Das Tor
Daniela Endtner
Der Regen fiel fast senkrecht zu Boden. Das lag wohl daran, dass es heute nacht windstill war. Seit drei Tagen tobte ein riesiger Sturm über Sunnydale und brachte eine Kaltwetterfront in das Küstenörtchen von Kalifornien. Das war sehr ungewöhnlich. Eigentlich dürfte es so etwas hier nicht geben. Aber was war an diesem Ort schon normal? Nichts.
Aus diesem Grund musste Buffy verstärkt durch die Straßen patrouillieren. Das fand sie gar nicht gut oder besser, erfreulich. Sie würde jetzt lieber mit ihren Freunden vor dem Fernseher abhängen und die gemütliche Wärme eines Ofens oder Zentralheizung auf ihrer Haut spüren, statt kaltem Regen. Sie war tropfnass und fluchte laut vor sich hin.
Das war mal wieder typisch. Sie würde sich hier draußen wer weiß was holen und Giles...
Tja, der saß brav an seinem Schreibtisch und steckte seine Nase in irgendwelche muffigen Bücher, irgendwo im Trockenen. Echt unfair!
Seit vier Tagen kontrollierte sie jetzt verschärft die Straßen von Sunnydale. Nur weil dieser Wächter wieder einmal der Meinung war, dass in dieser Stadt irgendetwas Seltsames vorging.
Irgendetwas Seltsames? Was das nicht ihr Schulmotto? Jetzt traf es für ganz Sunnydale zu. Komisch war dieses Unwetter schon, da es ohne Vorwarnung einfach losstürmte.
Buffy zuckte mit den Schultern und versuchte den großen Regentropfen von den Bäumen auszuweichen. Geschickt sprang sie über eine größere Pfütze und blickte in eine Seitengasse der Wohnanlage. Nur noch zwei Blocks und sie war endlich zu Hause.
Nichts. Absolute Stille. So wie in den anderen Nächten. Nicht einmal ein Vampir wagte es bei diesem Wetter, auf der Straße herumzulaufen.
Giles, ich hasse dich dafür, dachte sie und marschierte weiter.
Doch plötzlich hörte sie ein Geräusch.
Buffy blieb stehen und horchte in die stürmische Nacht. Die Bäume seufzten im Wind und das Mondlicht warf gespenstische Schatten. Das Knirschen hatte aufgehört und Buffy meinte schon, sich getäuscht zu haben. Sie setzte ihren Weg fort, war aber von nun an ständig auf dem Sprung, um rechtzeitig eingreifen zu können, falls sich ein Vampir oder Dämon nähern sollte.
Sie blickte noch einmal zum Friedhof von Sunnydale zurück, den sie gerade verlassen hatte und traute ihren Augen nicht. Über den alten Mauern, die den Friedhof umgaben, erhob sich eine leuchtendblaue Dunstwolke, die aus ihrem Inneren zu strahlen schien. So etwas hatte Buffy noch nie gesehen und sie konnte sich auch nicht erklären, um was es sich hierbei handelte.
Ich werde Giles sofort danach fragen, nahm sie sich vor, konnte im Moment aber den Blick nicht von diesem Schauspiel reißen. Das Eigenartige war, daß diese blaue Wolke über dem Friedhof zu stehen schien und um sie herum hatte der Wind aufgehört zu wehen und es fiel kein Regen an dieser Stelle.
Buffy war so fasziniert, dass sie gar nicht merkte, wie sie vom Regen bis auf die Haut durchnässt wurde.
Du meine Güte, das muss etwas Furchtbares sein, dachte sie sich und drehte sich auf dem Absatz um, um zu Giles nach Hause zu laufen. Hoffentlich saß er auch wirklich daheim bei seinen Büchern. Jetzt war guter Rat teuer!
Doch auf einmal hörte Buffy wieder das knirschende Geräusch. Es kam direkt aus einem Busch.
Buffy schlich sich vorsichtig näher und setzte zum Sprung an. Ihren Pflock, den sie für alle Fälle immer bei sich trug, hatte sie schon gezückt.
Mit einer raschen Bewegung setzte sie über den Busch und wollte sich gerade mit erhobenem Pflock auf den Feind stürzen, als sie mitten in der Bewegung inne hielt und vor lauter Überraschung den Holzpflock fallen ließ.
