Disclaimer: Akte X - Die unheimlichen Fälle des FBI - The X-Files - Dana Scully - Fox William Mulder - u. a. sind Eigentum der Fox Broadcasting und Chris Carter. Die Verwendung erfolgt ohne Erlaubnis und dient keinen kommerziellen Zwecken.Diverse Orte und Person in dieser Geschichte sind frei erfunden - Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder tatsächlichen Orten sind zufällig.
Akte X - Die unheimlichen Fälle des FBI Dunkle Schatten
von Stephanie Raatz
8:30 am, J. Edgar Hoover Building, Washington D. C.
Es war einer dieser Tage, an denen man das Verlangen hatte, gar nicht erst aufzustehen und einen Fuß vor die Tür zu setzen. Der Regen schien niemals aufzuhören und der Besuch bei Skinner war mal wieder äußerst anstrengend gewesen. Mulder hätte niemals geglaubt, daß er schon eine halbe Stunde nach Erscheinen, das Bedürfnis haben würde, wieder zu gehen. "Guten Morgen!"
"Mh."
Scully hatte eindeutig gute Laune (warum auch immer?), die bei Mulder jedoch das Gegenteil bewirkte - seine schlechte Laune sank auf einen Tiefpunkt.
"Habe ich ihnen irgendwas getan?"
"Nein!"
"Mulder?"
"Was?"
"Welche Laus ist ihnen über die Leber gelaufen?"
"Darf man keine schlechte Laune haben?"
"Sie und schlechte Laune? Mal was ganz neues!"
"Auf den Arm nehmen kann ich mich selber!"
Scully legte den Kopf schief und betrachtete ihren Kollegen mit einem amüsierten Lächeln:
"Stell ich mir äußerst schwierig vor."
Er konnte nicht widerstehen, mitzulächeln. Seine Kollegin hatte manchmal eine Art an sich, der er nicht widertehen konnte.
"Also, eine neue X-Akte! Wie schafft es Special-Agent Mulder sich selbst auf den Arm zu nehmen..."
Beide lachten.
"Liegt ein neuer Fall vor?"
"Ach, Scully, seid wann brennen sie darauf, einen neuen Fall der mysteriöse Aspekte enthält zu untersuchen?"
"Passen sie bloß auf, Mulder," zischte sie.
8:35 am, Wellington Kindergarten, Philladelphia
"Miss Moray?"
"Ja, Lisa?"
"Ich muß mal!"
"Okay, Kinder. Ich gehe jetzt mit Lisa zur Toilette. Muß noch jemand?"
Drei Kinderhände schnellten in die Höhe.
"Gut, Andrew, Sarah, Rebecca, ihr kommt mit mir und Lisa. Ihr anderen seid eben schön brav und wartet hier ruhig auf uns."
Ein dutzend Kinder nickten eifrig und verteilten sich im Raum, um sich Spielsachen zusammenzusuchen. Valerie Moray kannte "ihre" Kinder schon seit über einem Jahr und wußte, daß sie sich auf sie verlassen konnte.
Als sie jedoch kurze Zeit darauf wieder in den Spielsaal kam, um ihre vier kleinen Begleiter von der Toilette zurückzuführen, waren ihre übrigen Schützlinge verschwunden...
12:43 pm, J. Edgar Hoover Building, Washington D. C.
Gähnend räckelte sich Mulder in seinem Stuhl und betrachtete Scully beim Arbeiten. Es war wirklich faszinierend. Scully sah einfach immer adrett und gepflegt aus, er konnte tun was er wollte, entweder seine Anzüge sahen zerknittert aus oder er selbst und da half dann nicht einmal mehr der beste Anzug , um seinem Aussehen einen gewißen Stil zu geben.
"Was möchten sie essen, Scully?"
"Wollen sie wieder Chinesisch bestellen?"
"Besser nicht. Wahrscheinlich würde mir der Spruch im Glückskeks, mein Ende prophezeihen."
"Ihr Ende?"
"Was weiß ich, der Tag wäre danach."
"Dann lesen sie halt ihren Glückskeksspruch nicht."
"Ach, nein, ich könnte dann einfach nicht widerstehen."
Ein Seufzer erklang aus Scully´s Richtung, doch er wußte instinktiv, daß sie diesmal keinen ihrer so typisch abschätzend-ironischen Blicke aufgelegt hatte. Sie lächelte. Er wußte es, obwohl er es nicht sehen konnte. Eine Eigenschaft in ihrer Partnerschaft, die er durchaus zu schätzen wußte.
"Wie wärs, wenn wir beide Essengehen würden?"
"Essengehen?"
"Essengehen!"
"Richtig Essengehen? Ich mit ihnen? Wir beide?"
"Sicher."
"Wohin?"
"Ich kenn da eine super Imbiss..."
Scully brach in schallendes Gelächter aus. Das war ja so typisch für Mulder.
1:00 pm, Frank´s Diner, Washington D. C.
"Darf ich sie mal was wirklich persönliches Fragen, Scully?"
Erstaunt blickte sie von ihrem Essen auf. Solche Fragen gab es eigentlich nie zwischen ihnen. Was wollte Mulder wissen und warum?
"Nur zu."
"Haben sie eigentlich einen Freund?"
"Was?"
"Naja, ist ihnen eigentlich klar, daß wir bereits seit vielen Jahren zusammenarbeiten - sehr eng zusammenarbeiten - und dennoch nichts voneinander wissen?"
"Mulder, ich kenne ihre Familie, weiß über ihre Schicksale bescheid und sie wissen alles über meine Familie..."
"Aber was wissen sie über mich oder ich über sie?"
Sie geriet ins Stocken. Tatsächlich wußte sie über Mulder´s Vergangenheit nur wenig, wenn überhaupt etwas. Sie hatte an seinem jetzigen Leben teil - nicht nur beruflich - sie waren Freunde geworden, auf eine eigenartige Weise waren sie tatsächlich Freunde, dennoch wußte er weder über ihr Privatleben bescheid, noch hatte er seines preisgegeben.Es war vielleicht auch besser so.
"Wir wissen genug übereinander."
"Finden sie?"
Er stützte sich auf dem Tisch ab und beugte sich vor, so daß sein Gesicht dem von Scully erheblich näher kam. Sie schreckte nicht zurück, empfand dennoch ein gewisses Unbehagen, wie sie es immer verspürte, wenn er ihr näher kam. Sie mochte Mulder wirklich, sie wußte, sie konnte sich immer auf ihn verlassen. Sie wußte allerdings auch, daß ihre Gefühle für Mulder eventuell noch ein wenig weiter gehen würden, wenn sie es zulassen würde, und das bereitete ihr sehr viel Unbehagen.
"Ach verflixt, man ist ja nicht mal mehr beim Essen sicher!"
Mulder griff fluchend in seine Manteltasche und holte sein Handy vor. Scully blickte ihn einen Augenblick erschrocken an; sie hatte das Klingeln gar nicht gehört.
6:00 pm, Philladelphia
Aufmerksam betrachtete Scully die Unterlagen, während ihr Partner angestrengt die Straße im Auge behielt.
"Ich weiß wirklich nicht, was wir hier sollen. Ein paar Kinder sind verschwunden - vielleicht eine Entführung. Wo soll das eine X-Akte sein?"
"Ich weiß nicht, aber 12 verschwundene Kinder? Auf einen Schlag? Da stimmt doch was nicht, und warum sollte jemand 12 Kinder entführen?"
"Geldgier?"
"Mulder, bitte!"
"Seid wann vertreten wir eigentlich die Ansichten des Anderen? Sie glauben an ein Phänomen, ich nicht..."
"Wie mysteriös!" feixte sie und richtete ihren Blick aus dem Fenster.
Es regnete in Strömen und die Sicht war miserabel. Scully erinnerte sich an ihren ersten gemeinsamen Fall. Mulder war plötzlich angehalten und hatte ein riesiges "X" auf die Straße gesprüht. Damals hatte sie ihn für einen paranoiden Verrückten gehalten, jetzt jedoch hielt sie ihn für jemanden mit einer faszinierenden Gabe für das Unmögliche. Er entschied aus dem Gefühl heraus - sie stellte sich den Fragen wissenschaftlich, eine explosive und dennoch effektive Partnerschaft mit einer Vertrauensbasis, die wohlmöglich über den Tod hianusgehen würde, würde sie an soetwas glauben. Hätten die Mächtigen damals gewußt, daß sie ein wirkungsvoller und hartnäckiger Teil von Mulder werden würde, hätte man sie gar nicht erst mit ihm zusammengebracht. Er hatte glauben wollen und sie war ihm gefolgt.
