Suche

Selena

 

 

"Hast du ihn je ohne Maske gesehen, Leia?"
Leia, in Gedanken bei der Suche nach Han, überhörte Lukes Frage zuerst, und er mußte sie wiederholen.
"Hast du Vader je ohne Maske gesehen?"
Leia schüttelte den Kopf und musterte Luke. Eine kleine nachdenkliche Falte grub sich in ihre Stirn. Er verhielt sich so seltsam, seit sie Bespin verlassen hatten. Der offene, lebhafte Junge war durch einen schweigsamen Mann ersetzt worden, der sich stundenlang zurückzog und dann zusammenhangslose Fragen stellte.
"Nein", erwiderte sie. "Niemand hat das, soweit ich weiß. Ich nehme an, er gehört zu einer methanatmenden Spezies und ist auf die Maske angewiesen. Warum..."
Weil ich möchte, daß mir jemand sagt, wie Darth Vader aussieht, und mir versichert, daß er auf gar keinen Fall mit Anakin Skywalker identisch sein kann, dachte Luke, aber er konnte es nicht aussprechen. Bisher hatte er es nicht fertiggebracht, Leia oder irgend jemandem sonst zu erzählen, was auf Bespin wirklich vorgefallen war. Was Vader behauptet hatte.
Ich bin dein Vater.
Es konnte einfach nicht wahr sein. Vader hatte gelogen, um ihn zu verunsichern, so einfach war das, und nur der Schock und seine Verwundung hatten Luke auf Bespin dazu gebracht, so etwas wie Wahrheit in diesen Worten zu hören. Er starrte auf die künstliche Hand, deren Anpassung der Medizindroid vor einer halben Stunde vollendet worden war. Es würde noch ein paar Tage dauern, bis er sie so mühelos gebrauchen konnte wie seine verlorene, natürliche Hand, aber dann, so versicherte ihm jeder, würde er völlig vergessen, daß sie nicht aus Fleisch und Blut war.
Ich bin dein Vater.
Er wußte nicht viel über seinen Vater; sein Bild von Anakin Skywalker setzte sich aus widersprüchlichen Fragmenten zusammen, die ihm Onkel Owen, Tante Beru und Ben geliefert hatten. Anakin war ein Pilot gewesen; Pilot eines Handelsfrachters, laut Onkel Owen; ein Jedi-Ritter, laut Ben Kenobi. Gestorben in einem Unfall, laut Onkel Owen; verraten und ermordet von Darth Vader, laut Ben, der sie beide, Anakin und Vader, als seine Schüler bezeichnet hatte. Ben Kenobi, Obi-Wan, war ein verehrungswürdiger Held, und Darth Vader ein Renegat und Mörder; eigentlich sollte es in ihm überhaupt keinen Zweifel darüber geben, wem von beiden er glaubte. Aber der Zweifel bestand, und er spürte ihn schmerzhaft in sich pochen wie ein Gift, das sich langsam durch seinen Körper fraß. Zuviele beiläufige Äußerungen ergaben auf einmal einen fatalen Sinn.
Tante Beru: Er hat zu viel von seinem Vater in sich.
Onkel Owen: Das befürchte ich ja.
Yoda: Viel Zorn ist in ihm, wie in seinem Vater.