"Xander! - Was machst Du denn hier??"
"Mhhh, guten Abend, schluck..." Xander kaute an einem Hotdog und sah Buffy unschuldig an. "Ich wollte doch nur in deiner Nähe sein, für den Fall, daß du meine Hilfe brauchst!"
Entschuldigend grinsend zuckte Xander mit den Schultern und stopfte sich den Rest seines Abendbrotes in den Mund. Daher also dieses Knirschen!
"Während du hier Brotzeit machst, tut sich wahrscheinlich gerade der Höllenschlund auf! Oder so etwas ähnliches...", rief Buffy und zeigte auf den Friedhof, wo das blaue Licht immer heller zu leuchten begann.
"Wow, was ist denn das?" Xander war ebenso fasziniert, hatte jedoch den gleichen Gedanken wie die Jägerin:
"Wir sollten sofort Giles Bescheid sagen!"
Gesagt getan. Die beiden rannten sofort los.
Der Bibliothekar war wie jeden Abend noch in der Schule und saß an seinem Schreibtisch. Vor ihm auf dem Tisch befanden sich die üblichen Dinge. Eine Tasse schwarzer Tee mit Milch, ein großer Stapel muffiger Bücher und eine kleine Leselampe, die die Dunkelheit vertrieb.
Buffy schmunzelte über diesen Anblick. Sie kannte Giles jetzt seit fast zwei Jahren und in dieser Zeit hatte er seine abendlichen Gewohnheiten nicht verändert. Es gab oft Tage, an denen sie sich wünschte, er würde öfter mal unter die Leute gehen und das tun, was sie unter Leben verstand. Aber das war nicht seine Welt. Genauso gut könnte sie von ihm verlangen, sich ein Paar Rollschuhe anzuziehen und zur Bahn mitzukommen. Er würde es nicht tun.
Giles war ein Rätsel für die, die ihn nicht kannten. Buffy kannte ihn. Somit wusste sie, dass er sich in der Gesellschaft seiner Bücher am wohlsten fühlte. Außerdem hatte diese Sache auch ihre Vorteile.
"Hi, was tun sie gerade?", fragte Buffy höflich.
"Na, was wohl. Er liest in seinem Buch", antwortete Xander.
"Ja, um genauer zu sein, die ‚Chronik der Vetala', Xander."
Buffy lächelte über Giles' spontane Reaktion auf Xanders Worte.
"Interessant? Lassen sie mich raten. Ja, ich sollte meine Nase auch mal reinstecken, anstatt vor der Glotze abzuhängen", sagte Buffy und lächelte Giles an.
"Warum bist du hier, Buffy? Solltest du nicht durch die Strassen patrouillieren? Und Xander, hat er keine Hausaufgaben?", fragte Giles mit strengem Blick.
"Doch, aber die haben Zeit bis mor..."
"Ist schon gut, Xander. Giles, wir haben was entdeckt, das nicht sehr freundlich aussieht."
"Was? Wo? Wie?"
"Schon gut. Bleiben sie auf dem Teppich. Es war nur ein... Licht...eher gesagt Dunst...oder so ähnlich, auf jeden Fall sah es gruslig aus", erklärte Buffy.
"Gruselfaktor zwei, wenn sie mich fragen", kommentierte Xander.
"Dich fragt aber niemand", antwortete Giles knapp.
"Ist es was Ernstes?"
"Ich weiß nicht, Buffy. Da wir hier in Sunnydale leben, nehme ich an, dass es..."
"Lassen sie mich raten: paranormal ist!", unterbrach Buffy.
Giles nickte.
"Und ?"
"Ich schlage vor, du gehst jetzt nach Hause und ich werde mal bei Lichtphänomenen und parallelen Toren nachschlagen."
"Parallelen was?" fragte Buffy.
"Parallele Tore. Führen oft von einer Dimension in die andere. Hast du nie Star-Trek gesehen?", fragte Xander.
"Nein", antwortete Buffy und sah Xander überrascht an.
"Ganz so ist es nicht. Star-Trek ist nicht real. Der Höllenschlund schon. Ich sehe mir besser auch die alten Prophezeiungen an."