Sie hatte Dinge zwischen Himmel und Erde gesehen, die sie nie zu sehen gewagt hätte. Sie konnte sich zwar noch nicht dazu überwinden, ihre wissenschaftlichen Aspekte aufzugeben, aber sie war manchmal nicht weit davon entfernt.
"Wir sind da."
Sie hatten den Kindergarten erreicht. Es schien wie ein ganz normales Gebäude, dennoch verspürte sie eine eindeutige Abneigung.
"Wollen wir?"'
"Ich glaube, es ist niemand mehr hier."
"Wir könnten uns trotzdem einmal umsehen oder sind sie Wasserscheu?"
Er erntete einen ihrer patentierten Blicke:
"Gehen wir!"
8:00 am, Wellington Kindergarten, Philladelphia
"Scully, sie sehen einigermaßen aufgeweicht aus - haben sie die Nacht im Goldfischglas verbracht? Oder war der Regen gesternabend zuviel? - Ich hatte ja nicht geahnt, daß sie aus Zucker sind..." Ein leicht schadenfrohes Grinsen lag auf Mulder´s Lippen, während er seine Partnerin begutachtete.
"Halten sie bloß den Mund!" zischte sie und steckte ihre - tatsächlich ziemlich aufgeweichten Finger - in ihre Manteltaschen. Als sie am Vorabend gegen 11:00 pm in die Wanne gestiegen war, hatte die Müdigkeit sie überrascht und erst ganze 5 Stunden später, als sie drohte sich gänzlich aufzulösen, war sie erschrocken wieder erwacht. Gut, daß Mulder nur ihre Hände sehen konnte...
Ihre Gedanken wurden wieder in eine ganz andere Richtung gelenkt, als eine attraktive Blondine auf sie zukam.
"Miss Moray?"
"Sie müssen vom FBI sein."
"Agent Fox Mulder und das ist meine Partnerin Agent Dana Scully."
Ihre Augen deuteten auf eine klaren, scharfsinnigen Verstand hin. Nichts, was Scully dazu veranlaßt hätte an dem zu zweifeln, was die Frau zu erzählen begann:
"Schön, daß sie hier sind. Ich hatte schon befürchtet, man würde meine Vermutungen als Hirngespinst abtun."
"Was ist ihrer Ansicht nach denn passiert?"
Sie folgten Miss Moray den Gang entlang und zu dem Raum, aus dem die Kinder verschwunden waren:
"Ich kann nicht so ganz begreifen, was genau geschehen ist. Sicher ist nur, daß die Kinder verschwunden waren, als ich wieder kam, aber trotzdem spürte und nahm ein Teil meines Verstandes sie wahr. So als ob ich Geister sehen würde..."
Scully und Mulder sahen sich an.
"Sehen sie selbst!"
Sie öffnete die Tür und ließ die beiden den Raum betreten.
"Mulder!"
Scully machte entsetzt einen Schritt rückwärts und prallte gegen ihren Partner.
"Ich sehe es, Scully, ich sehe es!"
Sie sahen es. Dunkle Schatten tanzten an den Wänden - dunkle Schatten, die wie Kinder aussahen...
6:39 pm, Manson Hotel, Philadelphia
"Kommen Sie rein, Scully!"
Vorsichtig spähte sie hinter der Tür vor. Es roch verdächtig intensiv nach After Shave und Mulder´s Stimme tönte aus dem Bad.
"Störe ich sie bei irgendwas?"
"Nein, nein..."
Er kam aus dem Bad und holte seine Lederjacke aus dem Schrank. Plötzlich wurde Scully einiges klar:
"Sie gehen aus?"
"Mh."
"Mit Miss Moray, nehme ich an."
"Valerie hat mich gefragt..."
"Valerie?"
Irgendwie störte es sie, daß er mit der Kindergärtnerin ausging.
"Warum wollten sie mich sprechen?"
Grimmig, weil er vom Thema abwich, begann sie ihre Nachforschungen darzulegen:
"Wir haben ja beide diese merkwürdigen Schatten gesehen, also habe ich mal im Archiv der Zeitung nachgeforscht, ob es ähnliche Vorkommnisse in der Vergangenheit gab, die mit diesem Gebäude zusammenhingen..."
"Und?"
"1948 und 1958 verschwanden hier in der Nähe mehrere Kinder, die in einem Waisenhaus untergebracht waren..."
"Der Wellington Kindergarten!"stellte Mulder nüchtern fest.
"Damals das Hohlbrock Heim für elternlose Kinder."
"Dieses Phänomen trat alle 10 Jahre auf?"
"Nicht ganz. 1948, 1958, aber von 1965 an stand das Haus leer. Ob Obdachlose, die dort Unterschlupf suchten, verschwanden, ist leider nicht archiviert - es wäre wahrscheinlich auch nicht aufgefallen. Das gestrige Verschwinden der Kinder war nach dem Neubezug und der Renovierung vor 4 Jahren das erste Phänomen dieser Art."
"Haben sie schon herausfinden können, ob die verschwundenen Kinder wieder aufgetaucht sind?"
"Bisher..."
"Fox, bist du hier?" Ein blonder Schopf lugte durch die Zimmertür und hielt nach Mulder Ausschau.
"Valerie..."
Scully beobachtete das Gebärden der beiden aufmerksam - seit wann mochte er es, wenn man Fox sagte?
Als er Valerie Moray einen Kuß auf die Wange gab, spürte Scully eine intensive Abneigung gegen diese Frau, die sich in ein eigenartiges Triumphgefühl verwandelte, als er Valerie erklärte, er habe keine Zeit.
"Ich muß leider absagen, Valerie."
"Ach nein," seufzte sie und setzte einen süßen, unschuldigen Schmollmund auf, der nach Scully´s Ansicht durchaus nicht unschuldig aussah.
Scully kochte innerlich.
"Tut mir leid, die Arbeit ruft."
Mulder spürte die Anspannung seiner Partnerin und wußte nicht so genau, ob er wütend oder erfreut sein sollte. Valerie Moray war eine Frau mit offensichtlichen Reizen, seine Partnerin hatte sein Herz jedoch im Sturm erobert. Ihr brillianter Verstand, ihr außergewöhnlicher Mut und ihre doch so deutliche Verletzbarkeit hatten schon seit ihrem ersten Fall eine unbeschreibliche Faszination auf ihn ausgestrahlt. Wenn da nur nicht diese ständigen Zweifel bezüglich ihrer Loyalität gewesen wären...
Valerie Moray verließ das Zimmer - Scully hätte vor Freude laut jubeln können, aber eigentlich wußte sie gar nicht so genau warum.
"So, liebste Kollegin," er faßte ihren Arm und sah sie bedeutend an: "Dann gehen wir eben Essen!"
"Essen?"
"Essen beim Italiener und dazu ein Arbeitsgespräch als Nachtisch - schließlich hatte ich für heute abend reserviert."
"Aber sie hätten doch ruhig mit Miss Moray essengehen können!?"
Er lächelte verschmitzt:
"Aber ihnen hatte ich es doch schon länger versprochen..."
10:46 pm, Manson Hotel, Phildelphia
Die beiden Agenten saßen noch bis spät in die Nacht über den Akten und forschten nach ähnlichen Gegebenheiten in der Vergangenheit sowie deren Ursachen.
Scully fühlte sich erschöpft und ausgelaugt. Es wirkte unglaublich, daß bei beiden Phänomenen um die 30 Kinder verschwunden waren, aber niemals eine Vermißtenanzeige erfolgt war.
Wußten die damaligen Bewohner der Gegend mehr, als sie laut Zeitungs- und Polizeiberichten zugeben wollten?
Scully lehnte sich mit dem Rücken gegen den einzigen Sessel im Raum und betrachtete Mulder:
"Vielleicht sollten wir für heute aufhören."
"Vermutlich."
Er rutsche zu ihr hinüber und lehnte sich neben ihr gegen den Sessel.
"Was haben wir bisher rausbekommen?"
"Nicht ausreichend."
"Aber genug, um eine Entführung auszuschließen."
"Eine normale Entführung," ergänzte Mulder und blickte in das blasse Gesicht seiner Kollegin.
Ihre Augen waren leicht verschleiert, ihr Mund war zu einem müden Lächeln verzogen - sie war zu müde um Widerstand zu leisten.
Er fühlte sich in Versuchung.
Scully ahnte seine Gedanken und sah es auf seinem Gesicht. Er spürte diese Anziehung, diese Spannung zwischen ihnen.
Mulder´s Blick war weich und in einer eigenartigen Weise zärtlich. Scully hatte sich noch nie so wohl und erwartungsfreudig sowie gleichzeitig geängstigt und voller Unbehagen gefühlt.
Sie waren sich emotional sowie körperlich mal wieder so nah und dennoch, keiner vermochte den entscheidenen Schritt zu wagen.