Und dann war da die erschreckende Verbindung, die er gespürt hatte, nicht nur während des Duells, sondern auch danach, auf der Millennium Falcon. Vader hatte ihn gerufen, und er hatte es deutlicher gehört als Bens, als Yodas behutsame Kontakte, mit einer Intensität, die...
Luke wandte sich abrupt von dem Beobachtungsfenster ab, durch das er und Leia den Abflug des Falcon verfolgt hatten. Vielleicht ging er die ganze Sache falsch an. Es war nicht Vader, über den er Fragen stellen mußte. Irgendwo in der Rebellenflotte gab es bestimmt Leute, die Anakin Skywalker gekannt hatten, die ihm mehr über Leben und Tod seines Vaters erzählen konnten.
Die Wahrheit. Ich muß die Wahrheit erfahren.
Mon Mothma, ehemaliges Mitglied des Senats und nunmehrige Anführerin der Rebellenallianz, war eine vielbeschäftigte Frau, und es war nicht leicht, zu ihr vorgelassen zu werden. Aber Leia war ihr Protegé, und damit genossen Leias Freunde einen gewissen Vorzug. Außerdem nutzte Luke das Prestige aus, das ihm als dem Piloten, der den Todesstern vernichtet hatte, geblieben war. Sie empfing ihn.
"Commander Skywalker", sagte sie mit einem leichten Lächeln, "ich habe gehört, daß Sie verwundet wurden. Es freut mich, daß es Ihnen wieder besser geht."
Luke wünschte sich ein wenig von Leias diplomatischen Fähigkeiten, um eine elegante Überleitung zu seinem Anliegen zu finden. Aber ihm fiel keine ein. "Senatorin", begann er, als sie ihn mit einer Handbewegung aufforderte, sich zu setzen, "Sie kannten doch gewiß General Kenobi."
Leias Vater, Senator Bail Organa, hatte Ben gekannt; es war nur logisch, daß auf Mon Mothma das gleiche zutraf. Sie nickte, ein wenig verwundert, und Luke holte tief Atem.
"Kannten Sie auch seinen Freund Anakin Skywalker, meinen Vater?"
Falls Mon Mothma ungehalten war, durch derartige Fragen von wichtigeren Aufgaben abgehalten zu werden, ließ sich das auf ihrem ruhigen, ebenmäßigen Gesicht nicht erkennen. "Ja, ich kannte Anakin."
Die Stelle an seinem Handgelenk, wo ihn Vaders Lichtschwert getroffen hatte, pochte, obwohl er es nicht mehr hätte fühlen dürfen. Phantomschmerz, hatte der Medizindroid gesagt.
"Wissen Sie, wie er starb? Waren Sie dabei?"
Der junge Skywalker war Mon Mothma bei ihren wenigen persönlichen Begegnungen bisher immer wie ein liebenswertes, zu groß geratenes Kind erschienen, aber es lag nichts Kindliches mehr in dem verzweifelten Ton, in dem die Frage gestellt wurde. Irgend etwas hatte ihn sehr schnell erwachsen werden lassen. Es ist das Imperium, dachte sie traurig. Mit einem Mal erinnerte er sie an Leia, die mit neunzehn bereits alles über tödliche Geheimnisse und nichts über die Freude, jung zu sein, gewußt hatte. Dann dachte sie an ihre eigene Jugend während des Zusammenbruchs der Republik und fragte sich, ob es eine Zeit der Unschuld je gegeben hatte.
"Nein", entgegnete sie auf Lukes Frage hin. "Ich war nicht dabei, und ehrlich gesagt, ich weiß auch nicht viel über seinen Tod. Damals ging unsere Welt für uns unter, und ich war damit beschäftigt, zu versuchen, den Umsturz zu verhindern. Ich erinnere mich nur, daß Bail mir erzählte, Obi-Wan hätte ihm gesagt, Anakin sei tot, mehr nicht. Einige Zeit später starben weitere der Jedi, und dann immer mehr, so daß ich denke, Anakin war der erste, und entweder hat Palpatine ihn selbst getötet, oder Vader hat es getan. Damals tauchte er auf, wissen Sie, und fast das erste, was wir von ihm hörten, war, daß er den Jedi-Ritter Iduma besiegt und getötet hatte."
Sie seufzte. "Ehrlich gesagt, hoffte ich um Anakins willen, daß es Vader war, nicht Palpatine."
"Warum?" fragte Luke so neutral wie möglich.
"Der Kaiser", antwortete Mon Mothma, und auch die Selbstbeherrschung von Jahrzehnten konnte nicht verhindern, daß sie Palpatines Titel mit dem Haß aussprach, den sie für ihn hegte, "duelliert sich nicht mit seinen Gegnern. Er bringt sie um. Und wenn Sie einmal gesehen haben, Commander Skywalker, wie jemand von Palpatine umgebracht wird, dann wünschen Sie das selbst Ihrem ärgsten Feind nicht. Vader hat zwar in anderen Punkten wenig Skrupel, aber er scheint es vorzuziehen, gegen seine Feinde zu kämpfen. Und ich denke, Ihr Vater hätte es vorgezogen, in einem Kampf zu sterben."
