sollte gezwungen werden, sie selber mal einen Tag lang zu tragen! grübelte sie finster und massierte ihre bloßen Füße. Ihre Gedanken schweiften aber gleich wieder ab. Harm hat furchtbar bedrückt ausgesehen. Lt. Poseys Tod muß ihm ganz schön an die Nieren gegangen sein... Sie seufzte, griff nach einem sauberen T-Shirt und ging unter die Dusche.
Zehn Minuten später kam sie wieder aus der Dusche, schnappte sich eine Decke und ging hinüber ins Wohnzimmer, wo sie den Fernseher einschaltete. Während sie es sich auf der Couch gemütlich machte, zappte sie geistesabwesend durch die Kanäle, bis sie an einem hängenblieb, der über die Mordserie berichtete. Da kaum neue Informationen preisgegeben wurden, verlor Mac recht schnell das Interesse und nickte ein.
08.48 Uhr Z-Zeit (03.48 Uhr EST)
Macs Apartment, Georgetown
Mac schreckte aus einem unruhigen Schlaf hoch. Sie schlug die Augen auf und schaute sich im Dunkeln um. Irgendetwas war anders. Sie spürte einen Windhauch im Gesicht und stand auf. Unruhig warf sie einen Blick in die verschiedenen Zimmer ihrer Wohnung, konnte aber nichts entdecken - bis sie in den Flur kam.
Im ersten Augenblick hätte sie beinahe überrascht aufgeschrieen. Ihre Wohnungstür stand sperrangelweit offen. Reiß dich zusammen, Marine! fauchte sie innerlich und nahm ihre Dienstwaffe aus der Kommode. Sie trat mit erhobener Waffe aus dem Apartment und sah sich um. Der Flur war leer. Mac dachte kurz nach, ging wieder in ihr Apartment zurück und verriegelte die Tür sorgfältig. Dann betrat sie wieder das Wohnzimmer.
Ich kann nicht glauben, daß ich vergessen habe, die Tür abzuschließen! schimpfte sie in sich hinein. Großartig! Ich schalte den Fernseher aus, aber ich vergesse, die Tür zu kontrollieren. Sie runzelte die Stirn. Sie konnte sich einfach nicht daran erinnern, den Fernseher ausgeschaltet zu haben. Jetzt bekam sie es doch mit der Angst zu tun. „Verdammt!“, fluchte sie und schnappte sich das Telefon.
12.22 Uhr Z-Zeit (07.22 Uhr EST)
Harms Apartment, Washington D.C.
Harm setzte sich kerzengerade im Bett auf und lauschte. Aus der Küche kam Geklapper – und Kaffeeduft. Nach einem Moment fiel ihm Macs nächtlicher Anruf und seine Fahrt zu ihrem Apartment wieder ein, wo er sie neben einer gepackten Tasche wartend vorfand. Nach einer kurzen Diskussion hatte er sie und Jingo einfach in seinen SUV verfrachtet und mitgenommen. Stöhnend zwang er sich dazu, nach der viel zu kurzen Nacht aufzustehen und ins Bad zu gehen.
Fünfzehn Minuten später betrat er frisch rasiert und geduscht die Küche, in der sich Mac schon zu schaffen machte. „Guten Morgen, Mac.“ Mißtrauisch warf er einen Blick auf die Arbeitsflächen. Mac bedeutete ihm, sich an den gedeckten Tisch zu setzen. „Nur die Ruhe, Harm. Nachdem Sie mich letzte Nacht beherbergt haben, werde ich nicht gleich Ihre Küche abbrennen“, lächelte Mac. „Kaffee?“ Harm nickte und bekam einen vollen Becher in die Hand gedrückt. „Waffeln?“ Harm fiel vor Schreck beinahe rückwärts vom Stuhl. „Sie haben Waffeln gemacht? Wollen Sie mich vergiften?“
Mac schickte ihm einen strafenden Blick zu und stellte einen Teller vor ihn hin. Harm schaute verdutzt auf die “Waffeln“ und begann zu lachen. „Ihre Waffeln sehen aus wie... Ich weiß nicht, so was hab’ ich überhaupt noch nie gesehen – Au!“ Er rieb sich den Oberarm an der Stelle, an der gerade ein Hieb von Mac gelandet war. „Essen!“, befahl Mac. „Sonst kriegen Sie noch einen Hieb.“ „Ja, Ma’am“, seufzte Harm, griff nach der Gabel und begann zu essen.
„Ich wußte gar nicht, daß in meinem Kühlschrank etwas vorhanden war, mit dem man derartige Kalorienbomben herstellen kann.“ „War’s auch nicht. Ich hab’ heute morgen was aus dem Laden um die Ecke geholt, als ich mit Jingo Gassi war“, erklärte Mac.
Bei der Erwähnung seines Namens hob der alte Hund den Kopf und stand auf. Nachdem er zwischen Harm und Mac hin und her gesehen hatte, tappte er langsam zum Tisch hinüber und legte sich zu Macs Füßen. Harm lächelte. Er überlegte, ob er Mac sagen sollte, wie sehr er ihre Gesellschaft genoß – verunglückte Waffeln hin oder her – als sie aufsah und die Stirn runzelte. „Was ist?“, fragte sie argwöhnisch. „Sie haben so einen merkwürdigen Blick...“
Harm schüttelte den Kopf. „Nichts. Haben Sie schon einen Schlüsseldienst angerufen, damit Ihr Schloß ausgetauscht wird?“ Mac nickte. „Ja, hab’ ich. Heute abend sind Sie Jingo und mich wieder los.“ „Kein Problem, Mac“, versicherte Harm ihr, während er aufstand und begann, das Geschirr abzuräumen.
Als Harm mit dem Spülen des Geschirrs fertig war, kam Mac aus dem Bad und schloß den letzten Knopf ihrer Uniformbluse. „Fertig?“, wollte sie wissen. „Natürlich.“ Harm schnappte sich seine Uniformjacke und seine Aktenmappe und steuerte Richtung Tür.
„Du benimmst dich, klar? Kein Kauen an irgendwelchen Gegenständen!“, ermahnte Mac Jingo, bevor sie Harm folgte. Jingo legte den Kopf schief und sah ihnen nach.
13.58 Uhr Z-Zeit (08.58 Uhr EST)
JAG-Hauptquartier
Falls Church, Virginia
Admiral Chegwidden schaute aus dem Fenster seines Büros und runzelte die Stirn. Soeben bog Commander Rabbs SUV auf den Parkplatz des Hauptquartiers ein, während von Colonel MacKenzies Corvette noch nichts zu sehen war. Gewöhnlich war sie zuerst da.
Seine Verwunderung wich leichtem Amusement, als sich die Beifahrertür von Harms SUV öffnete und Mac ausstieg. Soso, nur Freunde, wie? grinste er in sich hinein. Er beschloß, den beiden mal ins Gewissen zu reden. Das ewige Hin und Her mußte endlich aufhören. Er hatte schon bemerkt, daß die Beziehung – oder besser Nichtbeziehung – seiner beiden besten Anwälte ein ausgesprochen beliebtes Thema bei seinen Untergebenen war. Manchmal glaubte Chegwidden, daß mehr Zeit auf Spekulationen bezüglich Harm und Mac als auf die eigentliche Arbeit aufgewendet wurde. „Tiner!“, bellte er schließlich. Und als der den Kopf zur Tür hereinsteckte: „Commander Rabb und Colonel MacKenzie in mein Büro. Sofort!“ „Ja, Sir“, beeilte sich Tiner zu sagen, bevor er verschwand.
Tiner fing Harm und Mac vor den Fahrstühlen ab. „Sir, Ma’am, der Admiral will Sie beide sofort in seinem Büro sehen“, sprudelte er hervor. Harm und Mac stöhnten synchron auf und tauschten einen gequälten Blick aus. Der Admiral hatte sie also zusammen ankommen sehen und bestimmt seine Schlüsse daraus gezogen. Unbehaglich und in Erwartung eines Riesendonnerwetters gingen die beiden zu Chegwiddens Büro hinüber.
Zu ihrer Überraschung war Chegwidden ruhig, fast freundlich. Er kam gleich zur Sache: „Haben Sie beide etwas miteinander?“ Als er den Gesichtsausdruck seiner beiden Anwälte sah, wußte er die Antwort schon. Oje, jetzt kommen sie schon wieder mit der „Wir – sind – nur – Freunde“ – Tour. „Also nicht. Gut. Ich bin sicher, daß Sie mir eine überzeugende Erklärung liefern können, wieso Sie dann zusammen aufkreuzen.“ Chegwidden lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
Nach einem Blick zu Mac setzte Harm an: „Äh... Colonel MacKenzie hat in meiner Wohnung übernachtet, und ihr Wagen steht vor ihrer Wohnung, Sir.“ Die Augen des Admirals verengten sich bedrohlich. Bravo! schimpfte Harm in sich hinein. Das wird ihn jetzt aber wirklich davon überzeugen, daß zwischen uns nichts ist!
„Colonel?“, grollte Chegwidden. „Sir, ich habe bei Commander Rabb übernachtet, weil gestern nacht jemand in meiner Wohnung war. Es sieht so aus, als sei nichts weiter angerührt worden, aber ich wollte kein Risiko eingehen“, erklärte Mac. „Warum sagen Sie denn das nicht gleich? Haben Sie die Polizei gerufen?“, erkundigte sich Chegwidden besorgt. „Nein, Sir. Es sah wie gesagt, so aus, als wäre nichts weiter angerührt worden. Ich habe heute morgen veranlaßt, daß das Schloß ausgetauscht wird, nur zur Sicherheit“, erläuterte Mac. Der Admiral dachte kurz nach. „Teilen Sie den Vorfall am besten auch den Detectives mit, die gestern hier waren.“ Harm und Mac nickten.
„Gut. Dann kommen wir jetzt zum Wesentlichen. Commander, Sie vertreten die Anklage in dem Fall hier: Petty Officer Jansen, stationiert auf der USS Collins, neun Beschwerden wegen sexueller Belästigung.“ Chegwidden warf Harm eine Akte zu.