Mit plötzlichem Schwung rutschte der Sessel unter dem Gewicht der zwei Personen nach hinten weg. Mulder und Scully landeten unvorbereitet auf dem Rücken und sahen sich verdutzt an.
"Wir hätten uns eine andere Rückenlehne suchen sollen."
"Ich glaube, das war der Wink mit dem Zaunpfahl."
"Dem was?"
"Ich denke, das war das Zeichen dafür, daß wir endlich Schluß machen sollten."
"Mh."
Scully´s Stimme war sehr leise und Mulder Blick bestätigte, daß sie fast eingeschlafen war. Da auch er sich kaum noch wach halten konnte, seufzte er lediglich und ließ auch sich vom Schlaf übermannen.
Es war etwa 5:00 am in der früh, als Mulder erwachte. Im ersten Augenblick war ihm noch nicht so klar, wo er sich genau befand. Alles was er spürte war sein Rücken und dessen Muskeln, die sich über die harte Lage beschwerten. Aber im selben Augenblick spürte er auch den kleinen warmen Körper an seiner Seite - Scully!
Er hob seinen Kopf ein wenig, um sie besser sehen zu können. Ihr Arm war um seine Hüfte geschwungen, ihr Kopf ruhte auf seinem Bauch und auch ansonsten hatte sie sich innig an ihn geschmiegt.
Schade, daß sie schlief, dachte Mulder und ließ sich wieder zurückgleiten.
Vorsichtig strich er mit seiner freien Hand über ihre Haare. Er versuchte so vorsichtig, wie möglich zu sein, damit er sie nicht aufweckte, aber er mußte sie einfach berühren. Sie murmelte leise etwas vor sich hin, was fast wie Mulder klang. Seufzend schloß er wieder die Augen, den Augenblick genießend. Wenn es doch nur nie wieder Tag werden würde...Als Mulder zum zweitenmal an diesem Morgen erwachte, empfing ihn dieser unverkennbare Kaffeeduft, wie immer, wenn Scully die Kaffeemaschine in Beschlag nahm.
"Morgen Mulder, haben sie einigermaßen schlafen können?"
"Es ging. Aber ich hatte ja nette Gesellschaft."
Scully drehte ihm den Rücken zu und goß etwas Kaffee in einen Becher für ihren Partner. Ein süßes Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie konnte sich sehr gut daran erinnern, letzte Nacht einen wunderbaren Traum gehabt zu haben.
"Haben sie schön geträumt?"
"Wieso?"
Scully spürte sich ertappt und vermochte die aufsteigende Röte in ihrem Gesicht zu fühlen.
"Sie haben so süß gebrabbelt."
"Gebrabbelt?"
"Ja, völlig unverständliches Zeug. Nur einmal glaubte ich meinen Namen herausgehört zu haben."
"Ihren Namen?"
"Ja."
Sie schluckte bevor sie wieder einen Ton herausbrachte:
"Und sonst?"
"Unverständlich, sagte ich doch."
Erleichtert reichte sie ihm eine Tasse, vermochte jedoch nicht darüber hinweg kommen, daß sie seinen Namen im Schlaf hatte ausgesprochen.
Er lächelte sie vielwissend an, wobei er ihr erneut das Gefühl gab, nicht alles erzählt zu haben.
Sie war am Morgen in seinen Armen aufgewacht, ihren Kopf an seine Brust gelehnt, ein Bein über seines halb geschwungen, hatte sich dabei furchtbar erschrocken, war aber als sie merkte, das Mulder noch schlief, ein paar Minuten länger in seeliger Zufriedenheit liegen geblieben.
Jetzt befürchtete sie, daß er doch nicht so fest geschlafen hatte, wie sie geglaubt hatte.
Wie um vom Thema abzulenken, begann er plötzlich mit ihr über den Fall zu sprechen. Scully war skeptisch - was wußte er?
Mulder lenkte absichtlich vom Thema ab. Es war ihr eindeutig unangenehm, auch ihm hätte es so ergehen sollen, aber er fühlte sich gut dabei - so gut, wie noch nie in seinem Leben.
11:38 am, Philadelphia
"Langsam komme ich mir ziemlich veralbert vor!"
Mulder steckte seine Hände zerknirscht in seine Manteltaschen. Es war kalt, es war naß und es war frustrierend. Bereits die vierte Familie hatte sie jetzt abgewiesen und sich auf unwissend gestellt, dennoch hatten Mulder und Scully die Angst in den Augen der Angehörigen gesehen.
"Was wird uns verheimlicht?"
"Wenn ich das nur wüßte. Es ist doch wirklich unfaßbar, wie verbohrt diese Menschen sind!"
"Haben sie die Angst in deren Augen gesehen? Die wissen ganz genau, was hier geschieht!"
"Glauben sie, Scully, daß jemals eines der Kinder wieder aufgetaucht ist?"
"Ich denke nicht."
"Sollten wir im Stadtarchiv etwas übersehen haben?"
"Vielleicht hätten wir in der Zeit noch weiter zurück gehen sollen - vor dem Hausbau?!"
"Dann werden wir das schnellstens nachholen!"
3:06 pm, Stadtarchiv, Philadelphia
Scully fürchtete bereits zu keinem Ergebnis zu kommen, da fiel ihr ein alter Zeitungsartikel in die Hände, der sie stutzig werden ließ.
"Mulder? Mulder, kommen sie mal her!"
Erstaunt blickte er hinter einem Regal hervor:
"Sagen sie bloß, sie haben etwas gefunden!?"
"Ich weiß nicht... kommen sie doch mal her und sehen sich diesen Artikel an."
Mulder ergriff das vergilbte Stück Zeitung und legte es vor sich auf den Tisch. Fast schon in den Artikel vertieft, zog er seine Brille aus der Jackentasche, um sie aufzusetzen.
Scully lächelte. Seit ihrem ersten Treffen mit Mulder hatte sie diese Brille nicht mehr oft an ihm gesehen. Vielleicht war es seine Eitelkeit, vielleicht aber nur seine angeborene Vergeßlichkeit in Bezug auf solch 'unwichtige' Dinge. Diese Brille schien Mulder´s Genialität zum Ausdruck zu bringen und vielleicht trug er sie deshalb so selten.
"Dieser Artikel ist von 1932."
"Lesen sie den Teil mit der Kirche."
Wieder herrschte einen Augenblick Schweigen, dann sah er erstaunt auf:
"Das ist es also!"
"Ich weiß nicht, ob wir da richtig liegen, aber auf jeden Fall sollten wir der Sache nachgehen!"
Mulder nickte fasziniert.
Zwischen 1932 und 1936 versuchten Architekten auf dem Gelände des heutigen Wellington Kindergarten eine Kirche zu erbauen, die jedoch in mehreren Versuchen in sich zusammen stürzte. Als man das Fundament verstärken wollte, fand man alte Gänge, Ruinen und Skulpturen, die von einer alten Kultstätte zeugten. Von welcher Kultur diese jedoch stammte, konnte nie geklärt werden.
"Vielleicht ja Außerirdische, nicht wahr Mulder?" witzelte Scully.
"Passen sie auf, was sie sagen, es könnte wahr sein!" entgegnete Mulder und nahm zu seinem Vergnügen wahr, daß sich Scully´s Grinsen langsam verzog.
"Meinen Sie, daß unter dem Kindergarten noch immer diese Überreste einer vergessenen Kultur begraben liegen?"
'Geschickt abgelenkt', dachte Mulder: "Vermutlich. Ich denke es besteht durchaus ein Zusammenhang zwischen dieser Kultstätte und dem Verschwinden der Kinder. Obwohl es ja eigentlich kein richtiges Verschwinden ist."
"Es ist eigenartig, sie sind weg, aber eigentlich sind sie auch noch da. Ob sie uns verstehen können?"
Scully sah ihn fragend an.
4:24 pm, Wellington Kindergarten, Philadelphia
Langsam glaubte Mulder wieder an eine Verschwörung. Noch nie hatte er so viel Ablehnung und Angst verspürt, wie in diesen zwei Tagen, die sie jetzt schon mit dem Fall verbrachten. Selbst Scully, die zum Thema Verschwörungen immer einen herablassenden Spruch auf den Lippen hatte, hatte ihm schon ihre Bedenken in dieser Richtung anvertraut.
Es war nicht zu übersehen, daß die Gemeinde um den Wellington Kindergarten kein Interesse an der Aufklärung hatte. Miss Moray stand mit ihren Ängsten und Vermutungen völlig allein da. Und obwohl sie sich in Philadelphia befanden (einer ja nun nicht allzu kleinen Stadt), schien diese Gemeinde sich von der restlichen Masse zu isolieren.
