Kaffee gefällig (Teil 2)

von Alix FM

 

 

16.34 Uhr Z-Zeit (11.34 Uhr EST)

JAG-Hauptquartier

Falls Church, Virginia

 

„Ma’am?“ Tiner klopfte an die Tür von Macs Büro. Als sie aufsah, setzte er fort: „Der Admiral möchte Sie sehen.“ Mac nickte. Sie erhob sich und folgte Tiner, der aber nicht gleich zum Büro des Admirals zurückging, sondern bei Harms Büro stoppte und auch ihn bat, mitzukommen.

 

Nach einem fragenden Blick auf Mac, welche nur ratlos mit den Schultern zuckte, schloß Harm sich ihnen an. Da beide keine Ahnung davon hatten, daß Chegwidden ihr Gespräch am Morgen mitgehört hatte, nahmen sie an, daß es um neue Fallzuteilungen gehen mußte. Da hatten sie sich aber gründlich geirrt.

 

„Stehen Sie bequem.“ Der Admiral durchbohrte seine beiden Offiziere nahezu mit seinem Blick. Dann wies er auf die Stühle vor seinem Tisch. „Setzen Sie sich!“ Harm und Mac taten wie ihnen befohlen, nahmen Platz und warteten ab. Chegwidden begann jedoch nicht sofort. Er verschränkte die Arme und lehnte sich in seinem Sessel zurück.

 

Ich hab’ die beiden von Anfang an gewarnt, aber nein... Warum hört nur nie jemand auf mich? grollte er innerlich. Und der gute alte A.J. darf’s wieder richten. Aber diesmal werd’ ich euch nicht so einfach davonkommen lassen, ihr zwei!

 

Seine beiden Offiziere rutschten unruhig hin und her und warteten darauf, daß ihr CO das Wort ergriff. Der tat ihnen diesen Gefallen aber zunächst nicht, was ihre Verwirrung noch steigerte. Schließlich räusperte sich Chegwidden.

 

„Ich weiß nicht genau, welcher Art die Beziehung von Ihnen beiden ist“, begann er und bedeutete Harm, den Mund zu halten. Harm klappte den Mund wieder zu und schwieg. „Das ist mir – ehrlich gesagt – auch ganz egal. Was mir nicht egal ist, sind die Auswirkungen, die Ihr Katz – und Maus – Spiel auf meine anderen Untergebenen hat. Jetzt rede ich, Colonel!“ Mac schaute unbehaglich drein, wagte aber nicht, etwas zu sagen. „Ich will, daß diese Störungen aufhören!“ Chegwidden stand auf und begann damit, im Zimmer umherzugehen.

 

Worauf will er hinaus? Will er einen von uns versetzen?  Angespannt folgte Harm jeder von Chegwiddens Bewegungen. Was hat er vor?

 

Der Admiral hingegen fand die Situation inzwischen ziemlich erheiternd. Er erwog kurz, Harm und Mac noch ein bißchen zappeln zu lassen, entschied sich dann aber dagegen.

 

„Offensichtlich schaffen Sie beide es nicht, sich mit Ihrem Beziehungsproblem auseinanderzusetzen. Deshalb werde ich die Sache jetzt in die Hand nehmen“, erklärte er. Harm und Mac wirkten immer unglücklicher. Beide warfen dem Admiral trotzdem einen halb neugierigen, halb fragenden Blick zu. Was hat er denn vor? Wie will er unser Problem lösen? schoß es Mac durch den Kopf. Sie lehnte sich vor.

 

„Fein. Ich gebe Ihnen drei Möglichkeiten zur Auswahl“, Chegwidden setzte sich wieder. „Erstens: Sie beschränken sich auf eine streng berufliche Beziehung, und zwar ohne Ihre berühmt-berüchtigten Zankereien in aller Öffentlichkeit, Übernachtungsbesuche oder ähnliches. Haben Sie das soweit verstanden?“ Auf das Nicken von Harm und Mac hin fuhr er fort: „Zweitens: Sie entscheiden sich für eine ernsthafte Beziehung. Wenn Sie heiraten wollen, werde ich mich beim Marine-Minister dafür einsetzen, daß Sie trotzdem zusammen unter meinem Kommando bleiben können. Das hat schließlich schon bei den Roberts geklappt.“ „Heiraten?!“, kam das überraschte Echo von seinen Offizieren. Wenn die Stühle keine Rückenlehnen gehabt hätten, wären wohl beide rücklings von den Stühlen gekippt. Chegwidden hatte in dem Moment Mühe, sein ernstes Gesicht zu wahren. Die Sache machte ihm richtig Spaß. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann er die beiden Anwälte zuletzt so verblüfft und sprachlos gesehen hatte. „Ganz recht, ’heiraten’!“, bekräftigte er noch einmal. „Drittens: Sie entscheiden sich, alles so zu lassen, wie es ist. Dann werde ich aber einen von Ihnen versetzen lassen, und zwar möglichst weit weg. Es liegt also bei Ihnen.“

 

„Sir, wir-“, setzte Mac an. „Oh, Sie sollen sich nicht sofort entscheiden, Colonel. Sie haben drei Wochen Zeit, dann will ich Ihre Entscheidung. Also, überlegen Sie beide gut!“, ordnete der Admiral an. „Sir...“, wollte auch Harm sein Glück versuchen. Chegwidden schnitt ihm das Wort resolut ab. „Ich will jetzt nichts hören. Sagen Sie’s mir in drei Wochen. Wegtreten!“ Harm und Mac wechselten einen Blick und entschieden, erstmal den Rückzug anzutreten.

 

„Ja, Sir.“ Die beiden steuerten Richtung Tür, als sich der Admiral noch einmal zu Wort meldete. „Ach, was ich noch sagen wollte: Wenn Sie sich für die zweite Möglichkeit entscheiden sollten – ICH stelle mein Haus nicht noch einmal für eine Verlobungsparty zur Verfügung!“ „Nein, Sir“, sagte Harm.

 

Er und Mac flüchteten Hals über Kopf aus dem Büro des Admirals, bevor der noch irgendetwas anfügen konnte.

 

Draußen vor der Tür blieben die beiden stehen und wechselten unbehagliche Blicke. Dann drehten sich beide auf dem Absatz um und strebten eilig in genau entgegengesetzte Richtungen davon. Tiner beobachtete zunehmend verwirrt die Szenerie. Dann zuckte er mit den Achseln. Was immer auch passiert war, er würde es schon früh genug erfahren.

 

Harm betrat sein Büro und schloß die Tür hinter sich. Er mußte erstmal einen klaren Kopf bekommen, bevor er über das Ultimatum des Admirals nachdenken konnte. Er atmete tief ein und überlegte. Für ihn stand von vornerein fest, daß er auf keinen Fall versetzt werden wollte. Genauso wenig wollte er, daß Mac versetzt würde. Also blieben nur die beiden ersten Möglichkeiten übrig. Aber das kann ich kaum allein entscheiden. Da hat Mac auch ein Wörtchen mitzureden. Er wand sich innerlich bei der Vorstellung, darüber mit Mac reden zu müssen. Ich hatte ihr doch gesagt, daß ich ihr soviel Zeit geben werde, wie sie braucht... Aber diese Option steht wohl nicht mehr zur Debatte.

 

Er durchquerte unruhig sein Büro. Er zweifelte nicht daran, daß Chegwidden seine Drohung wahrmachen und einen von ihnen versetzen würde, falls sie in drei Wochen keine Entscheidung gefällt hatten. Trotzdem war er ein bißchen über Chegwiddens Einmischung verärgert. Warum glaubt er, daß wir das nicht allein in den Griff kriegen? Vielleicht brauchen wir einfach nur mehr Zeit...

 

Mac stand am Fenster ihres Büros. Gedankenverloren starrte sie hinaus, ohne wirklich etwas zu sehen. Insgeheim fluchte sie über die Einmischung des Admirals. Harm und ich kennen uns seit sechs Jahren. Wenn er es in dieser Zeit nicht geschafft hat, mir zu sagen, was er fühlt, wie kommt der Admiral dann darauf, daß er das in den nächsten drei Wochen packt? Sie nagte auf ihrer Unterlippe. Jetzt wird Harm zuschnappen wie eine Auster und keinen Pieps mehr von sich geben. Verdammt, verdammt, verdammt!

 

Den Rest des Tages gingen sie sich aus dem Weg. Keiner von beiden wollte den anderen bedrängen.

 

13.49 Uhr Z-Zeit (08.49 Uhr EST)

JAG-Hauptquartier

Falls Church, Virginia

 

Harm betrat fröhlich pfeifend den Lift zum Großraumbüro. Am Abend zuvor war er mit seinen Eltern wieder essen gegangen. Obwohl Mac diesmal nicht mitgekommen war – Harm wollte nicht, daß sie sich auch noch von seinen Eltern gedrängt fühlte, eine Entscheidung zu treffen, – war es doch ein sehr angenehmer Abend gewesen, und er befand sich in einer gehobenen Stimmung. Damit war es aber schlagartig vorbei, als er aus dem Lift trat. Das JAG-HQ wirkte, als wäre eine Bombe eingeschlagen. Niemand schien zu arbeiten. Überall standen kleine Grüppchen herum. Alle schienen heftig zu diskutieren.

 

Harm konnte nur einzelne Fetzen aufschnappen, als er sich einen Weg durch die kleinen Gruppen bahnte, die vor seinem Büro standen. „... noch gewarnt...“, und „... wieder zugeschlagen...“, hörte er, als er an Harriet und Bud vorbeiging. Zugeschlagen? wunderte er sich noch, bevor ihm ein Licht aufging. Oh Gott! Bitte, laß es nicht… Er brachte den Gedanken nicht zu Ende. Angstvoll sah er sich um. Er konnte Mac nirgends entdecken...

 

Harm wandte sich zu Bud und Harriet um, ergriff den erstaunten Bud am Arm und zog ihn ein paar Schritte mit sich. „Bud?“, fragte er angstvoll. „Wen hat er...? Ist es...?“ Er brach ab und ließ Bud los. Bud schaute verständnislos. Dann begriff er. „Oh, nein, Sir. Dem Colonel geht es gut. Aber...“ Bud geriet ins Stottern. „Was?“, faßte Harm ungeduldig nach. „Es ist Lt. Singer, Sir. Der Mörder hat sie... Sie ist vor ein paar Stunden... tot aufgefunden worden...“ Harm wurde blaß. Auf der einen Seite fühlte er maßlose Erleichterung, daß es Mac gut ging, auf der anderen Seite fühlte er sich an Lt. Singers Tod mitschuldig. Ich hätte darauf bestehen sollen, daß die Sicherheitshinweise aus dem Memo beachtet werden, solange der Killer frei herumläuft. Dann wäre Singer jetzt vielleicht noch am Leben...

 

Chegwidden kam aus seinem Büro, gefolgt von Mac und den Detectives Mitchell und Ryan. Er sah sich kurz das Chaos an, das unter seinen Leuten herrschte. Dann erhob er die Stimme: „Ruhe!“ Er sagte nur dieses eine Wort. Fast augenblicklich kehrte Ruhe ein. Niemand legte sich mit ihm an, wenn er in so einer Stimmung war. Jedenfalls niemand, der beabsichtigte, seine Karriere danach noch fortzusetzen.

 

„Sie haben offenbar alle schon gehört, daß Lt. Singer letzte Nacht ermordet wurde.“ Der Admiral räusperte sich. Er ließ seinen Blick durch das Großraumbüro schweifen. Die meisten seiner Untergebenen machten einen betroffenen Eindruck. Hier und da sah er eine schwache Bestätigung dessen, was er gerade gesagt hatte. Sein Blick blieb an Harm hängen. Rabb sieht aus, als ob er sich gleich übergeben muß... Dann begriff er. Er dachte, daß der Killer Colonel MacKenzie erwischt hat. Kein Wunder.

 

Er konzentrierte sich wieder auf seine Aufgabe. „Die meisten von Ihnen hatten bereits mit den Detectives hier zu tun“, er winkte in Richtung der Detectives. „Ich möchte, daß jeder von Ihnen sie in jeder nur erdenklichen Form bei ihren Ermittlungen unterstützt, damit der Täter so schnell wie möglich gefaßt und seiner gerechten Strafe zugeführt werden kann.“ Zustimmendes Gemurmel kam auf. Der Admiral wartete, bis es sich wieder legte.

 

„Darüber hinaus werden die Sicherheitsmaßnahmen hier im Gebäude verstärkt.“ Er sah, wie Bud seinen Arm schützend um Harriet legte. Das brachte ihn auf eine Idee. Spontan beschloß er, sie gleich in die Tat umzusetzen. „Außerdem wird niemand von Ihnen mehr auch nur einen Schritt außerhalb dieses Gebäudes machen, ohne daß er von jemand anders begleitet wird. Es ist mir vollkommen egal, wen Sie als Partner wählen. Aber solange der Täter nicht gefaßt ist, gehen Sie außerhalb dieses Gebäudes ohne Ihren Partner nicht einmal auf die Toilette!“

 

Die beiden Detectives schauten zuerst verwundert, tauschten dann aber einen anerkennenden Blick. Die Idee war gut. Sie hätten schließlich nicht allen JAG-Anwälten einen Polizisten als Beschützer zur Seite stellen können. Wenn sie gegenseitig auf sich aufpassen würden, wäre es einfacher. Vorausgesetzt natürlich, daß der Killer nicht einer von ihnen ist, dachte Detectiv Mitchell. Das glaubte sie aber eigentlich nicht; bei den schon durchgeführten Befragungen hatten sie bei niemanden ein passendes Motiv ausmachen können.