Luke erinnerte sich unwillkürlich an das Duell zwischen Vader und Ben auf dem Todesstern. Die Soldaten ringsum hatten keine Anstalten gemacht, einzugreifen, als hätte es ihnen jemand verboten. Bis Bespin hatte er sich immer vorgestellt, daß sein Vater genauso gestorben wäre, und er versuchte, sich weiter an die Vorstellung zu klammern. Mon Mothma hatte Anakin Skywalker gekannt und war Darth Vader gewiß mehrfach begegnet. Sie hätte bestimmt gemerkt, daß es sich um ein und dieselbe Person handelte.
Aber die Maske... die elektronisch übertragene Stimme... und die Gewißheit, daß Anakin tot war...
Er wollte gerade fragen, wie gut sie seinen Vater gekannt hatte, als Mon Mothma ihm zuvor kam. Sie hatte nur noch wenig Zeit, aber sie wollte den Jungen nicht mit Reflektionen über den Tod seines Vaters im Kopf fortschicken, also beschloß sie, ihm eine aufmunternde Geschichte zu erzählen.
"Anakin kam mir immer wie ein Komet vor, der seine Laufbahn erst beendet, wenn er irgendwo aufprallt und zerbirst. Es gab wenig, daß er so haßte wie Passivität, und das rettete mir einmal das Leben. Es war nur wenige Monate vor seinem Tod und Palpatines Staatsstreich. Damals brachen ganze Systeme die Beziehungen zur Republik ab. Auf dem Planeten Caledon war ein Bürgerkrieg zwischen den Kolonisten und den Einheimischen ausgebrochen, und ich führte eine Friedensdelegation an, die zwischen beiden vermitteln sollte. Das Ganze endete mit einem blutigen Umsturz durch die Kolonisten; ihr Anführer, Someril, machte sich zum Diktator, nahm uns als Geiseln, erklärte die Unabhängigkeit des Planeten und begann, die Anführer der Einheimischen hinrichten zu lassen. Ihr müßt wissen, die Gesetze der Republik verboten ein militärisches Eingreifen auf Planeten, die sich aus der Allianz gelöst hatten, und außerdem konnte Someril ziemlich sicher sein, daß niemand das Leben der Geiseln riskieren würde. Einer von uns konnte noch einen Funkspruch absetzen, ehe wir gefangen wurden, aber wir machten uns alle keine großen Hoffnungen."
Sie trank etwas aus dem Becher, der auf ihrem Tisch stand. Das Wasser war so geschmacklos, wie es bei den endlos recycleten Vorräten eines Raumschiffs nicht anders zu erwarten war. Sie erinnerte sich an Caledon und den ständigen Regen dort, der immer etwas von den purpurnen Sand der dortigen Steppen mit sich getragen hatte. Purpurregen und der Geschmack von Explosivstoffen auf ihren Lippen, und im Herzen ohnmächtiger Zorn. "Anakin suchte damals nach irgend etwas, ich weiß nicht mehr, was, irgendwelche alten Artefakte, jedenfalls befand er sich in der Nähe des Systems und fing unseren Funkspruch auf. Er durchbrach die Blockade um Caledon, die Someril aufgestellt hatte, landete und schlug sich bis zu dem Lager durch, wo man uns und die noch verbliebenen Anführer der Einheimischen gefangenhielt. Es gelang ihm, uns zu befreien. Wir konnten natürlich nicht alle in seinem Jäger fliehen, also hatte er vor, einen der Frachter der Kolonisten zu stehlen, und als wir das fast geschafft hatten, ließ uns Anakins geradezu unheimliches Glück im Stich. Sie müssen sich die Lage vorstellen: Wir, die Delegation, die paar verbliebenen caledonischen Anführer und Anakin, waren hoffnungslos eingekreist. Unsere erbeuteten Schußwaffen waren bis zur letzten Energiezelle ausgeleert, und mir war klar, daß Anakin sehr bald zu erschöpft sein würde, um uns noch weiterhin mit Hilfe der Macht zu verteidigen. Someril wußte das auch. Er stand mit seinen Leuten vor dem Gebäude, in dem wir uns verbarrikadiert hatten, und forderte uns auf, aufzugeben. Danach wollte er mit uns ein Exempel statuieren."
Mon Mothma schloß die Augen und sah es wieder vor sich: die Verwundeten, ihre Begleiter, die zwischen Angst, Trotz und Verzweiflung schwangten, und ihr jüngeres Selbst, das Anakin an der Schulter berührte.

