Hinweis:  Die Erstveröffentlichung dieser Story erfolgte "Double Vision", einem von  "Sternenjäger Enterprises"  herausgegebenen Fanzine.

 

 

The Neutral Zone

A Story by Sapphire & Mac

 

Eigentlich hatte ich ja bei der Phoenix Foundation gekündigt. Aber irgendwie war ich wieder dort gelandet. Doch diesmal unter anderen Vertragskonditionen, die ich mit Pete ausgehandelt hatte. Eine dieser Konditionen war, da ich nur eine bestimmte Anzahl von Aufträgen auszuführen brauchte und dann den Rest des Jahres 'frei' hatte. Einer dieser Aufträge war dieser hier.

 

MacGyver schloß den Stromkreis und mit einem leisen Summen glitt die Tür auf. Er erlaubte sich ein selbstzufriedenes Grinsen und kroch durch die Tür hindurch. 'Tür' war eigentlich zu viel gesagt. Es war der Eingang zum Lüftungsschacht von Praddoxx Engineering. Durch ein bißchen Arbeit und Manipulation an dem kleinen Kontrollschalter des oberen Schachtes hatte MacGyver die Sicherheitstür geöffnet, ohne den Alarm auszulösen. Jetzt robbte er den Schacht entlang, der normalerweise mit hochempfindlichen Drucksensoren ausgestattet war, die MacGyver aber mit einigen Tricks außer Funktion gesetzt hatte.

 

Es war seine Aufgabe, das Sicherheitssystem von Praddoxx Engineering zu überprüfen. Praddoxx gehörte zu der weltweit bekannten Firma Skyscope Systems, die im Auftrag der Regierung Überwachungssatelliten ausrüstete. Einige kleine Zweigfirmen arbeiteten im Auftrag von privatwirtschaftlichen Firmen. Dazu gehörte auch Praddoxx. Praddoxx Engineering war vor knapp zwei Jahren errichtet worden und damals arbeitete man hier noch an allgemeinen Projekten wie zum Beispiel die Auswertung von Analysen von Skyscope oder der Erstellung von Reaktionstabellen und Kalkulationschemata für bestimmte technische Produkte. Dann entschloß sich Skyscope, da die Zukunft in den Sternen lag, und Praddoxx bekam ein neues Aufgabengebiet. Die frühere Tätigkeit wurde an eine andere Unterabteilung delegiert. Seit dieser Zeit beschäftigte sich Praddoxx mit Kamerasystemen für Forschungssatelliten und allem, was damit zusammenhing.

 

Der neue Komplex, etwa 20 Kilometer außerhalb von Beddrock, einer kleinen Stadt nahe New Westminster/ Kanada, besaß eines der modernsten Sicherheitssysteme auf dem heutigen Markt. Aber das bedeutete überhaupt nichts. Bereits zweimal in der letzten Woche war es zu Störungen gekommen. Einmal war der Bombenalarm losgegangen und einmal hatten sich die Feuertüren ohne ersichtlichen Grund und ohne den leisesten Alarmton geschlossen. Jetzt glaubte man, da alles wieder in Ordnung war. Man hatte den Hauptcomputer vollkommen durchgecheckt und jeden Pfad in dem komplexen Datensystem einzeln überprüft. Es lag an MacGyver dies zu bestätigen oder zu widerlegen.

 

MacGyver verließ den Lüftungsschacht durch ein Gitter und befand sich in einem dunklen Gang. Nach den Angaben des Sicherheitschefs, mit dem MacGyver vor seinem Auftrag gesprochen hatte, befand er sich nun im ersten Stock. Man hatte MacGyver alle Chancen und Möglichkeiten eingeräumt, die auch ein normaler, gut vorbereiteter Eindringling haben würde. Das schloß eine genaue Kenntnis der Anlage mit ein. Britt Larson hatte dafür gesorgt, daß MacGyver sich sehr gut in der Anlage auskennen konnte.

 

MacGyver schlich den Gang entlang und suchte nach den kaum sichtbaren Vorrichtungen für die Lichtschranken im Gang. Er fand die winzigen Einbuchtungen in der Wand, stellte aber mehr als erstaunt mit, da anscheinend jemand vor ihm hier gewesen war. Die Lichtschranken funktionierten noch, jedoch befand sich ein feiner, weißer Staub auf dem Boden. MacGyver tupfte etwas davon mit dem Finger auf. Mehl. Ganz normales Haushaltsmehl. Jemand war hier! Und dieser jemand hatte das Mehl dazu benutzt, um die sonst unsichtbaren Lichtschranken sichtbar werden zu lassen. MacGyver hätte ähnlich gehandelt. Nur hatte er sich einen Beutel Talkum aus dem örtlichen Sportgeschäft besorgt.

 

MacGyver überwand das Lichtschrankenhinderniss und folgte dem Gang bis er zum Computerraum kam. Dies war auch sein erklärtes Ziel gewesen. Hier befand sich der Hauptcomputer von Praddoxx und der einzige Weg, die gesamten Sicherheitssysteme abzuschalten. Vor der Tür jedoch war ein mit einem Zutrittscode versehenes Sicherheitsschloß . Wie MacGyver schnell feststellte war es sauber und professionell geknackt worden. Normalerweise benötigte man, um Zutritt zu dem Raum zu erlangen, eine der autorisierten Personen, da das Schloß mit Retina - und Hand-Scannern arbeitete. Zusätzlich dazu kam noch der persönliche Code! Und jemand hatte das Schloß geknackt! Selbst MacGyver hatte bis jetzt noch nicht die leiseste Ahnung gehabt, wie er hier herein kommen würde!

 

Vorsichtig schob er die ü³r auf. Kein Alarm, kein gar nichts. Der Raum war im Halbdunkel. Nur das Licht der Computerschirme und 'ready'-Lämpchen erhellte das Dunkel. MacGyver versuchte, etwas zu erkennen, gab es dann aber auf. Außerdem, was machte er eigentlich hier? Jemand war in Praddoxx eingebrochen und anscheinend gehörte er nicht zu einem der 'Test'-Einbrecher! Und es war nicht MacGyvers Aufgabe, diesen Mann - oder Frau - zu fassen. Also, raus hier!

 

MacGyver zog sich langsam zurück. Aber plötzlich prallte etwas gegen ihn. Er ging zu Boden und alle Luft wurde aus seinen Lungen gepreßt. Instinktiv versuchte er, sich von dem Angreifer wegzurollen. Aber irgendwie mußte dieser das geahnt haben. Jemand packte ihn, riß ihn nach oben und verpaßte ihm einen gezielten, harten Schlag ans Kinn. Bevor MacGyver das Bewußtsein verlor, sah er noch die schwarzgekleidete, vermummte Gestalt, die auf ihn hinuntersah.

 

* * *

 

"Und Sie haben nicht gesehen, wer es war?" Britt Larson sah MacGyver forschend an.
Dieser schüttelte den Kopf. "Nein. Das habe ich Ihnen doch schon einmal gesagt. Er stieß mich zu Boden und dann bekam ich seine Faust ins Gesicht. Das war alles."

 

"Fördammet! Det Ärßotrolig!" Die Sicherheitschefin von Praddoxx fuhr sich durch die blonden, kurzen Haare. Wie immer, wenn sie sich aufregte oder unter Streß stand verfiel sie in ihre Muttersprache zurück. MacGyver hatte keine Ahnung, was sie gerade gesagt hatte, aber der wütende Tonfall sagte alles.

"Wurde etwas gestohlen?", fragte er dann.

"Jo! - Ja, meine ich!", preßte Britt Larson zwischen den Zähnen hervor. "Das Steuerprogramm für den Sunbeak III! Es fehlen auch einige Dateien für die RD-Y-Spezialkamera des Sunbeak. Wer auch immer das Programm gestohlen hat, hat gleich sicher gestellt, daß wir nicht weiterarbeiten können. Die Dateien müssen erst wieder hergestellt werden!"

MacGyver sah betreten zu Boden. Sunbeak III war ein neuer Satellit, der in etwa einem Jahr in den Weltraum gebracht werden sollte. Es war ein Forschungssatellit, der die oberen Atmosphärenschichten der Erde untersuchen sollte. MacGyver fühlte sich irgendwie mitschuldig. Schließlich hatte er als einziger eine echte Chance gehabt, den Einbrecher aufzuhalten. Man hatte ihn gefunden, nachdem es Larson schon fast verdächtig vorkam, da sich weder der Alarm noch MacGyver nach zwei langen Stunden gemeldet hatten. Also war sie in den Komplex gegangen und hatte MacGyver gefunden. Dieser war gerade wieder zu Bewußtsein gekommen. Obwohl man sofort eine Suche nach dem Einbrecher angestrengt hatte, war nicht eine einzige Spur gefunden worden.