"Gut, Giles. Das Licht befand sich am Friedhof und strahlte eine ziemliche Helligkeit aus. Vielleicht hilft ihnen das weiter", sagte Buffy und machte sich auf den Weg, die Bibliothek zu verlassen. Xander folgte ihr.
"Das hast du gut beobachtet. Als Jägerin musst du deine Sinne immer stark...", Giles brach ab, als er bemerkte, dass er wieder allein war.
Giles griff zum Telefon und wählte die Nummer von Willow. Sie sollte mal wieder für ihn den Computer - oder besser gesagt das Internet - zu Rate ziehen. Willow war in dieser Hinsicht ja eine wahre Spezialistin und Giles hoffte, dass auch diesmal das Internet auf ihrer Seite stehen würde.
Bei Willow nahm niemand ab und so verschob er sein Vorhaben auf später. Giles ging in den Nebenraum der Bibliothek und zog dort unter einem Beistelltisch ein vergilbtes Buch mit dem wenig Vertrauen erweckenden Titel "Höllentore" hervor. Das würde seine Nachtlektüre sein und die Nacht konnte lang werden...
Unterdessen machten sich Buffy und Xander auf den Heimweg, wie Giles ihnen geraten hatte. Heute Nacht konnten sie ohne nähere Informationen sowieso nicht mehr viel unternehmen.
Xander gähnte herzhaft: "Uaaaaaaahhh!"
"Xander, wenn du mich auffressen willst, überlass das besser den Monstern - die haben da mehr Übung darin!" Buffy grinste ihren Freund an.
"'Tschuldigung! Ich wollte Dich ja nicht gleich fressen! Obwohl, ein bisschen anknabbern...".
Der vernichtende Blick, den er von Buffy erntete, ließ ihn verstummen.
"Fettnäpfchen, wo seid ihr?! Ich finde euch alle!" In komischer Verzweiflung reckte Xander die Arme in die Luft und verdrehte die Augen gen Himmel. Auf seine Art war er doch sehr liebenswürdig und Buffy konnte ihm ja nicht ernsthaft lange böse sein.
"Wir sollten Willow heute noch besuchen und ihr vor unserer Entdeckung berichten", sagte Buffy und Xander antwortete:
"Gute Idee, ich bin dabei. Vielleicht hat Giles unrecht und wir bekommen doch noch Besuch von Spock & Co. Mensch Buffy, stell Dir mal vor, wenn das vielleicht Außerirdische sind, die uns dann auf ihr Raumschiff entführen und dann...".
Die Worte blieben ihm im Halse stecken, denn auf einmal sahen sich die Freunde unversehens einer riesigen Gestalt gegenüber. Gestalt? Oder sollte man besser Ding sagen?! So etwas hatten Buffy und Xander noch nie gesehen und es glich auch nichts, was ihnen jemals zuvor untergekommen war.
Das Ding hatte unzählige behaarte Beine, die wirr umherwuselten, so dass man sich wundern musste, wie es gehen oder stehen konnte. Genauer gesagt stand es aber nicht, sondern kam genau auf Xander und Buffy zu!
Die leuchtend blauen Beine unterschieden sich kaum von den ebenfalls behaarten, jedoch kürzeren Armen und das, was das Gesicht darstellen sollte, glich eher einer hässlichen Teufelsfratze. Die Haut war bleich und schien aus Pergament zu bestehen, doch tief aus dem Inneren des Wesens drang ein Blau von unsagbarer Intensität und war so leuchtend, dass es in den Augen schmerzte.
Dass das Ding nichts Gutes im Sinn hatte, zeigte das weit aufgerissene Maul mit den winzigen spitzen Fangzähnen und die Krallen sahen auch so aus, als könnten sie mit einem Schlag eine ausgewachsene Kuh auf der Stelle töten. Wie ein Tausendfüssler bewegte sich das Wesen auf Buffy und Xander zu und bewies darin eine Schnelligkeit, die man ihm auf Grund seiner Größe nicht zugetraut hätte:
Xander und Buffy kamen nach einer Schrecksekunde zu sich und da rief Xander auch schon "Lauf Buffy!"
Die beiden rannten völlig planlos die Straße hinunter, bis Buffy sich vom ersten Schrecken erholt hatte und sich trotz ihrer Angst auf ihre Aufgabe als Jägerin besann.