„Neun Beschwerden? Muß ja ein ziemlicher Möchtegern-Frauenheld sein.“, meinte Harm. „Das bezweifle ich“, knurrte Chegwidden. Harm zog fragend die Brauen hoch. „Die Beschwerden kamen von Männern. Petty Officer Angelica Jansen ist eine Frau.“ Harm warf Mac einen verblüfften Seitenblick zu. Irgendwie hatte er den Eindruck, daß sie sich königlich amüsierte.
„Sir, ich...“, begann Harm. „Was ist, Commander? Haben Sie ein Problem?“, erkundigte sich Chegwidden ungeduldig. „Äh – nein, Sir.“ Harm hielt es für besser, Chegwidden nicht zu verärgern. Er war froh, daß Mac und er so glimpflich davongekommen waren.
„Colonel, Sie übernehmen den Fall von Private Norris MacAllister. Er ist desertiert und geschnappt worden. Einzelheiten in der Akte“, Chegwidden schob eine Akte über den Tisch auf Mac zu. „Sonst noch Fragen?“ Mac nahm die Akte an sich und schüttelte den Kopf. „Wegtreten!“, ordnete Chegwidden an, um sich gleich wieder seinen Papieren zu widmen. Das ließen sich Harm und Mac nicht zweimal sagen. Erleichtert flüchteten sie aus dem Büro des Admirals.
Offenbar hatte die Neuigkeit bereits die Runde gemacht, denn das Großraumbüro schien förmlich vor Gerüchten zu brodeln. Harm stöhnte. „Wenn wir nicht aufpassen, wird uns morgen noch eine Verlobungsparty ausgerichtet.“ Mac nickte. „Ja, und übermorgen werden sie uns nach dem Hochzeitstermin fragen.“
Hinter den beiden raschelte plötzlich etwas. Als sie sich umdrehten, entdeckten sie Bud, der sie mit offenem Mund anstarrte. „Sir, Ma’am“, stammelte er schließlich, bevor er schnellstens das Weite suchte. Entzückend. Jetzt bekommen wir wirklich eine Verlobungsparty. Wie ich Bud kenne, hat er alles total mißverstanden. Mac rieb sich seufzend die Stirn und steuerte auf ihr Büro zu, überlegte es sich aber anders und folgte Harm zu seinem Büro.
„Harm, bevor ich’s vergesse: Wann wollen Sie heute abend nach Hause fahren? Ich muß doch noch Jingo und meine Sachen abholen.“ Diese Bemerkung hatte der Gunny, welcher vorbeikam, gerade noch aufgeschnappt und quittierte sie mit einem irritierten Blick. Oh Gott, nicht noch einer! stöhnte Mac innerlich. Das darf doch nicht wahr sein! Ist denn hier irgendwo ein Nest? Harm schien den Vorfall jedoch einfach zu ignorieren. „Ich sage Ihnen Bescheid, wenn ich fahre, Mac, okay?“ „Gut“, Mac war zufrieden.
Sie bemühten sich den Rest des Tages, nicht weiter aufzufallen, aber vergebens. Jedesmal, wenn sie ihre Büros verließen, wurden sie komisch angesehen. Harm dachte darüber nach, ein Memo zu verteilen, in dem er den Sachverhalt richtig stellte, ließ es dann aber doch bleiben. Es hätte wahrscheinlich sowieso nichts genutzt.
„Der Colonel hat gesagt, daß es einen Hochzeitstermin gibt?“ Harriet konnte es nicht fassen. Sie hatte zwar schon geahnt, daß sich etwas zwischen dem Commander und dem Colonel anbahnte, aber eine so plötzliche Hochzeit? „Bud, bist du absolut sicher?“
Bud nickte aufgeregt. „Ja, und der Commander hat etwas von einer Verlobungsparty gesagt. Vielleicht wollen sie die auch wieder beim Admiral feiern. Heute morgen waren sie doch ziemlich lange bei ihm.“ Harriet dachte darüber nach und schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Möchtest du deine zweite Verlobungsparty da feiern, wo du auch deine erste geplatzte Verlobung gefeiert hast? Aber vielleicht haben sie ihn gebeten, sich für sie beim Marineminister einzusetzen.“ „Noch ein Harriet-Manöver?“, grinste Bud liebevoll. Harriet lächelte Bud an und küßte ihn auf die Wange, bevor sie sich wieder an die Arbeit machte.
01.56 Uhr Z-Zeit (20.56 Uhr EST)
JAG-Hauptquartier
Falls Church, Virginia
Harm linste vorsichtig aus seinem Büro. Als er niemanden entdecken konnte, machte er sich erleichtert auf dem Weg zu Macs Büro. Mac saß an ihrem Tisch und starrte Löcher in die Luft. Als Harm an ihren Türrahmen klopfte, zuckte sie erschrocken zusammen. „Alles okay, Mac? Sie waren eben ganz weit weg“, wollte er wissen. „Sie haben wegen Brumby nachgedacht, nicht wahr?“
Macs erster Impuls war, alles zu leugnen und sich auf kein Gespräch einzulassen. Dann nickte sie jedoch. „Ja.“ Abwartend sah sie Harm an. Nun, irgendwann müssen wir ja mal darüber reden. Warum nicht jetzt? Harm betrat das Büro und setzte sich halb auf Macs Schreibtisch. „Mac, ich...“ Er brach ab. „Es tut mir leid, daß es mit Brumby nicht geklappt hat.“ Stimmt ja gar nicht! dachte er. Du konntest ihn von Anfang an nicht leiden, schon gar nicht, als er sich an Mac rangemacht hat. Und du bist froh, daß er weg ist.
„Auf dem Schiff... Als Sie gefragt haben, ob ich bereit wäre, Renée aufzugeben, um -“ Mac wand sich unbehaglich und unterbrach ihn. „Harm...“ „- Sie zu bekommen...“, setzte Harm fort und zögerte kurz, bevor er sagte: „Die Antwort war ’ja’.“ So, jetzt ist es endlich raus. Gespannt wartete er auf eine Reaktion.
Mac starrte ihn einige Zeit einfach nur an. „Warum haben Sie mir das nicht in Sydney gesagt, bei unserm Gespräch auf der Fähre? Warum sind Sie mir ausgewichen? Sie hätten uns allen eine Menge Leid ersparen können; Brumby, Ihnen und mir.“ Harm seufzte. „Ich weiß. Ich hatte einfach Angst, daß es schiefgehen, daß ich auch noch Ihre Freundschaft verlieren könnte... Und dann gar nichts mehr hätte.“
„Warum haben Sie geglaubt, daß es schiefgehen würde?“, erkundigte sich Mac ganz ernsthaft. „Kommen Sie schon, Mac. Jede Beziehung, die ich hatte, war nach spätestens sechs Monaten beendet. Zum Teil wird es auch meine Schuld gewesen sein. Ich habe keine meiner Freundinnen je ganz an mich rangelassen... Ich hatte Angst, wenn sie hinter die Fassade blicken...“ Warum erzähle ich ihr das? Damit vergraule ich sie noch, wunderte sich Harm. Mac hörte ihm jedoch aufmerksam zu und runzelte die Stirn. „...würden sie erkennen, was ich für einen Haufen Komplexe mit mir herumschleppe und mich fallen lassen wie eine heiße Kartoffel.“
„Und das hat sich jetzt geändert? Wann?“, wollte Mac wissen. Harm dachte kurz über die Antwort nach. „Nach meinem Absturz, als ich im Bethesda-Krankenhaus lag, hatte ich viel Zeit, um nachzudenken. Nach so einem Erlebnis verändern sich die Prioritäten, die man sich im Leben setzt. Plötzlich wird einem klar, daß das Fliegen - oder die Arbeit - doch nicht so wichtig für einen ist.“ Harm zuckte hilflos mit den Achseln. „Ich kann’s nicht besser erklären.“
Mac nickte verstehend. „Vielleicht ist es aber schon zu spät, Harm.“ Harms Herz setzte kurz aus. „Ich weiß im Moment nicht genau, was ich eigentlich will. Ich brauche Zeit zum Nachdenken, ja?“ Harm lächelte. „So viel Zeit, wie Sie wollen, Mac.“
Er stand auf und streckte sich. „Eigentlich wollte ich Ihnen nur sagen, daß ich jetzt Schluß machen und nach Hause fahren wollte, bevor Ihr Kalb von einem Hund beginnt, aus Frust meine Einrichtung anzukauen“, versuchte er, die Stimmung wieder aufzuheitern. „Oh, okay. Ich bin gleich fertig; dann können wir fahren und Ihre Wohnung retten“, erwiderte Mac, bemüht, auf seinen lockeren Tonfall einzugehen. Harm nickte und verließ ihr Büro.
04.02 Uhr Z-Zeit (23.02 Uhr EST)
Macs Apartment, Georgetown
Mac überprüfte noch einmal, ob ihre Wohnungstür ordentlich verschlossen war, bevor sie wieder ins Wohnzimmer zurückkehrte. Jingo lag zufrieden auf dem Teppich vor dem Sofa. Mac streichelte ihn geistesabwesend und setzte sich auf das Sofa. Plötzlich durchbrach ein Telefonklingeln die Stille. Mac zuckte zusammen. Nach einer Schrecksekunde streckte sie die Hand aus und nahm den Telefonhörer ab. „Harm? Hab’ ich was vergessen?“, fragte sie. Einige Sekunden lang herrschte Stille am anderen Ende der Leitung. „Hallo? Wer ist denn da?“
‚Ich bin’s, Mic’, kam schließlich die Antwort. ‚Ich hätte nicht anrufen sollen...’ „Mic! Bitte leg nicht auf“, bat Mac. „Wie geht es dir? Ist alles okay?“ Oh, Mic. Es tut mir so leid, dachte sie, sprach den Gedanken aber nicht laut aus.