 

„Noch Fragen?“, vergewisserte sich Chegwidden. „In Ordnung. Dann gehen Sie alle wieder an die Arbeit. Helfen Sie den Detectives. Und ohne einen Partner verläßt mir keiner das Gebäude!“

 

Er drehte sich um und verschwand türenknallend in seinem Büro. Die Versammlung löste sich langsam auf. Die meisten setzten sich wieder an ihre Schreibtische. An die Arbeit aber dachte kaum jemand. Harm löste sich immer noch nicht aus seiner Erstarrung, als Mac auf ihn zukam und ihn besorgt ansah. „Harm?“ Sie streckte die Hand aus und berührte ihn am Arm. „Harm, ist alles okay? Sie sehen nicht besonders gut aus.“

 

Er schwieg und sah sie nur an. „Erde an Harm! Ist alles in Ordnung?“ Mac bewegte die Hand vor seinen Augen hin und her. In dem Moment schien bei ihm wieder etwas einzurasten. „Was?“ „Ich fragte, ob bei Ihnen alles okay ist“, wiederholte Mac geduldig. „Ja... nein...“ „Also, was denn nun, ja oder nein?“, hakte Mac nach. Was hat er denn? Er wird doch wohl nicht sich die Schuld geben?

 

Harm räusperte sich. „Wenn ich besser aufgepaßt hätte, daß die Sicherheitshinweise auch beachtet werden, dann könnte Lt. Singer noch leben...“ Volltreffer, Marine! dachte Mac. „Jetzt hören Sie mal zu, Fliegerheld! Lt. Singer war erwachsen, und Sie waren ganz bestimmt nicht für sie verantwortlich“, erklärte Mac energisch. „Wenn sie sich dazu entschieden hat, die Sicherheitshinweise außer acht zu lassen – was wir im Übrigen noch nicht genau wissen – dann ist das nicht Ihre Schuld, okay? Fangen Sie gar nicht erst damit an, sich Vorwürfe zu machen, klar?“

 

Harm hörte Mac aufmerksam zu und lächelte gequält. „Ja, Ma’am“, sagte er ironisch. „Gut. Jetzt, wo wir das geklärt haben: Ich brauche noch einen ’Beschützer’, und Sie auch. Wie wär’s?“ Sie streckte die Hand aus. Nach kurzem Zögern schlug Harm in die angebotene Hand ein. „Seit wann braucht ihr Marines denn Navy-Piloten als Beschützer?“

 

Mac schüttelte den Kopf. „Tun wir nicht. Ich mach’ das nur, weil der Admiral es angeordnet hat. Außerdem muß ja jemand auf Ihren Kopf aufpassen...“ Sie lächelte schwach.

 

„Okay. Gehen wir lieber an die Arbeit“, schlug Harm vor. „Wenn die Detectives nachher mein Büro in Beschlag nehmen, komm’ ich wieder zu gar nichts.“ Widerwillig ließ er Macs Hand los, die er bis dahin noch gehalten hatte. „Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie nach Hause wollen?“ Mac nickte. „Natürlich.“

 

Harm sah ihr nach, als sie zum Tisch des Gunnys ging, wo sie einen Aktenordner entgegen nahm. Danach verschwand sie in ihrem Büro; aber nicht, ohne sich noch einmal umzudrehen und Harm aufmunternd anzulächeln.

 

20.16 Uhr Z-Zeit (15.16 Uhr EST)

JAG-Hauptquartier

Falls Church, Virginia

 

„Nein, Mum. Ich glaube nicht, daß-“ Harm seufzte. Seine Mutter klang am Telefon überaus besorgt. ‚Harm, wie viele Leute sind schon getötet worden? Wie lange willst du noch behaupten, daß du nicht in Gefahr bist? Was ist, wenn er jetzt hinter dir her ist?’ Harm versuchte, den Wortschwall seiner Mutter zu bremsen. „Mum...“ ‚Woher willst du wissen-’ „Mum.“ ‚-daß du unbeschadet davon kommst? Du bist-’ „Mum!“ Seine Mutter brach ab. Er atmete tief durch. „Mum, ich bin in einem Büro voller Leute, was soll mir da passieren? Ich bin vollkommen sicher hier.“

 

‚Ja, bis du aus der Tür gehst!’ Seine Mutter klang, als ob sie gegen einen leichten Panikanfall ankämpfte. ‚Sollen wir dich abholen?’ Harm stellte sich vor, wie er von seinen Eltern aus dem HQ eskortiert würde und hätte beinahe gelacht.

 

„Nein. Ist nicht nötig. Auf Anordnung des Admirals dürfen wir uns sowieso nur in Begleitung eines zweiten JAG-Offiziers aus dem Gebäude begeben.“ Er konnte einen Erleichterungsseufzer am anderen Ende der Leitung hören und lächelte leicht.

 

‚Dein CO ist mir auf einmal viel sympathischer geworden.’ Trish war sofort ruhiger geworden. ‚Wen hast du als Beschützer bekommen?’ Harm konnte sich ihre Reaktion schon bildlich vorstellen, bevor er es ihr sagte. „Ich hab’ Macs Angebot angenommen.“ ‚Heißt das, wir können sie heute wieder mit zum Essen nehmen?’, erkundigte sich Trish. Ja, ich denke, genau das heißt es. Laut sagte er: „Ich werd’ sie fragen, Mum. Aber wir müssen nicht ausgehen. Ich kann uns auch was kochen.“ ‚Wenn du versprichst, von fleischlosen Fleischbällchen und ähnlichem Abstand zu nehmen...’, zog ihn seine Mutter liebevoll auf. ‚Dann könnte ich mich mit dem Gedanken anfreunden.’

 

Harm knurrte mißbilligend, hatte aber den Eindruck, daß sich seine Mutter davon nicht im geringsten stören ließ. ‚Okay. Dann will ich dich nicht länger von der Arbeit abhalten. Aber tust du mir einen Gefallen und rufst an, wenn du nach Hause kommst?’ „Ja. Bis heute abend dann. Amüsiert euch noch, ihr zwei.“ Er legte den Hörer auf. Sieht so aus, als würde es ein Essen im trauten Familienkreis geben... Wenigstens etwas Gutes.

 

Er starrte einen Augenblick aus seinem Bürofenster und beobachtete die Detectives, die überall herumgingen und Fragen stellten.

 

00.23 Uhr Z-Zeit (19.23 Uhr EST)

Vor dem JAG-Hauptquartier

Falls Church, Virginia

 

Mac schüttelte sich und schlug den Mantelkragen hoch, als sie in den Oktoberregen hinaustrat. Harm folgte ihr unmittelbar auf dem Fuß. „Wie wollen wir vorgehen?“, erkundigte er sich. „Ich meine, wir sollen uns doch nicht trennen...?“

 

Ah ja, richtig, fiel es Mac wieder ein. Sie zog angestrengt die Augenbrauen zusammen und dachte über die Alternativen nach, die ihnen zur Verfügung standen. Eine Möglichkeit wäre, daß er bei mir schläft, aber das fördert nur wieder die Gerüchte im Büro... Möglichkeit 2: Hotelzimmer. Ebenso gerüchtefördernd. Bleibt nur die dritte Variante. Ich schlafe bei ihm und hoffe, daß der Gerüchtebildung durch die Tatsache der Anwesenheit seiner Eltern ein Riegel vorgeschoben wird. „Äh, Harm?“

 

Harm hatte ihren Gesichtsausdruck genau beobachtet und war schließlich durch einen ähnlichen Gedankengang zu dem gleichen Schluß gelangt wie sie. „Schon klar. Wir fahren bei Ihnen vorbei, sammeln Jingo und ein paar Wechselsachen für Sie ein und dann fahren wir zu mir.“ Ein leichtes Lächeln begleitete seine Feststellung. Mac signalisierte stumm ihr Einverständnis, dann drehte sie sich um und ging zu ihrer Corvette. Harm wartete, bis sie eingestiegen war und den Motor angelassen hatte, bevor er ebenfalls in seinen Wagen stieg.

 

01.05 Uhr Z-Zeit (20.05 Uhr EST)

Macs Apartment, Georgetown

 

Mac griff nach der fertig gepackten Tasche, die sie vor der Tür abgestellt hatte. „Kommen Sie mit Jingo klar?“, rief sie über die Schulter. Ein undefinierbares Poltern war aus ihrer Küche zu hören, gefolgt von einer Äußerung Harms, die sie nicht verstehen konnte. „Harm? Ist alles in Ordnung?“ Sie drehte sich um und wollte gerade in die Küche zurückgehen, als Harm auftauchte. Sie musterte ihn einen Augenblick lang verblüfft. Dann lachte sie hell auf. Jingo war einige Male um ihn herumgelaufen, so daß Harm sich total in der Leine verheddert hatte. Die Sache wurde auch nicht gerade dadurch vereinfacht, daß er einen roten Gummiknochen in der Hand hielt, an den der Hund unbedingt heranwollte.

 

„Hören Sie auf zu lachen und befreien Sie mich von Ihrem Kalb von einem Hund!“, protestierte er halb scherzhaft, halb ernst. „Geben Sie ihm doch einfach den Gummiknochen“, schlug Mac ungerührt vor. Als Harm das getan hatte, wandte sie sich an den Hund. „Jingo, sitz!“ Der Hund befolgte diesen Befehl sofort, was von Harm mit einem schrägen Blick zur Kenntnis genommen wurde. Sie trat näher, nahm Harm das Ende der Leine aus der Hand und wickelte ihn aus. Dann gab sie ihm die Leine zurück. „Meinen Sie, daß Sie jetzt in der Lage sind, mit ihm fertigzuwerden, Commander?“, erkundigte sie sich ironisch.

 

„Natürlich! Ich bin doch nicht-“, murrte Harm, brach aber ab, als er Macs ironischen Blick wahrnahm. Noch immer grummelnd nahm er ihre Tasche auf, zog Jingo aus dem Apartment und wartete, bis Mac die Tür abgeschlossen hatte.

 

Unten angekommen, verfrachtete er Macs Tasche und den Hund auf den Rücksitz seines Wagens, ohne überhaupt zu fragen. Wenn sie sowieso immer zusammenbleiben sollten, dann konnten sie auch genauso gut mit einem Wagen fahren, und Macs Corvette war doch ein klein wenig beengt. Darüber hinaus fühlte er sich in der Begleitung von Mac ausgesprochen wohl. Mac hingegen sah einen Augenblick erstaunt zu, wie Harm so selbstverständlich ihre Sachen in seinem Wagen unterbrachte. Ich habe ein eigenes Auto, er braucht mich doch nicht zu chauffieren! protestierte ihre innere Stimme. Dann zuckte sie mit den Achseln. Na gut, dann spare ich eben Benzin.

 

„Wollen Sie da noch lange rumstehen?“ Harms Stimme riß sie aus ihren Gedanken. Er saß schon auf dem Fahrersitz und hielt die Tür auf der Beifahrerseite für sie auf. „Sie werden sich noch erkälten, wenn Sie nicht gleich einsteigen“, drohte er. Mac fröstelte auf einmal, als sie bemerkte, daß der aufkommende Wind ziemlich kalt geworden war. Dankbar kletterte sie in den Wagen.

 

Während der Fahrt sprachen sie kaum. Mac schloß einfach die Augen und ließ sich treiben. Harm sah ein paar Mal zu ihr hinüber, entschied aber, daß sie jetzt wohl nicht in der Stimmung für ein Gespräch war. Stattdessen machte er das Radio an und ließ leise Musik laufen.

 

01.37 Uhr Z-Zeit (20.37 Uhr EST)

Harms Apartment, Washington D.C.

 

„Also, was soll ich kochen?“, erkundigte sich Harm, während er in die Küchenecke hinüberging. Er sah über die Schulter zurück zu seinen Eltern und Mac, die sich im Wohnzimmer aufhielten. Seine Mutter lächelte und zwinkerte Mac zu. „Sieh mal, was du aus dem Inhalt deines Kühlschranks machen kannst.“

 

Harm war verwirrt. Da war heute morgen doch kaum noch was drin. Ohoh! Die beiden werden doch nicht...? Ein Verdacht begann bei ihm Gestalt anzunehmen. Argwöhnisch öffnete er die Kühlschranktür und ging in die Hocke, um hinein zu sehen.

 

Nach einem Blick auf den Inhalt fühlte er sich, als ob sein Unterkiefer Urlaub vom Rest seines Körpers machen wollte. Gerade noch rechtzeitig erinnerte er sich daran, daß er fest an seinem Oberkiefer befestigt war und klappte ihn wieder hoch, bevor er zu einem lautstarken – wenn auch nicht ganz ernst gemeinten – Protest ansetzte. „Mum! Irre ich mich, oder befindet sich nahezu eine ganze Kuh in meinem Kühlschrank?!“ „Na, Junge, wir mußten doch dafür sorgen, daß du mal was ordentliches zwischen die Kiemen bekommst“, antwortete seine Mutter fröhlich, nachdem der erste Lachanfall seiner Eltern und Mac abgeklungen war.