 

"Laß mich mit ihm sprechen", sagte die junge Mon Mothma und hustete, denn die Luft war voller Staub; soviel Sand wie möglich aufzuwirbeln, war Anakins letzter Einfall gewesen, um Someril und seinen Leuten zumindest das Zielen unmöglich zu machen.
"Er ist so eitel, vielleicht stimmt es ihn gnädig, wenn ein Mitglied des Senats vor ihm zu Kreuze kriecht."
"Unsinn", stieß Anakin zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
"Das ist doch nicht die Zeit für Stolz!"
"Das hat mit Stolz nichts zu tun", gab Anakin wütend zurück, "sondern mit Realitätssinn. Der Kerl ist ein Mörder, Senatorin, und mit deinem blauen Blut allein gibt er sich bestimmt nicht zufrieden!"
Er zog sie, die sich schon halb erhoben hatte, wieder herunter und stieß sie zu Boden. Dann rief er:
"Someril! Ich bin bereit, über Bedingungen zu verhandeln!"
Der Staub legte sich etwas. Von draußen drang das Gelächter des neuen Diktators zu ihnen.
"Wenn Ihr uns alle endlich abziehen laßt", fuhr Anakin unbeirrt fort. "behaltet Ihr Euer Leben. Andernfalls sterbt Ihr."
"Sehr komisch", rief Someril. "Ich weiß genauso gut wie du, daß ihr da drinnen nicht mal mehr genügend habt, um eine Tentura-Fliege zu töten. Kommt endlich raus, und ich gönne euch allen einen schnellen Tod. Oder glaubst du etwa", fügte er höhnisch hinzu, "das bißchen, was dir von deinem Jedi-Hokuspokus noch verblieben ist, langt, um uns noch länger abzuhalten?"
"Nein", gab Anakin kalt zurück, und Mon Mothma wollte schon aufstehen, um zu den anderen zu gehen und sie auf ihr Schicksal vorzubereiten. Mit einer Handbewegung drückte er sie wieder zu Boden. "Aber mir ist noch genügend verblieben, um Euch umzubringen, Someril. Nicht Eure Männer. Nur Euch."
Eine kurze Weile herrschte Schweigen, ehe Someril etwas zu selbstsicher und etwas zu laut sagte: "Und wie?"
Anakin erhob sich, sein Lichtschwert in der Hand, das, da es sich aus den Körperenergien des Jedi selbst versorgte, ihre einzige noch funktionierende Energiewaffe war. "Das liegt bei Euch", sagte er, und Mon Mothma, die ihn schon mehrfach aufgebracht erlebt hatte, konnte sich dennoch nie erinnern, ihn je mit einem derart kalten, kontrollierten Zorn reden gehört zu haben.
"Ich könnte die Arterie, die zu Eurem Herz führt, unterbrechen, aber das kommt mir zu leicht für Euch vor. Ein Herzschlag tötet so schnell. Ich könnte vorher Euer Trommelfell zerplatzen lassen und dann für einen zerrissenen Magen sorgen, wenn Ihr mich noch sehr viel länger warten laßt. Beides ist schmerzhaft, aber immer noch nicht gut genug für Euch. Oder - wartet - ich könnte Euch ersticken lassen. Euch langsam die Luft abschnüren. Auf die Art könnt Ihr Euren Tod wirklich miterleben. Man braucht nicht viel Energie dazu, wißt Ihr. Ein Gedanke genügt."
Während der plötzlich eingetretenen Stille draußen hörte Mon Mothma ihre eigenen Atemzüge. Sie schaute zu Anakin. Natürlich bluffte er. Kein Jedi würde die Macht jemals auf diese Weise ein-setzen, es widersprach jedem ihrer ethischen Grundsätze. Aber wußte Someril das?
"Du kämst da trotzdem nicht lebend heraus, Dreckskerl", schrie Someril. "Meine Männer würden dich umbringen."
"Möglich", rief Anakin zurück, und wehrte mit dem Lichtschwert einen Schuß ab, den einer der Soldaten des Diktators mehr probehalber auf ihn abgefeuert hatte. "Aber Ihr wäret trotzdem tot."
"Du bluffst!"
"Tue ich das?" fragte Anakin tonlos zurück. Man hörte draußen einige überraschte Aufschreie. Nun kroch doch so etwas wie Zweifel in Mon Mothma hoch.
"Anakin..." begann sie. Er legte die Hand auf die Lippen. Sie sah die Schweißperlen auf seiner Stirn, und jede Sekunde schien eine Ewigkeit zu dauern. Dann hörte sie wieder die Stimme von Someril, in der sich Wut und Entsetzen mischte. Der Diktator fluchte, aber in diesem Moment wußte sie, daß er sie würde gehen lassen. Trotzdem war sie noch beunruhigt.
"Was hast du getan?" flüsterte sie.
"Ihn vor seinen Männern auf die Knie stürzen lassen", entgegnete Anakin leise, und als er sich gegen eine der Wände, die das frühere Gefecht überstanden hatten, lehnte, erkannte sie, wie erschöpft er wirklich war. "Nicht mehr als das. Was dachtest du denn?" schloß er und lächelte schwach.

 

"Und auf diese Weise rettete Ihr Vater die Delegation und die fünf noch lebenden caledonischen Anführer", schloß Mon Mothma. "Es war das letzte Mal, daß ich ihn sah, und so werde ich ihn in Erinnerung behalten, Commander Skywalker. Sie sollten das auch tun."
Sie nippte wieder an ihrem Becher. Es war ein sanfter, aber unmißverständlicher Hinweis, daß die Audienz beendet war. Luke erhob sich, dankte der Senatorin und ging nicht ruhiger, als er gekommen war. Er hatte gehofft, daß Mon Mothma einen Mann beschreiben würde, der auf gar keinen Fall mit Darth Vader identisch sein konnte, aber das hatte sie nicht getan, und ihr schien überhaupt nicht bewußt zu sein, welche Konsequenzen sich aus ihrer Geschichte ziehen ließen.
Bluff? dachte er. Vielleicht. Vielleicht war es auch der erste Schritt zur dunklen Seite. Nicht zum ersten Mal wünschte er sich, Ben wäre hier, aber es gab nichts, keine Stimme, keine Präsenz, keine Erscheinung, das sich seinem alten Mentor zuordnen ließ. Plötzlich erfaßte ihn tiefe Bitterkeit. Diese Erscheinungen in der Macht waren doch verdammt bequem. Einmal auf dem Todesstern, um seine Zerstörung sicher zu stellen, einmal auf Hoth, um Luke nach Dagobah zu schicken, einmal auf Dagobah, um ihn am Aufbruch zu hindern. Immer voller Anweisungen. Aber in einer Situation, wo er so dringend Antworten statt Anweisungen brauchte, war er alleine.
Gut. Ich werde meine Antworten selbst finden. Alleine.