Wenn sie jetzt davon liefen, würden sie womöglich noch andere Leute in Gefahr bringen, die sich zufällig auf der Straße aufhielten und dem Monster in die Quere kamen. Im Moment war das Wesen ja nur an der Jägerin und ihrem Freund interessiert. Einen kurzen Augenblick wünschte sich Buffy, Kendra wäre noch hier, um ihr zur Seite zu stehen, wie schon einmal. Aber der Gedanke wich gleich darauf den Überlegungen, wie sie dem Monster am besten beikommen konnte. Und Buffy wäre nicht Buffy gewesen, hätte sie nicht auch schon eine Idee gehabt.
‚Hoffentlich funktioniert es!' konnte sie gerade noch denken, ehe sie ihren Plan in die Tat umsetzte.
Wie der Blitz schlug Buffy einen Haken in eine Seitengasse und blieb dann nach zehn Metern stehen. Xander hatte von ihrer Aktion nichts mitbekommen. Er war die Straße weitergestürmt.
Hoffentlich hatte das Ding ihre Bewegung mitbekommen. Sie konnte nicht darauf warten. Entschlossen griff sie nach einem Mülltonnendeckel und begann, damit Lärm zu verursachen.
Das blaue Ding reagierte. Mit großer Geschicklichkeit wälzte es sich in die enge Gasse und stürmte weiter auf sie zu.
Sie brauchte eine Waffe. Einen spitzen Gegenstand, der stabil und schwer war. Buffy sah sich um. Zum Glück gab es in dieser Gasse genügend alter Mülltonnen mit Haushaltskram. Sie entdeckte eine Eisenstange zwischen zwei Tonnen. Heute stand der Kriegsgott einmal auf ihrer Seite. Schnell hob sie das Ding auf und prüfte die Stange nach ihrem Gewicht. Sie war schwer, aber handlich.
Das Ungeheuer raste weiter auf sie zu. Nur noch wenige Meter trennten sie. Buffy nahm die Stange in die rechte Hand und lief auf die behaarte Bestie zu. Unterm Laufen ließ sie sich elegant auf den Boden fallen und kullerte zusammengrollt unter den Beinen des Ungeheuers hinweg. Jetzt war Schnelligkeit ihre Waffe.
Sofort sprang sie wieder auf die Füße und sprang dem Ungeheuer mit lautem Gebrüll auf den Rücken - oder zumindest auf das, was sie für den Rücken hielt. Das grelle blaue Licht blendete sie und das Fell der Bestie stank fürchterlich nach Schwefeldämpfen. Buffy verzog das Gesicht.
"Igitt,, warum muss mir immer so etwas passieren! Ich hab' doch heute schon geduscht!"
Das Ungeheuer bäumte sich auf und versuchte, Buffy abzuwerfen. Mit einem lauten Seufzen schlug sie die Eisenstange tief in den Rücken des Ungetüms.
"Jetzt hat es sich ausgestunken!"
Das Ding brach langsam zusammen und fiel der Länge nach auf die Straße. Buffy rettete sich mit einem weniger eleganten Sprung vom Rücken der Kreatur. Ihr Atem ging rasch und das Blut hämmerte in ihren Adern. Die Anstrengung des Kampfes stand ihr deutlich im Gesicht.
"Buffy! Alles in Ordnung?", schrie Xander.
Buffy antwortete ihm mit einem triumphierenden Lächeln.
Am nächste Morgen traf Buffy auf ihre Freunde in der Bibliothek. Giles sah so aus, als ob er die ganze letzte Nacht nicht geschlafen hatte. Ebenso Willow, die wie immer vor dem Computerbildschirm saß und Worte in die Tastatur tippte.
"Hi Willow, was tust du?" Buffy ließ sich neben sie auf ihren Stuhl fallen und sah ihr über die Schulter.
"Oh, Giles hat Dank seiner Bücher eine neue Entdeckung gemacht und die schreibe ich gerade für den Wächterrat auf!" Willow drehte sich zu Buffy um:
"Es ist nämlich so, dass das blaue Wesen, das Du letzte Nacht vernichtet hast, wie mir Xander erzählte, wirklich aus einer anderen Dimension stammte. Giles nannte es einen Krom... Kromos... wie hieß das doch gleich noch mal?"