 

„Von dem bißchen Gemüse, das du immer zu dir nimmst, verhungerst du noch, wenn du nicht aufpaßt...“ Harm sah seine Gäste fröhlich lachen. Scheint so, als würden sie jetzt nicht über die Morde nachdenken. Na, das ist doch schon mal etwas. Mal sehen, ob ich sie noch weiter ablenken kann.  Er beschloß, in seiner Rolle zu blieben und knurrte unwillig. „Ach, und deshalb hattet ihr das Bedürfnis, ein privates Schlachthaus in meinem Kühlschrank aufzumachen?!“ Für diese Bemerkung erntete er eine erneute Lachsalve. Sogar Jingo hob träge den Kopf von Franks Schoß, vor dessen Füßen er es sich bequem gemacht hatte.

 

Jetzt mischte sich auch Mac ein. „Wissen Sie etwa nicht mehr, wie man Fleisch zubereitet, Fliegerheld? Soll ich Ihnen helfen?“, bot sie zuckersüß an. Wenn sie aber erwartet hatte, daß Harm ihre Hilfe ablehnen würde, hatte sie sich getäuscht. Ihr Angebot wurde sofort akzeptiert. Also erhob sie sich und schlenderte in die Küchenecke.

 

Seine Eltern begannen mit dem Decken des Tisches, während Harm und Mac einträchtig  das Abendessen kochten. Trish und Frank beobachteten das Paar unauffällig und lächelten sich gegenseitig zu, als sie die stumme Verständigung zwischen ihrem Sohn und seiner Partnerin wahrnahmen. Offensichtlich kennt sich Mac hier gut aus, überlegte Trish, als sie sah, wie routiniert Mac mit Harm zusammenarbeitete. Sie weiß, wo sich die meisten Dinge befinden. Wie oft mag sie hier wohl schon übernachtet haben?

 

„Mum, Frank, was wollt ihr trinken?“, erkundigte sich Harm, ohne von seiner Arbeit aufzusehen. „Wir hatten eine Flasche Wein kaltgestellt, warum nehmen wir nicht die?“, kam es von Frank. Harm wechselte einen unbehaglichen Blick mit Mac.

 

„Mac? Was wollen Sie?“, fragte er schließlich. „Ich begnüge mich mit Wasser, danke“, entgegnete Mac. Frank zog die Augenbrauen hoch, sagte jedoch nichts. Er griff in den Kühlschrank und holte die Weinflasche und eine Wasserflasche heraus. Danach schnappte er sich den Korkenzieher und die Weingläser, die Mac aus einem Küchenschrank gefischt hatte und machte sich derart beladen auf den Weg zum Eßtisch.

 

Dankbar registrierte Harm, daß seine Eltern nicht beabsichtigten, wegen Macs Getränkewahl nachzufragen und seufzte erleichtert. Er hatte nun wirklich keine Lust, Mac wegen ihres Alkoholproblems vor seinen Eltern bloßzustellen.

 

Der Rest des Abends verlief weitgehend problemlos. Harm und Mac hatten ein Menü zustandegebracht, welches Harms vegetarischen Bedürfnissen entgegen kam, aber auch Fleisch für seine Gäste beinhaltete.

 

Niemand verlor an diesem Abend auch nur ein Wort über die Morde. Im Gegenteil, Harm stellte zu seinem großen Entsetzen und Macs Vergnügen fest, daß seine Eltern beschlossen hatten, die Runde mit peinlichen Kindheitserlebnissen aus seinem Leben zu unterhalten.

 

Okay, das ist wohl der Punkt, wo Mac schleunigst die Flucht ergreifen wird, dachte er resigniert, als seine Mutter eine besonders peinliche Begebenheit aus seiner Jugend schilderte. Mac schien aber nicht im geringsten interessiert daran, die Flucht zu ergreifen, als er Blickkontakt zu ihr aufnahm, während seine Mutter den Rest der Geschichte erzählte. Sie lächelte ihn breit an und konzentrierte sich dann wieder auf Trish.

 

Harm schüttelte den Kopf und suchte selber sein Heil in der Flucht, indem er das schmutzige Geschirr abräumte und in die Küche hinübertrug, wo er begann, es in den Geschirrspüler zu stapeln. Nach einer Weile gesellte sich sein Stiefvater zu ihm. Stumm half er Harm, das Geschirr zu verstauen und Kaffee zu kochen. Außerdem förderte er mit einem fröhlichen Zwinkern einen kleinen Obstkuchen und Sprühsahne aus Harms Kühlschrank zutage.

 

„Erst füllt ihr meinen Kühlschrank mit so viel Fleisch, daß man ein ganzes Jahr davon leben kann, und jetzt stellt sich raus, daß ihr auch noch so eine kariesträchtige Kalorienbombe-“, dabei wies  Harm empört auf den Kuchen, „- darin verstaut habt? Wollt ihr mich umbringen, oder was?“

 

Nichtsdestotrotz half er seinem Vater, den Kuchen zu schneiden und auf vier kleine Teller zu verteilen. Dann langte er nach der Kaffeekanne und den Tassen, stellte alles auf ein Tablett und manövrierte das Ganze zum Eßtisch. Dort wurde er von Trish und Mac begeistert begrüßt.

 

 „Obstkuchen? Harm, wenn Sie noch Schlagsahne dazu haben, heirate ich Sie auf der Stelle!“, rutschte es Mac heraus, noch ehe ihr Gehirn registrieren konnte, was sie da eigentlich von sich gab. „Oh! Äh, ich meine...“

 

Frank, der bis dato hinter seinem Stiefsohn gestanden hatte, drückte ihm breit grienend die Flasche Sprühsahne in die Hand und setzte sich dann. Harm hielt es für angebracht, Mac aus ihrer Verlegenheit zu befreien und reichte ihr die Sahne. „Tut mir leid, Mac, aber mit richtiger Schlagsahne kann ich nicht dienen. Sieht so aus, als ob Sie Ihre Heiratspläne aufschieben müßten.“

 

Mac nahm die Flasche entgegen und versuchte, Harms Gesichtsausdruck zu deuten. Ist er darüber enttäuscht oder...? Hör auf damit, Marine! rief sie sich eine Sekunde später zur Ordnung. Bloß weil der Admiral euch dieses Ultimatum gestellt hat, heißt das noch nicht, daß Harm diese Lösung überhaupt in Betracht zieht... Oje. Jetzt ist die Situation zwischen uns eher noch komplizierter geworden. Jingo, der zu ihren Füßen lag, winselte und lenkte damit ihre Aufmerksamkeit auf sich. Abwesend streichelte sie seinen Kopf.

 

Zur gleichen Zeit wunderte sich Harm, was wohl in ihrem Kopf vor sich gehen mochte. Zieht sie etwa wirklich in Erwägung, mich zu heiraten, oder warum hat sie das gesagt? Meine Eltern haben ihr ziemlich deutlich gezeigt, daß sie in der Familie willkommen wäre. Aber was denkt sie darüber? Schließlich hat sie sich gerade erst von Mic getrennt, da wäre es normal, wenn sie- Er brach seine Grübelei ab und entschied, das Problem auf den nächsten Morgen zu verschieben. Vielleicht kann ich sie auf der Fahrt ins HQ morgen früh darauf ansprechen. Wir sollten das endlich klären.

 

Nachdem er diese Entscheidung gefällt hatte, lehnte er sich entspannt zurück und genoß das Zusammensein mit seinen Eltern und Mac.

 

08.48 Uhr Z-Zeit (03.48 Uhr EST)

Harms Apartment, Washington D.C.

 

Mac hörte, wie sich Harm zum wiederholten Male unruhig auf seinem knarrenden Gästeklappbett umdrehte. Innerlich stöhnte sie auf. Ich hab’s ihm doch gesagt, das Bett ist viel zu klein für ihn. Wenn er nicht damit aufhört, kommen weder er noch ich heute nacht zum Schlafen. „Harm?“, flüsterte sie leise. Einen Moment war Ruhe, dann stemmte sich Harm von seinem Klappbett hoch, sah zur Couch hinüber und flüsterte zurück: „Was ist?“

 

„Das ist lächerlich, Sie tun auf dem Ding ja kein Auge zu!“, zischte Mac entnervt. „Wir sollten die Betten tauschen.“ „Auf keinen Fall!“, kam es zurück. Oh Mann! Jetzt geht es wieder mit ihm durch. Warum glaubt er immer, daß er den Gentleman raushängen lassen muß?! „Dann tauschen wir eben nicht, und Sie kommen einfach rüber. Die Couch ist groß genug für uns beide.“ Hab’ ich das grade gesagt?, wunderte sich Mac.

 

Harm glaubte, er hätte sich verhört. „Haben Sie gerade vorgeschlagen, daß ich bei Ihnen auf der Couch schlafen soll?“ „Ja, verdammt! ICH will heute nacht wenigstens noch eine Mütze voll Schlaf kriegen!“, kam die postwendende Antwort. Harm stand zögernd auf. „Meinen Sie das wirklich ernst, Mac?“ Statt einer Antwort rückte Mac zur Seite und machte Platz für ihn. Immer noch zweifelnd schnappte sich er sich sein Kopfkissen und seine Decke und ging zur Couch hinüber.

 

Wenn der Admiral das wüßte, würde er uns wieder auf’s Dach steigen, dachte Harm und schaute skeptisch auf Mac hinunter. „Wollen Sie da den Rest der Nacht rumstehen?“, fragte Mac ungeduldig. „Legen Sie sich hin!“ Aufseufzend tat Harm, wie ihm befohlen. Er plazierte sein Kissen neben dem von Mac und legte sich auf die Couch, wobei er ihr den Rücken zudrehte und sorgfältig darauf achtete, daß er genügend Platz zwischen ihnen ließ. „Und jetzt schlafen Sie endlich“, flüsterte Mac.

 

„Gute Nacht, Mac“, antwortete Harm und schloß die Augen. Innerlich zweifelte er aber daran, daß es ihm gelingen würde, zu schlafen; nicht mit Mac so dicht neben ihm. Nichtsdestotrotz schlief er fast augenblicklich ein.

 

Dafür lag Mac wach und starrte grübelnd an die Zimmerdecke. Wenn wir unsere Situation nicht schnellstens klären, werden wir die nächsten drei Wochen damit verbringen, jedes Wort des anderen auf die Goldwaage zu legen. So geht das nicht weiter. Ich werd’ Harm mal morgen früh auf der Fahrt ins Büro darauf ansprechen. Er muß sich doch auch schon Gedanken darüber gemacht haben. Nachdem sie diese Entscheidung getroffen hatte, fühlte sie sich viel besser und driftete ebenfalls in den Schlaf hinüber.

 

10.33 Uhr Z-Zeit (05.33 Uhr EST)

Harms Apartment, Washington D.C.

 

Harm und Mac fuhren nahezu gleichzeitig aus dem Schlaf hoch, als das Telefon klingelte. „Was zum Teufel... !“, entfuhr es Harm, als er sich aufrappelte, um nach dem Hörer zu greifen und feststellen mußte, daß der immer noch neben dem Klappbett stand, wo er ihn am Abend zuvor gelassen hatte. Leise fluchend lief er hinüber und griff nach dem Hörer, wobei er noch beinahe über Jingo stolperte. Erbost über den frühen Anrufer und Macs im Weg liegenden Hund schickte er Mac einen stummen „Schaffen – Sie – mir – bitte – Ihr – Kalb – von – einem – Hund – vom – Hals“ – Blick zu, bevor er das Gespräch annahm.

 

„Rabb“, meldete er sich knapp. Gleichzeitig malte er sich genüßlich aus, was er mit dem Anrufer machen würde, wenn es nicht um etwas wirklich ausgesprochen Wichtiges ginge. Mac war inzwischen auch auf die Beine gekommen. Geschickt schnappte sie sich Jingos Halsband und zog ihn ein Stück von Harm weg.

 

‚Gunnery Sergeant Galindez’, kam die prompte Antwort. „Gunny. Was gibt’s?“, erkundigte sich Harm besorgt. Der Gunny würde nicht ohne Grund so früh anrufen. Er sah, wie Mac aufhorchte und näher kam. Mittlerweile schauten auch seine Eltern verschlafen aus dem Schlafzimmer. Harm winkte und signalisierte stumm, daß sie wieder ins Bett gehen sollten. ‚Sir, der Admiral hat angeordnet, daß sich alle Offiziere sofort im HQ einfinden sollen’, erklärte der Gunny.

 

„Eine Versammlung? Jetzt gleich? Wieso?“ Er verwarf gleich wieder die Vermutung, daß sie den Killer geschnappt hatten. Mit einer solchen Neuigkeit wäre es nicht notwendig gewesen, alle Offiziere noch im Morgengrauen aus dem Bett zu holen und zu einer Versammlung zu beordern.

 

‚Der Killer hat heute nacht noch einmal zugeschlagen’, erklärte der Gunny zögernd. Oh Gott. „Wen hat er... ?“ Mac sah, wie sich Harms Gesichtsausdruck von Ärger zu einer Mischung von Sorge und Beunruhigung wandelte. Der Gunny schwieg. Dann sagte er leise: ‚Es ist Commander Turner, Sir.’

 

Harms erste Reaktion war Unglauben. Sein Freund war tot? Sturgis? Das ist Blödsinn. Er ist doch auf der Midtown im Südpazifik. Wie soll ihn der Killer denn da erwischt haben? ‚Der Commander ist heute nacht zurückgekommen, Sir’, erklärte der Gunny, als hätte er seine Gedanken gelesen. Harm zwinkerte verblüfft und begriff, daß er laut gedacht haben mußte. Mac musterte ihren Partner genau, dann streckte sie die Hand nach dem Telefonhörer aus und nahm ihn Harm aus der Hand. Der ließ das geschehen.