 

Die einzige andere Person in der Rebellenflotte mit Kenntnissen über Anakin Skywalker, die er hatte finden können, war ein grimmiger alter Techniker namens Robert Estragon, der mit seinem Team an der Reperatur eines Konverters arbeitete. Erst während einer Arbeitspause fand er sich bereit, mit Luke zu sprechen.
"Laß mich eines gleich klarstellen, mein Junge", sagte er mürrisch und begann, die Verpackung einer Feldration aufzureißen, "ich glaube nicht an diesen Quatsch von wegen Über die Toten nur Gutes. Ich mochte Anakin nicht, und Obi-Wan Kenobi auch nicht besonders. Wenn du also nur rührselige Lobsprüche über die lieben Verstorbenen hören willst, verschwinde lieber."
Der Junge, der sich empört hatte, als Han Solo seinen Lehrer ein "altes Fossil" nannte, wäre jetzt in Entrüstung ausgebrochen, aber dieser Junge lag hinter ihm. "Ich will die Wahrheit hören", entgegnete Luke. Estragon grinste unerwarteterweise.
"Gut, dann muß ich gleich noch etwas anderes klarstellen. Irgendwo spreche ich hier natürlich von sauren Trauben."
Luke zog verblüfft eine Augenbraue hoch.
"Als ich in deinem Alter war", erläuterte Robert Estragon, "wäre ich liebend gerne selbst ein Jedi geworden. Aber nein, sämtliche Tests ergaben nicht den mindesten Midichlorian-Anteil in meinen Blut. Außerdem wurde mir mitgeteilt, ich sei viel zu alt. Die Macht war mir verschlossen, und gerade, als ich mich damit abgefunden hatte, kommt mir zu Ohren, daß der Rat im Fall deines Vaters trotz immenser Bedenken eine Ausnahme machen würde. Das spielte natürlich in mein Verhältnis zu den beiden hinein. Aber auch sonst - dein Vater hatte nun mal dieses Problem, Junge. Entweder man mochte ihn, oder man konnte ihn nicht ausstehen. Kalt ließ er niemanden. Ich konnte ihn nicht ausstehen."
Er fing an, an der kondensierten Vitaminstange zu kauen. "Meiner Meinung nach hätte man ihn nie zum Jedi ausbilden dürfen. Der Mann hatte ein Temperament wie ein Pulverfaß." "Wie was?"
"Eine altmodische Zündmixtur." Mit dem Daumen wies Estragon hinter sich. "Jedesmal, wenn ich Anakin traf, fühlte ich mich, als stünde ich neben einem dieser Konverter, die uns die Breen angedreht haben. Sie arbeiten sehr gut, aber irgendwo haben sie alle einen Schaden, und wenn man nicht verdammt aufpaßt, sprengen sie einen eines Tages ins All. Ich machte mal einen Kommentar in der Richtung zu Kenobi, aber der wollte ja nichts hören, obwohl er selbst einmal Bedenken gehabt hatte. Sein Freund, sein Schüler, der letzte Wunsch seines Meisters und so weiter. Das war auch so eine Sache. Einen Schüler aus Schuldgefühlen heraus und wegen sentimentalen Versprechungen gegenüber einem Sterbenden anzunehmen, gegen die Meinung aller anderen, das kann doch nicht gut gehen. Habe ich schon damals gesagt, aber hörte einer auf mich? Nein. Hat mich nicht gewundert, als Lewan mir erzählte, die beiden hätten gestritten. Obwohl, um fair zu sein - Lehrer oder nicht, früher oder später hätte Anakin mit jedem Streit angefangen. Grundgütiger, er bildete sich ja sogar ein, er könnte im Alleingang mit Palpatine fertig werden."
Der Phantomschmerz an seinem Handgelenk wurde stärker. Luke ballte und streckte seine künstliche Hand ein paarmal, um ihn zu überwinden. Er versuchte, zu der Ruhe zu finden, die das Zentrum eines Jedi darstellen sollte. Was er stattdessen empfand, war eine Art elektrischer Erwartung, die ihn wieder an Bespin erinnerte. Er war gekommen, um Leia und Han zu retten, aber was tat er, als er sah, wie Leia von einigen Sturmtrupplern abtransportiert wurde? Folgte er ihr? Nein, denn was er wirklich suchte, wartete an einem anderen Ort. Nicht was... wer.
"Wann fand dieser Streit statt?" fragte Luke abrupt. Estragon zuckte die Achseln.
"Keine Ahnung. Es ist zwanzig Jahre her, und außerdem waren wir alle damals damit beschäfigt, den Untergang der armen alten Republik aufzuhalten. Ich weiß nur, daß Lewan mir sagte, es hätte einen Streit gegeben. Wenn ich darüber nachdenke... es muß mindestens zwei Monate vor Anakins Tod gewesen sein, denn als Kenobi mit dieser Nachricht kam, war Lewan bereits nicht mehr in Torabet, sondern bereits auf Coruscant. Nur noch ein paar andere und ich waren dabei, unseren Stützpunkt in Torabet zu demontieren, als Kenobi dort landete, und ich habe noch nie einen Mann so erledigt wirken gesehen. Gut, ich mochte ihn nicht besonders, aber an dem Tag tat er mir leid, und ich sagte so etwas wie 'Haben Sie sich vor seinem Tod wieder mit ihm versöhnt?' Keine Ahnung, ob er mich gehört hat. Er starrte nur ins Nichts und wiederholte: 'Anakin ist tot. Mein Freund ist tot.' Wenn ich's mir richtig überlege, war das auch das letzte Mal, daß ich Kenobi getroffen habe, ehe er verschwand." Estragon stand auf. "Nichts für ungut, Junge, aber das waren genug Erinnerungen für heute. Ich hab zu tun."
Luke blickte dem Mann nach, der seine Hände an dem Overall rieb, den er trug, und zu dem Converter zurückkehrte, ohne ihn wirklich zu sehen. Sein Verstand teilte ihm mit, daß er hier nur erfahren hatte, daß sein Vater ein Mann mit einem heftigen Naturell gewesen war, und nichts über eine mögliche Identität von Anakin Skywalker und Darth Vader. Aber sein Gefühl sagte ihm etwas ganz anderes.
Erst, als sein Commlink zum wiederholten mal schrillte, bemerkte er, daß er immer noch dort saß, wo Estragon ihn zurückgelassen hatte. Es war Leia, und sie klang besorgt. Heman Pres, der für die Sicherheit der Rebellenflotte zuständig war, wollte ihn sprechen.