Mulder und Scully hatten die Kindergärtner, die Lehrer, die Kindergartenleitung und sogar den Hausmeister befragt, gebeten, ihr Schweigen zu brechen, damit den Kindern geholfen werden konnte und hatten dennoch nur Schulternzucken und Verachtung erhalten.
Hatten die Menschen in dieser Gemeinde etwas mit diesem Verschwinden zu tun? War der Kult - was immer es auch war - immer noch am Leben und wurde hier praktiziert?
Oder gab es tatsächlich eine andere, noch weitaus erschreckendere Erklärung?
Eine Erklärung, die Mulder fast schon mit einer Selbstverständlichkeit erwartete, die Scully Angst einjagte und zu tiefst erschütterte.Als die beiden den Raum mit den Erscheinungen noch einmal betreten wollten, wurde ihnen der Zugang verwehrt.
"Das kann doch nicht ihr Ernst sein!" schimpfte Mulder.
"Ich kann sie hier nicht reinlassen! Ich habe Anweisungen."
"Hören sie zu, guter Mann, wir sind vom FBI und wir haben die Befugnis..."
"Nein, ich darf sie hier nicht reinlassen!"
Scully griff nach Mulders Arm, um ihn zu beruhigen.Er wurde augenblicklich ruhiger, wenn auch nicht entspannter und ließ den Hausmeister seines Weges ziehen.
Sie wandten sich zum Gehen, als Miss Moray sich ihnen näherte.
"Fox..."
"Valerie."
Er war kurz angebunden und wollte gleich weitergehen, aber sie ließ ihn nicht.
"Fox, warum hast du dich noch nicht gemeldet?"
"Ich habe zu tun, Valerie."
"Sehen wir uns heute abend? Zum Essen?"
"Mal sehen."
Er kehrte ihr den Rücken zu und folgte seiner Partnerin.
Scully lächelte heimlich.
Sie ließ sich die Tür von ihrem Partner öffnen und stieg in den blauen Ford.
"Sie waren ein wenig gemein."
"So?"
Sie wechselte das Thema. Mulder schien es unangenehm zu sein, über Valerie Moray zu sprechen.
"Was nun? Legen wir den Fall zu den Akten?"
"Nein, erst werden wir heute Nacht eine kleine Expedition machen."
Sie nickte und hatte das untrügliche Gefühl, daß er mit seinem Instinkt richtig lag.
11:30 pm, Wellington Kindergarten, Philadelphia
Es war wieder am regnen. Irgendwie war das vorhersehbar gewesen. Sully seufzte.
Mulder Taschenlampe flackerte vor ihr auf und markierte seinen Weg. Nicht mehr ganz so motiviert wie am Nachmittag, folgte sie seinem Schatten.
Ihre Füße versanken im Matsch, ihre Jacke war bereits durchnäßt und ihre Schuhe...
Sie wollte nicht weiter darüber nachdenken.
Mulder stoppte einige Meter vor ihr und stocherte mit einem kleinen Spaten, den er zur Sicherheit mitgenommen hatte, in der Erde.
"Scully?"
Sie ging mit zügigen Schritten auf ihn zu und sah sich Mulder´s Aktivitäten an.
"Meinen sie, hier wären noch Relikte zu finden?"
"Vielleicht, wenn man im Keller des Gebäudes graben würde - aber hier?!"
Er deutete mit seiner Taschenlampe auf die Stelle, an der er mit dem Spaten gestochert hatte.
"Und das hier?"
Scully betrachtete die kleine Figur im Sand und fühlte sich von Mulder über den Tisch gezogen. Er hatte gewußt, daß er hier etwas zu finden war und dennoch hatte er sie nach ihrer Ansicht gefragt, vorausschauend, daß sie falsch liegen würde. Wut stieg in ihr auf:
"Wenn sie mich provozieren wollen..."
"Dann hab ich es geschafft, stimmts?" vollendete er ihren Satz und ging in die Hocke, um sich die Figur genauer zu betrachten.
"Ja, das haben sie! Und nun sagen sie mir, was das sollte!"
"Sie rennen hier halbwegs lethargisch durch die Gegend. Scully! Wir haben eine Fall aufzuklären! Was ist mit ihnen los?"
"Gar nichts!"
"Weil ich mit heute Abend Valerie Moray ausgegangen bin?"
"Bitte! Was bilden sie sich eigentlich ein?"
Scully ignorierte seinen forschenden Blick, beugte sich hinunter zu ihm und ergriff die Figur, um sie genauer zu betrachten. Natürlich reagierte sie deshalb so - und nur deshalb!
"Scully?"
Ihr Blick wurde nachdenklich. Sie drehte die Figur in ihren Händen. Irgendwas kam ihr an dieser Figur vertraut vor. Sehr vertraut sogar.
"Woher kenne ich diese Figur?"
"Sie kennen sie?"
"Ja, sehen sie doch nur genau hin. Sie müßte ihnen auch bekannt vorkommen."
Mulder intensivierte seinen Blick, kramte in seinem Gedächtnis, verzweifelt eine Erinnerung hervorfischend, die es scheinbar nicht gab.
"Tut mir leid, ich habe keine Ahnung!"
Sie hielt sie ihm unter die Nase, damit er noch genauer hinsehen konnte.
"Könnte ein Abbild von..."
"Von einem der Kinder sein!" ergänzte Scully sichtlich ungeduldig.
"Ist ihnen das denn nicht aufgefallen?"
"Scully, ich habe ehrlich gesagt an einen unserer alten Fälle gedacht."
"Wo das Offensichtliche ja doch so nah liegt."
Er murmelte irgendein Schimpfwort, machte ein paar Schritte Richtung Haus, um dort im Boden nach weiteren Figuren oder anderen Relikten zu suchen. Scully folgte ihm.
"Ich bin naß, hundemüde und nicht mehr zum Denken fähig, Mulder!"
"Ich habe doch nur gefragt, ob es möglich wäre..."
Sie drehte sich ihm zu, betrachtete leicht amüsiert die kleine Pfütze, die sich an seinen Füssen bildete und den Hotelflur durchnäßte, legte ihren 'bösen' Blick auf und seufzte:
"Mulder!... Alles wäre momentan möglich, aber lassen sie mich damit bis morgen zu frieden, okay?"
Er nickte resigniert und betrat sein Zimmer. Es war bereits nach 2:00 am früh und er war sich sicher, wie ein Stein ins Bett fallen und schlafen zu können. Scully hatte ja Recht. Es war zu spät. Sie würden morgen darüber reden.
...es dämmerte bereits, als es an Mulders Tür klopfte.Müde schleppte er sich aus dem Bett, um zu öffnen. Eigentlich hatte er ja sowieso noch nicht geschlafen.
Er sah nicht schlecht erstaunt aus, als er seinen frühmorgentlichen Gast sah: "Scully?"
"Mir läßt das Ganze einfach keine Ruhe, Mulder."'
Verdutzt sah er sie an.
"Darf ich reinkommen?"
Erst jetzt bemerkte er, daß er noch immer mit offenem Mund da stand. Er mußte ein wirklich komisches Bild abgeben. Mit einer einladenden Handbewegung forderte er sie zum Eintreten auf. Sie steuerte zielstrebig auf sein Bett zu und setzte sich. Sie sah blaß aus - Mulder sorgte sich.
"Scully, was...?"
"Ich habe das Gefühl, daß wir diesen Fall nicht lösen sollten."
Er setzte sich ihr gegenüber in den Sessel und betrachtete sie mit Sorgenfalten im Gesicht.
"Scully, solche Worte kenne ich ja überhaupt nicht von ihnen."
Scully seufzte, ihr Partner hatte ja recht. Aber irgendwie wurde sie das dumme Gefühl nicht los, daß es besser wäre, hier zu verschwinden.
"Wenn ich ihnen jetzt sagen würde, es ist ein Gefühl...?"
Mulder wurde nachdenklich. Eigentlich war es nicht ihre Art.
"Ach, vergessen sie es einfach!"
Sie spürte seine Zweifel, seine Skepsis. Nein, sie mußte hier raus. Wie war sie nur auf die Idee gekommen, Mulder würde sie verstehen? Er war vieles, Freund, Vertrauter, loyaler Partner, aber sie verlangte vielleicht zu viel von ihm.
Er nahm halbwegs erschrocken zur Kenntnis, daß sie gehen wollte. Das konnte er nicht zulassen. Er spürte, daß sie ihn jetzt brauchte und er wollte für sie da sein.
"Scully, warten sie."
Er ergriff ihren Arm und stoppte sie auf dem Gang zur Tür. Sie sah ihn fragend an.
"Ich will es aber nicht vergessen."
Er sah den erstaunten und ungläubigen Ausdruck in ihren Augen.
Dann spürte er plötzlich ihren kleinen warmen Körper an seinem, ihr Kopf an seine Brust gelehnt, ihre Arme um seine Hüften geschlungen.