 

„Gunny?“, fragte Mac. „Was genau ist passiert?“  Sie ließ sich vom Gunny ins Bild setzen. Schließlich sagte sie: „Wir kommen, so schnell wir können, Gunny.“ „Ja, Ma’am“, bestätigte der und legte auf. Sie wandte sich um und sah Harm an. Der hatte sich noch nicht von der Stelle gerührt.

 

„Harm? Was ist denn los, Junge?“, kam die besorgte Anfrage von Trish. Als Harm keinerlei Anstalten machte, eine Erklärung zu liefern, sprang Mac ein. „Trish... Es hat noch einen Mord gegeben. Das Opfer war Commander Turner.“

 

„Oh Harm. Das tut mir leid“, seufzte Trish. „Können wir irgendwie helfen?“ Franks Frage war halb an Mac und halb an Harm gerichtet. Da Harm offensichtlich nicht reagierte, übernahm Mac die Regie. „Harm, gehen Sie ins Bad und machen Sie sich frisch!“ Sie gab ihm einen energischen Schubs in die entsprechende Richtung und wandte sich zur Küchenecke. „Ich mach’ inzwischen Kaffee.“ „Ich helfe Ihnen“, erklärte Trish.

 

Nachdem Harm im Bad verschwunden war, wechselten seine Eltern und Mac betroffene Blicke. Schließlich knurrte Frank: „Hoffentlich wird der Täter bald geschnappt. Das ist ja eine Schande!“ Mac konnte ihm da nur beipflichten. „Ich fürchte, diesmal nimmt er es besonders schwer“, warf Trish ein und sah zum Bad hinüber. „Sturgis war ein wirklich guter Freund von ihm. Sie kannten sich schon von der Akademie.“

 

„Ja, ich weiß.“ Mac nickte. Sie sah schon wieder eine Woge von Schuldgefühlen auf Harm zurollen und stöhnte. „Wieso gehen Sie nicht wieder ins Bett? Ich glaube, wir kommen schon zurecht“, schlug sie Harms Eltern vor. Die schüttelten synchron die Köpfe. „Wir warten, bis ihr gegangen seid, dann können wir immer noch eine Mütze voll Schlaf nehmen.“

 

Mac zuckte die Achseln. „Wie Sie wollen.“ Sie nahm vier Tassen aus dem Schrank und füllte Kaffee ein. Dann schob sie zwei der Tassen Trish und Frank zu, während sie die anderen beiden zum Eßtisch trug. Nachdem sie einen Schluck von ihrem Kaffee genommen  hatte, entschied sie, eine frische Uniform aus ihrer Tasche zu holen. Als sie am Sofa vorbeikam, fiel ihr siedendheiß ein, daß ihre und Harms Kissen und Decken immer noch einträchtig vereint dort lagen. Sie warf einen schnellen Blick über die Schulter zu Harms Eltern und atmete auf. Die beiden standen immer noch zusammen in der Küche, hielten sich an ihren Kaffeetassen fest und schienen noch nichts bemerkt zu haben. Mit einem – wie sie hoffte, unauffälligen – Schwung beförderte sie sein Kopfkissen und seine Decke zurück auf das Gästebett.

 

Danach faltete sie ihre Bettwäsche und klappte die Couch zusammen. Als Harm wieder aus dem Bad kam, schnappte sie sich ihre Uniform, nahm im Vorbeigehen noch einen Schluck Kaffee und beeilte sich, ins Bad zu kommen. Harm hatte seinen Kaffee kaum ausgetrunken, als sie fertig angezogen wieder herauskam.

Sind Sie immer so schnell?“, kam die verwunderte Frage von Frank. Harm tat zum ersten Mal seit dem Anruf wieder den Mund auf. „Sie ist ein Marine, Frank. Die sind immer schnell.“

 

Wenn die Umstände anders gewesen wären, hätten sich aus dieser Bemerkung bestimmt wieder endlose Sticheleien entwickelt. So aber entschloß sich Mac, sie unkommentiert zu lassen. Sie erkundigte sich lediglich, ob Harm fertig sei.

 

Auf sein Nicken hin griff sie zu ihrer Aktenmappe und steuerte Richtung Tür, wo sie auf ihn wartete. Harm umarmte seine Mutter kurz, nickte Frank zu und folgte Mac. Nachdem die Tür hinter den beiden ins Schloß gefallen war, drehte sich Frank stirnrunzelnd zu seiner Frau um und meinte: „Also, ich kann mich ja irren, aber als wir aufgestanden sind, lagen da nicht zwei Kopfkissen und Decken auf der Couch...?“

 

12.29 Uhr Z-Zeit (06.29 Uhr EST)

JAG-Hauptquartier

Falls Church, Virginia

 

Admiral Chegwidden betrat den Konferenzraum und schaute kurz in die übermüdeten Gesichter seiner Offiziere. „Wo sind die Roberts, Tiner?“ „Äh ... Hier, Sir“, kam es von der Tür. Chegwidden fuhr herum. Warum drücken sich die beiden an der Tür herum? Seine Frage wurde beantwortet, als Harriet zur Seite trat und damit den Blick auf Bud freigab. Der trug nämlich den kleinen A.J. auf dem Arm.

 

„Es tut uns leid, Sir, aber die Tagesstätte hatte noch nicht auf und-“, setzte Harriet an. „Schon gut, Lt.“, winkte Chegwidden ab. „Setzen Sie sich!“ Eilig setzten sich die Roberts.

 

„Es sieht so aus, als hätte die Polizei jetzt einen handfesten Hinweis auf den Täter. Detectives?“ Der Admiral gab den beiden Detectives einen Wink und setzte sich ebenfalls. Die beiden Detectives sahen sich kurz an, bevor Detective Mitchell begann. „Nachdem wir die bearbeiteten Fälle der Opfer durchgesehen haben, haben wir tatsächlich eine Verbindung entdeckt.“ Sie machte eine kurze Pause, bevor sie fortfuhr.

 

„Und zwar Sie!“ Damit deutete sie auf Harm, woraufhin Tumulte im Konferenzraum losbrachen. Harm selbst war am meisten überrascht. „WAS?“ „RUHE!“, kam ein scharfer Befehl Chegwiddens, infolgedessen der kleine A.J. zu heulen begann. Schlagartig kehrte Ruhe ein.

 

„Schsch!“, machte Bud und versuchte, seinen heulenden Filius zum Schweigen zu bringen. Leider fruchteten seine Bemühungen kaum etwas, der Kleine brüllte nur umso lauter. Harriet nahm ihm den Kleinen aus dem Arm und versuchte ebenfalls ihr Glück. Ihre Bemühungen waren allerdings auch nicht von Erfolg gekrönt, weshalb die anderen Offiziere teils mitleidig, teils entnervt schauten.

 

Schließlich mischte sich Chegwidden ein, um weitere Verzögerungen zu verhindern. „Geben Sie ihn mir, Harriet.“ Harriet sah überrascht auf. „Sir?“ „Sie sollen ihn mir geben, Harriet“, wiederholte der Admiral und streckte die Arme aus. Achselzuckend übergab Harriet ihren Sohn an den Admiral. Der nahm ihn entgegen und setzte sich wieder. „Ruhe jetzt, Sohn!“, ordnete er sanft an. Zu aller Überraschung hörte der Junge tatsächlich auf zu weinen und sah Chegwidden aus großen Augen an. Der bedeutete den Detectives, fortzufahren. Detective Mitchell räusperte sich. Sie erhob sich und begann, hin und her zu gehen, während sie sprach. „Wie schon gesagt, die einzige Verbindung, die zwischen den Opfern bestand, ist Commander Rabb.“ Harm wollte gerade zu einem lautstarken Protest ansetzen, als ihm einfiel, wo er war. Etwas beherrschter entgegnete er: „Wollen Sie etwa andeuten, daß ich all diese Leute umgebracht habe? Ich kannte die ersten beiden Opfer nicht einmal!“

 

Detective Mitchell seufzte. „Ich habe nicht gesagt, daß wir Sie für den Mörder halten, Commander. Ich sagte, daß Sie die einzige – indirekte – Verbindung sind.“ Das löste einige verwirrte Blicke in der Runde aus. Sie begann zu erklären. „Bei der Durchsicht der Akten der ersten beiden Opfer sind wir auf einen gewissen Petty Officer Jeremy L. Connway gestoßen. Klingelt da etwas bei Ihnen, Commander?“ Harm dachte angestrengt nach. Er wollte schon den Kopf schütteln, als er doch noch an etwas erinnerte. „Er war wegen verschiedener Vergehen angeklagt, richtig? Trunkenheit am Steuer, unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst, Befehlsverweigerung... Ich hatte eine Verurteilung durchgesetzt... Aber das war vor sieben Jahren!“

 

„Ja, richtig. Sie haben eine unehrenhafte Entlassung und den Verlust sämtlicher Bezüge für ihn gefordert. Und er hat sich nicht wieder gefangen. Kurz danach ist er wegen Mordversuch an Frau und Kind verurteilt worden. Vor ungefähr einem dreiviertel Jahr ist er auf Bewährung entlassen worden und sofort untergetaucht.“ Detective Mitchell unterbrach ihre Erklärung und zeigte ein Foto herum. „So sah er zu dem Zeitpunkt aus.“

 

„Sie meinen, er will Rache? Aber warum hat er dann...?“ „Die anderen Anwälte ermordet?“, setzte Mitchell Harms Frage fort. Harm nickte. „Die beiden zivilen Anwälte waren einmal sein Verteidiger in dem Prozeß wegen Mordversuchs, und dann die Anwältin, die seine Frau bei der Scheidung engagiert hatte. Wir glauben jedoch, daß er einen besonderen Groll auf Militäranwälte empfindet. Er könnte glauben, daß das Militär schuld am Schiefgehen seines ganzen Lebens ist und deshalb wahllos JAG – Anwälte ermorden. In dem Fall schweben Sie in besonderer Gefahr, Commander.“

 

„Er gibt mir die Schuld an seinem verpfuschten Leben?“, vergewisserte sich Harm. Wieso sind eigentlich diese gestörten Typen immer hinter mir her? „Das wäre möglich, ja.“ Mitchell bestätigte Harms Befürchtung.

 

„Haben Sie eine Spur von diesem Connway? Ich kann meine Anwälte nicht permanent als siamesische Zwillinge durch die Gegend laufen lassen!“, schaltete sich Chegwidden ein. Abwesend veränderte er seine Körperhaltung, um den kleinen A.J. bequemer halten zu können.

 

„Nein, Admiral. Wir haben zwar einige Anhaltspunkte, aber bedauerlicherweise keine konkrete Spur. Mein Tip wäre, daß er sich immer in der Nähe aufhält. Aus den Umständen, unter den die Morde geschahen, konnten wir schließen, daß er die Lebensumstände der Opfer genau kannte. Drei von den Opfern haben wenige Tage vor ihrem Tod einen Wohnungseinbruch gemeldet, bei dem offensichtlich nichts angerührt oder gestohlen wurde.“ An diesem Punkt der Ausführungen der Detectives zuckte Mac zusammen und erbleichte.

 

„Also was werden Sie tun? Die ganze Umgebung des HQ überwachen? Sämtliche Offiziere in Schutzhaft nehmen?“ Chegwidden verlor langsam die Geduld. „Schnappen Sie endlich diesen Kerl! Mir ist egal wie! Ich kann und will es mir nicht leisten, noch mehr meiner Anwälte zu verlieren!“ Der kleine A.J. krähte bei diesen Worten fröhlich dazwischen, was die Wirkung seiner Worte jedoch nicht abschwächte.

 

„Sir, wir tun unser Bestes“, versicherte Detectiv Mitchell. „Das ist offenbar nicht genug gewesen“, stellte Chegwidden eisig fest. „Denn sonst wären all diese Leute jetzt nicht tot!“

 

Nach einigen Momenten betretenen Schweigens räusperte sich Detective Ryan, der bis dato noch nichts zum Gespräch beigetragen, sondern sich zurückgehalten und lediglich die Vorgänge beobachtet hatte. „Admiral, es wurde bereits dafür gesorgt, daß zusätzliche Polizeikräfte hier in der Gegend und im Gebäude selbst konzentriert werden.“

 

„Großartig. Das wird Connway ganz bestimmt davon abhalten, meine Leute zu killen!“, entfuhr es Chegwidden sarkastisch. „Ein paar Polizisten mehr...“ Er schüttelte den Kopf. Dann griff er nach Connways Polizeifoto. „Gunny!“ „Ja, Sir?“ Der Angesprochene sah auf. „Nehmen Sie das Foto und verbreiten Sie überall Kopien davon. Dann versuchen Sie, den Aufenthaltsort von diesem Connway herauszufinden.“

 

„Ja, Sir“, bestätigte der Gunny, nahm das Foto entgegen, das ihm der Admiral entgegenstreckte, und verließ den Raum. „Was den Rest von Ihnen angeht, möchte ich, daß Sie alle Fälle von geringerer Bedeutung auf Eis legen. Ich will diesen Kerl hinter Gittern sehen! Also machen Sie ihn ausfindig! Wegtreten!“

 

„Ja, Sir“, kam eine mehrstimmige Bestätigung, bevor ein Stühlescharren einsetzte und die meisten Offiziere den Konferenzraum verließen. Bud und Harriet blieben hingegen noch stehen. Als Harriet Anstalten machte, ihren Sohn wieder an sich nehmen zu wollen, schaute der Admiral auf. „Ja?“ „Sir, soll ich Ihnen A.J. nicht wieder abnehmen?“, fragte Harriet.