‚Ja, es geht mir soweit ganz gut, Sarah. Ich hab’ meinen alten Posten in der Navy wieder. Ich hatte gehofft...’ Mic brach ab. „Was?“ Wieder war es einen Augenblick still in der Leitung. Dann seufzte Mic. ‚Ich wollte dir nur danken. Die Zeit, die ich mit dir verbringen durfte, war eine der glücklichsten in meinem Leben.’
Mac lächelte traurig. „Ich hab’ sie auch sehr genossen, Mic.“ ‚Darf ich dich was fragen? Liebst du ihn, Sarah?’, wollte Mic wissen. „Mic, ich...“ Mac zögerte. Er hat ein Recht auf die Wahrheit. „Ja. Ja, ich liebe ihn. Es tut mir leid, Mic.“
‚Ich schätze, ich hab’s wohl schon immer irgendwie geahnt.’ Mics Stimme klang traurig. ‚Ich wünsche dir, daß ihr beiden glücklich werdet. Leb wohl, Sarah.’ „Du auch, Mic.“ Ein Klicken und die Leitung war tot. Mac starrte den Hörer an und seufzte. Dann legte sie auch auf. „Was mach’ ich jetzt nur, Jingo?“, murmelte sie. „Was mach’ ich jetzt nur?“
21.32 Uhr Z-Zeit (16.32 Uhr EST)
Arlington-Friedhof
Eine Woche später
„... Lt. Andrea Posey war noch nicht lange bei uns, aber ich zweifle nicht daran, daß sie ein wertvolles Mitglied von JAG geworden wäre. Wir werden sie vermissen“, vollendete Admiral Chegwidden seine Rede. Er blickte auf und musterte seine Untergebenen und die Freunde und Verwandten von Lt. Posey, die um den Sarg herumstanden.
Die Eltern von Lt. Posey, ein älteres, liebenswert wirkendes Paar, standen etwas abseits und schienen die Tränen kaum zurückhalten zu können. Natürlich nicht. Sie war ihre einzige Tochter, fiel es Chegwidden wieder ein. Bud stand mit Harriet inmitten der JAG-Offiziere und hatte den Arm tröstend um sie gelegt. Lt. Singer machte einen genervten Eindruck. Lt. Cmdr. Mattoni und Imes schauten in der Gegend herum, ohne größere Gefühlsregungen zu zeigen. Der Gunny wirkte ehrlich traurig. Tiner schaute nur zu Boden. Ach ja, er hatte ja ein Auge auf Lt. Posey geworfen. Harm und Mac standen so dicht nebeneinander, daß sie sich beinahe berührten. Mac schaute mitleidig zu den Poseys hinüber. Auf Harms Gesicht zeigte sich eine Mischung aus Betroffenheit, Mitleid und Ärger.
Mac beobachtete, wie Chegwidden zu Andrea Poseys Eltern hinüberging und mit ihnen redete. Schließlich nickte er und trat wieder zu seinen Offizieren zurück, als der Sarg in die Grube gelassen wurde. Danach lösten sich die Grüppchen langsam auf. „Harm?“ Mac zupfte an Harms Ärmel, als ihr Partner geistesabwesend stehen blieb. „Alles okay?“
Harm drehte sich zu ihr um. „Hm? Ja, alles klar.“ Er warf einen letzten Blick auf das offene Grab und begann dann, zu seinem Wagen zu gehen.
Mac schaute ihm hinterher und stöhnte. Wieso kann er nicht einfach zugeben, wenn etwas nicht in Ordnung ist?
00.45 Uhr Z-Zeit (19.45 Uhr EST)
Harms Apartment, Washington D.C.
Harm schob eine Auflaufform in den Ofen und regulierte sorgfältig die Temperatur. Dann setzte er sich an den Küchentisch und griff nach einer Akte, die dort aufgeschlagen zwischen einem halben Dutzend anderer lag. Am Montag war die Anhörung von Petty Officer Jansen, und nachdem er sie kennengelernt und die Zeugenaussagen gehört hatte, hätte er den Fall am liebsten wieder abgegeben. Petty Officer Jansen hatte sogar versucht, ihn anzubaggern. Nur mit Mühe hatte er sich da herauswinden können. Die Beschwerden sind absolut gerechtfertigt, aber wie mach’ ich das der Richterin klar? Die Richterin war dafür bekannt, daß sie sehr feministisch eingestellt war und Frauen bevorzugte. Harm überlegte einen Augenblick und entschied dann, die Akte erst einmal beiseite zu legen. Vielleicht fiel ihm später noch etwas ein.
Das Telefon klingelte. Harm griff nach dem Hörer, der neben ihm auf dem Tisch stand. „Ja?“ ‚Hallo Harm’, meldete sich eine weibliche Stimme. „Mum! Ich freu’ mich, daß du anrufst“, erwiderte Harm. „Geht es dir gut?“
‚Das wollte ich dich fragen, Harm’, Trishs Stimme klang sorgenvoll. ‚Ich hab’ gehört, daß eine Kollegin von dir ermordet worden ist?’ „Ja“, bestätigte Harm. „Sie war erst kurz bei JAG, aber...“
‚Wissen sie schon, wer’s getan hat? Bist du in Gefahr?’ Nicht mehr als alle anderen männlichen Anwälte auch, dachte Harm, hütete sich aber, diesen Gedanken laut auszusprechen. Er wollte nicht, daß seine Mutter sich unnötig Sorgen um ihn machte. „Nein, warum sollte ich, Mum? Sie schnappen ihn bestimmt bald.“ Er versuchte, zuversichtlich zu klingen. Ja klar! dachte er sarkastisch. Die wissen ja noch nicht mal, warum er die anderen umgebracht hat, geschweige denn, wer als nächstes auf der Abschußliste steht.
‚Hoffentlich hast du recht’, seufzte seine Mutter. ‚Eigentlich rufe ich an, um dir Bescheid zu sagen, daß Frank und ich in drei Wochen mal zu Besuch kommen wollten. Aber wenn es dir nicht paßt, können wir das auch aufschieben...’ „Nein, nein, das wäre schön“, beeilte sich Harm zu versichern. Vielleicht lenkt es mich auch ein bißchen von all dem ab... „Sagt mir einfach, wann ihr kommen wollt. Ihr könnt bei mir übernachten.“
‚Würde das Renée nicht stören?’, erkundigte sich seine Mutter amüsiert. Wieso sollte Renée das stören? dachte Harm verdutzt. Dann ging ihm ein Licht auf. Mum weiß ja noch gar nicht, daß Renée sich von mir getrennt hat. Aber sie konnte sie sowieso nie richtig leiden. „Mum... Renée hat sich schon vor einiger Zeit von mir getrennt. Sie hat auf der Beerdigung von ihrem Vater eine alte Jugendliebe wiedergetroffen und sich mit ihm verlobt. Ihr stört also nicht.“ Selbst wenn ich noch mit Renée zusammen wäre, würdet ihr nicht stören.
‚Oh, Harm. Das tut mir leid’, seine Mutter wirkte ehrlich betroffen. ‚Bist du sicher, daß wir kommen können, Schatz?“ „Ja, Mum. Ihr seid herzlich eingeladen. Sagt mir, wann und wo ihr ankommt, und ich hole euch ab.“
‚Ist gut, Harm. Ich ruf nochmal an.’ „Bis bald, Mum. Grüße an Frank“, sagte Harm. ‚Richte ich ihm aus, Sohn. Paß auf dich auf, hörst du?’ „Ja, mach’ ich“, grinste Harm. ‚Bis bald dann’, verabschiedete sich seine Mutter und legte auf.
Harm stellte den Hörer wieder auf den Tisch und blickte auf die Uhr. Na, die Lasagne braucht wohl noch ein bißchen... , dachte er und wollte nach einer anderen Akte greifen, als es an der Tür klingelte. Harm zog die Brauen hoch. Hier geht es heute zu wie im Taubenschlag. Er ging zur Tür und öffnete. Davor stand eine klatschnasse Mac. Überrascht trat Harm zur Seite und ließ sie herein. „Was tun Sie hier, Mac?“, fragte er, nahm ihr den nassen Mantel ab und hängte ihn auf einen Bügel. „Ich hab’ letzte Woche was bei Ihnen vergessen“, erklärte Mac.
„Was ist so wichtig, daß Sie deshalb durch den Regen rennen? Ich hätte es Ihnen morgen mitbringen können“, sagte er über die Schulter, während er ins Badezimmer ging und ein Badetuch aus dem Badezimmerschränkchen nahm. „Äh... Ich hab’ einen BH hier liegen lassen“, erklärte Mac peinlich berührt. Harm wäre das Handtuch fast aus den Händen gefallen.
„Oh. Ja, dann war’s definitiv besser, daß Sie gekommen sind. Bei unserm Glück hätte noch jemand gesehen, wie ich Ihnen das Ding gebe. Dann wären wir wirklich in Schwierigkeiten gekommen“, scherzte Harm und kam wieder aus dem Bad. Er reichte Mac das Handtuch und fragte: „Wissen Sie, wo Sie ihn vergessen haben?“ Sie schüttelte den Kopf und begann damit, sich die Haare trockenzurubbeln.
„Nicht genau. Darf ich...?“ Auf Harms einladende Handbewegung schickte sie suchende Blicke durchs Wohnzimmer. Schließlich steuerte sie auf die Couch zu, auf der sie geschlafen hatte. Zwischen zwei Polstern ragte ein Träger ihres BH’s hervor. Mit hochrotem Kopf zerrte sie ihn heraus und faltete ihn zusammen. „Haben Sie ihn gefunden?“, wollte Harm wissen. Sie drehte sich um und sah erleichtert, daß er ihr den Rücken zuwandte und offensichtlich mit dem Herd beschäftigt war.
