SPIEL DER WELT

ein Experimentalstück von BigBlue

 

Das Schicksal hatte beschlossen, wieder einmal mit dem Leben eines Menschen zu spielen. Diesmal traf es Dana Scully. Sie hatte sicher schon mehr gelitten als viele andere Menschen, aber das wurde in dem Spiel sowieso nicht berücksichtigt.

Es war Nacht und regnete fürchterlich; sie fuhr auf den leeren Straßen nach Hause. Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen, einer der vielen in letzter Zeit.

Sie duschte kurz und legte sich dann schlafen.

Der Regen ließ nach und eine friedliche Stille sank hinab.

Doch es war ein trügerischer Frieden.

Denn es war die Nacht, in der Scully durch das Klingeln des Telefons aus einem ihrer schlimmsten Alpträume geweckt werden sollte. Und es war die Nacht, in der sie die Nachricht erhalten sollte, daß ihr Partner lebensbedrohlich verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert wurde.

Es war die Nacht, nach der sie nie wieder richtig glücklich werden sollte.

Neben dem Schicksal mischen aber noch andere Mächte in diesem Spiel mit und so würde es also vielleicht auch völlig anders kommen.

 

***

 

Der Wind peitschte und Wellen türmten sich auf. Über dem tobendem Meer thronte ein unheilverkündender, grauer, wolkenverhangener Himmel. Niesel erfüllte die Luft.

Am ganzen Strand und in der Umgebung war nur eine einzige Person zu sehen.

Es waren Scullys Füße, die durch den nassen, festen Sand gingen.

Sie blieb kurz stehen, strich sich die feuchten Strähnen aus dem Gesicht und schaute auf das Meer hinaus.

Ihre Gedanken wanderten weit in die Ferne.

Sie fühlte sich einsam. Verlassen. Verraten.

Mulder war vor Jahren verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Nicht die kleinste Spur ließ sich sehen. Alles, was er zurückließ, war ein schmerzendes Gefühl der Leere in Scully.

Plötzlich hörte sie das Weinen eines Kindes hinter ihr und hörte, wie ihr Name gerufen wurde. Als sie sich umdrehte, sah sie Emily im Sand sitzen. Sie war fürchterlich blaß und zitterte am ganzen Körper. Ihr Mund formte stumm das Wort "Mama"---

Ring --- ring --- ring ---

Scully schreckte auf. Schweißgebadet saß sie in ihrem Bett.

ring --- ring ---

Sie holte tief Luft, schaltete das Licht an und nahm ab.

 

***

 

Es regnete immer noch. Oder schon wieder. Scully wußte es nicht und es war ihr auch egal. Sie fuhr die leeren Straßen entlang, etwas schneller als es eigentlich erlaubt war. Angst stand in ihren Augen, und ein kleines bißchen Verzweiflung.

"Es sieht sehr ernst aus. Wir wissen nicht, ob er durchkommt. Es ist besser, Sie kommen schnell her."

Eine Träne kullerte ihre Wange hinunter.

Wieso Mulder?

 

***

 

Unsere Erde hat einen Durchmesser von 12 742 Kilometern. Sie ist einer von neun Planeten unseres Sonnensystem, das einen Durchmesser von etwa 12 Milliarden Kilometern hat. Es gibt unzählig viele Sonnen, die –wie unsere- von Planeten umkreist werden. In unserer Galaxis ungefähr 2000 Milliarden. Wenn jede zweite Sonne von durchschnittlich 5 Planeten umkreist werden würde, hätten wir annähernd 5000 Milliarden Planeten im Milchstraßensystem, das aber nur eine unter unzähligen Galaxien ist. Anhand dieser Zahlen kann man sich vielleicht ausmalen, wie viele Lebewesen uns umgeben.

Und in all dieser Masse und der scheinbaren Unendlichkeit, die unsere Galaxie schon besteht und noch bestehen wird, welche Bedeutung hat da schon ein einziges Menschenleben?

 

***

 

Viel, verdammt viel! dachte Scully.

Sie saß an Mulders Bett und betete, daß er diesen Kampf gewinnen würde. Immer und immer wieder sagte sie sich, daß er stark genug sei.

Was sie nicht wußte, war, daß es jetzt weder in ihrer, noch in Mulders, noch in den Händen der Ärzte lag, ob er es überleben würde.

Es waren hohe Mächte wie das Schicksal, die in ihrer Wut ein Spiel der Zerstörung zelebrierten.

Sie kämpften um ihre Macht. Macht über Leben und Tod, über Schöpfung und Zerstörung. Die Welt war ein Spiel für sie, in dem sie selbst die Regeln bestimmen wollten.

Es war nicht 5 vor 12, es war schon längst kurz nach um.

 

***

 

Scully (lächelt): Hey...

Mulder: Scully...

Scully: Ich bin hier. (kurze Pause) Ruh dich aus, du bist gerade erst über den Berg.

Mulder: Es... es tut mir leid.

Scully: Was tut dir leid?

Mulder: Ich hätte nicht dorthin gehen sollen.

Scully: Mulder, es ist OK.

Mulder: Ich hätte dir zumindestens sagen müssen, was ich vorhabe. Dann hättest du mir das ausgeredet.

Scully: Es ist OK. Du mußt dir keine Vorwürfe machen.

Mulder: Es ist nicht OK. Ich wäre fast... gestorben.

Scully schließt kurz die Augen.

Scully: Du bist nicht gestorben.

 

***

 

"Never change a winning team." sagen die Amerikaner. Und so hatte Mulder überlebt.

Aber schon beim nächsten mal konnte alles völlig anders kommen.

Die Spielregeln ändern sich ständig, aufhören tuen sie nie...