 

„Wieso? Er und ich vertragen uns doch ganz gut“, grinste der Admiral und nahm amüsiert den verblüfften Gesichtsausdruck von Klein – A.J.’s Eltern wahr. „Gehen Sie an die Arbeit, Lt. Ich paß schon auf ihn auf, bis die Tagesstätte aufmacht.“ Er rückte den Jungen auf seinem Arm zurecht. „Solange halten wir es noch zusammen aus, nicht wahr, Kleiner?“

 

Der Kleine gab sowas wie ein zustimmendes Brabbeln von sich. „Sehen Sie? Also, was stehen Sie hier noch rum? An die Arbeit!“, bellte Chegwidden, woraufhin Bud und Harriet den Rückzug antraten.

 

Chegwidden sah den beiden hinterher und schüttelte den Kopf. Dann konzentrierte er sich auf die beiden Detectives. „So. Welche Maßnahmen außer verstärkter Polizeipräsenz haben Sie noch eingeleitet, um den Kerl zu schnappen und meine Offiziere zu schützen?“

 

15.05 Uhr Z-Zeit (10.05 Uhr EST)

JAG-Hauptquartier

Falls Church, Virginia

 

Gunny Galindez hob den Telefonhörer ab. „Ja?“, meldete er sich knapp. ‚Sir, hier ist die Torwache. Es sieht so aus, als wäre der Wagen von Commander Rabb beschädigt worden. Könnte ich ihn bitte sprechen?’

 

Der Gunny ließ einen suchenden Blick durch das Großraumbüro schweifen. Er konnte den Commander nirgendwo entdecken. Dann fiel ihm ein, daß der Commander vor einiger Zeit ins Archiv gegangen war. „Ich fürchte, ich kann den Commander im Moment nicht finden“, setzte er an, als Mac näher trat. „Gunny? Was ist los?“

 

Galindez deckte die Sprechmuschel des Hörers mit einer Hand ab und erklärte Mac die Sachlage. Die überlegte einen Moment. „Er ist im Moment nicht da? Okay, ich übernehme das.“ Sie nahm den Hörer entgegen. „Hallo, hier ist Colonel MacKenzie. Wie ist der Wagen von Commander Rabb beschädigt worden? Ist es schlimm?“ ‚Das weiß ich nicht so genau, Ma’am. Vielleicht sollten Sie es sich selbst ansehen’, schlug der Anrufer vor.

„Ich komme gleich“, entschied Mac und gab dem Gunny den Hörer zurück. „Gunny, ich bin gleich wieder da.“ Der Gunny nickte abwesend, schon wieder vollkommen durch seine Arbeit in Beschlag genommen. „Ja, Ma’am.“

 

Mac ging die Treppe vom Haupteingang hinunter und hinüber zum Parkplatz. Dort nahm sie Harms Wagen genau in Augenschein, konnte aber keinen Schaden entdecken. Nachdem sie den Wagen zum zweiten Mal umrundet hatte, blieb sie stehen und sah nachdenklich drein. Wieso hat die Torwache behauptet, daß sein Wagen beschädigt wäre? wunderte sie sich. Der Wagen ist in perfektem Zustand. Nicht ein Kratzer zu sehen. Sie sah sich um. Als ein Petty Officer auf sie zukam, sprach sie ihn an. „Haben Sie wegen eines Schadens an diesem Wagen angerufen?“ „Ja, Ma’am.“ „Wo ist denn der Schaden? Ich kann nichts entdecken“, sagte Mac ungeduldig. „Dort, Ma’am.“ Der Petty Officer wies auf eine Stelle am vorderen Kotflügel. Mac ging in die Hocke, um die Stelle zu mustern.

 

„Ich kann da nichts-“ Mac spürte einen brennenden Schmerz an der linken Schulter und dann nichts mehr.

 

„Da ist ja auch nichts“, grinste der vorgebliche Petty Officer böse und schob den Elektroschocker zurück in die Hosentasche. Er sah auf die Bewußtlose herunter und seufzte. Eigentlich hatte er mit dieser kleinen Finte Rabb herauslocken wollen, aber er nahm an, daß seine Partnerin als Druckmittel beinahe noch besser war. Connway sah sich um. Als er niemanden in der Nähe entdecken konnte, bückte er sich, hob Mac auf und trug sie zu einem Pickup in der Nähe. Mit Schwung hievte er sie auf die Ladefläche. Dann griff er nach einem Seil, das bereitlag, und verschnürte sie säuberlich zu einem Paket. Zusätzlich verpaßte er Mac einen Knebel, auch wenn er annahm, daß sie nicht so schnell wieder zu sich kommen würde. Er betrachtete sein Werk zufrieden und schloß die Plane über der Ladefläche des Pickup. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis Rabb auftauchen würde.

 

16.34 Uhr Z-Zeit (11.34 Uhr EST)

JAG-Hauptquartier

Falls Church, Virginia

 

Harm betrat mit einem Arm voll Akten sein Büro, als sein Telefon klingelte. Hastig legte er die Akten auf den Tisch und nahm ab. „Rabb.“ ‚Harm? Ich wollte bloß fragen, wie’s dir geht.’ „Mir geht es einigermaßen, Mum. Die Polizisten haben endlich einen Verdächtigen. Wenn sie den schnappen...“ Ja, falls sie ihn überhaupt finden, höhnte seine innere Stimme.

 

Seine Mutter klang erfreut. ‚Du meinst, dieser ganze Alptraum ist endlich vorbei?’ „Das hoffe ich, Mum.“ ‚Gut. Aber eigentlich rufe ich an, weil ich einen Tisch im ’Dolce Vita’ reservieren wollte. Was meinst du, wann seid du und Mac wieder hier?’ „Das weiß ich noch nicht so genau. Bleibst du mal einen Augenblick in der Leitung? Ich geh Mac schnell fragen.“  Er legte den Hörer neben die Gabel und lief hinüber zu Macs Büro.

 

Das Büro war leer, und auch sonst konnte er Mac nirgendwo entdecken. Schließlich wandte er sich an den Gunny. „Gunny, haben Sie Colonel MacKenzie irgendwo gesehen?“ Der blickte von dem Haufen Akten auf, den er vor der Nase hatte und nickte.

 

„Ja, sie wollte wegen Ihrem Wagen zum Parkplatz. Das war...“ Er warf einen Blick auf die Uhr und sah nun doch etwas besorgt drein. „... vor über einer Stunde.“ „Wegen meinem Wagen? Was ist damit?“ Harm sah verwirrt aus.

 

„Die Torwache rief an und sagte, daß Ihr Wagen beschädigt wäre. Da Sie gerade nicht auffindbar waren, hat Colonel MacKenzie sich der Sache angenommen, Sir“, erläuterte der Gunny.

 

Harm hatte das Ende des Satzes gar nicht mehr abgewartet, sondern war schon zu den Fahrstühlen gestürmt. Ungeduldig drückte er mehrmals den ’Abwärts’ – Knopf, bevor er aufgab und zum Treppenhaus eilte. Immer drei Stufen auf einmal nehmend, sprang er die Treppen hinunter.

 

Erstaunt verfolgte der Gunny Harms plötzlichen Abgang. Dann ging ihm schlagartig ein Licht auf. „Verdammt!“ Er sprang auf und stürmte zum Büro des Admirals. Tiner sah ihn kommen, aber ehe er ihn aufhalten konnte, hatte der Gunny schon die Tür zum Büro des Admirals geöffnet und war eingetreten. Der Admiral trug den kleinen A.J. im Arm und zeigte ihm ein kleines Spielzeug. Verärgert über das plötzliche Hereinplatzen des Gunnys wollte der Admiral schon ein Riesendonnerwetter loslassen, als er sah, wer der Unruhestifter war. Nach einem Blick auf Galindez’ Gesichtsausdruck setzte er den kleinen A.J. auf den Boden und fragte resigniert: „Was gibt es, Gunny?“ „Sir, Connway...“, keuchte Galindez. „Was ist mit ihm?“ „... er ist vielleicht hier!“ „WAS?“, brüllte Chegwidden. „Die Detectives zu mir, Tiner! SOFORT!“ An Galindez gewandt, erkundigte er sich: „Wie kommen Sie darauf?“ „Colonel MacKenzie ist seit über einer Stunde verschwunden. Sie wollte nach Commander Rabbs Wagen sehen, weil die Torwache behauptet hatte, er wäre beschädigt worden.“

 

Der Admiral griff nach dem Telefon und rief bei der Torwache an. „Haben Sie vor etwa einer Stunde angerufen und behauptet, daß Commander Rabbs Auto beschädigt worden ist?“, erkundigte er sich. Die Antwort fiel kurz aus. „Nein? Sind Sie ganz sicher?“ Chegwidden schmetterte den Hörer ohne weiteres auf die Gabel zurück.

 

„Wo ist Commander Rabb überhaupt?“, wollte er vom Gunny wissen. In dem Moment platzten die beiden Detectives in das Büro vom Admiral. „Der ist gerade Hals über Kopf zum Parkplatz gestürmt, als er das erfahren hat.“ Das ist typisch Rabb, dachte der Admiral.

 

„Detectives, Ihr Mann könnte sich auf dem Gelände aufhalten“, eröffnete er den Detectives. Ryan zückte ein Funkgerät. „An alle Einheiten, verstärkt Ausschau nach verdächtigen Subjekten halten. Der Verdächtige befindet sich möglicherweise...“ Hier brach er ab und richtete einen fragenden Blick auf den Admiral. Der sagte: „Auf dem Parkplatz.“ „Der Verdächtige befindet sich möglicherweise auf dem Parkplatz des HQ. Alle verfügbaren Einheiten dorthin!“, ordnete Ryan an.

 

Chegwidden nahm den Jungen hoch und machte Anstalten, das Büro zu verlassen. „Wo wollen Sie hin?“, fragte Detective Mitchell. „Zum Parkplatz“, knurrte Chegwidden und verließ das Büro, die beiden Polizisten und den Gunny im Schlepptau. Im Vorzimmer winkte er Tiner. „Passen Sie auf den Jungen auf, Tiner“, befahl er barsch und reichte seinem Sekretär das Kind. Dann rauschte er zum Lift.

 

Harm kam aus dem Gebäude und ging mit langen Schritten zum Parkplatz. Er sah sofort, daß sich Mac dort nicht aufhielt, steuerte aber trotzdem auf seinen Wagen zu und umrundete ihn einmal. Als er keinen Schaden feststellen konnte, verstärkte sich das ungute Gefühl in seiner Magengrube. Er hörte schnelle Schritte von hinten auf sich zukommen, kam aber nicht mehr dazu, sich umzudrehen. Ein Brennen an seiner Hüfte, begleitet von einem Stich, war das letzte, was er fühlte, bevor er das Bewußtsein verlor und hart auf dem Boden aufschlug.

 

Connway grinste zufrieden. Diese Elektroschocker sind wirklich ’ne tolle Erfindung, dachte er und warf das Gerät spielerisch in die Luft. Plötzlich hörte er Rufe und quietschende Reifen. Schlagartig wurde er wieder ernst. Der Elektoschocker fiel unbeachtet zu Boden. Connway kümmerte sich nicht darum, sondern zerrte den Bewußtlosen zum Pickup und wuchtete ihn ebenfalls auf die Ladefläche.

 

Er sah, daß sich diverse Personen aus verschiedenen Richtungen auf den Parkplatz zubewegten und entschied, das Risiko einzugehen und Harm nicht zu fesseln. Stattdessen schlug er die Plane über die Ladefläche und zurrte sie fest. Dann sprang er hinter das Steuer des Pickup und lenkte ihn zum Tor.

„Ich komme gleich“, entschied Mac und gab dem Gunny den Hörer zurück. „Gunny, ich bin gleich wieder da.“ Der Gunny nickte abwesend, schon wieder vollkommen durch seine Arbeit in Beschlag genommen. „Ja, Ma’am.“

 

Mac ging die Treppe vom Haupteingang hinunter und hinüber zum Parkplatz. Dort nahm sie Harms Wagen genau in Augenschein, konnte aber keinen Schaden entdecken. Nachdem sie den Wagen zum zweiten Mal umrundet hatte, blieb sie stehen und sah nachdenklich drein. Wieso hat die Torwache behauptet, daß sein Wagen beschädigt wäre? wunderte sie sich. Der Wagen ist in perfektem Zustand. Nicht ein Kratzer zu sehen. Sie sah sich um. Als ein Petty Officer auf sie zukam, sprach sie ihn an. „Haben Sie wegen eines Schadens an diesem Wagen angerufen?“ „Ja, Ma’am.“ „Wo ist denn der Schaden? Ich kann nichts entdecken“, sagte Mac ungeduldig. „Dort, Ma’am.“ Der Petty Officer wies auf eine Stelle am vorderen Kotflügel. Mac ging in die Hocke, um die Stelle zu mustern.

 

„Ich kann da nichts-“ Mac spürte einen brennenden Schmerz an der linken Schulter und dann nichts mehr.