"Danke Mulder!"
Er umschloß sie ebenfalls mit seinen Armen, zog sie fest an sich und versuchte ihr seine ganze Stärke zu geben. So standen sie eine Weile zusammen und gaben sich die Geborgenheit, die sie sonst nirgends bekamen.
Er küßte Scully auf die Stirn.
"Wir schaffen das schon, so wie wir das immer geschafft haben, nicht wahr Partner?"
Sie seufzte innerlich. Ja, so wie sie es immer geschafft hatten, doch das flaue Gefühl im Magen wich nicht. Jedoch statt weiterhin darauf einzugehen, zog sie es vor, sich lieber weiterhin dem Trost von Mulder´s starken Armen hinzugeben. Sie wußte, vielleicht verstand er sie nicht, aber er war immer für sie da und sollte sie den Wunsch äußern, den Fall aufzugeben und zu gehen, würde er mit ihr gehen, würde er ihr beiseite stehen, doch das wollte sie nicht. Sie würden diesen Fall lösen, irgendwie, und sie würde bis zum Ende dabei bleiben, egal was ihre Gefühle ihr rieten.
Es dauerte eine Weile bis sie sich aus ihrer Umarmung lösten, doch Scully hatte noch nicht das Bedürfnis zu gehen. Sie wollte vielmehr bei ihm bleiben und die Geborgenheit und die Sicherheit, die sie bei ihm verspürte noch einen Augenblick länger genießen, hatte aber keine Ahnung, wie sie dieses bewerkstelligen sollte.
"Scully, bleiben sie doch hier, die Nacht ist so oder so gleich vorbei. Wir können dann noch ein Weilchen plaudern." Mulder kam ihr zuvor.
"Plaudern? Worüber? Über unseren Fall?"
"Wenn sie möchten? Wir können natürlich aber auch über andere Dinge reden."
"Welche 'anderen Dinge' schweben ihnen denn vor?"
Mulder setzte sein verschmitztes Lächeln auf, dem sie natürlich nicht widerstehen konnte. Sie lächelte zurück, doch ihre Frage war noch unbeantwortet:
"Welche 'anderen Dinge', Mulder?"
"Na, solche anderen Dinge eben... Wie Privates zum Beispiel."
Scully seufzte, mit was hätte sie sonst rechnen sollen. Mit dem Thema Außerirdische? - Nein! Das war kein 'anderes Thema', das war 'DAS Thema'.
Sie setzte sich zu ihm auf´s Bett und lächelte gequält. Vielleicht war es ja an der Zeit, mal über Privates zu reden, vielleicht gerade jetzt.
"Na, dann legen sie mal los, Mulder. Womit wollen wir denn anfangen?"
07:00 am, Manson Hotel, Philladelphia
Verschlafen öffnete Scully die Augen, als sie es an der Tür klopfen hörte. Im ersten Augenblick wußte sie nicht, wo sie sich befand. Schließlich klärten sich ihre Gedanken und sie erinnerte sich in Mulders Zimmer zu sein. Und nicht nur das! Sie befand sich in Mulder´s Bett, zugedeckt mit seiner Decke. Als sie die Decke anhob, registrierte sie, daß sie ein T-Shirt von ihm trug. Da sie sich nicht selbst aus- und angezogen hatte, blieb nur noch Mulder für diese Aufgabe übrig. Merkwürdigerweise empfand sie über diese Situation keine Scham.
Ein weiteres Klopfen ließ sie aufhorchen. Wo steckte eigentlich Mulder? Sie hatte sich erstaunlicherweise noch keine Gedanken darüber gemacht. Während sie sich umdrehte, stieß sie mit ihrem Arm gegen eine Schulter - Mulder!
Entsetzt richtete sie sich auf - was war letzte Nacht geschehen? War überhaupt etwas geschehen?
Neugierig lugte sie unter die Bettdecke und nahm erleichtert wahr, daß er seine Jeans trug. Es war also rein gar nichts passiert.
Das Klopfen wurde intensiver. Jetzt erst erinnerte sich Scully, warum sie aufgewacht war.
Vorsichtig stieß sie Mulder an, um ihn zu wecken. Ein leichtes Kribbeln durchfuhr ihre Fingerspitzen, als sie seine nackte Haut berührte.
Als er die Augen aufschlug und das Klopfen hörte, war er mit schnellen Schritten aus dem Bett.
"Morgen, Scully...ähm, tut mir leid, ich..."
Sie lächelte über seine offensichtliche Flucht.
"Schon gut, ich kann mir meinen Teil denken."
"Aber genau DAS nicht!"
Er wirkte erschrocken.
"An DAS habe ich nun wirklich nicht gedacht, Partner."
Sie lächelte ihn an, nahm ihre Kleider und verschwand im Bad. Währendessen eilte Mulder zur Tür, an der das Klopfen bereits in ein Hämmern übergegangen war.
Als er die Tür öffnete, stand die junge Kindergärtnerin vor ihm.
"Valerie, guten Morgen, was machst du denn hier?"
"Fox, ich wollte dich zum Frühstück einladen."
"Frühstück?"
Sie trat unaufgefordert in sein Zimmer und betrachtete mit argwöhnischem Blick das zerwühlte Bett. Mulder fühlte sich kontrolliert.
Im gleichen Augenblick öffnete sich die Badezimmertür und Scully betrat, immer noch mit Mulder´s T-Shirt bekleidet, den Raum. Valerie blickte entsetzt von Mulder zu Scully. Mulder mußte insgeheim über das verstörte Gesicht von Valerie lachen.
Sie wirbelte herum, ihre Hand landete in seinem Gesicht und dann verließ sie ohne ein weiteres Wort den Raum.
Scully sah Mulder fragend an:
"Bin ich im falschen Moment gekommen?"
"Wohl weniger."
Sie sah ihn verwirrt an und ihr Blick forderte eine Antwort.
"Ich würde eher sagen, sie kam im falschen Augenblick!"
Damit war das Thema für ihn durch.
Ihre Gedanken kreisten - wieso legte Mulder Wert darauf, daß Valerie einen falschen Eindruck von der Situation bekam? Hatte sie die geheime Schlacht, die sie schlug, gewonnen?
02:00 pm, Wellington Kindergarten, Philladelphia
"Hören sie mir zu, ich habe die Erlaubnis von den städtischen Behörden, daß ich hier graben darf!"
"Mulder, es hat keinen Zweck, kommen sie!"
Er ließ sich jedoch nicht so schnell abwimmeln. Er hatte die Erlaubnis, im Keller Grabungen durchzuführen. Er wollte wissen, ob er noch mehr Skulpturen finden würde. Skulpturen, die aussahen wie die Kinder, die verschwunden waren. Vielleicht würde er auch Skulpturen finden von den Kindern und Menschen, die vor Jahren, vielleicht Jahrzehnten hier verschwunden waren. Seine Neugier war so dermaßen angeregt, daß er sich nicht vertreiben lassen wollte.
Scully hingegen wollte kein Risiko eingehen. Es war schon schlimm genug, daß diese Menschen sie abwiesen, wo immer sie auch hinkamen. Aber diese Abneigung, die ihnen hier entgegen schlug, als sie auch nur erwähnten, daß sie im Keller graben wollten, war schon mehr als merkwürdig. Sie war der festen Überzeugung, daß es hier nicht mit rechten Dingen zuging und daß diese Menschen etwas damit zu tun hatten.
Sie bedachte die Kindergartenleitung mit einem eisigen Blick und verließ mit Mulder schnurstracks das Gebäude. Sie würden noch ihre Möglichkeit zum Graben bekommen, dafür würde sie schon sorgen, das schwor sie sich.
"Wenn wir jedesmal, wenn wir abgewiesen werden auch gehen, dann werden wir nie irgendwas erreichen!" Mulder war auf hundertachtzig.
"Bleiben sie ruhig, Mulder, wenn sie jetzt, in dieser Situation, nicht ruhig bleiben und ihre Fassung wahren, kommen wir nie zu einem Ergebnis." Scully war sich ihrer Sache sehr sicher.
"Ruhig bleiben? Ruhig bleiben in so einer Situation? Scully, hier ist ein Hexenkessel am kochen. Die ganzen Bewohner in dieser Gegend sind betroffen. Und sie sagen, ich soll ruhig bleiben, abwarten und Tee trinken? Nein, das kann ich nicht! Sie wissen es genauso gut wie ich, in so einer Situation kann ich nicht untätig dasitzen."