 

Heman Pres gehörte zu den Menokern, und seiner federähnlichen Haare hatten sich aufgestellt, als Luke in seine Kabine zurückkehrte, wo der Sicherheitschef auf ihn wartete. Leia stand neben ihm, und Luke warf ihr einen fragenden Blick zu. Er glaubte zwar nicht, daß Lando schon so bald mit Nachrichten über Boba Fett und Han zurückgekehrt war, aber ihm fiel nichts anderes ein, das Leias unglücklichen, angespannten Gesichtsausdruck rechtfertigen konnte.
"Junger Mann", sagte Pres, "ich habe mir inzwischen Ihren und Senatorin Organas Bericht über die Ereignisse auf Bespin angesehen. Und ich stoße da auf einige Unstimmigkeiten."
Er pochte mit zwei Fingern seiner sechsgliedrigen Hand auf den Holokristall, den Leia kurz, nachdem sie zu der Rebellenflotte gestoßen waren, Mon Mothma übergeben hatte. "Zunächst einmal", fuhr Pres fort, "verstehe ich folgendes nicht. Lord Vader versucht alles, um Sie gefangenzunehmen, und zwar lebend gefangenzunehmen. Wenn es sich um Senatorin Organa handeln würde - sie ist eine unserer wichtigsten Führungspersönlichkeiten. Aber, Commander Skywalker, nehmen Sie es mir nicht übel - Sie? Sie verfügen kaum über Kenntnisse, die dem Imperium von Nutzen sein können."
"Ich habe das bereits erklärt", gab Luke ärgerlich zurück. "Es geht nicht um meine Kenntnisse, sondern um mein Potential als Jedi."
Heman Pres schnalzte mit der Zunge. "Schön und gut. Aber die bisherigen Jedi-Ritter hat ihr Potential auch nicht davor bewahrt, eliminiert zu werden. Können Sie mir verraten, warum die imperiale Politik sich geändert haben sollte?"
"Weil das Imperium in Schwierigkeiten steckt", sagte Leia, ehe Luke antworten konnte. "Und sie spüren es. Sie brauchen Verstärkung."
"Mit allem Respekt, Euer Hoheit", entgegnete Pres mit undurchdringlicher Miene, "das klingt zwar sehr tröstlich, aber ich bezweifle es. Mir scheint da eine andere Erklärung näher zu liegen. Commander Skywalker, schildern Sie mir bitte noch einmal Ihre Begegnung mit Lord Vader. Könnte es sein, daß Sie etwas... vergessen haben?"
Er kann es nicht wissen. Es ist unmöglich.
"Wir kämpften, ich verlor, ich sprang. Was gibt es da noch hinzuzufügen?"
"Nun, zum Beispiel, wie Sie Ihre Hand verloren, und wieso er Sie bei dieser Gelegenheit nicht umgebracht hat. Darth Vader steht nicht eben in dem Ruf, geschlagenen Gegnern gegenüber Gnade walten zu lassen. Könnten Sie sich nicht ein wenig genauer erinnern?"
"Er machte mir das Angebot, die Seiten zu wechseln. Ich habe abgelehnt", sagte Luke so gelassen wie möglich und spürte gleichzeitig, wie seine Selbstkontrolle, die er an diesem Tag mühsam genug aufrecht erhalten hatte, anfing, zu zerfallen.
"Noch genauer?"
Genug war genug. Außerdem hatte diese besondere Erinnerung, die alles, wovon er bisher fest überzeugt gewesen war, in frage stellte, eine gewisse schreckliche Intimität, die er nicht bereit war, mit jemandem zu teilen. Es war etwas, das nur ihn und... Darth Vader? Anakin Skywalker?... etwas anging.