 

„Da ist ja auch nichts“, grinste der vorgebliche Petty Officer böse und schob den Elektroschocker zurück in die Hosentasche. Er sah auf die Bewußtlose herunter und seufzte. Eigentlich hatte er mit dieser kleinen Finte Rabb herauslocken wollen, aber er nahm an, daß seine Partnerin als Druckmittel beinahe noch besser war. Connway sah sich um. Als er niemanden in der Nähe entdecken konnte, bückte er sich, hob Mac auf und trug sie zu einem Pickup in der Nähe. Mit Schwung hievte er sie auf die Ladefläche. Dann griff er nach einem Seil, das bereitlag, und verschnürte sie säuberlich zu einem Paket. Zusätzlich verpaßte er Mac einen Knebel, auch wenn er annahm, daß sie nicht so schnell wieder zu sich kommen würde. Er betrachtete sein Werk zufrieden und schloß die Plane über der Ladefläche des Pickup. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis Rabb auftauchen würde.

 

16.34 Uhr Z-Zeit (11.34 Uhr EST)

JAG-Hauptquartier

Falls Church, Virginia

 

Harm betrat mit einem Arm voll Akten sein Büro, als sein Telefon klingelte. Hastig legte er die Akten auf den Tisch und nahm ab. „Rabb.“ ‚Harm? Ich wollte bloß fragen, wie’s dir geht.’ „Mir geht es einigermaßen, Mum. Die Polizisten haben endlich einen Verdächtigen. Wenn sie den schnappen...“ Ja, falls sie ihn überhaupt finden, höhnte seine innere Stimme.

 

Seine Mutter klang erfreut. ‚Du meinst, dieser ganze Alptraum ist endlich vorbei?’ „Das hoffe ich, Mum.“ ‚Gut. Aber eigentlich rufe ich an, weil ich einen Tisch im ’Dolce Vita’ reservieren wollte. Was meinst du, wann seid du und Mac wieder hier?’ „Das weiß ich noch nicht so genau. Bleibst du mal einen Augenblick in der Leitung? Ich geh Mac schnell fragen.“  Er legte den Hörer neben die Gabel und lief hinüber zu Macs Büro.

 

Das Büro war leer, und auch sonst konnte er Mac nirgendwo entdecken. Schließlich wandte er sich an den Gunny. „Gunny, haben Sie Colonel MacKenzie irgendwo gesehen?“ Der blickte von dem Haufen Akten auf, den er vor der Nase hatte und nickte.

 

„Ja, sie wollte wegen Ihrem Wagen zum Parkplatz. Das war...“ Er warf einen Blick auf die Uhr und sah nun doch etwas besorgt drein. „... vor über einer Stunde.“ „Wegen meinem Wagen? Was ist damit?“ Harm sah verwirrt aus.

 

„Die Torwache rief an und sagte, daß Ihr Wagen beschädigt wäre. Da Sie gerade nicht auffindbar waren, hat Colonel MacKenzie sich der Sache angenommen, Sir“, erläuterte der Gunny.

 

Harm hatte das Ende des Satzes gar nicht mehr abgewartet, sondern war schon zu den Fahrstühlen gestürmt. Ungeduldig drückte er mehrmals den ’Abwärts’ – Knopf, bevor er aufgab und zum Treppenhaus eilte. Immer drei Stufen auf einmal nehmend, sprang er die Treppen hinunter.

 

Erstaunt verfolgte der Gunny Harms plötzlichen Abgang. Dann ging ihm schlagartig ein Licht auf. „Verdammt!“ Er sprang auf und stürmte zum Büro des Admirals. Tiner sah ihn kommen, aber ehe er ihn aufhalten konnte, hatte der Gunny schon die Tür zum Büro des Admirals geöffnet und war eingetreten. Der Admiral trug den kleinen A.J. im Arm und zeigte ihm ein kleines Spielzeug. Verärgert über das plötzliche Hereinplatzen des Gunnys wollte der Admiral schon ein Riesendonnerwetter loslassen, als er sah, wer der Unruhestifter war. Nach einem Blick auf Galindez’ Gesichtsausdruck setzte er den kleinen A.J. auf den Boden und fragte resigniert: „Was gibt es, Gunny?“ „Sir, Connway...“, keuchte Galindez. „Was ist mit ihm?“ „... er ist vielleicht hier!“ „WAS?“, brüllte Chegwidden. „Die Detectives zu mir, Tiner! SOFORT!“ An Galindez gewandt, erkundigte er sich: „Wie kommen Sie darauf?“ „Colonel MacKenzie ist seit über einer Stunde verschwunden. Sie wollte nach Commander Rabbs Wagen sehen, weil die Torwache behauptet hatte, er wäre beschädigt worden.“

 

Der Admiral griff nach dem Telefon und rief bei der Torwache an. „Haben Sie vor etwa einer Stunde angerufen und behauptet, daß Commander Rabbs Auto beschädigt worden ist?“, erkundigte er sich. Die Antwort fiel kurz aus. „Nein? Sind Sie ganz sicher?“ Chegwidden schmetterte den Hörer ohne weiteres auf die Gabel zurück.

 

„Wo ist Commander Rabb überhaupt?“, wollte er vom Gunny wissen. In dem Moment platzten die beiden Detectives in das Büro vom Admiral. „Der ist gerade Hals über Kopf zum Parkplatz gestürmt, als er das erfahren hat.“ Das ist typisch Rabb, dachte der Admiral.

 

„Detectives, Ihr Mann könnte sich auf dem Gelände aufhalten“, eröffnete er den Detectives. Ryan zückte ein Funkgerät. „An alle Einheiten, verstärkt Ausschau nach verdächtigen Subjekten halten. Der Verdächtige befindet sich möglicherweise...“ Hier brach er ab und richtete einen fragenden Blick auf den Admiral. Der sagte: „Auf dem Parkplatz.“ „Der Verdächtige befindet sich möglicherweise auf dem Parkplatz des HQ. Alle verfügbaren Einheiten dorthin!“, ordnete Ryan an.

 

Chegwidden nahm den Jungen hoch und machte Anstalten, das Büro zu verlassen. „Wo wollen Sie hin?“, fragte Detective Mitchell. „Zum Parkplatz“, knurrte Chegwidden und verließ das Büro, die beiden Polizisten und den Gunny im Schlepptau. Im Vorzimmer winkte er Tiner. „Passen Sie auf den Jungen auf, Tiner“, befahl er barsch und reichte seinem Sekretär das Kind. Dann rauschte er zum Lift.

 

Harm kam aus dem Gebäude und ging mit langen Schritten zum Parkplatz. Er sah sofort, daß sich Mac dort nicht aufhielt, steuerte aber trotzdem auf seinen Wagen zu und umrundete ihn einmal. Als er keinen Schaden feststellen konnte, verstärkte sich das ungute Gefühl in seiner Magengrube. Er hörte schnelle Schritte von hinten auf sich zukommen, kam aber nicht mehr dazu, sich umzudrehen. Ein Brennen an seiner Hüfte, begleitet von einem Stich, war das letzte, was er fühlte, bevor er das Bewußtsein verlor und hart auf dem Boden aufschlug.

 

Connway grinste zufrieden. Diese Elektroschocker sind wirklich ’ne tolle Erfindung, dachte er und warf das Gerät spielerisch in die Luft. Plötzlich hörte er Rufe und quietschende Reifen. Schlagartig wurde er wieder ernst. Der Elektoschocker fiel unbeachtet zu Boden. Connway kümmerte sich nicht darum, sondern zerrte den Bewußtlosen zum Pickup und wuchtete ihn ebenfalls auf die Ladefläche.

 

Er sah, daß sich diverse Personen aus verschiedenen Richtungen auf den Parkplatz zubewegten und entschied, das Risiko einzugehen und Harm nicht zu fesseln. Stattdessen schlug er die Plane über die Ladefläche und zurrte sie fest. Dann sprang er hinter das Steuer des Pickup und lenkte ihn zum Tor.

Sein Puls raste. Was, wenn die Wache dich nicht mehr durchläßt? Zu seinem Glück war die Torwache abgelenkt, da mehrere zivile Polizeiwagen Einlaß verlangten. Er wurde anstandslos durchgewinkt, ohne auch nur eines Blickes gewürdigt zu werden.

 

Chegwidden war inzwischen auf dem Parkplatz angekommen; die Detectives und der Gunny immer noch in seinem Kielwasser. Auch er konnte sofort sehen, daß sich außer ihnen niemand mehr auf dem Parkplatz aufhielt. Er unterdrückte einen gotteslästerlichen Fluch und ging in Ermangelung eines anderen Ziels auf Harms SUV zu. Erwartungsgemäß stand der Wagen vollkommen unbeschädigt da.

 

Der Gunny umrundete das Fahrzeug einmal. Dabei stieß er mit dem Fuß gegen einen kleinen schwarzen Kasten und hob ihn auf. Nachdem er sich das Ding genau angesehen hatte, sprach er Chegwidden an. „Sir?“ Er händigte den Gegenstand dem Admiral aus.

 

Chegwidden nahm den Gegenstand entgegen und betrachtete ihn. „Was ist das, Gunny?“, fragte er schließlich, obwohl er schon ahnte, um was es sich dabei handelte. „Ein Elektroschocker“, bestätigte Galindez seine Befürchtung. Chegwidden drehte sich zu den Detectives um. „Können Sie das noch auf Fingerabdrücke checken?“

 

„Ja“, sagte Mitchell. „Aber es wird ein bißchen dauern, weil jetzt auch Ihre Abdrücke drauf sind.“ Sie zog einen Beutel für Beweismittel aus der Tasche und bedeutete dem Admiral, den Elektroschocker hineinfallen zu lassen. Danach verschloß sie den Beutel.

 

„Aber in gewisser Weise ist es gut, daß er einen Elektroschocker benutzt hat“, setzte sie fort. Auf Chegwiddens erstaunt hochgezogene Brauen hin erklärte Ryan: „Das bedeutet, daß Ihre Leute aller Wahrscheinlichkeit nach noch am Leben sind. Wenn er sie hätte töten wollen, hätte er das doch gleich an Ort und Stelle machen können.“

 

Chegwidden dachte darüber nach und nickte. „Damit könnten Sie recht haben. Aber was hat er dann mit ihnen vor? Und wo hat er sie hingebracht?“

 

„Das werden wir herausfinden, Admiral“, versicherte Ryan. Hoffentlich leben Rabb und MacKenzie bis dahin noch. Diesen Gedanken äußerte Chegwidden aber nicht laut. Stattdessen sagte er nur: „Beeilen Sie sich besser dabei, Detectives!“ Er drehte sich auf dem Absatz um und ließ die beiden Detectives mitten auf dem Parkplatz stehen. „Kommen Sie, Gunny!“, rief er über die Schulter. Der folgte ihm eilig.

 

17.59 Uhr Z-Zeit (12.59 Uhr EST)

unbekannter Ort

 

Harm schlug die Augen auf. Um ihn herum war nur undurchdringliche Schwärze. Ihm tat alles weh und er fror fürchterlich. Seine Hand- und Fußgelenke waren zusammengeschnürt. Als er trotzdem versuchte, sich zu bewegen, schien sein ganzer Körper in Flammen zu stehen. Er stöhnte laut auf und hielt wieder still. Der Schmerzenslaut führte dazu, daß sich etwas dicht neben ihm bewegte.

 

Harm unterdrückte ein weiteres Stöhnen und quälte sich ein mühsames „Wer ist denn da?“ heraus. „Harm?“, kam die Antwort. „Gott sei Dank! Sie waren aber ganz schön lange weg.“ „Mac? Ist alles okay mit Ihnen?“ Harm versuchte, nach Mac zu greifen, mußte aber feststellen, daß seine Hände nicht nur zusammen-, sondern auch irgendwo festgebunden waren.

 

„Ja, ich denke schon. Dieser Connway hat mich überrascht. Tut mir leid“, sagte Mac entschuldigend. Harm atmete tief durch, was dazu führte, daß der Schmerz wieder aufflammte. „Was tut Ihnen leid?“, fragte er und knirschte mit den Zähnen. „Daß Sie meinetwegen in der Tinte sitzen“, erklärte Mac und zerrte wütend an ihren Fesseln, jedoch ohne nennenswertes Resultat. „Da machen Sie sich mal keine Gedanken. Wie oft haben Sie denn schon meinetwegen in der Tinte gesessen?“, beruhigte er Mac. „Wie lange war ich weg?“ „Das weiß ich nicht genau. Sie waren schon bewußtlos, als er Sie auf den Wagen geworfen hat. Aber es waren mindestens eine Stunde und fünfzehn Minuten.“ „Wie spät ist es denn?“ „13.01 Uhr.“ Harm unterdrückte den Drang, sie zu fragen, woher sie das wußte.

 

„Wissen Sie, wo wir sind?“, erkundigte er sich dann. „Im Keller eines verlassenen Vorstadthäuschens, exakt 23 Minuten und 56 Sekunden Fahrt vom HQ entfernt.“ Entzückend. Die finden uns nie, war Harms erster Gedanke. Um Macs Willen sagte er aber: „Bestimmt wird inzwischen nach uns gesucht, Mac.“

 

„Ja, sicher.“ Mac klang aber dabei nicht besonders überzeugt. Sie wurden plötzlich durch ein lautes Poltern, gefolgt von einem Scharren, unterbrochen, und schwiegen überrascht. Mit einem lauten Knarren wurde die Tür zum Keller geöffnet. In dem schwachen Lichtschein, der hereinfiel, nahm Harm die Umrisse eines großgewachsenen Mannes wahr. Eine Sekunde lang regte sich die Gestalt nicht. Dann streckte sie die Hand aus und betätigte einen Lichtschalter. Nach der langen Zeit im Dunkeln waren Mac und Harm vollkommen geblendet, als das Licht anging.