 

Jetzt, am nächsten Morgen, saß MacGyver im Büro von Larson im dritten Stock von Praddoxx Engineering und versuchte, sich so gut wie möglich an alles zu erinnern. Viel war es nicht. Vielleicht sogar noch weniger.

"Kann ich noch etwas für Sie tun?", fragte er.

Britt Larson schüttelte den Kopf. "Nein, aber danke für das Angebot. Wir melden uns wir bei Ihnen. Ach ja, wo bleiben Sie eigentlich während Ihres Aufenthaltes hier?"

"Nun, ich habe mich im Hotel einquartiert. Aber wenn Sie mich dort nicht erreichen, versuchen Sie es unter dieser Nummer." MacGyver gab Harper einen Zettel. "Ich besuche eine alte Freundin, die zufällig hier wohnt."

Larson nickte und steckte den Zettel ein. Dann verabschiedete sich MacGyver von ihr und ging nach draußen. Dort wurde er von einem jungen, dunkelhaarigen Mann Anfang 20 erwartet, der an einem Motorrad lehnte.

"Und?"

MacGyver zuckte nur mit den Achseln. "Nichts. Sie wissen nicht, wie er reingekommen ist, oder wie er den Scanner überlisten konnte." Er seufzte. "Aber ich sollte mir darüber nicht den Kopf zerbrechen."

Sean Angus Malloy, kurz 'Sam' genannt, konnte nur zustimmen. Dann fragte er: "Wollen wir jetzt zu Deiner Bekannten fahren?"

Mac nickte und stieg in den Jeep, den er sich wieder zugelegt hatte, nachdem er das Motorrad nach etwa 7 Monaten wieder eingemottet hatte. Zusammen fuhren sie in Richtung Stadtrand. Dort war nach Angaben des Telefonbuches das Haus von Dr. Melanie McAllister, die sich vor etwa drei Monaten hierher zurückgezogen hatte, um ihre ganzen Studien auf Papier zu bannen. Sie arbeitete immer noch für Phoenix, nur jetzt mehr vom Schreibtisch aus. Als Pete MacGyver dies erzählt hatte, hatte es dieser eigentlich nicht so recht geglaubt. Mel war mehr eine Frau, die Taten sprechen ließ , nicht beschriebenes Papier. Naja, vielleicht hatte sie sich inzwischen etwas geändert........

MacGyver parkte den Jeep und Sam stellte das Motorrad neben den Wagen. Zusammen gingen sie dann die wenigen Stufen zur Tür hinauf. MacGyver klingelte kurz.

"Komme!", rief eine weibliche Stimme von innen. Dann öffnete sich die T³r.

Die Frau, die vor ihnen stand, was 100%-ig Mel McAllister. Die gleichen grünen Augen, die gleichen feuerroten Haare, das gleiche Lächeln. Nur eines hatte sich verändert. MacGyver muß te zweimal hinsehen. Er konnte seinen Augen nicht trauen. Mel war schwanger!

"Uh, oh - hi!", stotterte MacGyver und sah Mel von oben bis unten an.
Mel nahm den verwirrten Blick wahr und deutete ihn auch vollkommen richtig. "Komm schon rein!" Sie stieß die Tür weiter auf und MacGyver, gefolgt von Sam, trat ein. Die Wohnung bestand aus einem Riesenwohnzimmer mit eingegliederter Küche und einem angrenzenden Raum, den MacGyver als Schlafzimmer identifizierte. Und es war deutlich ein Ein-Personen-Haushalt. MacGyver kannte sich da ja aus. Mel lebte also allein. Und sie war schwanger.... MacGyver runzelte kurz die Stirn. Als sie in das gemütlich eingerichtete Wohnzimmer kamen, ließ sich Mel in einen Sessel sinken.

"Gott, bin ich unhöflich! Wollt Ihr was zu trinken?"MacGyver winkte ab und auch Sam ließ sich einfach nur auf die Couch fallen. Mel legte eine Hand auf die Rundung ihres Bauches und sah MacGyver an. "Was treibt Dich den hierher?"

"Ein neuer Auftrag von Pete", erklärte MacGyver nur, der sich immer noch von dem Schock erholte.

"Du wußtest es nicht, oder?", fragte Mel dann.

MacGyver schüttelte den Kopf. "Ich war eine Zeit von Phoenix weg, Mel. Aber Pete hat mir auch vor einer Woche, als ich ihn das letzte mal sah, nichts gesagt."

Mel kicherte etwas. "Typisch Pete. Er wollte Dich überraschen."

"Das ist ihm ja auch gelungen." Sam amüsierte sich köstlich.

"Arbeiten Sie auch bei Phoenix ?", wandte sich Mel nun an den jungen Mann.

"Ab und zu. Eigentlich bin ich freischaffender Fotograf."

"Ah. Und wie sind Sie mit MacGyver zusammengetroffen?"

"Er gehört zur Verwandtschaft", meinte MacGyver so, als ob dieser Satz alles erkläre.

Mel hob beide Brauen. "Deine Verwandtschaft? Ich dachte, Du hättest keine Verwandten mehr."

"Dachte ich auch", murmelte Mac.

"Von welchem Zweig denn?" Mel war nun mal auch von Natur aus sehr neugierig. Und wenn es MacGyvers Verwandtschaft betraf, war sie es um so mehr. Außerdem lenkte das MacGyver davon ab, über ihre Schwangerschaft weiter nachzudenken.

"Er kommt mehr von der väterlichen Seite", meinte MacGyver daraufhin.

Sam seufzte leise. Immer wieder das gleiche Spiel. Mel sah sich Sam genau an. Dann musterte sie wieder MacGyver. Die Augenpartie, das Kinn.... Plötzlich lachte sie leise und schien kaum mehr aufhören zu können.

"Was?", wollte Mac wissen.

Mel hickste laut, als sie versuchte, das Lachen zu unterdrücken. "Uh", sie wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. "Willkommen im Reich der Eltern, Mac!" Dann lachte sie wieder.MacGyver gab sich indigniert, mußte aber trotzdem grinsen. Sam schmunzelte wieder. Er mochte diese Frau.

"Ich mach uns mal etwas zu trinken", bot er sich dann an und verschwand in der Küche von Mels Haus.

 

* * *

 

Er sah durch das Küchenfenster des Hauses, das dem Telefonbuch nach das Haus von Dr. Melanie McAllister war. Durch den Vorhang hindurch erkannte er einen etwa 20 Jahre alten jungen Mann, der anscheinend eine kleinere Auseinandersetzung mit der Kaffeemaschine hatte. Er versuchte gerade den widerspenstigen Filter über die Kaffeekanne zu klemmen. Als er es dann geschafft hatte, schaltete er die Maschine ein und verließ die Küche wieder.

 

Er zog sich wieder zurück. Wer war der Mann? Seine Kontakte hatten nichts über jemanden gesagt, der mit Dr. McAllister zusammenlebte. War er also ein Bekannter? Er wußte es nicht und das machte ihn etwas nervös. Er haßte nichts mehr als Informationslücken, wenn es um seine Zielpersonen ging. Er hatte lange gebraucht, um Mel McAllister zu finden. Die ersten sechs Monate hatte er nicht einmal gewußt t, da er sie suchen w³rde. Er hatte diese Zeit damit zugebracht, sich eine neue Identität zu beschaffen. Als nächstes hatte ein Job auf seiner Suchliste gestanden. Auch das hatte er geschafft. Und er war sehr erfolgreich in seinem neuen Leben. Es war zwar nicht gerade legal, was er tat - würde es auch nie werden - aber es war ein Job. In den letzten vier Wochen hatte er seine gesamte Energie und Zeit darauf aufgewendet sie zu finden. Seine Kontakte hatten ihm dann diesen Ort genannt. Und wie der Zufall es so wollte, hatte er hier einen Job zu erledigen gehabt.

Vor knapp acht Monaten hatte er Mel McAllister das erste Mal getroffen und irgendwie hatte sie sein gesamtes Leben verSndert. Die Veränderungen waren ihm erst nicht voll bewußt gewesen, aber nach und nach hatten sie sich gezeigt. Das hatte schon mit dem Wechsel seines Berufes begonnen. Ohne diese Frau wäre wohl immer noch der gleiche. Aber nachdem er Mel getroffen hatte, konnte er seinen alten Beruf nicht mehr ausüben. Sie hatte ihn - indirekt - gezwungen, sein Betätigungsfeld zu wechseln.

Er umrundete das Haus, immer darauf bedacht, nicht gesehen zu werden. Vor dem Haus war ein kleiner freier Platz, der jetzt von einem silberfarbenen Motorrad und einem Army-Jeep zugeparkt war. Er runzelte die Stirn. Der Jeep. Er warf einen Blick auf das Nummernschild. 9RC1051. Oh, nein! Das durfte nicht wahr sein! Auch er war hier! MacGyver!