"Nein."
"Gut", sagte Heman Pres und steckte den Holokristall in eine seiner Jackentaschen. "Dann werde ich es. Was meinen Sie, wie viele Versuche das Imperium schon gemacht hat, Spione bei uns unterzubringen? Sie sind nicht der erste. Vader hat Sie erpreßt, nicht wahr? Deswegen Ihre Fragen überall. Er hat jemanden aus Ihrer Familie als Geisel. Wie lautet Ihr Auftrag?"
Luke wußte nicht, ob er erzürnt oder erleichtert war. Etwas in ihm fand die Sache obendrein noch komisch. Ein Spion, natürlich, so lautete Pres' Verdacht, das entsprach nur seiner Aufgabe, und er hatte keinen Grund, etwas anderes zu vermuten. Er öffnete den Mund, nicht sicher, ob er protestieren oder lachen wollte, aber wieder kam Leia ihm zuvor.
"Das geht zu weit!" sagte sie hitzig. "Commander Skywalker würde die Rebellion nie verraten. Und seine Familie ist tot, ermordet von imperialen Truppen. Wie können Sie es wagen..."
"Weil das meine Arbeit ist, Euer Hoheit", unterbrach Pres sie nicht unfreundlich. "Und leider eine bitter notwendige Arbeit, angesichts eines Gegners, der vor nichts zurückschreckt. Ihr wißt das doch am besten."
Sie biß sich auf die Lippen. "Ja, aber... Luke, erzähl ihm einfach, was Vader gesagt hat, damit wir diese lächerliche Angelegenheit hinter uns bringen können."
"Es tut mir leid, Leia", antwortete Luke und wünschte sich verzweifelt, etwas anderes sagen zu können. Vielleicht würde er es ihr eines Tages erzählen. Aber nicht jetzt, nicht heute, und nicht vor Heman Pres. "Ich kann nicht."
Er wandte sich an Pres. "Ich schwöre, daß es nichts war, das für die Allianz in irgendeiner Weise von Belang ist. Und er hat mich nicht erpreßt. Sie können mich auf Peilsender untersuchen oder mir ein Wahrheitsserum injizieren, aber..."
Du hast das nicht nötig, flüsterte etwas in ihm. Du hast es nicht nötig, vor diesem Mann zu Kreuze zu kriechen. Laß ihn das tun. Du könntest ihn auf die Knie zwingen, jetzt gleich. Du könntest ihm seinen Atem rauben, nur einige Sekunden lang, nur, damit er sieht, was für ein Glück er hat, dich als Verbündeten zu haben und nicht als Gegner, und endlich mit seinen Fragen aufhört.
"...es würde mir viel bedeuten, wenn Sie stattdessen mein Wort akzeptierten."
Pres schwieg, und die Stille dehnte sich aus. Er dachte an seine toten Zieheltern, an Biggs, der für die Rebellion sein Leben gegeben hatte, an Han, der nun seinetwegen in der Gewalt eines Kopfgeldjägers war, an alles, was er durch Rebellion und Imperium verloren hatte, und Haß wallte in ihm auf.
Tu es. Zeig ihm, was die Macht vermag.
Betritt einmal den dunklen Pfad, und er wird dein Leben bestimmen auf ewig.
Er wurde verraten und ermordet von meinem Schüler Darth Vader.
Ich bin dein Vater.