„Ja, ich hab’ ihn.“ Sie verstaute ihn schnell in ihrer Handtasche. „Ich geh’ dann wohl besser wieder.“
„Mac... Wie wär’s, wenn Sie bleiben? Ich hab’ genug zu essen da, um das ganze Marine-Corps zu versorgen...“ Er wies auf die dampfende Auflaufform, die jetzt auf dem Tisch stand. Mac schnupperte. „Vegetarisch?“, erkundigte sie sich skeptisch. Harm nickte. „Also gut.“ Sie kam zum Tisch und warf einen Blick auf die zur Seite geschobenen Akten. Sie stapelte sie aufeinander und brachte sie zum Couchtisch. Als sie zurückkam, drückte ihr Harm zwei Teller und Besteck in die Hand. Er selbst trug eine Salatschüssel und zwei Gläser zum Tisch.
„Was wollen Sie trinken, Mac?“, erkundigte er sich. „Wasser, Cola, Tee?“ Mac entschied sich für Wasser. Harm holte eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und Servietten aus einer Schublade, bevor er sich auch an den Tisch setzte.
„Warum haben Sie soviel gemacht? Von der Lasagne, meine ich“, fragte Mac und reichte Harm ihren Teller zum Auffüllen. „Haben Sie noch jemanden erwartet?“ Harm grinste. „Klar. Ich bin immer darauf gefaßt, daß ein hungriger Marine bei mir einfallen könnte. Nein, nur’n Witz. Ich hebe immer was auf. Das kann ich mir dann bei Bedarf aufwärmen.“
Er reichte ihr den gefüllten Teller. Für einen Augenblick berührten sich ihre Finger. Schweigend griff er nach seinem eigenen Teller und füllte sich selbst etwas auf. Mac nahm die Wasserflasche und goß ihnen beiden ein. Danach begannen beide zu essen. Harm grinste in sich hinein, als er sah, mit welchem Appetit Mac dabei war. Marines sind einfach unverbesserlich. Und dann hat sie noch nicht mal Probleme, ihr Gewicht zu halten, so wie’s aussieht. Er bot ihr Salat an, worauf sie das Gesicht verzog. Er lachte auf. „Oh, Mac.“ Mac sah ihn aufmerksam an, sagte jedoch nichts.
Harm lächelte, als Mac den Teller mit einem Stück Brot sauberwischte und sich zurücklehnte. „Ich fürchte, mit einem Stück Obstkuchen kann ich leider nicht dienen, aber ich kann Ihnen einen Kaffee machen, wenn Sie wollen“, bot er an. Mac nickte. „Kommt sofort“, meinte Harm. Er stand auf und begann den Tisch abzuräumen. „Setzen Sie sich doch solange auf’s Sofa.“
Während er darauf wartete, daß das Kaffeewasser zu kochen begann, warf Harm einen Blick zu Mac hinüber, die es sich auf der Couch bequem gemacht hatte und in den Akten blätterte, an denen er arbeitete. Irgendwie hatte er den Eindruck, daß Mac heute stiller als gewöhnlich war. Er wandte den Blick von ihr ab und nahm zwei saubere Tassen aus dem Schrank. Nachdenklich füllte er Kaffeepulver in den Filter und setzte ihn auf die Kanne. Er goß das Wasser auf und ließ es ziehen. Schließlich füllte er Kaffee in die beiden Tassen, gab Zucker dazu und trug sie hinüber zum Couchtisch.
„Mac, ist alles in Ordnung?“, fragte er sie, als er ihr eine Tasse reichte. Er setzte sich neben sie auf die Couch. Sie nippte an ihrem Kaffee, bevor sie antwortete. „Mic hat angerufen.“ Harm wartete. „Er hat gesagt, er will, daß ich glücklich werde... Wir werden uns wohl nicht wieder sehen.“ Das erklärt natürlich so einiges, dachte Harm. Er stellte seine Tasse ab. Langsam, damit sie die Chance hatte, auszuweichen, wenn sie es nicht wollte, legte er einen Arm um sie und zog sie an sich. Mac wehrte sich nicht und begann zu schluchzen. Harm strich ihr das Haar aus dem Gesicht und ließ sie weinen.
Irgendwann ließ ihr Schluchzen nach und sie begann, sich zu entspannen. Harm veränderte seinen Griff um sie, so daß sie eine bequemere Haltung einnehmen konnte und langte nach einer Akte. Er merkte, daß Mac langsam in den Schlaf hinüberdriftete, beschloß aber, sie nicht zu stören.
12.02 Uhr Z-Zeit (07.02 Uhr EST)
Harms Apartment, Washington D.C.
Harm erwachte, weil sich jemand neben ihm bewegte. Irritiert schlug er die Augen auf. Er lag schräg auf seiner Couch; die Akte lag aufgeschlagen auf dem Fußboden neben seiner Hand und Mac lag - immer noch schlafend - neben ihm, einen Arm um ihn geschlungen. Amüsiert überlegte er, ob er versuchen sollte, eine bequemere Haltung zu finden oder ob er Mac wecken und aufstehen sollte. Die Entscheidung wurde ihm durch Macs Erwachen abgenommen. Sie bewegte sich und schlug ebenfalls die Augen auf. Für einen Moment wirkte sie genauso verwirrt wie Harm. Nachdem sie registriert hatte, in welcher Lage sie sich befand, nahm sie den Arm weg und setzte sich ruckartig auf. „Oh! Harm, es tut mir leid, ich wollte nicht-“
Harm setzte sich ebenfalls auf und winkte ab. „Schon okay. Erzählen Sie’s bloß nicht weiter.“ Auf Macs fragenden Blick hin erklärte er grinsend: „Wenn bekannt wird, daß ich eine schöne Frau im Bett hatte und nichts weiter passiert ist, ist mein Ruf als draufgängerischer Pilot doch im Eimer.“ Mac lächelte. „Kann man an Ihrem Ruf denn noch was ruinieren?“, erkundigte sie sich zuckersüß.
Harm stand auf und streckte sich, nachdem er ihr einen gespielt bitterbösen Blick zugeworfen hatte. „Sie können das Bad benutzen, wenn Sie wollen. Ich mach’ inzwischen Frühstück.“ Mac akzeptierte das Angebot und steuerte Richtung Bad. „Im Badezimmerschrank sind Handtücher und eine Ersatz-Zahnbürste“, rief Harm ihr nach. Mac kam wieder aus dem Bad und ging auf die Wohnungstür zu.
Verwirrt schaute Harm zu. „Hab’ ich vergessen, das Bad zu putzen?“, erkundigte er sich. Mac schüttelte den Kopf. „Ich will nur schnell meine Tasche mit den Wechselsachen aus dem Wagen holen.“ Ach ja, richtig. Mac hat doch immer Marschgepäck dabei, dachte Harm amüsiert. Er wandte sich wieder den Frühstücksvorbereitungen zu. Mac kam ein paar Minuten später mit einer Sporttasche zurück. Da hatte Harm den Tisch schon gedeckt und war dabei, Kaffee zu kochen. Als die Tür ging, schaute er kurz auf und lächelte Mac an. Sie lächelte zurück. Dann verschwand sie wieder im Bad.
Harm hatte gerade das Geschirr vom Abend zuvor abgewaschen und zum Abtropfen in die Spüle gestellt, als Mac sich zu ihm gesellte. Er wies stumm auf den Stuhl, den sie schon am Abend vorher benutzt hatte und stellte einen dampfenden Becher Kaffee vor sie hin. Dankbar griff sie danach und nippte. Dann fiel sie über den Toast her. Wenigstens hat sie ihren Appetit nicht verloren... Als hätte sie diesen Gedanken gehört, schnappte sie sich den letzten Toast, bevor er das konnte.
15. 19 Uhr Z-Zeit (10.19 Uhr EST)
Macs Apartment, Georgetown
Mac betrat ihr Apartment. Jingo tappte freudig auf sie zu und ließ sich von ihr hinter den Ohren kraulen. „Hallo, Jingo“, meinte sie. „Wir gehen besser gleich Gassi, bevor ein Unglück passiert, hm?“ Sie langte nach der Leine und befestigte sie an Jingos Halsband. „Na komm, Junge!“, forderte sie ihn auf. Jingo tappte ihr schicksalsergeben hinterher.
16.34 Uhr Z-Zeit (11.34 Uhr EST)
Georgetown
Mac bummelte gemütlich mit Jingo durch einen Park in der Nähe und dachte nach. Im Nachhinein war es ihr ein wenig peinlich, daß sie am Abend zuvor derartig die Fassung verloren und sich bei Harm ausgeheult hatte. Sie fragte sich, was er jetzt von ihr denken mochte. Ob Harm wohl jemals in der Lage sein wird, sich mir gegenüber vollkommen zu öffnen? grübelte Mac. Wenn sich das weiter so hinzieht, muß ich doch noch unseren Baby-Deal reaktivieren. Auf der anderen Seite fühlte sie sich irgendwie erleichtert, daß die Trennung von Mic endgültig war.
Mac beschloß, wieder nach Hause zurückzukehren. Auf dem Rückweg kam sie an einem Zeitungsstand vorbei, registrierte aber die fettgedruckten Schlagzeilen nicht, die über das vierte Opfer des ’Anwalt-Mörders’ berichteten, da sie immer noch tief in Gedanken versunken war.
14.30 Uhr Z-Zeit (09.30 Uhr EST)
JAG-Hauptquartier
Falls Church, Virginia
Harm seufzte. Er hatte natürlich schon die Zeitungen gelesen, die von einem vierten Opfer berichtet hatten; aber erst als er am Montagmorgen ins JAG-HQ kam, hatte er erfahren, daß es sich bei diesem Opfer um Lt. Cmdr. Mattoni handelte. Auch wenn kaum jemand Mattoni wirklich gemocht hatte, war die Stimmung im HQ dementsprechend mies.
„Commander!“, sagte Chegwidden ungeduldig. Harm zwinkerte und registrierte, daß der Admiral ihn wohl schon mehrmals angesprochen haben mußte. „Ja, Sir?“ „Die Detectives von der Mordkommission kommen gleich wieder“, wiederholte Chegwidden. „Da Sie sich schon das letzte Mal mit denen befaßt haben, möchte ich, daß Sie ihnen auch diesmal behilflich sind.“
„Sir, die Anhörung im Jansen-Fall beginnt in einer halben Stunde“, erinnerte ihn Harm. „Ich sollte...“ Weiter kam er jedoch nicht. „Tiner!“, bellte Chegwidden. Tiner tauchte wie aus dem Nichts auf. „Ja, Sir?“ „Ich will Lt. Singer hier haben, Tiner“, ordnete er an. Tiner nickte und verschwand eiligst.