 

„So. Sind wir also wieder wach? Haben wir denn gut geschlafen?“, erkundigte sich Connway ironisch. Weder Harm noch Mac reagierten. Beide hatten die Augen geschlossen, als das Licht anging. Connways Stimmung schlug um, als er keine Antwort bekam. Er ging zu Harm hinüber und gab ihm einen Tritt gegen die Füße. „Ich weiß, daß Sie wach sind, Commander“, sagte er, Harms Rang scharf betonend. „Es ist sinnlos, mir den Bewußtlosen vorzuspielen.“

 

„Was wollen Sie, Connway?“, fragte Harm schließlich und öffnete seine Augen einen Spalt breit. „Was ich will? Ich will mein altes Leben zurück! Meinen Job, meine Frau und mein Kind!“, brüllte Connway wütend. „Sie haben mir das alles weggenommen!“ „Ich habe Ihnen gar nichts weggenommen“, sagte Harm müde. „Das haben Sie sich alles selbst zuzuschreiben.“ „Oh nein! Sie sind schuld!“, schmollte Connway wie ein kleines Kind. „Wo sind meine Frau und mein Kind? Ich will sie wiederhaben!“

 

Harm unterdrückte ein Stöhnen. „Ich weiß nicht, wo sich Ihre Ex – Frau aufhält. Ihre Lage ist so schon schlimm genug. Lassen Sie uns gehen, Connway. Es bringt Ihnen überhaupt nichts, wenn Sie uns auch noch töten.“ Für einen Moment dachte Harm, daß sein Appell etwas gefruchtet hätte. Connway schien tatsächlich über das Gesagte nachzudenken. Dann jedoch schüttelte er den Kopf. „Nein. Ich kann nicht mehr zurück. Denken Sie nach, Commander. Wenn man mich schnappt, lande ich in jedem Fall auf dem elektrischen Stuhl. Ich habe also nichts mehr zu verlieren.“

 

Innerlich war Harm geneigt, ihm zuzustimmen. Trotzdem versuchte er es noch einmal. „Sie haben nichts davon, uns festzuhalten. Ich weiß nichts. Und meine Kollegin auch nicht.“

 

Connway warf einen Blick auf Mac. „Dann sollten Sie sich besonders anstrengen und sich etwas einfallen lassen. Ich gebe Ihnen zwanzig Minuten Bedenkzeit, Commander. Wenn ich dann zurückkomme, und Sie können mir immer noch nichts sagen, töte ich erst Ihre Partnerin und dann Sie. Haben Sie das verstanden?“ Harm nickte stumm. Connway wirbelte herum und verließ den Keller. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloß.

 

Zum Glück hat er jetzt das Licht angelassen, dachte Mac. Sie begann damit, ihre Fesseln genauer in Augenschein zu nehmen.

 

18.10 Uhr Z-Zeit (13.10 Uhr EST)

JAG-Hauptquartier

Falls Church, Virginia

 

„Sie haben WAS?!“, brüllte Admiral Chedwidden die eingeschüchterte Torwache an. „Wie kommen Sie dazu, jemanden einfach so vom Gelände fahren zu lassen?!“ Der junge Soldat war total verschreckt und bekam kein Wort heraus. „Machen Sie endlich den Mund auf, verdammt nochmal!“ Chegwidden war am Ende seiner Geduld angelangt.

 

„Sir, er hatte einen Besucherausweis und zu dem Zeitpunkt kamen gerade die ganzen Polizisten...“, stammelte der junge Mann unglücklich und wünschte sich, er wäre woanders.

 

„Ich sollte Sie wegen Pflichtverletzung belangen!“, knurrte Chegwidden böse. Allein der Gedanke, daß dieser Idiot den Entführer seelenruhig hatte entkommen lassen, brachte ihn zur Weißglut. „Wenn meinen Offizieren etwas passiert, dann können Sie sich sowas von frischmachen! Dann wird Sie auch nicht retten, daß Sie eine halbwegs brauchbare Beschreibung vom Pickup des Entführers liefern konnten, Freundchen!! Das garantiere ich Ihnen!!!“

 

Chegwidden wußte nicht, daß seinen übrigen Offizieren noch im Vorzimmer die Ohren nach dieser Tirade klingelten. Wahrscheinlich wäre es ihm auch egal gewesen, wenn er es gewußt hätte.

 

Deshalb zögerten die Detectives einen Augenblick, bevor sie den Raum betraten. Wenn sie keine guten Neuigkeiten gehabt hätten, wären sie wahrscheinlich überhaupt nicht in die Nähe des Büros gekommen. Detectiv Mitchell hob die Hand und klopfte an die Tür. Für einen Moment herrschte Ruhe. „Ja?“, bellte der Admiral ungnädig. Detective Mitchell trat ein. „Admiral, ein Wagen, auf den die Beschreibung paßt, wurde vor einem verlassenen Vorstadthaus gesichtet. Ungefähr fünfzehn Meilen von hier. Wir haben gerade Einsatzkräfte hingeschickt. Wollen Sie auch mit?“

 

Chegwidden schwieg kurz und schien zu überlegen, ob er bleiben und die Wache weiter zur Schnecke machen oder mitfahren sollte. Dann entschied er sich, das Angebot der Detectives anzunehmen. Er ließ der Wache noch einen drohenden Blick zukommen und stand auf.

 

„Fahren wir.“ Die Wache atmete erleichtert auf, bekam aber sofort wieder einen Dämpfer verpaßt. „Ich bin noch nicht mit Ihnen fertig. Wenn ich wiederkomme, haben Sie besser eine sehr gute Entschuldigung parat!“ Der junge Mann erbleichte und nickte. „Ja, Sir.“ Unglücklich verfolgte er Chegwiddens Abgang.

 

18.12 Uhr Z-Zeit (13.12 Uhr EST)

unbekannter Ort

 

Harm zerrte verzweifelt an dem Haken, mit dem seine Fesseln an der Wand befestigt waren. Bis auf die Tatsache, daß sich das Seil nur noch umso fester um seine Hangelenke legte und sie zum Bluten brachte, hatte er aber noch nichts erreicht. „Wieviel Zeit haben wir noch, Mac?“, keuchte er, ohne von seinen Bemühungen abzulassen. „Zwölf Minuten und sechs Sekunden. Harm, das bringt doch nichts. Sie tun sich nur selbst weh!“ Mac beobachtete besorgt, wie Harm weiter zerrte.

 

„Ich bin für Vorschläge offen, Mac. Was soll ich tun?“ Mac schwieg. „Connway läßt sich kein X für ein U vormachen, dem können wir keinen Quatsch erzählen. Und ich bin überzeugt davon, daß er uns auf keinen Fall gehen lassen wird“, seufzte Harm.

 

Er fühlte, wie seine Kräfte langsam nachließen und der Haken rührte sich immer noch nicht. Für einen Moment hörte er auf, an den Fesseln zu zerren. Dann mobilisierte er seine gesamten noch verbliebenen Kräfte und setzte sie ein. Zuerst geschah nichts. Dann gab es ein lautes, trockenes Knacken. Harm versteifte sich und wurde bleich. Im ersten Augenblick realisierte Mac nicht, was passiert war. „Haben Sie den Haken raus?“

 

Dann sah sie, daß Harms linke Hand einen merkwürdigen Winkel eingenommen hatte. Sie sog scharf Luft ein. „Oh Gott, Harm! Hören Sie auf!“ Harm ignorierte sie und zog vorsichtig weiter. Dadurch, daß die Hand gebrochen und das Seil blutgetränkt war, konnte er sie nach einigen Minuten aus der Fessel lösen, und danach auch die rechte Hand. „Wieviel Zeit noch?“, preßte er zwischen den Zähnen hervor, während er sich mühte, seine Fußfesseln mit nur einer Hand zu lösen. „Fünf Minuten und 39 Sekunden.“

 

Nach einer Minute hatte er es geschafft, die Fußfesseln zu lösen und stand vorsichtig auf. Die gebrochene Hand dicht am Körper haltend, kam er zu Mac hinüber. Während er sich mit ihren Fesseln abmühte, lauschte er zur Tür; immer in der Angst, daß Connway früher als angedroht zurückkommen könnte. Zwei Minuten und zehn Sekunden. Macs Hoffnungen, daß Harm es noch rechtzeitig schaffen könnte, sie loszumachen, sanken rapide. Mach schon!, trieb sich Harm selbst an.

 

Plötzlich war es ihm zu seiner eigenen Überraschung gelungen, eine von Macs Händen zu befreien. Er überließ es ihr, die andere Hand loszumachen und wendete sich ihren Fußfesseln zu. Mac gelang es schnell, die andere Hand freizukriegen. Harm hatte das noch nicht registriert, bis sie ihre Hand sanft auf seine Schulter legte und ihm bedeutete, zur Seite zu rutschen. Geschickt löste sie die Fesseln und stand auf.

 

„Wieviel Zeit...?“ „Eine Minute noch. Wie wollen wir vorgehen? Er wird sicher bewaffnet sein...“ Harm schloß die Augen und dachte fieberhaft nach. „Ich lenke ihn ab, und Sie ziehen ihm eins über“, schlug er vor. Mac musterte seine verkrampfte Körperhaltung und die gebrochene Hand, die er an den Körper gepreßt hielt, und nickte. Das war wahrscheinlich die beste Lösung. Harm sah nicht so aus, als könnte er jemanden mit seinem derzeitigen Handicap ernsthaften Schaden zufügen. Beide hörten gleichzeitig Schritte die Treppe hinunterkommen und handelten blitzschnell. Harm sprang zu der Stelle, wo er vorher angebunden gewesen war und nahm eine ähnliche Haltung ein, wie er sie vorher innegehabt hatte. Mac huschte zur Tür und preßte sich in eine kleine Nische daneben. Beide hielten die Luft an, als sich die Tür öffnete.

 

Connway schubste die Tür auf. Von seinem Winkel aus konnte er nicht sehen, daß Mac nicht mehr gefesselt war und trat näher. In der Hand hielt er eine stumpfnasige Pistole, deren Mündung auf Harm gerichtet war. „Also, Commander. Ihre letzte Chance. Wo ist meine Frau?“ „Ich weiß es wirklich nicht!“, kam Harms Antwort. „Dann wird Ihre Partnerin jetzt dafür bezahlen“, grinste Connway böse und trat über die Schwelle in den Keller. Darauf hatte Mac nur gewartet. Mit einem raubtierhaften Satz sprang sie den vollkommen überraschten Connway an und riß ihn zu Boden.

 

Harm rappelte sich hoch, sah sich aber außerstande, in die Handgreiflichkeiten zwischen Mac und Connway einzugreifen. Plötzlich löste sich aus dem Getümmel ein Schuß. Harm spürte einen Schlag an der Hüfte. Als er an sich hinuntersah, stellte er fest, daß sich seine Uniform an der Stelle langsam rot verfärbte. Merkwürdigerweise spürte er noch keinen Schmerz. Oh verdammt! Wieder eine ruinierte Uniform, dachte er mit Galgenhumor.

 

Mac war es dank ihres Trainings inzwischen gelungen, Connway k.o. zu schlagen. Sie stand auf und kickte die Pistole ein Stück von Connway weg. Dann seufzte sie erleichtert auf. Diese Erleichterung verschwand aber sofort wieder, als sie sah, wie Harm seine gesunde Hand auf die Hüfte preßte. „Verdammt! Hat er Sie getroffen?“ Harm nickte kläglich. „Ja, ich glaube schon.“

 

„Darf ich’s mir mal ansehen?“, fragte Mac und streckte die Hände nach Harm aus. Da Harm nicht mehr die Kraft hatte, sich zu wehren, nickte er erschöpft und ließ zu, daß Mac seine Uniformjacke aufknöpfte.

 

Nachdem sie das T-Shirt, welches er darunter trug, hochgeschoben hatte, warf sie einen Blick auf die Verletzung. „Ich glaube, es ist nicht so schlimm. Wir sollten Sie aber doch so schnell wie möglich in ein Krankenhaus schaffen“, meinte sie. Sie griff in eine Tasche ihrer Uniformjacke und förderte ein sauberes Taschentuch zu Tage, welches sie mehrmals faltete und auf seine Wunde drückte. „Fest aufdrücken!“, wies sie ihn an.

 

„Und jetzt schaffen wir Sie hier raus“, meinte sie und drehte sich um, nur um direkt in die Mündung der Pistole zu starren. Connway war unbemerkt wieder zu sich gekommen und hatte die Pistole wieder an sich genommen. Oh nein! Wie konntest du nur so unvorsichtig sein! Das war Macs letzter Gedanke, bevor Connway abdrückte. Mac sackte in sich zusammen. Dann wollte Connway die Waffe auf Harm richten, kam aber nicht mehr dazu, weil Harm mit einem Wutschrei auf ihn losgesprungen war. Da er seine linke Hand nicht gebrauchen konnte, nagelte er den hageren Connway erst mit seinem Körpergewicht auf dem Boden fest und schlug ihn dann k.o..

 

Er griff nach der Pistole und steckte sie sich in den Gürtel. Dann sah er nach Mac. „Mac?“ Die Kugel ist durch die Lunge gegangen, stellte Harm fest. „Mac? Hören Sie mich? Kommen Sie schon! Mac!“ Er versuchte, Mac sanft zu schütteln. Der Versuch ging allerdings ziemlich in die Hose, da er die linke Hand nicht benutzen konnte. Außerdem begann die angeschossene Hüfte gemein zu schmerzen, wenn er sich bewegte.