Erst war er ihm bei Praddoxx Engineering begegnet und hatte ihn niederschlagen müssen, um entkommen zu können, und nun war dieser Typ auch noch hier! Dieser Mann hatte ebenso wie Mel McAllister dazu beigetragen, da sein Leben nicht mehr so geregelt wie früher verlief. Nur hatte MacGyver schon sehr viel früher damit angefangen! Seinerzeit, und vielleicht auch noch heute, war er der einzige weiße Fleck auf seiner sonst schwarzen Weste gewesen.
Er verließ das Grundstück von Mel McAllister und ging wie ein ganz normaler Passant die Straße hinunter.

 

* * *

 

Ich wußte ja, da man bei Melanie McAllister auf alles gefaßt sein mußte. Sie hatte schon immer eine Überraschung parat gehabt. Da diese Überraschung aber diesmal eine Schwangerschaft war, die ihrem Ende zuging, hätte ich bei aller Liebe nie gedacht!

MacGyver und Mel hatten sich nun knapp eineinhalb Stunden über alles mögliche unterhalten. Arbeit, MacGyvers Reisen mit Sam und was es sonst noch gab, worüber man sich unterhalten konnte. Nur ein Thema hatte Mel immer wieder sehr geschickt umfahren: ihre Schwangerschaft. MacGyver schätzte, das sie etwa im siebten oder achten Monat sein muß te. Egal, es war auf jeden Fall eine sehr weit fortgeschrittene Schwangerschaft. Er hatte gedanklich schon etwas gerechnet. Mel war also etwa im achten Monat schwanger.... Das bedeutete, da sie schon schwanger gewesen sein mußte, bevor er Phoenix verlassen hatte. Und er hatte Phoenix vor knapp einem halben Jahr verlassen.

Er hatte Mel das letzte mal gesehen, als er sie in ihrer Hütte im High Cliffs National Park besucht hatte. Vor etwa acht Monaten. Dort hatte er auch seinen alten Feind Murdoc wiedergesehen, der zu dieser Zeit unter Amnesie gelitten hatte. Mel hatte Murdoc damals am Strand gefunden und gesund gepflegt - und sich in ihn verliebt. Sehr zu MacGyvers Überraschung hatte Murdoc diese Gefühl erwidert. Aber da Mel.... Nein, nein, nein! Nun ja, ein Mann, eine Frau .......unmöglich, vollkommen unmöglich!! Aber ein kleiner, nagender Zweifel blieb. Trotzdem - vielleicht hatte sie zwischenzeitlich einen anderen Mann kennengelernt. MacGyver klammerte sich an diesen einen kleinen Strohhalm.

Mel war in der Zwischenzeit in ihrer Küche verschwunden und versuchte sich an einem Mittagessen frei nach Art des Hauses und Sam wollte noch schnell einiges erledigen. Also war MacGyver alleine mit Mel. Er begab sich ebenfalls in die K³che und half ihr,das Essen zu machen. Dabei bemerkte er, da es Mel sichtlich schwer fiel, bestimmte Bewegungen auszuführen. Mac versuchte ihr die schwersten Arbeiten abzunehmen. Nur leider hatte Mel noch immer den gleichen Dickkopf wie früher.

"Danke, aber ich bin nicht invalide - nur schwanger!", sagte sie, als MacGyver ihr einen Topf reichte.

MacGyver zuckte nur mit Achseln. Mel warf einige Gemüsesorten in den Mixer und drückte den Knopf, der das Gerät anschalten sollte. Aber nichts passierte. Mel drückte nochmals drauf und sah dann kurz nach, ob der Mixer auch angeschlossen war. Das war er. Eigentlich müßte das Gerät funktionieren. Wütend hieb sie mit der Faust gegen den Mixer. MacGyver zuckte innerlich zusammen, als er sah, wie die Frau das Gerät behandelte.

"La mich mal sehen." MacGyver trat neben sie und entfernte den Behälter mit dem Gemüse von dem Mixer. Dann holte er sein Taschenmesser heraus. Mit dem Schraubenzieher an dem Schweizer Offiziersmesser schraubte er die Abdeckplatte ab und besah sich das Kabelgewirr. Eines der Kabel war lose und da lag das Problem. Er mu te nur das Kabel befestigen.

"Hast Du ein Kaugummi?", fragte er Mel.

Diese zog eine der Schubladen in der Küche auf und MacGyver sah, wie sich in der kleinen Schublade Dutzende von Kleinsachen stapelten. Mel wühlte durch das Chaos und präsentierte dann ein Päckchen Kaugummis. MacGyver nahm eines der Kaugummis und wickelte es aus. Dann kaute er darauf herum und nach einiger Zeit nahm er es wieder aus dem Mund. Er steckte das Kabel in die Buchse, in die es hineingehörte, und klebte dann das Kaugummi darüber. Dann verschloß er den Mixer wieder, steckte das Taschenmesser weg und steckte den Stecker in die Steckdose. Er machte den Behälter wieder auf dem Motor fest und drückte auf den Knopf. Mit einem lauten Surren setzte sich der Motor in Bewegung und Sekunden später war das Gemüse püriert.

"Danke, Mac." Mel schenkte ihm ein leichtes Lächeln.

MacGyver lSchelte ebenfalls. Langsam wurde es Zeit. Es wurde Zeit für die Frage. "Mel..." Er suchte nach den richtigen Worten und entschied sich dann für den Frontalangriff. "Hast Du zwischenzeitlich etwas von ..... Sh - Mike gehört?" Okay, es war kein Frontalgriff, aber es war ein guter Versuch!

"Nein." Die Antwort war kurz, knapp und endgültig. Mel schüttete das Gemüse in einen Topf.

"Ah." MacGyver rührte in seinem Topf mit den Nudeln herum. Fehlschlag.

"Und Du?", fragte Mel nun ihrerseits.

"Uh, nein, nichts. Gar nichts." Und das war die volle Wahrheit. Der Mann hatte sich mal wieder in Luft aufgelöst.

Wieder Schweigen im Walde. Plötzlich hörte MacGyver ein leises kratzendes Geräusch. Er runzelte die Stirn und horchte. Aber das Geräusch kam nicht wieder. Also beschäftigte er sich wieder mit dem Inhalt seines Topfes. Mel war kurz ins Wohnzimmer verschwunden. Dann war wieder etwas zu hören. Doch diesmal war es kein Kratzen, sondern ein unterdrückter Schrei. Mel!

MacGyver lie alles stehen und liegen und rannte ins Wohnzimmer. Dort entdeckte er Mel. Hinter ihr stand ein Mann, der ihr einen wei en Lappen vor den Mund hielt. Mel wehrte sich zwar noch, aber plötzlich wurde ihr Körper schlaff. MacGyver dachte nicht lange nach, sondern handelte. Jedenfalls wollte er das, aber er kam nicht weit. Irgendetwas schlug sehr hart gegen seinen Kopf und er versank in Dunkelheit.

 

* * *

 

Er ging die Straße hinunter, tief in Gedanken versunken. Eine dunkle Limousine fuhr an ihm vorbei und er nahm den Wagen eigentlich nur am Rande wahr. Dann blieb er abrupt stehen. Irgendetwas an diesem Wagen lie die Alarmglocken in seinem Kopf laut läuten. Er drehte sich um und entdeckte, wie die Limousine in die Straße einbog, in der auch Mels Haus stand. Die Alarmglocken läuteten noch lauter. Er begann zurückzurennen.

 

* * *

 

Sam lenkte sein Motorrad wieder zurück in Richtung Stadtrand. Er hatte alles erledigt, was er zu erledigen hatte und wollte nun wieder zu Mel McAllister zurück. Er wurde von einer dunkelgrünen Limousine mit amerikanischem Kennzeichen überholt, die genauin die Straße einbog, in die er auch wollte. In diesem Moment schaltete die Ampel an der Kreuzung auf 'Rot' und er mußte warten. Während er wartete, fiel ihm ein Mann in dunklen Jeans und einem dunklen Hemd auf, der schnell an ihm vorbeirannte und ebenfalls in Mels Straße einbog.

Die Ampel schaltete nach etwa einer Minute auf 'Grün' und Sam fuhr los.