„Sie kümmern sich um die Detectives“, wiederholte Chegwidden. „Sie scheinen ja schon einen Draht zu ihnen aufgebaut zu haben. Sie wissen, was die wollen, da wäre es unklug, jetzt jemand anders dafür abzustellen. Kommen Sie rein, Lt.“, sprach er Singer an, die im Türrahmen aufgetaucht war. Nachdem Singer eingetreten war, setzte er fort. „Gewähren Sie ihnen jede erdenkliche Hilfe, Commander. Ich habe keine Lust, noch mehr von meinen Leuten an diesen Killer zu verlieren, klar? Das muß aufhören!“ Harm nickte. „Natürlich, Sir.“ Er fragte sich, warum Chegwidden Lt. Singer hatte rufen lassen. Die Erklärung folgte praktisch auf dem Fuße. „Lt., Sie übernehmen den Jansen-Fall von Commander Rabb. Lassen Sie sich die Akte aushändigen. Wegtreten!“
Gefolgt von Singer ging Harm zu seinem Büro. Mit einer Mischung aus Erleichterung und Schadenfreude händigte er ihr die Akte aus. „Die Anhörung ist um zehn“, erklärte er. „Vielleicht können Sie Aufschub beantragen.“ „Das wird nicht nötig sein, Sir“, erklärte Singer kühl, nahm die Akte entgegen und drehte sich auf dem Absatz um. Harm sah ihr kopfschüttelnd nach. Gnade Gott demjenigen, der zwischen ihr und ihren Karriereplänen steht.
Er betrachtete den Aktenberg, der sich auf seinem Tisch türmte und entschied sich, ihn erstmal beiseite zu schieben. Er trat aus seinem Büro und suchte nach dem Gunny. „Gunny!“, rief er, als er ihn entdeckt hatte. „Wenn die beiden Detectives auftauchen, schicken Sie sie bitte zu mir. Und stellen Sie bitte eine Liste mit den Fällen auf, die Lt. Cmdr. Mattoni bearbeitet hat, ja?“ Der Gunny nickte.
19.00 Uhr Z-Zeit (14.00 Uhr EST)
JAG-Hauptquartier
Falls Church, Virginia
„Vielen Dank für Ihre Hilfe, Commander“, meinte Detective Mitchell. „Mittlerweile sind wir allerdings nicht mehr sicher, ob die Verbindung zwischen den Opfern wirklich in den Fällen zu finden ist. Möglicherweise liegt sie doch im privaten Bereich.“ Sie klappte den Notizblock zu, auf dem sie während der Befragungen Notizen gemacht hatte.
Harm überlegte. „Sie müssen also wieder von vorne anfangen? Hat der Täter denn gar keine Hinweise hinterlassen?“ „Keine eindeutigen. Es lag aber wieder ein Zettel bei der Leiche“, schaltete sich Detective Ryan ein. „Sieht nicht so aus, als wäre ein Ende in Sicht.“
„Und Sie denken, daß das nächste Opfer wieder eine Frau ist?“, vergewisserte sich Harm. „Ja, vermutlich. Falls wir ihn nicht vorher schnappen.“ Ryan wirkte hilflos.
„Dann hoffen wir also, daß er einen Fehler macht“, brachte Harm die Sache auf den Punkt. Die beiden Detectives nickten. Der Gunny klopfte an den Türrahmen. „Sir? Die Liste, die Sie wollten.“ Er streckte Harm einen Computerausdruck entgegen. „Danke, Gunny.“ Harm nahm die Liste entgegen. Der Gunny nickte und ging wieder. Harm unterdrückte einen Seufzer. „Ich weiß nicht, ob es Ihnen noch was nützt, aber das ist eine Liste aller Fälle, an denen Lt. Cmdr. Mattoni gearbeitet hat.“ Er reichte Detective Ryan die Liste. „Danke. Vielleicht ergibt sich jetzt ein stimmiges Muster“, meinte Mitchell, sah dabei aber nicht besonders zuversichtlich aus.
Mitchell erhob sich und streckte die Hand aus. „Wir halten Sie wieder auf dem laufenden“, meinte sie. Harm drückte ihr kurz die Hand und nickte Ryan zu. „Vielen Dank.“ Er sah den beiden Detectives nach, als sie gingen. Danach drehte er sich um und nahm den Aktenstapel auf seinem Schreibtisch in Augenschein.
19.45 Uhr Z-Zeit (14.45 Uhr EST)
JAG-Hauptquartier
Falls Church, Virginia
Harm kam mit zwei dampfenden Bechern aus der Kaffeeküche des HQ und zielte in die Richtung von Macs Büro. Er blieb einen Augenblick in der offenen Tür stehen und beobachtete Mac. „Mac? Wollen Sie einen Kaffee?“, fragte er schließlich. Sie blickte auf und sah ihn mit zwei Bechern auf der Schwelle stehen. „Ist Zucker drin?“, wollte sie wissen. „Soviel, daß Sie mühelos ins Zuckerkoma fallen können“, scherzte er und reichte ihr einen Becher.
Sie nahm den Becher entgegen und musterte ihn. „Die wissen immer noch nichts, nicht wahr? Die haben keine Ahnung, wer das tut und warum, oder?“ „Nein.“ Harm hob die Schultern. „Sie wissen nichts. Nur daß es wohl weitergehen wird.“ Er nahm einen Schluck aus seinem Becher. „Und das nächste Opfer wird aller Wahrscheinlichkeit nach wieder eine Frau...“ „Ich kann schon selbst auf mich aufpassen, Harm“, erklärte Mac halb belustigt, halb besorgt. Sie nahm ein paar Schlucke von ihrem Kaffee. Bloß niemals Hilfe annehmen, wie? dachte Harm. „Das weiß ich doch, Mac. Ich meinte auch nur, daß im Moment jeder hier besonders vorsichtig sein sollte. Der Täter scheint sich auf JAG-Anwälte zu spezialisieren, so wie’s aussieht.“ Er ist süß, wenn er sich Sorgen macht, dachte Mac amüsiert. Als nächstes bietet er sich noch als Bodyguard an...
„Ja, schon gut, schon gut. Ich bin vorsichtig, okay?“ Mac lächelte Harm beruhigend an. Halbwegs zufrieden verließ Harm ihr Büro. Als er auf den Gang trat, bemerkte er, daß nahezu die gesamte Belegschaft ihn anstarrte. Das ist doch nicht zu fassen! dachte er. Jetzt wird man schon verdächtigt, ein Verhältnis mit einer Kollegin zu haben, wenn man ihr einen Kaffee bringt.
20.10 Uhr Z-Zeit (15.10 Uhr EST)
JAG-Hauptquartier
Falls Church, Virginia
Harm betrat Admiral Chegwiddens Vorzimmer. „Ist er zu sprechen, Tiner?“, Harm wies auf das Büro des Admirals. Tiner nickte. „Ja, Sir. Ich melde Sie an, Sir.“ Tiner ging ihm voraus. „Sir, Commander Rabb-“ „Soll reinkommen, Tiner“, ließ Chegwidden sich vernehmen. Tiner machte eine einladende Handbewegung zu Harm und setzte sich wieder an seinen Tisch.
„Was gibt’s, Commander?“, Chegwidden lehnte sich zurück und unterzog Harm einer genauen Musterung. „Haben die Detectives schon ein paar handfeste Hinweise?“ „Nicht direkt, Sir. Aber es gibt Anzeichen, daß der Täter sich auf JAG-Anwälte spezialisiert. Vielleicht sollten wir ein Memo verteilen, in dem wir alle zur Vorsicht auffordern, Sir“, erklärte Harm. Der Admiral dachte darüber nach. „Das kann zumindest nicht schaden. Tun Sie das, Commander. Sonst noch etwas?“
„Nein, Sir.“ „Dann kümmern Sie sich darum, daß alle so ein Memo erhalten, Commander. Sie können wegtreten“, sagte Chegwidden. Nachdem Harm gegangen war, blickte er ein paar Sekunden lang grübelnd ins Leere, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder dem Aktenstapel zuwandte, der sich vor ihm auftürmte. Verflucht! Wir haben schon genug zu tun, auch ohne daß mir meine Anwälte der Reihe nach gekillt werden! Gnade ihm Gott, wenn ich ihn in die Finger kriege... Er setzte seine Unterschrift unter ein Dokument und knallte erbost den Aktendeckel zu.
18.55 Uhr Z-Zeit (13.55 Uhr EST)
JAG-Hauptquartier
Falls Church, Virginia
Zwei Wochen später
Entgegen allen Erwartungen hatte der Täter nicht wieder zugeschlagen. Harm hoffte wider besseres Wissen, daß die Mordserie damit ihr Ende gefunden hatte. Das ungute Gefühl in seiner Magengegend blieb jedoch. Es mißfiel ihm, daß sein Memo mit den Sicherheitshinweisen zunehmend weniger beachtet wurde.
Er beobachtete das Treiben im Großraumbüro von der Kaffeeküche des HQ aus, während er sich Kaffee eingoß. Die meisten JAG-Anwälte schienen sich wieder sicher zu fühlen. Es wurden manchmal sogar schon wieder Scherze gemacht. Kurz nach Alan Mattonis Beerdigung vor ein paar Tagen war das noch anders gewesen.
Und die Spekulationen über Mac und dich treiben schon wieder wilde Blüten, rief er sich ins Gedächtnis. Wenn das schon wieder das Topthema ist... In den letzten zwei Wochen hatte sich ihr Verhältnis spürbar gebessert und beinahe wieder den Zustand von vor Harms Absturz erreicht. Sie verstrickten sich wieder oft in ihre berühmt-berüchtigten Wortgefechte und Sticheleien, was vom Rest der Belegschaft natürlich auch registriert und oft amüsiert zur Kenntnis genommen wurde.