Scully nickte:
"Ich weiß Mulder, aber das ist jetzt falsch! Hören sie, wir werden unsere Grabungen machen, wir werden herausfinden, was hier passiert, aber wir müssen die ganze Sache geschickt angehen. Geschickt und ruhig! Wir haben schon so viel Erfahrungen darin gesammelt, was passiert, wenn wir Menschen, die so miteinander verbunden sind, aufrühren. Es kann nur zu einem Mißerfolg führen, wenn wir uns jetzt versuchen machtvoll durchzusetzen!"
Mulder nickte. Irgendwo hatte sie ja Recht. Sie waren schon auf mehrere solche Situationen gestoßen und in jedem Fall hatte Scully mit ihrer ruhigen Art immer den besseren Weg gefunden.
Er öffnete ihr die Tür zum Wagen und ließ sie einsteigen, ehe er selbst in den Wagen einstieg.
"Und nun?"
"Und nun werden wir warten!"
Mulder blickte Scully verwirrt an:
"Warten? Worauf?"
"Darauf, daß bis auf den Hausmeister alle das Gebäude verlassen, dann werden wir reingehen!"
"Wir? Heimlich? Wenn keiner mehr da ist? Scully, diese Ideen stammen doch sonst von mir?!"
Sie sah ihn mit einem gequälten Lächeln an:
"Es gibt immer ein erstesmal! Manchmal muß man eben den unkonventionellen, ungewöhnlichen Weg gehen, auch wenn das nicht meine, sondern ihre Domäne ist."
"Meine liebe Scully, ich entdecke an ihnen einen Zynismus, der mich erstaunt."
"Sie erstaut noch irgendetwas?"
"Bei ihnen immer!" lachte er.
08:00 pm, Wellington Kindergarten, Philladelphia
Um etwas zu erreichen, gab es immer Mittel und Wege. Mulder mußte innerlich lachen, als er an Scully´s Worte dachte. Ja, dieses war auch ein Mittel zum Zweck: Sie stiegen nachts heimlich in ein Gebäude ein, um im Keller ein Loch zu graben, das sie nie wieder schließen würden, um Beweise zu finden, die die Kindergartenleitung und das komplette Stadtviertel in Verdacht bringen würden, Kinder verschwinden, eventuell umbringen und für Riten quälen zu lassen. Doch, es war ein ungewöhnliches Mittel zum Zweck und wirklich nicht gerade die konventionelle Methode - dafür war sie um so wirksamer. Wann nahmen sie schließlich schon mal den konventionellen Weg. Er konnte es an einer Hand abzählen.
Während Mulder sich noch in Gedanken darüber amüsierte, was Scully gesagt hatte, war sie schon einige Meter weitergelaufen. Er folgte ihr zur Kellertreppe und blieb neben ihr stehen.
Beide blickten sich an. Wollten sie diesen Schritt wirklich wagen.
Sie blickte in die Tiefe. Mulder´s Blick folgte ihrem.
"Na, dann auf in die Höhle des Löwen!"
Scully schaltete ihre Taschenlampe ein und setzte den ersten Fuß auf die Treppe. Mulder hielt sie am Arm fest:
"Scully, wenn sie nicht wollen?!..." Er dachte an den Abend, als sie verängstigt zu ihm gekommen war, doch sie schüttelte seinen Arm nur ab:
"Lassen sie uns unsere Arbeit tun, Mulder!"Der Keller des Gebäudes bestand aus drei Räumen und umfaßte den Grundriß des gesamten Hauses. In zwei von den drei Räumen befanden sich lediglich alte Möbel und andere Dinge, die man normalerweise im Keller lagerte. Von Skulpturen oder irgendwelchen rituellen Gegenständen oder Zeichen war keine Spur.
Der dritte Raum jedoch war weitgehend leer und es herrschte eine merkwürdige Luftfeuchtigkeit, die Scully und Mulder aufmerksam werden ließ.
"Irgendetwas ist mit diesem Raum!"
Mulder, von seinem untrüglichen Instinkt geleitet, begann die Wände abzutasten, während sie forschend mit ihrer Taschenlampe die Wände anstrahlte. Von irgendwo kam ein leichter modriger Luftzug.
"Riechen sie das auch?"
"Es riecht ...alt."
"Alt?"
"Modrig, wie in einer Gruft."
"Wie oft waren sie denn schon in einer Gruft?"
Mulder lachte:
"Fragen sie lieber nicht!"
So unterließ sie es auch lieber - sie wollte es wirklich nicht wissen.
Mit einem Seitenblick auf ihren Partner registrierte sie eine gewisse Unruhe bei ihm, als ob er irgendwas entdeckt hätte. Und sie sollte Recht behalten.
"Kommen sie!"
Mit schnellen Schritten war sie bei ihm und leuchtete mit der Taschenlampe auf die Stelle, auf die er deutete. Er hatte tatsächlich etwas entdeckt.
"Was haben sie gefunden, Mulder?"
"Ich glaube, wir haben hier einen zugemauerten Eingang gefunden."
Sie sah in skeptisch an, es sah für sie doch mehr wie ein kleines Loch im Mauerwerk aus, doch sie mochte ihn nicht schon wieder mit ihrem Pessimismus belangen.
Ungeachtet ihrer eindeutigen Zweifel hockte er sich vor das Loch und löste mit kräftigen Griffen einen Stein nach dem anderen aus der Mauer bis die restlichen von selbst nachgaben - das Loch welches sie im Erdreich graben wollten, war schnell vergessen.
Eine hüfthohe Öffnung wurde erkennbar, durch die er sich eifrig zwängte und anschließend Scully seine Hand reichte, um sie ebenfalls durch diese Öffnung zu ziehen.
"Geben sie mir ihre Hand, Scully, ich helfe ihnen!"
Sie war sich nicht sicher, was sie tun sollte.
"Bitte, sie wissen nicht, wohin es dort geht und ob es überhaupt sicher ist."
"Wenn sie hier stehen bleiben und warten wollen, bitte, aber ich werde nachsehen, was hier unten so geheimgehalten wird!"
Sie seufzte und ergriff seine helfende Hand.
Als sie sich schließlich durch die Öffnung gezwängt hatte, leuchtete sie mit der Taschenlampe in die Dunkelheit vor ihnen.
Ein Gang, in dem man zwar nicht aufrecht gehen konnte, der aber ansonsten genug Platz für eine erwachsene Person barg, breitete sich vor ihnen aus. Er griff nach ihrer Taschenlampe und schritt voraus. Sie fühlte sich eindeutig nicht wohl bei dieser Sache, doch sie folgte ihm...
"Mulder, wann geben sie endlich auf und lassen uns zurück gehen?"
"Sind sie etwa schon müde?"
Sie blickte in das Licht der Taschenlampe und verzog mürrisch das Gesicht. Mit einem schnellen Blick zur Seite erhaschte sie im letzten Lichtschein der Taschenlampe noch einen Blick auf ihre Uhr, bevor Mulder wieder weiter ging.
"Wir irren jetzt schon fast eine Stunde hier herum."
"Und?"
"Hier ist nichts! Hier war vielleicht mal ein Schutzbunker oder ein Fluchttunnel, was weiß ich, aber jetzt ist hier nichts mehr!"
"Fällt ihnen nichts auf?"
"Nein! ...was?!" sie zog die Stirn kraus.
"Der Geruch hat sich intensiviert."
"Wir sind ja auch tiefer in der Erde drin, als vorhin!"
"Nein, das meine ich nicht."
"Was dann?"
"Es riecht jetzt anders...so...so..." er suchte nach dem passenden Wort.
"...menschlich?" ergänzte sie.
Registrierend, was sie gesagt hatte, lief ein Frösteln durch ihren Körper. Schnell faßte sie sich wieder. Sie war Gerichtsmedizinerin und hatte vor solchen Dingen normalerweise keine Scheu oder Ekel, doch diesmal war es ein wenig anders. Erstens ging es hier um kleine Kinder, die verschwunden waren und zweitens war an diesem Fall schon zu viel zu merkwürdig und das bezog sich nicht nur auf den beruflichen Teil.
Mulder setzte seinen Weg fort, ohne auf Scully´s Stocken zu reagieren.
Plötzlich erklang ein metallischer Laut.
"Stop!"
"Scully?"
"Haben sie das gehört? Es hört sich wie ein metallischer Boden an! Leuchten sie runter!"
Doch ihr Partner hatte bereits den Gitterrost unter seinen Füßen wahrgenommen.
"Wenn hier ein Industriegitterrost liegt, dann ist hier vielleicht auch eine Anlage..."
"Vielleicht sollten wir weitergehen."
"Auf einmal?"
"Ich werde mich bei ihnen entschuldigen, aber nicht hier und nicht so!"
Er grinste:
"Na das ist doch ein Wort!"
Einerseits in Gedanken über seine Arroganz fluchend, andererseits seinen Spürsinn bewundernd, folgte sie ihm stillschweigend.