 

* * *

 

Als er etwas atemlos bei Mel's Haus ankam, fuhr die dunkle Limousine gerade die Straße hinunter. Durch die getönten Scheiben war kaum etwas zu erkennen. Der Wagen bremste kurz, blinkte und bog dann in die nächste Straße ab. Er zögerte kurz - etwas unschlüssig, was nun los war. Auf der einen Seite war da sein Verdacht. Dieses unbestimmte Gefühl, da etwas überhaupt nicht stimmte. Auf der anderen Seite konnte er aber vollkommen falsch liegen. Er schüttelte den Kopf und entschloß sich, erst einmal nachzusehen. Vielleicht überreagierte er nur etwas.

Die Wohnungstür war zugezogen, aber unverschlossen. Eigentlich nichts verdächtiges. Er trat also ein. Im Haus herrschte Stille. Er zog eine der kleinen Waffe, die er immer gut versteckt an seinem Körper trug. Als er in das Wohnzimmer trat entdeckte er den Mann, der auf dem Boden lag. Er trat zu ihm, bückte sich und drehte ihn um. Es war MacGyver.

 

* * *

 

MacGyver war nicht vollkommen bewußtlos gewesen. Wie aus weiter Ferne hatte er alles um sich herum wahrgenommen, aber irgendwie hatte sein Gehirn eine vollkommene Blockade seines Körpers angeordnet und er konnte keinen Muskel bewegen. Nun spürte er, wie ihn jemand umdrehte. Er versuchte sich auf eine einzige Bewegung zu konzentrieren - das Augenöffnen. Und es klappte.

Über ihm erschien ein verschwommener Fleck, der schnell Kontur annahm. Es war das Gesicht eines Mannes. Er hatte kurze, hellbraune Haare und dunkelbraune Augen. Um die Mundwinkel lag ein harter, kalter Zug, der auch in den Augen zu sehen war. Er kannte dieses Gesicht. Er kannte es nur zu gut.

"Murdoc!"

 

* * *

 

Sam hatte gerade noch gesehen, wie der Mann, der an ihm vorbeigerannt war, das Haus von Dr. Melanie McAllister betreten hatte. Sam wußte nicht genau, was er davon halten sollte. Entweder war der Mann ein guter Bekannter, der sich ziemlich beeilt hatte, um zu ihr zu kommen. Oder er war jemand Fremdes, der irgendetwas im Schilde führte.

Sam hatte in den sechs Monaten, in denen er mit seinem Vater nun schon zusammen war, eines gelernt: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Also stellte er das Motorrad ab weiter unten an der Straße ab und ging die restlichen Schritte zu Fu . Sehr, sehr vorsichtig ging er die wenigen Stufen zur Tür hoch und betrat das Haus. Er konnte sehen, wie der Mann sich im Wohnzimmer neben jemanden kniete, der verdächtig nach MacGyver aussah. Und der Mann war bewaffnet. Sam sah sich schnell um.

Das beste, was auf die schnelle entdecken konnte, war ein alter, aber nicht zu verachtender Baseballschläger, der neben der Gaderrobe lehnte. Er schnappte sich das Teil und schlich ins Wohnzimmer.

 

* * *

 

MacGyver blinzelte mehrmals, aber das Gesicht über ihm war und blieb das von Murdoc. Dann sah er aus dem Augenwinkel Sam, der mit einem Baseballschläger bewaffnet auf Murdoc zuschlich. Doch Murdoc hatte nicht umsonst den Ruf eines sehr guten Attentäters. Irgendwie hatte er Sam bemerkt. MacGyver konnte später nicht genau sagen, was genau passierte - wahrscheinlich lag es daran, daß sein Gehirn noch immer sehr langsam arbeitete - aber plötzlich lag Sam auf dem Boden, Murdoc saß halb auf ihm und hielt ein Messer an Sams Kehle. Sam sah in zwei braune, ihn emotionslos und kalt ansehenden Augen.

"Murdoc!" MacGyvers Stimme klang für seine eigenene Ohren sehr laut und war in dem sonst stillen Haus das einzige Geräusch. Murdoc lie den Blick nicht von Sam. "Lassen Sie ihn gehen!"

Er rappelte sich auf und alles drehte sich um ihn. Murdoc sah MacGyver nun zum ersten Mal direkt an, nahm das Messer aber nicht von Sams Kehle.

"Er gehört zu mir, Murdoc! Lassen Sie ihn gehen!"

Murdoc stand sehr, sehr langsam auf. Dann steckte er das Messer weg. Ebenfalls langsam und bedächtig. "Wo ist Mel?", fragte er dann. Es war das erste, was er überhaupt gesagt hatte.

"Sie wurde entführt."

"Was?!" Die Limousine! "Wer hat sie?!"

"Uh, ich habe keine Ahnung", gestand MacGyver. "Ich wei nur, da sie plötzlich schrie. Ich lief ins Wohnzimmer und das letzte, was ich noch sah, bevor mir jemand etwas in den Nacken schlug, war, daß jemand ihr ein weißes Tuch auf Mund und Nase drückte.

Wahrscheinlich Chloroform."

"Und Sie haben nichts dagegen unternommen!?" Murdoc trat auf MacGyver zu.

Anscheinend hatte Murdoc den Part mit dem Niederschlagen nicht so ganz mitbekommen!, dachte MacGyver. "Ich war dazu leider nicht in der Lage, Murdoc! Ich wurde niedergeschlagen!"

 

Murdoc schien es wieder nicht zu hören. "Wer waren die Typen?!"

"Woher zum Teufel soll ich das wissen?" MacGyver wurde es langsam zu viel. Erst schlug ihn jemand nieder und dann tauchte ganz unvermittelt Murdoc wieder auf! Er hatte keine Lust, sich hier von Murdoc verhören zu lassen! "Sie haben mir ihre Visitenkarten nicht gezeigt!"

Beide standen sich jetzt direkt gegen³ber und Murdoc starrte MacGyver fast feindselig kalt an. "Wir müssen Mel finden!", sagte er.

"Ganz meiner Meinung, aber wir sollten das ganze logisch und außerdem ruhig angehen. Die erste Frage lautet nämlich, wer würde Mel entführen wollen und warum?"

Murdoc fiel da gleich eine Antwort ein. Aber war das nicht zu weit hergeholt? Woher sollte die Organisation von Mel wissen? Aber sie hatten da ihre Quellen. Schließlich hatte H.I.T. damals auch seine Schwester gefunden......

"Zum Beispiel jemand mit den Initialen H.I.T.", mischte sich nun Sam ein.

"Was?" Murdoc drehte sich abrupt zu Sam um, der mit einem Zettel in der Hand hinter ihm stand. Sam hatte den Zettel auf dem Wohnzimmertische neben dem Telefon gefunden. Murdoc riß ihm das Teil aus der Hand.

Wir haben Ihre Freundin, Murdoc.
Wenn Sie sie wiedersehen wollen, kommen Sie zum Eagle's Nest.

H.I.T.

 

Murdocs Gesicht war starr geworden. Es war also wahr. H.I.T. - Homicide International Trust. Er und MacGyver hatten zwar vor knapp drei Jahren den Vorstandsvorsitzenden von H.I.T., Nicolas Helman, indirekt ausgeschaltet - er wurde von seiner rechten Hand Sonia getötet, nachdem er Murdoc und MacGyver aus dem 'Tal des Todes' hatte entkommen lassen - und H.I.T. hatte lange nichts mehr von sich hören lassen, aber jetzt waren sie wieder da. Die Limousine. Jetzt wußte er auch, was ihn daran gestört hatte. Die dunklen Scheiben. Das Unauffällige daran. Zu unauffällig. Und jetzt, wo er daran zurückdachte, erinnerte er sich wieder an das Nummernschild. Er war ein Attentäter - also ein guter Beobachter. Das Nummernschild war amerikanisch gewesen - Nevada. Und in dem Schild waren die drei Buchstaben H, I und T enthalten gewesen. Das Markenzeichen von H.I.T. Keiner, der nichts von H.I.T. und dem Markenzeichen wußte, würde etwas verdächtiges an diesen Schildern finden. Schließlich waren die Buchstaben und Zahlen vermischt und das Wort 'H.I.T.' war nicht eindeutig zu lesen.

Und jetzt hatten sie Mel! Nur zu gut erinnerte er sich daran, was man seiner Schwester angetan hatte. Der elektrische Stuhl, mit dem man sie hatte töten wollen. Die Angst, die sie hatte ausstehen müssen. Er erinnerte sich an die Furcht in ihren Augen. Mel würde das nun auch durchmachen! Er drehte sich abrupt um und ging zur Tür.

"Wo wollen Sie hin?", fragte MacGyver.

"Zum Eagle's Nest", erklSrte Murdoc knapp. "Sie haben es ja gehört."

 

"Wir sollten das ganze mal ruhig überdenken", meinte nun Sam, der sich die ganze Zeit zurückgehalten hatte. Er musterte Murdoc. Der Mann war etwas kleiner als MacGyver, schmaler gebaut und hatte dunkelbraune, kurze Haare. Seine braunen Augen wirkten meistens eisig, aber manchmal schienen auch Gefühle durch.