Chegwidden beobachtete die Entwicklungen mit einer gewissen Zufriedenheit. Seinem Team war es gelungen, beinahe alle Fälle zügig zu bearbeiten und den Rückstand zu kompensieren, der durch den Ausfall der beiden toten JAG-Anwälte entstanden war. Natürlich waren dabei auf fast jeden einige Überstunden zugekommen. Er hoffte jedoch, daß er bald Ersatz bekommen würde, damit seine Belegschaft wieder zu einem normalen Arbeitsrhythmus zurückkehren konnte.
Mac kam aus ihrem Büro. „Gunny?“, sprach sie Galindez an. „Können Sie mir Hintergrundinformationen über einen gewissen Lt. Jackie Stewart besorgen?“ Der Gunny nickte. „Selbstverständlich, Ma’am. Irgendeine spezielle Richtung?“ „Ich weiß noch nicht genau, was wichtig sein könnte“, meinte Mac. „Also erstmal alles, was Sie kriegen können.“ „Ja, Ma’am“, bestätigte der Gunny gutgelaunt.
Mac dachte daran, einen schnellen Imbiß zu sich zu nehmen, als sie Harm auf der Schwelle der Kaffeeküche stehen sah. Er musterte mit zusammengezogenen Augenbrauen die Vorgänge im Großraumbüro, während er einige Schlucke von seinem Kaffee nahm. Sie seufzte. Er macht sich immer noch Sorgen. Ein bißchen Ablenkung täte ihm wohl ganz gut... Sie gab sich einen Ruck und ging zu ihm hinüber.
„Haben Sie Hunger, Harm?“, erkundigte sie sich. „Ich hatte noch kein Mittag, wollen Sie mit in die Cafeteria?“ Harms Gesicht bekam einen spitzbübischen Ausdruck. „Sie haben noch nichts gegessen? Gott, die in der Cafeteria werden schon um die Hälfte ihres Tagesumsatzes gebangt haben...“, mimte er den Geschockten und wich schleunigst vor ihr zurück, bevor sie ausholen konnte.
„Harm!“, sagte sie drohend, lächelte dann aber trotzdem. „Wollen Sie nun mit oder nicht?“ Er nickte und stellte seinen Becher in die Spüle. Die beiden verließen das Büro, gefolgt von amüsierten Blicken.
19.32 Uhr Z-Zeit (14.32 Uhr EST)
Cafeteria des JAG-Hauptquartiers
Mac knüllte ihre Papierserviette zusammen und warf sie auf ihren leeren Teller. „Das war gut“, meinte sie zufrieden und lehnte sich zurück. Harm zog die Augenbrauen hoch und schüttelte sich. „Gut? Ich wette, daß Sie mit einem Biß in diesen Burger da Ihren Fettbedarf für einen ganzen Monat abgedeckt haben. Ihr Arzt muß wohl regelmäßig einen Herzanfall erleiden, wenn er Ihre Cholesterin-Werte checkt“, stichelte er. Mac grinste ungerührt und begann damit, einen Schoko-Muffin aus seiner Verpackung zu schälen.
„Sie wissen ja gar nicht, was Sie verpassen“, nuschelte sie zwischen zwei Bissen. „Ich brauche gar nichts essen, ich bin schon satt, wenn ich Ihnen zusehe“, konterte Harm.
Er tat so, als würde er den giftigen Blick nicht bemerken, den sie ihm zuwarf. Mac verdrückte genüßlich den Rest ihres Muffins und brachte ihr Tablett zurück, bevor sie mit Harm den Lift ins Büro nahm und sich wieder an die Arbeit begab.
20.17 Uhr Z-Zeit (15.17 Uhr EST)
JAG-Hauptquartier
Falls Church, Virginia
Harms Telefon klingelte. Er streckte abwesend die Hand aus und nahm den Hörer ab. „Rabb.“ ‚Detective Mitchell’, meldete sich eine weibliche Stimme. ‚Wir haben Neuigkeiten, Commander Rabb.’ Harm ließ augenblicklich die Akte los, mit der er sich gerade beschäftigt hatte und richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf das Telefongespräch. „Ja?“ ‚Der Täter ist unvorsichtig geworden. Wir konnten am letzten Tatort ein bißchen Blut sicherstellen, das nicht vom Opfer stammte. Im Moment erstellen wir einen genetischen Fingerabdruck’, unterrichtete sie ihn. ‚Wir werden dann einen Vergleich mit schon bekannten Straftätern durchführen.’
Wenigstens etwas, dachte Harm. Aber ob das reicht? „Meinen Sie, daß das Aussichten auf Erfolg hat?“, erkundigte er sich. ‚Nicht, wenn er noch nicht straffällig geworden ist’, gab Mitchell zu. ‚Aber wir können dann schon einige Verdächtige von der Liste streichen.’ Es gibt eine Liste? wunderte sich Harm. Er hatte eher den Eindruck gehabt, daß die Polizei gar nicht wußte, wen sie verdächtigen sollte. „Wie lange wird das denn voraussichtlich dauern?“, wollte er wissen. „Hat der Vergleich der bearbeiteten Fälle immer noch nichts ergeben?“
‚Nein, noch keine eindeutigen Ergebnisse’, erwiderte Mitchell. ‚Und der Genvergleich wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen.’ Mit anderen Worten, wir haben immer noch nichts, stellte Harm für sich fest. „In Ordnung. Hoffen wir, daß er bis dahin nicht wieder zuschlägt“, meinte er laut.
‚Ja. Ich melde mich, Commander.’ Es gab ein Klicken in der Leitung, als sie auflegte. Harm warf den Hörer auf die Gabel und versuchte, sich wieder auf den vorliegenden Fall zu konzentrieren, was ihm aber nicht so recht gelingen wollte.
01.17 Uhr Z-Zeit (20.17 Uhr EST)
Harms Apartment, Washington D.C.
„... nein, ihr stört wirklich nicht, Mum“, sagte Harm zum wiederholten Mal. „Mit welchem Flug kommt ihr an?“ ‚Moment... Hier: AA 539, Ankunft Washington 17.35 Uhr EST’, ließ sich seine Mutter vernehmen. ‚Aber wir können auch in einem Hotel übernachten...’ „Mum, das kommt gar nicht in Frage. Hier ist genug Platz, also schlaft ihr hier. Ich hole euch dann morgen vom Flughafen ab, okay?“, erklärte Harm resolut.
‚Wie du willst, Harm’, lachte seine Mutter und gab auf. ‚Wir sehen uns morgen.’ „Ja. Bis dann, Mum“, sagte Harm etwas besser gelaunt und legte den Hörer auf. Nach kurzem Überlegen nahm er den Hörer wieder auf, rief in dem italienischen Restaurant an, in dem er mit Mac gewesen war und reservierte einen Tisch für den folgenden Abend.
Jetzt mußte er nur noch Admiral Chegwidden überzeugen, ihn früher gehen zu lassen. Angesichts der Fülle an Arbeit, die im Moment anfiel, sicher keine ganz einfache Aufgabe.
18.56 Uhr Z-Zeit (13.56 Uhr EST)
JAG-Hauptquartier
Falls Church, Virginia
„Hören Sie, Commander, ich würde Sie ja gern gehen lassen, aber die Detectives wollen noch einmal herkommen“, erklärte Chegwidden. „Sieht so aus, als hätten sie noch ein paar Fragen. Ist es denn wichtig?“ Verdammt! Ja, natürlich ist es das. Sonst hätte ich schließlich nicht gefragt. „Ja, Sir“, seufzte Harm. Der Admiral sah ihn nicht ohne ein gewisses Mitgefühl an. „In Ordnung. Sie können sofort gehen, wenn die Detectives hier fertig sind, Rabb.“ Harm wußte, daß er nicht mehr herausschlagen konnte. „Danke, Sir.“
Den Nachmittag verbrachte er wie auf glühenden Kohlen. Als die Detectives eintrafen, war es schon fast vier und Harm sah ein, daß er es wohl nicht mehr rechtzeitig zum Flughafen schaffen würde. Er entschuldigte sich bei den beiden und lief hinüber zu Macs Büro.
„Mac?“ Er klopfte gegen den Türrahmen und trat ein. Sie war gerade dabei, ihren Tisch aufzuräumen, um nach Hause zu fahren. „Ja?“, sagte sie, ohne aufzusehen. „Was kann ich für Sie tun, Harm?“ „Äh...“ Harm wußte nicht so recht, wie er seine Bitte formulieren sollte. „Könnten Sie...“ „Nur raus damit“, ermunterte ihn Mac. „Solange es nichts Unanständiges ist...“
„Ähem“, machte es von der Tür her. Beide fuhren herum. „Ich wollte die McLean-Akte holen, Ma’am. Sir“, sagte Harriet entschuldigend. Unglaublich. Jedesmal, wenn wir etwas sagen, was zweideutig ausgelegt werden könnte, taucht jemand auf. Ob’s dafür so was wie einen inneren Kompaß gibt? grübelte Harm.
Mac reichte Harriet die gewünschte Akte, woraufhin sie schnell wieder verschwand. „Also was?“, wendete sie sich an Harm. „Meine Eltern kommen zu Besuch und ich hatte gesagt, daß ich sie vom Flughafen abhole. Ich werde es aber jetzt nicht mehr schaffen...“ Mac nickte verstehend. „Sie möchten, daß ich sie abhole?“ Harm nickte.