"Kromognon", fiel Giles ein und erklärte:
"Es war sozusagen der Chef dieses parallelen Universums und hatte das Tor zu Sunnydale schon so weit geöffnet, dass es nur noch durch seinen Tod wieder geschlossen werden konnte. Zum Glück geschah das noch rechtzeitig, Buffy, denn ich möchte mir nicht ausmalen, was geschehen wäre, wenn Du es nicht geschafft hättest... Laut meiner Bücher kann dieses Wesen gefährlicher sein, als mancher Vampir! Oder ‚konnte', sollte ich wohl sagen. Nicht auszudenken, wenn es das Tor so weit hätte öffnen können, dass seine Diener auch noch hindurch kommen hätten können. Man nennt sie auch die ‚Zeitdiebe' und sie saugen allen Wesen regelrecht das Leben aus, indem sie ihnen die Zeit nehmen."
Buffy grinste in die Runde und meinte: "Na denn habe ich mal wieder die Welt gerettet und nun erwartet mich ein viel fürchterlicheres Monster als dieser Kromologe..."
"Kromognon!" seufzte Giles.
"Ja genau, denn ich muss jetzt zu Mrs. Bisley in Physik! - Macht's gut Freunde!"
"Ach Buffy, warte mal einen Augenblick." Giles holte Buffy ein, die schon mit einem Fuß aus der Bibliothek getreten war.
"Angel war heute morgen bei mir. Ich weiß nicht, was er wollte, aber er sagte, dass er dich dringend sprechen müsste. Ich habe mir gedacht, dass ich es dir wohl besser sage."
"In Ordnung Giles, ich werde Angel suchen."
"Und Buffy, sei vorsichtig! Du weißt ja..."
"Schon gut, ich weiß mich meiner Haut zu wehren, aber gegen Physik wurde wohl noch kein wirksames Mittel erfunden..."
Buffy lief den Korridor entlang, da sie eh schon zu spät dran war. Verflixt, ging ihre Uhr falsch? Die Gänge waren schon leer und der Unterricht hatte bereits begonnen. Hoffentlich schrieben sie wenigstens keinen Test! Es war schon schlimm genug, den Unterricht von Mrs. Bisley auch so zu ertragen.
Buffy hatte den Physiksaal im ersten Stock erreicht und riss die Türe auf.
"Du meine Güte!" Buffy blieb erschrocken in der offenen Klassenzimmertüre stehen. "Hab' ich mich in der Tür geirrt? Bin ich etwas im Altersheim?"
Die Leute, die im Klassenzimmer saßen, hatten längst ihre Jugend hinter sich und Buffy huschte ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf: Musste sie etwa auch noch Physik lernen, wenn sie so alt und grau war wie die hier?
Buffy schloss die Tür wieder und ging zur Bibliothek zurück.
"Schon wieder da, Buffy?" fragte der Bibliothekar erstaunt.
"Nun ja, der Test fällt wohl aus, weil sich ein Altersheim bei uns in der Schule eingenistet hat!" rief Buffy fröhlich und warf ihre Schulmappe auf den Tisch.
"Was?! - Du meine Güte, dann hat sich mein Verdacht also schneller bestätigt, als ich gehofft hatte!" Giles stütze die Ellbogen auf den Tisch und legte fassungslos den Kopf darauf.
"Buffy, diese alten Leute sind deine Mitschüler..."
"Nein Giles, sie verwechseln da was. Ich bin erst 17 und die waren mindestens 70!"
"Tut mir leid Buffy, aber es ist wahr. Das Wesen, das du letzte Nacht zur Strecke gebracht hast, diesen Kromognon, das war ein ‚Zeitdieb', wie ich euch schon sagte. Es scheint also schon passiert zu sein. Das Zeittor über dem Friedhof war schon weiter geöffnet, als ich dachte und nun können noch mehr dieser Wesen aus der anderen Dimension zu uns nach Sunnydale kommen, um den Menschen ihre Zeit auszusaugen. Ich hatte gehofft, der Tod des Kromognon hätte das Tor wieder geschlossen. Vermutlich versuchen diese Wesen, den Tod ihres Anführers zu rächen. Buffy, du musst versuchen, auch die anderen Wesen zu vernichten, bevor es immer mehr werden!" Giles sah plötzlich sehr verzweifelt aus. Jeder Mensch möchte gerne alt werden, aber doch nicht so schnell!