"Vielleicht sollten wir auch die Polizei rufen. Vor allem wegen Mels Zustand", sagte Sam dann.

"Zustand?" Murdoc sah Sam nun skeptisch an.

"Nun ja, in ihrem Zustand könnte jede Aufregung ungewollte Folgen haben."

"Welcher Zustand? Und was für Folgen?" Murdoc wurde nun unruhig. Fehlte Mel etwas? War sie etwa krank? Seine Kontakte hatten nichts von einer Krankheit erwähnt.

"Sie wissen es nicht?", fragte nun MacGyver.

"Was wissen?"

"Mel ist schwanger. Hochschwanger."

"Schwanger?" Murdocs Unterkiefer machte beinahe Bekanntschaft mit dem Fußboden.

"Etwa im achten Monat." MacGyver hob beide Augenbrauen.

Murdoc schwieg und MacGyver konnte sehen, wie er innerlich schwer am Rechnen war. Und er sah ebenfalls, wie Murdoc zu dem gleichen Ergebnis wie er auch kam.

"Oh, boy!", stöhnte Murdoc nur leise.

 

* * *

 

Fünf Minuten später war der Kriegsrat in vollstem Gange. Und es war kein einfacher Kriegsrat. MacGyver und Murdoc konnten sich einfach nicht auf einen Plan einigen. Und Sam schlug sich mal von der einen Seite auf die andere.

MacGyver wollte die Phoenix Foundation einschalten Sie hatte schon des öfteren mit Entführungsfällen zu tun gehabt und immerhin war Mel eine Angestellte der Foundation! Die Polizei hatten sie von Anfang an aus dem Spiel gelassen. Murdoc war der Ansicht, daß die Foundation nichts damit zu tun hätte. Mel war wegen ihm entführt worden - dies hatte der Brief seiner Meinung nach eindeutig bewiesen - und somit war es auch seine Aufgabe, sie gesund und munter wieder nach Hause zu bringen. Und zwar er alleine! Und Sam war der Ansicht, da sie irgendetwas tun sollten. Und das bald!

Er konnte nur den Kopf sch³tteln. Es war einfach nicht zu fassen, wie diese beiden erwachsenen Menschen sich dermaßen kindisch benehmen konnten! Und das, wo Mels Leben in Gefahr war. Sam hatte seinen Vater noch nie so auf einen einzelnen Menschen reagieren sehen. Leider wußte er nicht, wer dieser Murdoc war. Mac hatte ihn bisher noch nie erwähnt. Aber zwischen Murdoc und MacGyver herrschte eine unterschwellige, sehr starke Spannung, die sich nicht legte.

"Ich rufe jetzt die Foundation an. Sie ist am Besten für solche Dinge ausgestattet." Mac griff zum Telefonh÷rer und fing an die Nummer von Petes Büro zu wählen. Murdoc drückte mit dem Finger auf die Gabel des Telefons und unterbrach somit jede Verbindung, die eventuell zustande hätte kommen können. MacGyver schaute Murdoc böse an und Murdoc erwiderte den Blick. MacGyver spannte sich in Erwartung des Kommenden.

Gleich beißt er zu. Sam wußte, da er jetzt endlich ein Machtwort sprechen mußte.

"Könntet Ihr zwei bitte für einen Moment aufhören euch gegenseitig die Köpfe einzuschlagen und anfangen einmal an Mel zu denken! Wir haben keine Zeit die Kavallerie aufzufahren! Aber Sie alleine haben keine Chance, Mr. Murdoc. Wir sollten uns auf die Socken machen und unterwegs einen Plan aushecken. Und das am besten pronto!"

Die beiden Männer vergaßen für einen Moment ihre Streiterei und schauten Sam erstaunt an. Wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre hätte Sam laut losgelacht, so ähnlich war mit einem Mal der Gesichtsausdruck der beiden Männer.

"Wer ist eigentlich das?" Murdoc schaute Mac mit hochgezogener Augenbraue an. Dieser mußte grinsen.

"Das ist Sam."

"Sam wer?"

"Eigentlich hei e ich Sean A. Malloy", antwortete Sam. "Aber Sie können mich ruhig Sam nennen." Wenn Mac nicht zugeben wollte, da er sein Sohn war, dann war es ihm recht. So lief es eigentlich immer ab. "Aber das ist jetzt nicht wichtig. Wir müssen los."

MacGyver hatte absichtlich nicht erwähnt, da Sam sein Sohn war. Immerhin versuchte Murdoc nun schon seit über 10 Jahren ihn, MacGyver, zu töten. Würde er je herausbekommen, da Sam MacGyvers Sohn war, wSre das verhehrend. Er würde wahrscheinlich - sehr wahrscheinlich - Sam als Köder benutzen, um an MacGyver zu kommen.

Sam schnappte sich den Baseballschläger, der die einzige halbwegs brauchbare Waffe war, die in Mels Wohnung zu finden war, und ging in Richtung Ausgang. MacGyver und Murdoc sahen ein, da Sam recht hatte und folgten ihm. Draußen stieg Mac in seinen Jeep und Sam stieg auf sein Motorrad. Murdoc, dessen Wagen mehrere Häuserecken weiter parkte, da sich Murdoc an Mels Haus herangeschlichen hatte, sah etwas hilflos herum. MacGyver hielt ihm die Tür auf.

"Worauf warten Sie? Steigen Sie schon ein!"

"Aber....?" Eigentlich wollte er sagen, da er zuerst eigentlich zu seinem Wagen wollte, um sich mit einigen vernünftigen Waffen auszurüsten. Doch er kannte MacGyver gut genug, um zu wissen, da dieser nicht darauf eingehen würde.

"Aber was?" Langsam wurde MacGyver ungeduldig.

"Ich würde gerne zuerst zu meinem Wagen."

"Warum das jetzt? Wir haben keine Zeit!"

"Würden Sie mir glauben, wenn ich Ihnen sage, daß ich noch meine Zahnbürste bräuchte?", meinte Murdoc mit einem neutralen Ausdruck im Gesicht."Was für ein Kaliber hat Ihre Zahnbürste?", war die kühle Erwiderung. MacGyver wußte genau warum Murdoc zu seinem Wagen wollte!

Murdoc hob den Mundwinkel und zuckte nur mit den Achseln. Er hatte es versuchen müssen. Nun waren sie nur auf seine Einfälle, die von diesem Sam und MacGyvers angewiesen. Er dachte noch einmal nach. So schlecht stehen wir gar nicht einmal da!

 

* * *

 

Ich weiß nicht, was mit mir los ist! Eigentlich hätte ich Murdoc sofort bei der hiesigen Polizei abliefern müssen, anstatt mich auf diese verrückte Rettungsaktion einzulassen. Schließlich ist der Mann ein gesuchter Mörder! Aber nein, ich hatte ihn zum Partner - jetzt schon zum dritten Mal! Langsam gibt das mir zu denken.....

Eagle's Nest war eine kleine Hütte etwa fünfzehn Kilometer von Beddrock entfernt. Vor einigen Jahren war sie als Beobachtungsstation für einen Adlerfelsen mit einen Nest von Steinadlern vorgesehen gewesen. Doch wurden die Adler im Rahmen eines größeren Projektes umgesiedelt und seit gut zwei Jahren stand die Hütte leer. Murdoc wußte, da H.I.T. die Hütte als geheimen Treffpunkt für alle Gelegenheiten verwendete und er war selbst vor eineinhalb Jahre schon einmal dort gewesen um einen Auftrag in der Gegend zu übernehmen.

Auf dem Weg dorthin hatten sie angefangen einen Plan auszuarbeiten. Sie hofften, daß Mels Entführer nur eine Person - Murdoc - erwarten würden. Also würden sie auch nur eine Person zu sehen bekommen.

Etwa einen halben Kilometer von der Hütte entfernt befand sich ein kleiner Parkplatz, der zu dem Naturschutzgebiet gehörte. Hier hielten sie ihren nächsten Kriegsrat. Murdoc, der inzwischen zugegeben hatte, da er sich in der Gegend auskannte, zeichnete auf einen Zettel einen groben Lageplan der Umgebung und sie teilten sich auf. Während Murdoc offen den Weg entlang gehen würde, würden Sam und MacGyver sich seitlich vom Weg durch die Büsche schlagen. Falls jemand auf Murdoc warten würde, würde dieser ihn ablenken und die anderen beiden würden sich um ihn kümmern.