Es war eine weitere halbe Stunde vergangen, ehe sie eine Art Schacht erreichten, der sie noch weiter in die Tiefe führte und auf einem kleinen Podest endete, welches ihnen einen Rundumblick auf eine unvorstellbar große, unterirdische Halle ermöglichte.
"Sollte ich jemals an ihnen gezweifelt haben, so werde ich das nie wieder tun," raunte sie ihrem Partner zu, bemerkte jedoch seinen verblüfften Gesichtsausdruck nicht.
Mit einem kurzen Blick zur Seite registrierte sie, daß Mulder den Abstieg fortsetzte und folgte ihm.
Riesige Kessel säumten die Halle, verwinkelten sie in viele kleine uneinsehbare Gänge. Weiter hinten am anderen Ende der Halle befand sich soetwas wie ein Labor. Scully konnte nichts genaues erkennen, vermutete aber, daß es sich dabei um ein chemisches Labor handeln müßte.
Am Boden angelangt, folgte sie Mulder weiterhin unaufgefordert zwischen den Kesseln hindurch. Ein Dröhnen schallte von den Wänden und vermischte sich mit Maschinengeräuschen, die sie nicht lokalisieren konnten. Immer wieder ließen sie ihre Blicke umherschweifen, um eventuelle Wachposten zu lokalisieren.
Ein Schwall Dampf entwich einem der Kessel in Scully´s Nähe. Sie spürte den Schreck durch ihre Glieder gleiten und gleichzeitig Mulder´s beruhigende Hand auf ihrer.
"Was ist das hier?"
"Keine Ahnung, aber ich nehme mal an, daß wir hier irgendwas sehr streng geheimen auf die Spur gekommen sind."
Sie verzog ihren Mund zu einem ironischen Lächeln:
"Darauf wäre ich nicht gekommen!"
Mit gezogenen Waffen schritten sie vorsichtig weiter, um sich dem eigentlichen Ziel ihres Weges zu nähern, dem Labor.Sie hatten sich bereits bis auf wenige Meter genähert, da vernahmen sie erste leise Stimmen. "...müssen verschwinden..." "...nicht viel Zeit..." "...Projekt ist fehlgeschlagen..."
Mulder richtete seinen Blick fragend auf seine Partnerin. Was hatten sie hier entdeckt?
Mit einem geschulten Blick erkannte Scully, daß es sich bei den technischen Geräten um Geräte zur Genforschung handelte.
"Genforschung oder -manipulation!" zischte sie.
"Versuche an Menschen?"
"Vermutlich."
"Die Kinder!"
"Wahrscheinlich. Aber die Schatten sind mir unerklärlich."
"Forschung mit außer..."
"Sprechen sie das nicht aus! Ich warne sie! Daran wollen wir nicht einmal denken!"
"Für sie immer noch so unwahrscheinlich?"
"Nein, fast schon zu wahrscheinlich!"
Er sah sie verdutzt an. Diese Worte aus dem Mund seiner Partnerin? Glaubte sie seinen Theorien mehr als er je vermutet hätte?
"Wir müssen näher ran!"
Gebückt näherte sich Scully den Gesprächspartnern und blieb erst stehen, als sie so dicht herangetreten war, daß sie fast nur noch den Arm ausstrecken mußte, um die Forscher zu berühren.
Halbwegs entsetzt beobachtete Mulder seine Partnerin ehe er ihr langsam und vorsichtig folgte. Sie begab sich in unnötige Gefahr und wenn auch er sonst den riskante Teil ihrer Partnerschaft bestritt, so machte ihn ihr Vorhaben ganz furchtbar nervös.
Sie deutete ihm an, sich ruhig zu verhalten, als er sie erreicht hatte. Es war nun klar und deutlich zu verstehen, was die Wissenschaftler miteinander besprachen.
"...hören sie zu, Hendriks, ich sehe keine andere Lösung! Das Material muß vernichtet werden. Das Projekt ist fehlgeschlagen!"
" Nichts ist fehlgeschlagen! Sie haben es vermasselt! Hätten sie doch aufgepaßt wegen dieser Kindergärtnerin!"
"Ich konnte doch nicht ahnen..."
"Daß sie die Vorfälle ans FBI melden würde? Meine Güte, wie naiv sind sie eigentlich!"
"Aber..."
"Nichts aber! Wie weit sind sie bei den Forschungen gekommen?"
"Vier der zwölf Versuchsobjekte haben es überlebt, aber..."
"Na, da haben wir doch einen Fortschritt!"
Der Ältere der beiden klatschte sichtlich erfreut in die Hände.
"Aber sie sind schrecklich deformiert! Und ihre Psyche... hören sie, das ist nicht mehr vertretbar, was wir hier machen!"
Scully sah Mulder an, er blickte sie an. Was jetzt noch zur Erklärung fehlte, war der Forschungsgrund.
Die beiden Forscher entfernten sich in die hinteren Bereiche und verließen durch eine Tür die Halle.
Scully nutzte diese Möglichkeit, glitt aus ihrem Versteck hervor, eilte vor Mulders Augen quer durch die Halle auf die Labortische zu und begann das Material in den Reagenzgläsern zu untersuchen.
Mit schnellen Schritten folgte er ihr, betrachtete die Computerdaten, die ihm leider nicht so viel Aufschluß geben würden, wie seiner Partnerin, die sich mit diesem wissenschaftlichen Daten besser auskannte.
"Was endeckt, was uns Aufschluß geben könnte?" flüsterte er neben ihrem Ohr.
"Nichts genaues, aber ich werde mir die Computerdaten und die schriftlichen Notizen noch einmal ansehen!"
"Beeilen sie sich, wer weiß wie lange die Herren wegbleiben."
Er ließ sie bei den wissentschaftlichen Unterlagen allein, steuerte auf die Käfige zu, um herauszufinden, ob sie vielleicht nicht leer waren.
"Hey!"
Scully schreckte von den Daten auf.
"Was machen sie da!"
Sie sah ihren Partner auf sie zu eilen. Sie war noch nicht fertig, sie konnte noch nicht gehen! Mit flinken Fingern flog sie über die Tastatur des Computers und begann Daten auf eine Diskette zu übertragen. Sie mußte es einfach schaffen!
"Scully, kommen sie!"
Mulder hatte bereits die Flucht ergriffen und eine zweite Person betrat, durch den Lärm alamiert die Halle.
Sie zögerte. Die Daten. Sie mußte es schaffen!
"Scully!" Ihr Partner blieb stehen und blickte über seine Schulter zu den herannahenden Angreifern.
Fluchend machte er kehrt und eilte zu seiner Partnerin zurück, um diese vor den Angreifern zu erreichen und mit sich zu ziehen.
Just in diesem Moment, als er sie am Arm packte und mit sich ziehen wollte, war die Datenübertragung beendet und Scully folgte ihm widerstandslos.
Schüsse erklangen als sie zwischen den Kesseln Schutz suchten.
"Welcher Wahnsinn hat sie denn eben getrieben?"
Triumphierend hielt sie die Diskette hoch:
"Alle Daten, die wir brauchen!"
Er lächelte stolz, ließ jedoch nicht außer Acht, daß sie fast ihr Leben auf´s Spiel gesetzt hätte.
"Wohin sollen wir jetzt?"
"In den Gang zurück?"
"Der Aufstieg wäre zu unsicher! Wir müssen einen anderen Ausweg finden."
Sie eilten weiter, gehetzt von unterdessen vier Angreifern, die zu schützen versuchten, was Scully bereits in ihren Händen hielt: Informationen.
"Hier lang!"
Sie folgte ihrem Partner in blindem Vertrauen zwischen den Kesseln hindurch einen langen schmalen Gang entlang und schließlich hinter eine stählerne Tür, die zu einem Fahrstuhl führte.
"Ich glaube heute ist unser Glückstag!"
Sie ließ die Tür hinter sich zuschnappen, während Mulder die Mechanik des Fahrstuhls in Gang setzte.
Es gab einen leichten Ruck und die Kabine setzte sich in Bewegung.
"Worum handelte es sich bei den Daten, die sie kopiert haben?"
"Um wissenschaftliche Experimente an Menschen."
"Welcher Art?"
"Chemische Reaktionen von irgendwelchen eindeutig genmanipulierten Substanzen, die ich noch nirgendwo gesehen habe!"
"Hatte ich vielleicht doch Recht mit meiner Vermutung?"
"Nein, sicher nicht... na ja, vielleicht nicht... eventuell schon!" lenkte sie ein.
"Ha!"
"Aber es nicht bewiesen!"
"Immer ihre Einschränkungen!"
"Genaueres kann ich erst sagen, wenn ich die Daten analysiert habe. Was haben sie in den Käfigen gefunden?"
"Das möchten sie nicht wissen!"