Buffy sah Willow an und begriff augenblicklich den Ernst der Lage. "Schnell, zum Friedhof!"
Auf dem Gang liefen die Mädchen Rektor Snyder in die Hände: "Die jungen Damen haben es aber eilig, zum Unterricht zu kommen! Na, dann mal aber los!"
Mit strengem Blick sah Snyder Buffy und Willow an und wartete, bis sie hinter einer Klassenzimmertür verschwunden waren. Buffy lehnte sich innen an die Tür und horchte.
"Puh, schade, dass er nicht auch schon im Pensionsalter ist!" grinste Willow und die beiden rannten wieder auf den Gang, sobald sich die Schritte des Rektors entfernt hatten.
Als sie an Cordelias Spind vorbei stürmten, grüßte Willow im Vorbeirennen: "Hallo Cordelia!" und blieb abrupt stehen, so dass Buffy beinahe über Willow gefallen wäre.
Cordy drehte sich langsam um und die Mädchen erschraken. War diese alte Frau wirklich Cordelia? Der Kleidung nach musste sie es sein, oder kaufte das Altersheim nun auch schon bei ‚Hennings' die Markenklamotten?!
"Lacht ja nicht!" drohte Cordelia, die sich gerade in ihrem kleinen Handspiegel die grauen Haare richtete und das Makeup aufzufrischen versuchte.
"Bei diesen Falten hat das gar keinen Zweck!" jammerte sie und fuhr mit zittrigen alten Händen über ihr Gesicht.
"So kann ich doch heute nicht auf die Party bei Jason gehen! Und an allem bist nur du schuld, Buffy! Seit du hier aufgetaucht bist, wimmelt es nur so von Monstern und unheimlichen Geschehnissen! Dann bring das aber auch gefälligst wieder in Ordnung bis heute Abend!" Daraufhin schlurfte sie wutentbrannt den Schulflur hinab...
"Ich werde mein Bestes geben", murmelte Buffy mehr zu sich selbst.
Die Mädchen liefen zum Friedhof und sahen den blauen Dunst darüber schimmern, jedoch musste man bei Tage schon etwas genauer hinsehen, um ihn zu erkennen. Sie beobachteten die überdimensionale Wolke eine Weile, bis Willow feststellte, dass wohl am helllichten Tag keine Monster durch das Tor schlüpfen konnten. Sie hatten also noch ein paar Stunden Bedenkzeit, bevor der Mond am Himmel stand.
"Wir müssen uns schnellstens ein Gegenmittel gegen die blauen Unholde suchen!", meinte Buffy. Gesagt, getan, sie machten sich auf dem Weg in Bibliothek.
"Buffy, gut, dass ihr wieder da seid! Ich habe in einem sehr interessanten Buch - es heißt "Höllentore" - solltest Du wirklich auch mal lesen, denn es ist....", Giles brach ab, als er Buffy genervten Blick zur Decke sah.
"Giles, hat das Buch Bilder?" fragte Buffy bewusst liebenswürdig und blinzelte ihren Wächter an.
"Schon gut, ich habe verstanden. Nun ja, ich habe also etwas Interessantes gefunden!" sagte Giles und berichtet von seiner neusten Entdeckung. Dieser entsprechend hatten die blauen Wesen tatsächlich nur nachts "Ausgang" und waren am Tage also nicht zu fürchten. Weitaus schlimmer war jedoch, dass sie dann nachts in Gruppen aus dem Tor traten und gleich mehreren Menschen gleichzeitig die Zeit und Lebensenergie aussaugen konnten, wie das schon im Fall von Buffys Klasse geschehen war. Und bis heute Abend musste das Ganze wieder in Ordnung gebracht werden; das hatte Buffy Cordelia und sich selbst versprochen.
"Angel war heute übrigens kurz hier und er wusste ein wirksames Gegenmittel gegen die Monster!" freute sich Giles und begab sich in den Nebenraum der Bibliothek, wo er auf einer elektrischen Kochplatte und einem alten Topf ein merkwürdiges Süppchen braute.