Es war noch etwa hundert Meter bis zur Hütte, als Murdoc hustete. Dies war das vereinbarte Zeichen, da er etwas beobachtet hatte. Sam und MacGyver schlichen sich jeweils von unterschiedlichen Seiten näher an den Weg heran. Dann sahen sie ihn. Hinter einem Holzhaufen am Rande des Weges duckte sich ein Mann. MacGyver konnte deutlich sehen, daß er mit einer Pistole bewaffnet war.

Mac war bis auf wenige Meter an den Mann herangeschlichen als er auf einem trockenen Ast trat. Dieser zerbrach mit einem lauten und deutlich vernehmbaren 'Knack'. MacGyver erstarrte zu einer Salzsäule. Der Mann wirbelte herum. MacGyver sah keinen Grund mehr weiter heimlich vorzugehen und versuchte mit einem Satz den andern Mann zu erreichen bevor dieser seine Waffe herum bekam. Doch der Mann war schneller. MacGyver fror mitten in der Bewegung ein. Langsam hob er die Hände auf Schulterhöhe und sein Gesichtsausdruck nahm Ähnlichkeit mit dem eines Kindes an, das man mit den Fingern in der Keksdose erwischt hatte.

Ein süffisantes Grinsen machten sich auf dem Gesicht des anderen Mannes breit. Doch nicht für lange. Sam, der von der anderen Seite her angeschlichten war, hob dem Baseballschläger und lies ihn auf den Schädel des anderen niederfahren. Dieser ließ die Waffe fallen und dann gesellte er sich zu ihr auf den Boden. Murdoc bückte sich schnell und durchsuchte die Taschen des Mannes. Außer der Waffe und drei Reservemagazinen hatte er nichts bei sich. Er nahm die drei Magazine und steckte sie ein. Dann stand er auf, die Waffe in der Hand.

MacGyver sah die Waffe in Murdocs Hand. Dort sah er sie nicht gerne. Doch er wußte, daß er sie Murdoc nicht abnehmen konnte. Wenigstens nicht ohne einen Kampf, bei dem der Ausgang wohl eher zugunsten von Murdoc war. Obwohl Mac nicht wußte, ob Sam vielleicht auf seiner Seite war. Dieser hatte nun einmal eine andere Einstellung zu Waffen als er. Obwohl er sich in der letzten Zeit gebessert hatte.

Murdoc sah den inneren Kampf von MacGyver, aber letztendlich tat MacGyver dann nichts. Für Murdoc war das die stillschweigende Zustimmung. Sie fesselten den Mann schnell und gründlich. Dann schlichen sie weiter zu der Hütte, die nur wenige Meter weiter oben war. Auf dem Weg dahin begegneten sie keinem weiteren Wachposten. Murdoc kam das etwas merkwürdig vor, aber im Moment machte er sich zu sehr Sorgen um Mel und ihren 'Zustand', als da er weiter darüber nachdachte.

MacGyver dachte da schon etwas mehr darüber nach. Schließlich waren es zwei Leute gewesen, die Mel entführt hatten. Jedenfalls vermutete er das. Einer hatte Mel betäubt und der andere hatte ihn niedergeschlagen. Also, wo war der zweite Mann?

Die Hütte war ein rustikaler Bau, der an eine Blockhütte erinnerte. Dicke Holzstämme bildeten die Wände und das Dach war mit Steinen beschwert worden. Es gab nur einen Eingang und das war die Vordertür. Und diese war unverschlossen. Murdoc runzelte etwas die Stirn.

"Ich glaube kaum, da sie vergessen haben, die Tür abzuschließen", bemerkte Sam. "Könnte eine Falle sein."

"Bei H.I.T. ist das mehr als nur möglich", meinte nun MacGyver und warf Murdoc einen Blick zu. Dieser nickte nur langsam.

"Jemand sollte hier draußen Wache halten."

Sam hob den Baseballschläger. "Ich melde mich freiwillig."

Murdoc sah MacGyvers sich rapide verändernten Gesichtsausdruck, da er das nicht gerade gut fand. Wer zum Teufel war dieser Sam? Irgend etwas störte ihn an diesem Jungen. Irgend etwas gab es da zwischen MacGyver und Sam, das er nicht so ganz mitbekam.

Sam sah MacGyver auffordernd an. "Nun geht schon rein! Ich passe auf!"

MacGyver zögerte wieder etwas. "Sei vorsichtig, Sam", meinte er dann mit einem etwas besorgten Tonfall, den Murdoc so noch nie bei MacGyver gehört hatte.

"Mac, bitte! Ich bin erwachsen!" Sam hatte fast den Tonfall eines trotzigen Kindes.

Bevor MacGyver etwas sagen konnte, packte ihn Murdoc am Arm. "Lassen Sie uns endlich gehen!"

MacGyver zögerte noch kurz, aber dann gingen sie weiter auf die Tür zu. Nichts rührte sich, während sie näher kamen. Keine versteckten Fallen, keine Männer, die hinter den Bäumen hervorsprangen und auf sie schossen - nichts. Es war schon verdächtig still. Die Tür selbst war aus Holz, wie auch der Rest der ganzen Hütte, und leicht angelehnt. MacGyvers Herz schlug irgendwo in seiner Kehle. Er hatte mehr als einmal solche Scenarios mitgemacht. Eine angelehnte Tür, eine einsame Hütte im Wald - eine Falle.

Murdoc stieß die Tür leicht an und sprang sofort wieder zurück. Nichts passierte. Die Tür schwang nur mit einem leisen Knarren auf und verharrte halb ge÷ffnet.

 

MacGyver sah Murdoc an. Dieser zuckte nur mit den Achseln. Er stie die Tür ganz auf und sie traten bis an die Schwelle heran. Vor ihnen erstreckte sich ein kleiner Gang. Rechts von ihnen war eine Tür mit der Aufschrift 'Bad'. Geradeaus konnte man eine weitere Tür erkennen. Hier stand 'Lager' darauf. Links von ihnen war die einzige offenen Tür. Sehr, sehr vorsichtig trat Murdoc ein. MacGyver folgte ihm eine Sekunde später. Noch immer geschah nichts.

Murdoc begann damit, das Bad zu untersuchen. Außer der üblichen Ausstattung, die man in einem Bad nun mal fand, gab es nichts. MacGyver nahm sich in der zwischenzeit das Lager vor. Hier war au er zwei leeren, verstaubten Regalen nichts zu finden. Also blieb nur die offene Tür. MacGyver hatte kein gutes Gefühl. Offene Türen waren zu einladend. Eine Falle.

"Hallo?"

Mel! MacGyver sah Murdoc an. Das war eindeutig Mels Stimme gewesen. Und sie war aus dem Raum mit der offenen Tür gekommen.

"Mel? Wo bist Du?"

"MacGyver? MacGyver, bist Du das?"

"Ja, Mel. Wir sind hier, um Dich hier herauszuholen."

"Bleib um Gottes Willen wo Du bist, Mac! Wenn Du hier hereinkommst, fliegt alles in die Luft!"

Murdoc machte ein paar schnelle Schritte auf die offene Tür zu, wurde aber von MacGyvers ausgestrecktem Arm aufgehalten. "Haben Sie nicht gehört, was Mel gesagt hat?"

"Sie ist Gefahr." Murdoc sah MacGyver kalt an.

"Natürlich ist sie das! Schließlich war es H.I.T., die sie hierher entführt haben! Aber ich glaube kaum, daß sie uns Mel einfach so rausholen lassen! Und wenn Mel sagt, da das eine Falle ist, dann werden wir uns auch so vorsichtig wie möglich bewegen!"

MacGyver senkte den Arm und Murdoc blieb stehen wo er war. "Mel, was meinst Du mit 'ich soll mich nicht bewegen'?", fragte MacGyver dann.

"Ich weiß nicht, wie sich das Zeug nennt, aber wenn jemand hier herein kommt geht diese Bombe hoch."

"Wie sieht es in dem Raum aus, Mel?"

"Frag mich 'was leichteres! Man hat mir die Augen verbunden!", kam die wütende Erwiderung.

MacGyver dachte nach. Er mußte wissen, wie es in dem Raum aussah. "Ich brauche den Spiegel aus dem Bad", sagte er dann zu Murdoc gewandt.

Murdoc runzelte etwas die Stirn, holte dann aber den kleinen, runden Spiegel. MacGyver hielt das Teil an den Türrahmen. Dann versuchte er einen möglichst günstigen Winkel zu finden, der es ihm erlaubte, den Raum zu sehen. Nach einiger Zeit hatte er es geschafft.

Der Raum war eine Art von leergeräumtem Wohnzimmer. Außer einem Tisch und einem Stuhl befand sich nichts mehr darin. An einer Wand war eine kleine Kochnische zu erkennen. Inmitten des Raumes saß Mel. Sie war an einem hochlehnigen Stuhl gefesselt. Vor ihr auf dem Tisch stand ein Kasten, von dem einige Drähte quer durch den Raum verliefen. In jeder sichtbaren Ecke war ein kleiner rechteckiger Kasten an die Wand geschraubt worden. Diese erinnerten Mac an Überwachungskameras. Er gab Murdoc den Spiegel.