Die Stimmen der Vergangenheit und der Kampf gegen seine eigene innere Stimme waren so stark, daß er im ersten Moment nicht registrierte, was Heman Pres sagte, als der Sicherheitschef endlich sprach.
"Na schön. Ich akzeptiere es, vorläufig jedenfalls. Aber Sie werden in der nächsten Zeit an keinen Konferenzen teilnehmen und sich von der Planung von Gefechten fernhalten."
"Alles, was ich in der nächsten Zeit planen möchte", erwiderte Luke kühl, "ist die Befreiung Captain Solos."
"Das gilt auch für mich", sagte Leia, und ergriff demonstrativ Lukes Hand, während sie Heman Pres mit einem Blick musterte, der die Oberfläche von Hoth im Vergleich warm wirken ließ. "Solange Commander Skywalker ausgeschlossen wird, solange werden Sie auch auf meine Gegenwart bei Ihren Konferenzen verzichten müssen."

 

Es blieb noch, das zu tun, worum ihn Pres gebeten hatte - die Begegnung mit Vader Schritt für Schritt durchzugehen. Aber allein. Als Leia gegangen war, setzte er sich auf seine Liege, schloß die Augen und überlegte.
Pres hatte recht, Vader hätte ihn töten können. Er hätte ihn auch zurückholen können. Als Luke in den Abgrund sprang, war das ein Akt der Verzweiflung gewesen, das einzige, was ihm zu tun noch übrig blieb, aber nun, wo er darüber nachdenken konnte, erkannte er, daß es eigentlich eine schlechte Methode war, um jemandem zu entkommen, dem die Macht gestattete, Gegenstände aller Arten zu bewegen.
Warum hat er mich nicht zurückgeholt? Ich hätte mich nicht mehr wehren können. Damals nicht mehr.
Seine Erinnerung kehrte noch tiefer zurück, zu dem, was ihn gleichzeitig abgestoßen und gefesselt hatte: Der geistige Kontakt. Anders als bei Yoda. Anders als bei Ben. Auch anders als bei Leia, als ihm gelungen war, sie in seiner Not zu erreichen. War es die dunkle Seite gewesen, die den Kontakt so intensiv gemacht hatte, oder Vader selbst?
Und was genau hatte er gespürt?
Kälte, Rachsucht, Skrupellosigkeit, das war offensichtlich. Außerdem ein brennender Ehrgeiz, der Luke selbst mit einbezog. Darunter - was? Konflikt. Etwas Widersprüchliches. Widerspruch wogegen? Das Gefühl eines Verlustes, nicht direkt bezogen auf Luke, aber mit ihm verknüpft. Einsamkeit. Das vor allem. Einsamkeit.
Unsinn, sagte seine höhnische innere Stimme. Du machst dir etwas vor. Du warst verletzt und halb verrückt, du hast dir etwas eingebildet.
Darth Vader. Anakin Skywalker? War der Mann, der Hans Einfrierung befohlen und für den Tod von unzähligen Rebellen verantwortlich war, der gleiche Mann, der Mon Mothma und die anderen auf Caledonia vor dem sicheren Tod gerettet hatte? War Bens Mörder gleichzeitig der "gute Freund", von dem Ben mit Tränen in den Augen gesprochen hatte?
Darth Vader und Anakin Skywalker. Nicht der Mörder und sein Opfer, sondern zwei Seiten der gleichen Münze. Aber wenn es so war, warum? Wie? Wie war der eine aus dem anderen hervorgegangen?
Ich weiß, wie. Ich habe es selbst gespürt.
Halluzinationen
, widersprach sein gereizter Verstand, und er wußte, daß es noch eine Möglichkeit gab, etwas mehr Gewißheit zu erlangen, eine Möglichkeit, der er die ganze Zeit bewußt aus dem Weg gegangen war.
Er dachte nicht weiter darüber nach, denn sonst hätte er es nicht fertig gebracht. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Verbindung, die auf Bespin entstanden war, suchte - und fand das Bewußtsein, das seines anzog wie ein Magnet.
Luke?
Einen Moment lang erwiderte er die Anrede, dann riß die Verbindung ab. Die Entfernung war zu groß, und er war erleichtert und seltsam niedergeschlagen zugleich. Aber der kurze Moment hatte genügt, um ihm zu zeigen, daß er sich auf Bespin nichts eingebildet hatte. Wer auch immer der Mann war, der sich hinter Darth Vaders Maske verbarg, er war kein einheitliches Geschöpf der Dunkelheit. Es gab einen Konflikt in ihm.
Und wenn in Anakin Vader darauf wartete, geboren zu werden - ist es dann nicht möglich, daß in Vader Anakin immer noch weiterlebt?
Der Gedanke vertrieb etwas von der Düsternis, die sich seit Bespin um ihn gelegt hatte und setzte sich wie ein rasch Wurzeln treibender Keim in ihm fest.
Eines Tages, dachte Luke, und ließ sich zum erstenmal seit langem in den Schlaf treiben, ohne Alpträume zu fürchten. Eines Tages...