"Forschungsergebnisse?"
"So könnte man es nennen."
"Die Schatten also eine chemische Reaktion?"
"Vielleicht?"
"Die Skulpturen nur eine Ablenkung?"
"Höchstwahrscheinlich!"
"Die Menschen erpreßt."
"Ist zu vermuten, jedoch verstehe ich nicht, warum man uns dann informiert hat?"
"Valerie."
"Valerie Moray, die Kindergärtnerin?"
"Sie kam aus einem anderen Stadtteil, war neu. Sie hatte vielleicht noch keine Ahnung von der Sache."
"Oder wie der eine Kerl vohin sagte, sie haben die Lage überschätzt."
Mulder nickte und horchte auf das leise, beruhigende Rauschen des fahrenden Fahrstuhls.
Sie schienen gerettet.
Mulder lächelte ihr erleichtert zu, doch sein Lächeln sollte auf seinem Gesicht erstarren, als plötzlich eine Erschütterung durch die Kabine ging und der Fahrstuhl seinen Betrieb einstellte.
"Mulder?"
"Die müssen das Ding zum Stehen gebracht haben!"
"Und jetzt?"
"Ich schätze, wir müssen abwarten."
"Abwarten?"
Eine unheimliche Ruhe kehrte ein.
"Es ist viel zu ruhig, richtig unheimlich!"
Er legte seinen Arm beruhigend auf ihren, obwohl auch er von einer merkwürdigen Unruhe heimgesucht wurde.
Es vergingen Sekunden wie eine halbe Ewigkeit.
Mit einem langsamen Zittern begann es, begleitet von einem leicht anschwellenden Dröhnen. "Hören sie das?"
"Ich glaube, das bedeutet nichts gutes!"
Das Zittern und Dröhnen wurde immer stärker. Scully preßte sich näher an ihren Partner.
Mit einem Satz hatte sie sich in seine Arme geflüchtet, als mit ein Steinregen auf die Kabine des Fahrstuhls niedersauste und Teile wie Geschosse in die Kabine eindrangen.
Dann gab es plötzlich wieder einen kräftigen Ruck und der Fahrstuhl rutschte einige wenige Stockwerke tiefer.
Ein Schrei entglitt Scully´s Kehle, während Mulder sie schützend in die Arme schloß.
Mit einem weiteren Ruck kam der Fahrstuhl wieder zum Stehen.
Erneut waren ein Zittern und leise anschwellendes Dröhnen wahrzunehmen.
Das Seil würde aus der Verankerung reißen und sie beide in die Tiefe stürzen. Mulder war das so ziemlich klar und er vermutete auch, daß Scully das wußte oder ahnte.
Sie glitten in stillem Einvernehmen in eine sitzende Position hinunter.
"Scully, wenn wir das überstehen, mache ich mich nie wieder über ihre kühle wissenschaftliche Denkweise lustig!"
Eine wenige Vorboten der Steine trafen auf dem Kabinendach auf und ließen Scully zusammen zucken:
"Ich glaube jetzt ist der richtige Zeitpunkt gekommen, sich endlich zu duzen!"
"Meinen sie?"
"Ja, verdammt!" zischte sie und belegte ihn mit einem ihrer patentierten Blicke.
Er blickt sie amüsiert an:
"Wissen sie, ihre Art jemanden strafend anzusehen wird mir echt fehlen!"
Sie knuffte ihn freundschaftlich in die Rippen, als plötzlich ein zweiter Schauer Gesteinsbrocken auf das Fahrstuhldach niederregnete und die Kabine sich wieder um einige Meter in die Tiefe bewegte. Aus ihrem Knuffen war ein ängstlicher klammernder Griff geworden.
"Scully..."
Sie sah zu ihm auf und sah eine Ernsthaftigkeit in seinem Gesicht, die sie noch nie zu vor gesehen hatte. Und da war noch etwas, was sie nicht wirklich deuten konne - vielleicht Entschlossenheit.
Sie hatte noch nicht viel weiter gedacht, als sie plötzlich seine Lippen auf ihren verspürte und seinen süßen Geschmack schmeckte. Ein Kribbeln durchlief ihren Körper und sie hatte das Gefühl zu träumen. Wie ein Luftzug war es auch schon wieder vorbei. Sie sah ihn verwirrt und gleichzeitig mit einer gewissen wohligen Wärme in ihrer Magengegend an.
Seine Stimme klang rauh und er wirkte, als müsse er sich stark beherrschen:
"Das wollte ich schon so lange tun!"
"Mulder..."
"Laß uns nicht darüber reden."
Er legte ihr sanft einen Finger auf die Lippen, um sie zum Schweigen zu veranlassen, ließ jedoch seinen Blick nicht von ihr ab.
Sie ließ das Fragen sein, obwohl ihr doch so viele Fragen auf der Seele brannten.
Der Fahrstuhl machte einen weiteren Ruck und sauste in die Tiefe, doch diesmal schien er nicht mehr anhalten zu wollen...
Alles woran sie sich erinnern konnte, war ein lautes ohrenbetäubendes Geräusch, ihr Schrei und das Bersten des Fahrstuhls. Wie sie das ganze hatte lebend überstehen können, war ihr immer noch ein Rätsel.
Sie stieß einige Fahrstuhlteile beiseite, die ihr den Weg versperrten und machte sich wortlos auf die Suche nach Mulder unter all den Trümmern.
"Scully?"
Sie hievte eine der Fahrstuhltüren beiseite und ließ sich neben ihrem Partner auf die Erde fallen.
"Da bist du ja!"
"Noch nicht ganz, hilf mir!"
Sie wischte eine Strähne aus ihrem Gesicht und half Mulder unter den Trümmern hervor.
Noch immer konnte sie nicht begreifen, wie sie das lebend überstanden hatten.
"Ich glaube wir hatten großes Glück, daß der Fahrstuhl schon so weit unten war."
Ja, das war eine logische Erklärung. Aber es gab noch genug Zeit für logische Erklärungen, sie mußten jetzt erstmal hier heraus...
Der weitere Rückweg gestaltete sich weniger gefährlich als sie vermutet hatten. Die Halle war verlassen, nichts deutete mehr auf ein Labor, wie schon so oft bei ihren Fällen. Alles war entfernt worden. Sie wußten noch nicht einmal, ob es sich um staatliche oder private Forschungen gehandelt hatte. Mit einem leichten Triumphgefühl dachte sie an die Diskette in ihrer Jackentasche.
Heil und halbwegs unbeschadet in ihren Hotelzimmern angekommen, entledigte sich Scully ihrer Kleider und schlüpfte unter die heiße Dusche. Sie wollte den Schmutz und ihre wilden Gedanken von sich waschen. Noch immer quälten sie die verrücktesteten Fragen hinsichtlich Mulders Verhalten.
Der Dusche und der völligen Auflösung entgangen, wieder bekleidet und völlig erschöpft öffnete sie Mulder die Tür zu ihrem Zimmer und ließ ihn auf dem einzigen Sessel im Raum Platz nehmen.
"Hast du die Diskette?"
Ach es war ja so einfach gewesen, daß 'Du' anzuwenden.
Sie griff in ihre auf dem Bett liegende Jacke und krammte in einer der Taschen.
Ein zerbrochenes Stück Plastik kam zum Vorschein und zum erstenmal sah er Scully wirklich nervlich am Ende.
"Nein! Nein! Nein!"
Ein übler Fluch kam über ihre zarten Lippen, während ihr Blick mehr von Traurigkeit als von Wut sprach.
Ein plötzlicher Stimmungswechsel ließ sie erschöpft auf das Bett niedergleiten:
"Mulder?"
"Ja?"
"Wir haben wiedermal keine Beweise... wiedermal wird nichts geschehen und wir schließen eine Akte nicht vollständig..."
"Ja."
"Darf ich dich etwas fragen?"
"Nur zu."
"Was da im Fahrstuhl... ich meine..."
Sie atmete einmal tief durch:
"Wäre das auch passiert, wenn wir uns nicht in Lebensgefahr befunden hätten? Wäre es dann jemals passiert?"
Er seufzte und senkte für Sekunden seinen Kopf um sich zu sammeln. Er mochte nicht zugeben, daß ihn das genauso belastete wie sie.
Dann blickte er ihr traurig in die Augen:
"Vermutlich nicht... ich weiß es nicht."
Sie nickte und erwiderte seinen Blick ebenso traurig.
Wortlos stand er auf, um den Raum zu verlassen, drehte sich aber mit einem eigenartigen Verlangen an der Tür noch einmal nach ihr um:
"Morgen um neun am Wagen?"
"Sicher!"
"Auf zum nächsten Fall?"
"Auf zum nächsten Fall!"
Ende
Copyright Stephanie Raatz