 

Macs Augenlider flatterten. „Mac ... Sarah ... bitte halt durch, ja?“, flehte er, ohne darauf zu achten, daß er zum ’Du’ übergangen war. „Ich hol’ Hilfe, okay? Bitte halt durch. Nicht aufgeben!“, sagte er, als sich Macs Augen wieder schließen wollten. Wenn sie jetzt stirbt, jagte ihm der Gedanke durch den Kopf, dann erfährt sie nie, daß du sie liebst. „Sarah? Hör mir zu!“

 

Mac öffnete wieder die Augen. „Ich liebe dich. Hast du gehört? Ich liebe dich!“, sagte Harm eindringlich. „Und wenn du mir jetzt wegstirbst, werde ich ausgesprochen sauer auf dich sein. Also sei besser noch am Leben, wenn ich zurückkomme, klar?“ Er ließ Mac los und erhob sich mühevoll. Als er die Treppe hinaufstieg, hörte er bereits Sirenen und Chegwiddens Stimme.

 

Admiral Chegwidden sprang aus dem Wagen, als er den beschriebenen Pickup entdeckt hatte. Die Polizisten nahmen Aufstellung und machten Anstalten, die Tür aufzubrechen, als die sich von allein öffnete. „Nehmen Sie sofort die Hände hoch!“, erging die Aufforderung an die Person, die die Tür geöffnet hatte.

 

Harm blinzelte in die Sonne. Langsam löste er die rechte Hand von seiner malträtierten Hüfte und hob sie zusammen mit der linken in die Höhe. „Waffen runter!“, kam ein scharfer Befehl von Detective Ryan. „Das ist einer der Entführten!“ Plötzlich kamen Harm eine Menge Hände zur Hilfe. Chegwidden eilte auf ihn zu. Er erfaßte mit einem Blick die blutverschmierte Uniform und die in einem seltsamen Winkel abstehende linke Hand.

 

„Wo ist Colonel MacKenzie, Harm?“, erkundigte er sich sanft. Harm schloß die Augen und drohte, einfach in sich zusammenzusacken. „Sie ist im Keller. Connway auch. Sie hat einen Lungendurchschuß, Sir“, flüsterte er noch, bevor er zum zweiten Mal an diesem Tag das Bewußtsein verlor.

 

„Rettungswagen sind bereits unterwegs, Admiral“, informierte ihn Detective Mitchell. Er nickte, warf einen Blick auf Harm, um den sich bereits mehrere Polizisten bemühten, und entschied, nach Mac zu sehen.

 

15.13 Uhr Z-Zeit (10.13 Uhr EST)

Navy-Krankenhaus

 

Harm bewegte sich unruhig und erwachte. Er schlug die Augen auf. Ein Krankenhaus. Wie bin ich hierher gekommen? Er versuchte, sich aufzusetzen. „Au!“, entfuhr es ihm, als sich seine Hüfte sich wieder meldete. Er tastete die Hüfte entlang bis zu einem dicken Verband, der das Einschußloch abdeckte. Das scheint soweit in Ordnung zu sein. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit seiner linken Hand zu. Die lag dick eingegipst auf einem Kissen neben ihm. Plötzlich hörte er Schritte auf dem Gang vor seinem Zimmer und blickte auf.

 

Seine Mutter betrat, gefolgt von seinem Stiefvater, sein Zimmer. Als sie sah, daß Harm wieder wach war, drückte sie Frank ganz unzeremoniell ihren dampfenden Kaffeebecher in die Hand und stürzte an Harms Bett. „Oh Harm! Ich hab’ mir solche Sorgen gemacht!“, sagte sie halb lachend, halb weinend, während sie ihn heftig umarmte. Frank stellte Trishs Becher auf Harms Nachttisch ab und ging einen Arzt suchen.

 

„Du warst plötzlich weg und als ich in der Zentrale angerufen habe, herrschte da das blanke Chaos. Keiner wußte, wo du bist“, sprudelte Trish hervor. „Und dann rief der Admiral gegen zwei an und sagte, daß du auf dem Weg ins Krankenhaus wärst, du hättest eine Schußwunde und müßtest operiert werden...“ Harm konnte den Wortschwall seiner Mutter gar nicht stoppen. Zum Glück mußte er das auch nicht, denn Frank kam mit einem jungen, übermüdet aussehenden Arzt zurück.

 

„Commander Rabb, ich bin Dr. Erikkson“, stellte er sich vor. „Ich habe Sie gestern operiert. Wie fühlen Sie sich? Haben Sie Schmerzen?“ Harm schüttelte den Kopf. „Nur, wenn ich mich bewege. Operiert?“

 

„Wir haben die Kugel aus Ihrer Hüfte geholt und – da Sie schon mal in Narkose waren – auch gleich Ihre Hand wieder eingerichtet. Sie werden wahrscheinlich keinen dauerhaften Schaden davontragen, aber die Hand wird die nächsten sechs Wochen in Gips bleiben müssen.“ Harm nickte. Er hatte also wieder einmal Glück gehabt. „Danke, Doktor.“ „Keine Ursache. Wenn Sie irgendetwas brauchen, klingeln Sie nach der Schwester.“ Der junge Arzt entfernte sich wieder.

 

„Seit wann seid ihr beide denn hier? Ihr seht nicht besonders gut aus. Habt ihr hier übernachtet?“, erkundigte sich Harm, nachdem er seine Eltern gemustert hatte und dunkle Ringe unter den Augen sah. Seine Mutter schnaubte. „Wir sehen nicht gut aus? Liebling, du würdest im Moment auch nicht gerade einen Modelwettbewerb gewinnen, weißt du?“, entrüstete sich seine Mutter liebevoll.

 

In diesem Moment fiel Harm siedendheiß etwas ein. „Mum, wißt ihr, wie es Mac geht? Ist sie okay?“ Seine Mutter nickte beruhigend. „Ja, es geht ihr den Umständen entsprechend gut. Sie ist sogar schon vor dir zu sich gekommen.“ „Wirklich? Kann ich zu ihr?“ Harm bemühte sich, sich aufrecht hinzusetzen. Sein Stiefvater drückte ihn in die Kissen zurück. „Du gehst heute nirgendwo hin, Harm. Leg dich hin und erhol dich.“

 

„Ja, tun Sie, was Ihr Vater sagt, Commander“, sagte jemand von der Tür her. „Das ist ein Befehl!“ „Admiral“, sagte Harm. „Wie haben Sie uns gefunden?“ Chegwidden betrat das Zimmer. „Sie hatten verdammtes Glück, Commander. Einfach so Hals über Kopf abzuhauen...“ Er schüttelte den Kopf. „Die Torwache konnte wenigstens eine brauchbare Beschreibung vom Auto des Entführers liefern, wenn sie auch sonst nicht viel getaugt hat. Die Detectives haben dann eine Ringfahndung rausgegeben und den Wagen recht schnell ausfindig machen können. Connway sitzt wieder hinter Gittern und Colonel MacKenzie schläft drei Zimmer weiter den Schlaf der Gerechten“, schloß der Admiral seinen Bericht.

 

Harm entspannte sich, als ihm noch etwas einfiel. „Was habt ihr mit Macs Hund gemacht? Habt ihr ihn etwa die ganze Nacht allein in meiner Wohnung gelassen?“ Frank schüttelte den Kopf. „Nein. Der Admiral war so freundlich und hat sich bereit erklärt, ihn zu nehmen.“

 

„Diese Freundlichkeit habe ich heute morgen schon bereut, als dieses Kalb meine Schuhe angekaut hat“, knurrte Chegwidden, woraufhin Harm und seine Eltern auflachten. „Au!“, Harm preßte eine Hand auf seine Hüfte. „Geschieht Ihnen ganz recht. Wie können Sie nur über Ihren CO lachen!“, warf ihm Chegwidden gespielt böse vor. „Erholen Sie sich. Morgen sehen wir weiter.“ Er verließ das Zimmer. Da Harm einsehen mußte, daß er wohl noch nicht aufstehen konnte, wandte er sich an seine Eltern. „Wie wär’s, wenn ihr auch nach Hause fahrt und eine Mütze voll Schlaf nehmt? Ich verspreche auch, brav im Bett zu bleiben.“

 

Trish und Frank wechselten einen Blick. „In Ordnung. Wir schlafen ein paar Stunden und sind heute abend wieder da“, sagte Trish schließlich. Sie gab ihrem Sohn einen Kuß auf die Stirn. „Versuchst du auch, noch ein bißchen zu schlafen?“ „Ja, Mum“, leierte Harm und sah seinen Eltern nach, als sie gingen. Dann rutschte er ein bißchen herum, um eine einigermaßen bequeme Position zu finden, und schloß die Augen. Innerhalb weniger Minuten war er eingeschlafen.

 

19.30 Uhr Z-Zeit (14.30 Uhr EST)

Navy-Krankenhaus

Am nächsten Tag

 

„Bitte. Sie haben doch gesagt, daß sie schon wach ist“, bettelte Harm und schenkte der Krankenschwester ein Lächeln, in dem sein ganzer Charme lag. Die zögerte. „Okay. Ich werde den Arzt fragen gehen, wenn Sie dann Ruhe geben!“, bot sie schließlich an. „Einverstanden.“ Harm hörte sofort auf, herumzuzappeln. Die Schwester eilte aus dem Zimmer. Nach wenigen Minuten kam sie wieder. „Sie dürfen kurz zu ihr gehen, hat der Arzt gesagt.“ Sie lächelte Harm an und begann damit, den Infusionsschlauch von der Kanüle zu lösen, die in Harms rechter Hand steckte.

 

Dann half sie ihm hoch und stützte ihn. „Schön langsam“, mahnte sie. Sie ließ ihn für einen Augenblick los, griff nach einem Bademantel und half Harm, ihn überzustreifen. Als er den Bademantel geschlossen hatte, hakte sie ihn unter und setzte sich mit ihm gemeinsam in Bewegung. Harm war es ein wenig peinlich, so den Gang entlang zu schleichen, aber seine Hüfte ließ ein höheres Tempo nicht zu. Als sie Macs Zimmer erreicht hatten, klopfte die Schwester an, öffnete die Tür, schob Harm hinein und bugsierte ihn in einen Sessel an Macs Bett. „Fünf Minuten!“, sagte sie noch, bevor sie verschwand und die beiden allein ließ.

 

Harm musterte ein wenig erschrocken all die Geräte, die um Macs Bett herumstanden. Als er feststellte, daß die meisten davon abgeschaltet waren, fühlte er sich etwas besser. Er streckte seine gesunde Hand aus und berührte Macs linke Hand, woraufhin Mac die Augen aufschlug. „Hi. Wie geht es Ihnen?“, fragte er sanft. Kann sie sich noch daran erinnern, was ich ihr vorgestern gesagt habe oder nicht? Harm war sich unschlüssig, ob er Mac darauf ansprechen sollte. So hielt er nur ihre Hand und wartete ihre Antwort ab. „Ging mir definitiv schon mal besser“, quetschte sie heraus. „Was ist mit Ihnen?“ „Großartig. Könnte Bäume ausreißen.“ Harm grinste schief. Eine Weile war er damit zufrieden, Macs Hand zu halten, während er grübelte, wie er herausfinden könnte, ob sie sich an die letzten Geschehnisse in dem Keller erinnern könnte.

 

Da nahm Mac ihm das Problem ab. „Wieso sind wir auf einmal wieder beim ’Sie’?“, erkundigte sie sich spitzbübisch. Harm wand sich. „Sie haben gehört, was ich in dem Keller zu Ihnen gesagt habe? Alles?“, vergewisserte er sich. Mac nickte. „Wollen Sie’s wieder zurücknehmen, Harm?“

 

„Nein. Ich liebe dich, Sarah“, sagte er fest und schluckte. Macs Reaktion ließ einen Augenblick auf sich warten. Hat er das eben wirklich gesagt? Ich glaub’ das einfach nicht.„Sarah?“ Harm fühlte sich ein wenig unbehaglich, als Mac nicht gleich reagierte. Will sie mir jetzt einen Korb geben? Endlich erlöste sie ihn aus seiner Ungewißheit. „Ich liebe dich auch, Harm.“ Sie lächelte ihn an. In Harm stieg ein leichtes Gefühl auf. Er fühlte sich, als würde er schweben. Er erhob sich, lehnte sich zu Mac hinüber und hauchte ihr einen Kuß auf die Lippen.

 

„Heißt das, Sie beide entscheiden sich für die zweite Möglichkeit?“, erkundigte sich Chegwidden augenzwinkernd von der Tür aus, wo er offensichtlich schon eine Weile gestanden hatte. Erschrocken fuhr Harm vom Bett zurück. Diesen Moment wählte seine lädierte Hüfte, um sich wieder bemerkbar zu machen. Harm preßte stöhnend seine Hand auf den Verband und schnappte nach Luft. Nachdem der Schmerz nachgelassen hatte, warf er einen fragenden Blick zu Mac hinüber.

 

Als sie nickte, drehte Harm sich zu Chegwidden um und bestätigte das. „Ja, Sir.“ „Was stehen Sie dann noch rum, Rabb?“, entgegnete der Admiral gutgelaunt. „Küssen Sie Ihre Verlobte!“

 

Harms Eltern, die ihn gerade besuchen wollten, hatten den Rest gerade noch aufgeschnappt, als sie an Macs Zimmer vorbeikamen. „Verlobte?!“, kam ihr verblüfftes Echo.

 

Harm ließ sich davon jedoch nicht stören und küßte Mac, bis ihnen beiden die Luft ausging.

 

 

 

ENDE (vorläufig)