„Okay. Mach’ ich. Soll ich sie in Ihre Wohnung bringen?“, erklärte Mac bereitwillig. „Ja, ich hoffe, daß ich rechtzeitig genug loskomme, um wenigstens noch mit ihnen essen gehen zu können“, meinte Harm. „Mit welchem Flug kommen sie an?“, fragte Mac. Harm kramte nach dem Zettel, auf dem er die Flugdaten notiert hatte. „Hier steht alles drauf.“ Er reichte Mac den Zettel. „Aber Sie müssen es nicht machen...“
„Kein Problem. Ich schulde Ihnen sowieso noch was.“ Sie studierte die Angaben auf dem Zettel und streckte die Hand aus. „Schlüssel?“ „Was? Meine Eltern haben doch einen Wohnungsschlüssel.“ Harm war verwirrt. „Autoschlüssel“, spezifizierte Mac. „Soll ich Ihre Eltern etwa im Kofferraum meiner Corvette unterbringen?“
„Oh, natürlich.“ Harm zog seine Autoschlüssel aus der Tasche und händigte sie Mac aus. Im Gegenzug bekam er die Schlüssel zu Macs Corvette in die Hand gedrückt. „Wir tauschen die Wagen wieder, wenn Sie nach Hause kommen, das ist am einfachsten“, meinte sie. Harm lächelte dankbar. „Vielen Dank, Mac, ich...“
„Lassen Sie die Detectives nicht warten“, unterbrach ihn Mac. „Danken können Sie mir auch später.“ Sie grinste ihn fröhlich an, als er ging.
22.30 Uhr Z-Zeit (17.30 Uhr EST)
Washington, Flughafen
Mac hastete durch den Flughafen und suchte das richtige Terminal. Das fehlte noch, daß ich Harms Eltern übersehe. Die Sticheleien wären endlos. In dem Moment entdeckte sie das Terminal und warf einen Blick auf die Anzeigetafel. Gut. Wenigstens ist der Flug pünktlich. Sie positionierte sich so am Gate, daß sie alle Ankommenden im Auge behalten konnte.
Eine Durchsage weckte ihre Aufmerksamkeit. „Flug AA 539, Los Angeles nach Washington, ist planmäßig gelandet.“ Sie straffte sich und hielt Ausschau nach Harms Eltern. Nach einiger Zeit kam das Paar heraus und sah sich suchend um. Mac steuerte auf sie zu.
„Vielleicht ist er aufgehalten worden...“, mutmaßte Harms Mutter gerade. „Er kommt bestimmt gleich.“ Darauf würde ich nicht wetten, dachte Mac, als sie zu den beiden aufschloß. „Mr und Mrs Burnett?“, sprach sie das Paar an. „Harm tut es leid, aber er hat es leider nicht geschafft. Er hat mich geschickt, um Sie abzuholen“, sagte sie und lächelte entwaffnend.
Trish lächelte ebenfalls. Sie mochte den Marine-Colonel. Sie überlegte, wie lange ihr Sohn noch brauchen würde, um Mac zu sagen, was er fühlte. Als sie ihn einmal darauf angesprochen hatte, war er sofort ausgewichen. „Colonel MacKenzie“, sagte sie förmlich und streckte die Hand aus, welche Mac ergriff. „Ich bin nicht im Dienst, Mrs Burnett“, machte sie aufmerksam. „Sie können mich ruhig Mac nennen.“ Sie schüttelte auch Franks Hand.
„Dann müssen Sie mich aber auch Trish nennen“, meinte Harms Mutter. „Und mich Frank“, fügte Harms Stiefvater an. „In Ordnung“, stimmte Mac zu. „Brauchen Sie Hilfe mit den Koffern? Der Wagen steht auf dem Parkplatz gleich hinter dem Ausgang.“ Sie deutete in die entsprechende Richtung und nahm Trish eine Reisetasche ab.
„Wovon ist Harm aufgehalten worden?“, erkundigte sich Frank, als sie auf den Ausgang zustrebten. „Oh, er kümmert sich um die Detectives, die die Untersuchung in den Mordfällen leiten. Sie hatten wohl kurzfristig noch einige Fragen, deshalb konnte er nicht früher weg.“ Mac seufzte. „Ich glaube, Harm macht sich ziemliche Sorgen, daß der Täter noch mal zuschlagen könnte.“ „Ja, so ist Harm“, bestätigte Harms Mutter.
Als sie auf den Parkplatz hinauskamen, steuerte Mac auf Harms SUV zu. Irritiert folgten ihr die Burnetts. „Ist das nicht Harms Auto?“, fragte Trish schließlich, nachdem sie und Frank einen kurzen Blick ausgetauscht hatten. Mac lachte. „Ja. Wir haben die Wagen getauscht. Ich vermute, es wäre doch ein wenig unbequem für alle Beteiligten geworden, wenn ich versucht hätte, Sie beide samt Gepäck in meine Corvette zu stopfen.“ Oh. Und ich dachte schon, die beiden wären sich endlich einig geworden, dachte Trish ein wenig enttäuscht, behielt diesen Gedanken jedoch für sich.
Mac öffnete den Kofferraum des Wagens und stapelte das Gepäck der Burnetts hinein. Die beiden werden doch jetzt wohl nicht auch noch auf komische Gedanken kommen? wunderte sich Mac. Sie sind auf einmal so ruhig... „Harm sagte, ich soll Sie beide in seine Wohnung bringen“, sagte sie laut. „Also, dann los“, sagte Frank gutgelaunt und zwinkerte Trish zu.
Mac unterdrückte einen Stoßseufzer, als sie das Zwinkern aus dem Augenwinkel wahrnahm. Ach, was soll’s. Laß ihnen doch ihren Spaß. Sie stiegen alle in den Wagen und Mac manövrierte ihn sicher vom Flughafengelände in Richtung Harms Apartment.
00.08 Uhr Z-Zeit (19.08 Uhr EST)
Harms Apartment, Washington D.C.
Harm schloß die Tür seines Apartments auf und linste vorsichtig hinein. Was immer er jedoch befürchtet haben mochte, traf offensichtlich nicht zu. Er hörte Gelächter aus seinem Wohnzimmer und wandte sich dorthin. Seine Eltern und Mac hatten es sich auf seiner Couch bequem gemacht und waren offenbar in ein Gespräch vertieft, daß sich auf ihn bezog, denn als er ins Wohnzimmer trat, verstummten sie plötzlich.
„Harm!“ Seine Mutter stand auf und umarmte ihn. Harm lächelte und erwiderte die Umarmung. Er warf einen Blick zu Mac hinüber. Sie machte den Eindruck, als hätte sie sich gut amüsiert, weshalb er seine Aufmerksamkeit wieder seiner Mutter zuwandte. „Hallo, Mum. Schön, daß ihr hier seid. Ich hoffe, ihr seid nicht böse, daß ich euch nicht abholen konnte...“ „Schon gut. Deine Partnerin hat uns inzwischen gut unterhalten“, schaltete sich sein Stiefvater in das Gespräch ein. „Sie hat uns ein paar interessante Geschichten erzählt.“
„Über mich? Nur Gutes, hoffe ich“, scherzte Harm, während er nach einem kurzem Zögern auch seinen Stiefvater umarmte. „Och, vielleicht, vielleicht auch nicht“, griente Mac. „Okay, Mac. Wenn Sie schlecht über mich geredet haben, dann sag’ ich Ihnen, daß Ihre hübsche kleine Corvette eine nicht ganz so hübsche Beule hat!“, drohte Harm.
Mac mimte kurz Entsetzen. Dann stand sie auf. „Ich glaube, ich gehe jetzt besser, Harm, und lasse Sie mit Ihren Eltern allein.“ „Oh, nein“, warf Trish ein. „Bitte bleiben Sie. Harm, wir können sie doch mitnehmen...?“ „Mitnehmen? Wohin?“, echote Mac verwirrt.
„Du hast doch einen Tisch reserviert?“, erkundigte sich Trish bei Harm. Als der nickte, erklärte Trish resolut: „Dann kommen Sie mit, Mac. Als Entschädigung für’s ’Babysitten’, wenn Sie so wollen.“ Mac wollte schon den Kopf schütteln, aber Trish machte ein entschlossenes Gesicht und schien nicht die Absicht zu haben, sie entwischen zu lassen. Frank nickte ebenfalls bekräftigend. Sie wechselte einen resignierten Blick mit Harm. Oje, jetzt gehen die Kuppelversuche sogar schon von elterlicher Seite aus. Aber hey, es könnte schlimmer kommen, lachte sie in sich hinein. „Okay, okay. Ich geb’ auf. So viel geballter Familienmacht kann ich nichts entgegensetzen.“
„Fein.“ Trish war zufrieden. „Ich geh’ mich noch kurz frischmachen, dann können wir los.“ Sie verschwand in Harms Badezimmer. Harm grinste und machte sich daran, das Kaffeegeschirr seiner Gäste abzuräumen. Er schüttelte den Kopf, als Frank ihm helfen wollte und bedeutete ihm, sich wieder auf die Couch zu setzen.
Mac trug ihm ein paar Tassen in die Küche hinterher. „Harm, wenn es Ihnen unangenehm ist, daß ich mitkomme...“ Harm drehte sich um und sah sie direkt an. „Warum sollte es das?“ Er scheint wirklich nichts dagegen zu haben, registrierte sie überrascht. Dabei muß er doch wissen, daß seine Mutter uns nur zu gern verkuppeln würde. Oder will er das vielleicht sogar?
Harms Gedanken gingen, ohne daß sie es wußte, in eine ähnliche Richtung. Es scheint ihr unangenehm zu sein. Sie hat Mums Verkupplungsversuche also auch schon bemerkt. „Ich meine, vielleicht wollen Sie lieber mit Ihren Eltern allein sein“, sagte Mac. Sie bemerkte seinen betroffenen Gesichtsausdruck. Verdammt. Jetzt denkt er, daß ich immer noch böse auf ihn bin. „Ich möchte mich nur nicht dazwischendrängen, Harm.“ „Sie drängen sich schon nicht dazwischen, Mac. Wenn meine Eltern Sie nicht mögen würden, hätten sie Sie nicht eingeladen“, erklärte er ruhig. Das konnte sie akzeptieren.