"Was glauben Sie, was das für Kästen sind?"

Murdoc betrachtete sich den Raum. "Bewegungsmelder", antwortete er dann.

"Ich glaube", sagte MacGyver mit einem ernsten Ausdruck im Gesicht, "wir haben ein Problem."

 

* * *

 

Zehn Minuten später waren sie immer noch nicht einer Lösung näher gekommen. Sie hatte festgestellt, da in jeder Ecke des Raumes ein Bewegungsmelder hing, der jeweils eine Seite des Raum überwachte. Mel hatte ihnen erzählt, da die gehört hatte, wie ihr Entführer gesagt hatte, da sie sich zwar etwas bewegen konnte, da sie aber sich nicht weit von dem Ort wo sie sich befand entfernen durfte. Als ob sie eine Wahl hätte! Sie war fest auf den Stuhl gebunden worden. MacGyver schloß aus ihrer Beschreibung, da? die Melder jeweils einen Sektor des Raumes überprüften, und das in der Mitte des Raumes ein 'Blinder Fleck' übrig geblieben war.

Sie hatten Sam zu ihrer Beratung herangezogen, doch der konnte auch keine Lösungsvorschlag machen. Mac schlug vor, da man vielleicht jetzt die Phoenix Foundation heranziehen sollte. Bevor er sich jedoch durchgesetzen konnte, meldete Mel sich wieder.

"MacGyver!" Ihre Stimme hatte plötzlich einen drängenden Unterton.

"Keine Angst, Mel, wir finden einen Weg Dich da raus zu holen." MacGyver versuchte sie zu beruhigen.

 

"Das ist an und für sich eine gute Idee. Doch ich würde euch darum bitten euch langsam zu beeilen."

"Wieso?" MacGyver fürchtet, daß er die Antwort auf diese Frage schon kannte. Doch er hatte immer noch seine Hoffnung. Aber nicht mehr lange.

"Ich glaube, ich bekomme langsam meine Wehen."

Murdoc, Sam und MacGyver schauten sich gegenseitig an. Bis jetzt hatte sie ein Problem gehabt. Jetzt waren sie in Schwierigkeiten!

"Äh, wie groß ist der Abstand zwischen den Wehen?" Sehr viel Ahnung hatte MacGyver von Geburten nicht, aber er hatte einmal gehört, daß wenn die Abstände zwischen zwei Wehen kurz würden, es nicht mehr lange dauern würde.

"Woher soll ich das wissen? Ich habe keine Stoppuhr dabei. Und außerdem hat man mir, wie Du Dich vielleicht erinnern kannst, die Augen verbunden."

"Wir müssen etwas tun!" Hörte MacGyver da Panik in Murdocs Stimme?

"Fantastische Idee, Mann! Und was soll wir Ihrer Meinung nach tun?!"

Nach dieser Bemerkung funkelte Murdoc MacGyver wütend an. Sam seufzte. Die beiden waren unmöglich! Wie Hund und Katze!

"Wir wär's wenn wie von oben ran gehen?"

"Absolut unmö.... . Moment mal. Du könntest da eine Idee haben."

Ohne lange zu fackeln stürmte MacGyver auf den Ausgang zu. Die anderen folgten ihn. MacGyver ging in großen Schritten um die Hütte herum. Plötzlich blieb er stehen. Er hatte mit den Augen das Dach der Hütte untersucht. Jetzt schaute er sich nach einem Gegenstand um, der ihm helfen konnte auf das Dach der Hütte zu gelangen. Sam, der in der Zeit, als die beiden anderen Männer das Innere der Hütte untersucht hatten, sich in der Gegend umgeschaut hatte, wußte, da hinter der Hütte eine Leiter lag. Nun schnappte er sie sich und zu zweit lehnten sie sie gegen die Wand der Hütte. MacGyver kletterte, gefolgt von Murdoc, hoch.

"Wir müssen durch das Dach. Eigentlich sollte dies kein Problem sein."

MacGyver fing an einer Stelle des Daches die dort zum Beschweren hingelegten Steine zu greifen und vom Dach zu werfen. Murdoc zögerte einen Moment und machte es dann MacGyver nach. Nach wenigen Minuten hatte sie etwa über der Stelle, wo sie den Stuhl mit Mel vermuteten. Die meisten Steine entfernt und MacGyver holte nun sein Taschenmesser heraus. Er fing an die Dachpappe, die das Dach ziegelartig gedeckt hatte, von den Balken auf die sie genagelt war abzuhebeln.

"Warum stellen Sie sich so umständlich an?" Murdoc holte aus der Scheide auf seinem Rücken ein großes Jagdmesser heraus und stach damit in die Abdeckung des Daches.

Es war nicht einfach, die Pappe zu zerschneiden, denn die Dachpappe war sehr dick. Er schnitt ein Rechteck von ca. 60 Zentimeter Kantenlänge heraus und legte es neben sich auf das Dach. Beide schauten durch die Öffnung nach unten. Sie konnte nun den großen Raum aus einem ganz anderen Winkel sehen. Drei Meter unter ihnen saß Mel auf ihren Stuhl. Sie selbst knieten auf einem der breiten Dachbalken. Murdoc und Mac konnten sie schwer atmen hören. MacGyver beugte sich weiter vor, um einen genaueren Einblick in die Hütte zu bekommen.

In diesem Moment hallte ein Schu durch die Stille. Murdoc wurde nach vorne gerissen und verlor das Gleichgewicht. Er fiel nach vorne und direkt durch das Loch, das er vor wenigen Augenblicken in das Dach geschnitten hatte. MacGyver versuchte ihn noch aufzuhalten, während er gleichzeitig versuchte in die nicht vorhandene Deckung zu gehen. Beide Versuche waren nicht von Erfolg gekrönt. Er hört noch wie Murdoc mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden der Hütte auftraf, bevor er dann ebenfalls das Gleichgewicht verlor und anfing vom Dach zu rutschen. Er versuchte sich irgendwie festzuhalten, landete aber dann unsanft auf dem Hosenboden hinter einem Holzhaufen.

 

* * *

 

Jefferson Thomas stand schon seit knapp 10 Jahren im Dienst von H.I.T. Er hatte als freier Killer zum Anheuern für Jederman auf der Straße gearbeitet, als man an ihn herangetreten war und ihm ein Angebot gemacht hatte. Er würde für H.I.T. arbeiten und man würde ihn dafür sehr gut entlohnen. Der damals 25-jShrige Thomas hatte sofort eingeschlagen. Man hatte ihm eine 'Ausbildung' verschafft und seine 'Talente' gefördert. H.I.T. engagierte nicht jeden beliebigen Typen, der mit einer Waffe umgehen konnte. Thomas hatte schon auf der Straße einen Ruf als guter Attentäter gehabt und H.I.T. hatte ihn nur noch den letzten Schliff verpaßt. Er war zu einem der besten aufgestiegen. Nur einer war besser gewesen - Murdoc.

Murdoc war der Top-Mann von H.I.T. gewesen, als Thomas kam und Thomas hatte sich vorgenommen, ihn zu schlagen. Bis heute war ihm das nie gelungen. Murdoc war und blieb der beste in diesem Geschäft. Nun hatte Thomas die Möglichkeit, sich als neuer Top-Mann zu beweisen. Als Nicolas Helman 'ging' und Sonia übernahm, hatte sie die gesamte Struktur von H.I.T. neu geordnet und Thomas war an Murdocs Stelle getreten. Durch Murdocs Verrat an H.I.T. hatte die Organisation lange gebraucht, um sich von den Rückschlägen zu erholen. Murdoc hatte der Phoenix Foundation alle Informationen über H.I.T. zugespielt und Phoenix hatte alles an die Polizei weitergeleitet. Und diese hatte die Informationen gut genutzt. Deshalb war es auch seine Aufgabe Murdoc zu erledigen. Und er hatte den Auftrag nur zu gerne angenommen.