"Also Giles, ich kämpfe hier gegen den Rest der Welt und sie zeigen mir ihr Mittagessen?!" wunderte sich Buffy.
Der Bibliothekar seufzte. "Das hier würde ich bestimmt nicht als Mittagessen zu mir nehmen und es ist auch mehr für die netten kleinen blauen Wesen gedacht!"
"Oh, ich verstehe! Raubtierfütterung ist angesagt!" grinste Willow.
"Nun ja, genauer gesagt müssen wir uns überlegen, wie wir den Monstern dieses Gift hier verabreichen können...", grübelte Giles und schöpfte neue Hoffnung, als Buffys Gesicht sich aufheiterte.
"Ich hätte so richtig Lust, mal wieder die Armbrust auszuprobieren", meinte Buffy schelmisch und war auch schon dabei, die Pfeile einzupacken.
"Gute Idee, Buffy! Du kannst den Viechern das Gift unter die Haut... äh.. den Schleim oder was auch immer spritzen!" lobte Willow ihre Freundin und sie bereiteten sich auf die Nacht vor.
Bei Einbruch der Dunkelheit leuchtete der Dunst wieder im kräftigsten Blau über dem Friedhof und Buffy sah, dass das Tor etwas weiter geöffnet war, als in der Nacht zuvor. Dahinter machte sich eine pechschwarze Finsternis breit.
Buffy, Willow und Angel standen vor dem Tor und warteten, was passieren würde. Angel hatte sich zu den Freunden hinzugesellt und hielt Buffys Hand. Schön, sie wieder einmal zu sehen.
"Bin ich froh, dass du ein Gegenmittel wusstest! - Woher eigentlich?" fragte Buffy ihren Freund.
"Dieser Kromognon ist mir nicht so unbekannt, wie du vielleicht meinst. Ich hatte schon mal das Vergnügen mit ihm, als der Meister noch unter der Erde weilte und gemeinsame Sache mit diesen Wesen aus der anderen Dimension machen wollte, um die Herrschaft über Sunnydale zu erlangen, aber dann hatte er sich doch entschlossen, Sunnydale alleine zu beherrschen und er schloss das Tor wieder rechtzeitig. - Buffy, schau hin, nun ist es soweit!"
Angel deutete auf das Tor und die drei Freunde sahen, wie sich die blauen Wesen durch das Tor wälzten. Sie marschierten in Reih und Glied, eines nach dem anderen und es wurden immer mehr!
Buffy legte die Armbrust an und schoss einen der vergifteten Pfeile ab. Der Schuss saß perfekt. Wozu hätte sie auch sonst diese manchmal doch recht langweiligen Trainingsstunden mit Giles verbracht!
Das Monster wurde in der Brust getroffen und augenblicklich tat das Gift seine Wirkung. Buffy zielte weiter auf die Anhänger des Kromognon und die getroffenen Monster begannen sich aufzulösen in eine Art hellen, gleißenden Lichtstrahl, so dass jedes Mal die Freunde wie geblendet die Augen schließen mussten. Die hellen Strahlen schossen nur so nach allen Richtungen und auf einmal rief Willow:
"Buffy, schau nur, das Tor schließt sich!" Und tatsächlich, mit jedem getötetem Wesen wurde das Loch ein wenig kleiner, bis schließlich keine Monster mehr heraustreten konnten. Buffy verschoss ihren letzten Pfeil und in dem Moment erlosch die blaue Dunstwolke und der letzte helle Lichtstrahl leuchtete auf.
Am nächsten Morgen standen Willow und Buffy vor ihrer Klassenzimmertüre.
"Sollen wir nachsehen, ob es geklappt hat?" Ängstlich blickte Willow ihre Freundin an und diese öffnete die Türe. Welche ein Glück. Da saßen Cordelia und all die anderen und keine hässlichen Falten oder grauen Haare waren mehr an ihnen zu sehen.
"Ah, die beiden Damen beehren uns auch mit ihrer Anwesenheit! Setzt euch bitte hin. Wir schreiben nun einen Physik-Test!" rief Mrs. Bisley und teilte die Arbeiten aus.