„Welches Restaurant haben Sie denn ausgesucht?“ „Das italienische von neulich. Da können Sie dann wieder eine ganze Kuh verdrücken, ohne daß es jemanden auffällt“, feixte Harm. „Haha. Sehr witzig.“ Mac boxte ihn auf den Oberarm, worauf Harm schmerzhaft aufstöhnte. Bei ihren Albereien war ihnen gar nicht aufgefallen, daß Harms Mutter wieder aus dem Bad gekommen war und sie beide amüsiert beobachtete. Trish warf Frank einen belustigten „Siehst – du – ich – hab’s – dir – doch – gesagt“ – Blick zu, bevor sie sich laut räusperte und damit das Gespräch zwischen ihrem Sohn und seiner Partnerin unterbrach.
„Ich bin fertig, Harm. Wollen wir fahren?“ Harm und Mac fuhren auseinander, als Trish sie ansprach. „Ja, natürlich“, antwortete er, als er sich wieder gefaßt hatte. Stillschweigend beschlossen er und Mac, mit getrennten Autos zu fahren, nachdem sie die Autoschlüssel wieder zurückgetauscht hatten.
01.56 Uhr Z-Zeit (20.56 Uhr EST)
Restaurant “La Dolce Vita“, Georgetown
„Ist wirklich ein nettes Restaurant. Wie habt ihr’s gefunden?“, wollte Frank wissen. Während sie auf ihre Bestellungen warteten, sahen sich Harms Eltern um. Mac hob die Hände. „Keine Ahnung. Er hat es das letzte Mal aus dem Hut gezogen.“ Sie wies auf Harm. „Das letzte Mal?“ Trish zog die Augenbrauen hoch. Sie gehen also miteinander aus. Wußte ich’s doch. „Es war kein Date, Mum“, erklärte Harm kategorisch, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Ich hab’s entdeckt, als ich noch mit Renée ausgegangen bin.“
„Harm...“, setzte Frank an. Der winkte ab. „Schon gut, Frank. Nicht so schlimm.“ Er verspürte keinerlei Lust, vor Mac seine gescheiterte Beziehung zu Renée zu erklären. Frank schickte einen hilfesuchenden Blick zu seiner Frau. Er wollte nicht, daß ein simpler Fehler das gute Verhältnis zu seinem Stiefsohn wieder kaputt machte, nachdem er so lange darum hatte kämpfen müssen. Trish drückte unter dem Tisch beruhigend seine Hand.
„Was ist eigentlich mit Ihnen, Mac? Harm hat vor einiger Zeit erzählt, daß Sie heiraten wollen?“, versuchte Trish, das Gespräch in weniger gefährliche Gewässer zu lenken. Sie merkte jedoch sofort, daß sie auch in ein Fettnäpfchen getappt war, als sie sah, wie Harm zusammenzuckte. Ohoh. Noch eine gescheiterte Beziehung. Ihre Vermutung wurde fast sofort bestätigt, als Mac widerstrebend erklärte, daß sie ihre Verlobung gelöst hatte und nicht mehr zu heiraten beabsichtigte. Na, das ist doch perfekt, dachte Trish. Dann könnt ihr euch doch endlich zusammenraufen.
Natürlich sprach sie das nicht aus, sondern sagte nur, daß ihr das leid täte. Mac nahm die Entschuldigung mit einem Nicken ihres Kopfes an. Von weiteren Peinlichkeiten wurden sie erstmal erlöst, da die Bestellungen kamen und sie schweigend zu essen begannen.
Trotz des mißglückten Starts wurde der Abend dann aber doch noch ein Erfolg. Harms Stiefvater entpuppte sich als ein guter Unterhalter und brachte alle am Tisch fortwährend zum Lachen. Mac konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann sie das letzte Mal so gelacht hatte. Sie genoß den Abend wirklich sehr. Mittlerweile war sie Harms Eltern richtig dankbar, daß sie darauf bestanden hatten, sie mitzunehmen.
Amüsiert zog sie zusammen mit den Burnetts Harm wegen seiner Menüwahl auf. Ich frage mich, wie Harm zum Fast-Vegetarier werden konnte, bei den Mengen Fleisch, die seine Eltern offensichtlich mit Vergnügen verdrücken, dachte Mac. Gleich darauf lachte sie in sich hinein. Es könnte natürlich auch sein, daß er gerade deshalb zum Fast-Vegetarier geworden ist. Harm beobachtete Mac zufrieden. Es war schon einige Zeit her, daß er sie so entspannt und fröhlich gesehen hatte. Jedenfalls ganz bestimmt nicht mehr, nachdem sich Brumby von ihr getrennt hatte.
In diesem Moment sah Mac zu ihm herüber und ihre Blicke trafen sich. Für eine Sekunde nahmen beide nichts um sie herum wahr. Dann blinzelte Harm. „Entschuldigung, was hast du gerade gesagt, Mum?“ Junge Liebe! grinste seine Mutter in sich hinein. Können die Augen nicht voneinander lassen, aber behaupten steif und fest, daß sie nur Freunde sind... „Ich hab’ gefragt, ob wir jetzt das Dessert bestellen sollen“, wiederholte sie geduldig noch einmal. „Ja... ja. Warum nicht?“, stimmte Harm eilig zu und winkte nach dem Kellner.
Der kam dem Wink von Harm beinahe sofort nach. Er konnte sich noch vom letzten Mal dunkel an das sympathische junge Paar erinnern. Sie wirkten heute aber ungleich fröhlicher.
„Was kann ich für Sie tun?“, erkundigte er sich dienstfertig und zückte seinen Notizblock. Harm warf seinen Eltern einen fragenden Blick zu. „Ein Espresso, bitte“, äußerte sich Frank. „Haben Sie Obstkuchen?“, wollte Trish wissen. Harm lächelte in sich hinein. Als der Kellner nickte, sagte Trish: „Dann hätte ich gern ein Stück mit Sahne“, bestellte Trish. „Zwei, bitte“, schloß sich Mac an. „Und was kann ich Ihrem Mann bringen?“ „Einen Cappuccino“, antwortete Mac an Harms Stelle, bevor der auch nur den Mund aufmachen konnte.
„Sie wollten doch einen, oder?“, fragte Mac Harm, als sich der Kellner entfernte. Der nickte. Gleichzeitig schickte er seinen grinsenden Eltern einen Blick zu, der sich jeglichen Kommentar verbat. Das überaus breite Grinsen bekam er damit jedoch nicht aus ihren Gesichtern.
Er stöhnte. „Hört mal, zum letzten Mal: Wir sind nur Freunde, klar?!“ Im Moment jedenfalls, fügte er in Gedanken an. Seine Eltern wirkten davon aber unbeeindruckt. „Alles, was du sagst, Junge“, meinte sein Stiefvater belustigt. Harm wollte gerade protestieren, als der Kellner überraschend schnell mit den Desserts wiederkam. Daher beschränkte er sich auf einen gespielt bitterbösen Blick.
13.30 Uhr Z-Zeit (08.30 Uhr EST)
JAG-Hauptquartier
Falls Church, Virginia
Harm steuerte gutgelaunt auf sein Büro zu und nippte dabei an seinem Becher Kaffee, den er auf dem Weg gekauft hatte, um seine Eltern nicht durch Geklapper aus der Küche zu wecken. Sie hatten zwar angeboten, in ein Hotel zu ziehen, aber Harm hatte in diesem Punkt nicht mit sich reden lassen. Schließlich hatte er sein Bett für sie geräumt und selbst auf der Couch geschlafen. Und zwar nicht besonders gut. Ich frage mich, wie Mac das ausgehalten hat. Seiner guten Laune tat das trotzdem keinen Abbruch. Er durchquerte das Großraumbüro und wunderte sich. Ist denn noch niemand hier?
Mac kam mit einem Stapel Akten um die Ecke, als sie Harm sah. „Oh! Seit wann sind Sie denn so früh im Büro?“, kam ihre überraschte Anfrage. Der Aktenstapel, den sie trug, begann zu schwanken und nahm eine bedrohliche Schieflage ein. Harm stellte eilig den Pappbecher auf Gunnys Tisch ab und kam ihr – ganz Kavalier – zur Hilfe. „Wo wollen Sie ihn hinhaben, Mac?“, fragte er, nachdem er ihn unter Kontrolle bekommen und ihr abgenommen hatte. „In mein Büro.“ Mac griff nach Harms Becher und der Aktentasche, die er abgelegt hatte.
„Das Essen mit Ihren Eltern gestern hat mir sehr gefallen“, sagte sie, als sie zu ihm aufschloß. „Sie sind wirklich sehr nett.“ „Ja, zu Ihnen. Meine anderen Freundinnen wurden nie so behandelt. Teilweise kannten sie nicht mal ihre Namen“, erläuterte Harm. „Also willkommen in der Familie.“ „Ich fühle mich geehrt“, meinte Mac ironisch. Harm manövrierte den Stapel auf ihren Tisch, nahm seinen Becher und seine Tasche von Mac entgegen und ging in sein Büro.
Bei ihrem Wortwechsel hatten die beiden übersehen, daß sich Admiral Chegwidden gerade in der Kaffeeküche des HQ aufhielt und alles mitangehört hatte. Der zog irritiert die Augenbrauen zusammen und dachte über das Gespräch seiner beiden Top-Anwälte nach. Der Colonel war mit dem Commander und seinen Eltern essen? Und wieso „Willkommen in der Familie“? Die beiden werden doch nicht hinter meinem Rücken... Nein, beruhigte er sich sofort wieder. Nein. Bevor die beiden zu Potte kommen... Aber ich sollte vielleicht doch schon mal beim Marine-Minister vorfühlen. Lieber starte ich noch ein Harriet – Manöver, als daß man mir mein Top-Team auseinanderreißt. Er zwinkerte und kehrte in die Realität zurück. Seufzend griff er nach der Kaffeekanne. Du lieber Himmel. Jetzt hat es mich auch erwischt. Ich spekuliere über das Privatleben meiner Offiziere. Das muß irgendwie ansteckend sein. Er goß sich Kaffee ein und verließ die Kaffeeküche. Es gibt anscheinend nur eine Möglichkeit, diese Sache ein für alle mal aus der Welt zu schaffen...