Es hatte lange gedauert, um Murdocs Spur aufzunehmen und herauszufinden, was der Attentäter in letzter Zeit alles getan hatte. Man hatte ihn für tot gehalten, wie schon so oft, aber Murdoc hatte seine letzte Konfrontation mit MacGyver wieder überlebt. Für Thomas war es bis heute ein Rätsel, wie der Mann das immer wieder schaffte. Auf jeden Fall war dann auch diese Frau, Dr. Melanie McAllister, aufgetaucht und es hatte nicht lange gedauert um herauszufinden, daß sie in einer engen Beziehung zu Murdoc stand. So eng, daß Thomas wußte, daß Murdoc sofort kommen würde, wenn man sie bedrohen würde. Thomas hatte sich Mark Lance, einen der Muskelmänner von H.I.T., genommen und sich auf die Lauer gelegt. Irgendwann würde Murdoc kommen. Sie brauchten nur zu warten. Und sie wurden nicht enttäuscht. Murdoc kam. Er hatte einen neuen Beruf und Praddoxx Engineering war sein Ziel. Murdoc betrieb nun Industriespionage. Thomas fand es entwürdigend, da ein Attentäter nun als Spion arbeitete.

Murdoc war also in Beddrock aufgetaucht. Er hatte sich bei Praddoxx das geholt, was er wollte, ohne eine Spur zu hinterlassen. Hier mußte ihm Thomas ein heimliches Kompliment machen. Das Sicherheitssystem zu knacken war eine Meisterleistung gewesen! Aber das würde seine Arbeit nicht beeinflussen. Er würde Murdoc beseitigen.

Sie hatten also die Frau entführt und sie zum Eagle's Nest gebracht. Und Murdoc war aufgetaucht. Zusammen mit zwei Männern, von denen Thomas einen als den identifizierte, den Lance im Haus von McAllister niedergeschlagen hatte. Er kannte MacGyver nicht,so da er nicht wußte, wen er vor sich hatte. Murdoc war der einzige gewesen, der sich mit MacGyver beschäftigt hatte.

Sie hatten Lance ausgeschaltet - Kompliment! - und waren nun dabei, von oben in die Hütte einzudringen. Also hatten sie erkannt, was sich in der Hütte befand. Nun, Thomas wußte zu verhindern, da sie näher an ihr Ziel herankamen. Jedenfalls wollte er den Begleiter von Murdoc beseitigen, um sich voll und ganz seinem früheren Konkurrenten bei H.I.T. zu kümmern. Den jungen Mann, der die Gegend patroulliert hatte, hatte er schon ausgeschaltet.

Er hob das Gewehr mit dem Zielfernrohr und richtete es auf die beiden Männer auf dem Dach. Er wartete. Als er glaubte, der andere Mann wäre im richtigen Schußfeld, drückte er ab. Womit er nicht gerechnet hatte war, da sich dieser Mann genau in diesem Moment bewegte. Er traf Murdoc, der hinter dem Mann gekniet hatte. Thomas sah, wie das eigentliche Ziel seiner Bemühungen in das Loch im Dach fiel. Leise fluchend zielte er wieder auf den anderen Mann, der sich versuchte, in Sicherheit zu bringen. Als er vom Dach rutschte, legte Thomas das Gewehr zur Seite und zog seine Handfeuerwaffe und machte sich auf den Weg zur Hütte.

 

* * *

 

Murdoc kam wie eine Katze auf dem harten Holzfußboden auf. Nun ja, er landete nicht auf allen vieren, aber er landete wenigstens so, da er sich nicht weiter schwer verletzte. Er hatte sich etwas abgefangen, als er mit der linken Schulter zu erst auf den Boden knallte und hatte so nur ein taubes Gefühl im linken Arm, das sich schnell wieder legte. Außerdem war er etwas benommen, aber etwas drang sofort zu seinem Gehirn vor - die Bewegungsmelder! Er erstarrte. Nichts passierte. Anscheinend war er exakt

in dem 'Blinden Fleck' gelandet. Ohne viele Bewegungen sah er sich um. Rechts neben ihm war der Stuhl mit Mel, die schwer atmete und eine Art von Atemübung durchführte. Vor Mel stand ein niedriger Tisch, auf dem ein grauer Kasten stand. Der Kasten mit der Bombe. Vorsichtig richtete er sich auf und ein heißer Schmerz machte sich in seiner linken Seite bemerkbar. Er sah an sich herunter und entdeckte einen nassen Blutfleck. Die Kugel hatte ihn erwischt.

 

* * *

 

Mel hatte den Schu gehört. Und sie hörte wie etwas mit einem dumpfen Schlag neben ihr auf dem Boden landete. Nun befürchtete sie das Schlimmste.

"MacGyver? Bist Du das?"

Zuerst hörte sie nur ein Stöhnen. Dann rappelte die Person sich anscheinend auf und beugte sich über sie. Sie spürte, wie sich jemand an ihrer Augenbinde zu schaffen machte. Dann wurde es hell um sie. Sie blinzelte. Für einen Moment konnte sie nicht glauben, was sie sah. Sie schloß noch einmal die Augen, doch als sie sie wieder öffnete war er immer noch da.

"Mike!!!!!" Sie konnte es nicht fassen.

Das letzte Mal, das sie ihn gesehen hatte, war vor fast acht Monaten gewesen. Sie hatte, als sie noch im High Cliffs National Park gearbeitet hatte, Mike am Strand gefunden. Er hatte sein Gedächtnis verloren und sie hatte ihn gesund gepflegt. Es hatte nicht lange gedauert, bis sie sich ineinander verliebt hatten. Nach zwei Wochen war MacGyver aufgetaucht und dann war alles drunter und drüber gegangen. Am Ende hatte Mike sein Gedächtnis wieder gefunden und hatte ihr gesagt, da er deswegen gehen mußte.

MacGyver, und auch Pete, schienen zu wissen wer Mike in Wirklichkeit war. Doch alles, was sie von ihnen erfahren hatten war, da alles was Mike beträfe klassifizert wäre. Das einzige, was sie herausbekommen hatte, war, da Mike eigentlich Murdoc hieß und daß er und MacGyver nicht gerade Freunde waren.

Als Murdoc in Mels grüne Augen schaute, wußte er mit einem Mal wieder warum er nicht von dieser Frau lassen konnte und warum er dies auch nie können würde. Sie war noch genauso wie damals, als er sie hatte verlassen müssen. Nur die Rundung ihres Bauches war nicht gewesen. Und diese Rundung war schon beträchtlich. Schnell machte er sich daran sie von ihren Fesseln zu befreien.

"Du hast mir gefehlt, Mel." Seine Stimme klang irgendwie rauh.

"Du mir auch, Mike." Plötzlich entdeckte sie einen feuchten, roten Fleck auf seinem blauen Hemd. Der Fleck befand sich etwa in Höhe der dritten Rippe.

"Mike, Du bist verletzt!"

"Das ist nichts, Mel. Nur ein kleiner Kratzer."

"Das nennst Du 'nichts'? Ein Kratzer ist für mich ein Holzsplitter im Daumen, aber nicht ein Streifschuß!" Mel sah ihn fast erbost an, daß er ihr so etwas hatte erzählen können. "Ich bin Ärztin, falls Du Dich erinnern willst - zwar Tierärztin, aber ichkann einen Kratzer von einer schlimmeren Wunde unterscheiden! Und der Blutung nach ist das eine schlimmere Wunde!"

Murdoc versuchte, ihren leichten Wutausbruch zu ignorieren, und wollte sie von ihrem Stuhl hochziehen, um sie zu umarmen - vollkommen die Tatsache ignorierend, da sie in einem Raum mit einer scharfen Bombe standen, die jeden Moment hochgehen konnte. Plötzlich stöhnte Mel auf und ihre Hand krallte sich in Murdocs Oberarm. Die Wehen. Sie sank zurück auf ihren Stuhl und Murdoc konnte kleine Schwei perlen erkennen, die sich auf ihrer Stirn bildeten. Sie mußte dringend hier raus und zu einem Arzt! Aber dazu mußte er erst einmal die Bombe entschärfen.

 

"Bleib ganz ruhig, Mel! Ich hole Dich schon hier raus!"

"Du hast gut reden!", preßte Mel zwischen zusammnegebissenen Zähnen hervor. "Das ist höllisch!"

Murdoc ließ ihre Hand los und drehte sich zu der Bombe vor ihm auf dem Tisch. Die Bombe bestand aus einm grauen, viereckigen Kasten, von dem Drähte zu den Bewegungsmeldern gingen. Der Deckel war durchsichtig und im Innern waren anscheinend hunderte vonverschiedenen Drähten zu erkennen. Und ein Timer. Murdoc spürte, wie ihm der kalte Schweiß ausbrach.

Die Uhr zeigte 5:45 Minuten. Und einen Moment später sprang sie auf 5:44 um.

 

* * *

 

In der Zwischenzeit hatte MacGyver auch alle Hände voll zu tun. Irgendwo da draußen war noch ein Killer von H.I.T., der es auf ihn und Murdoc abgesehen hatte. Außerdem machte er sich Sorgen um Sam, der ja auch noch irgendwo herumschlich. Zur Zeit saß MacGyver hinter einem mit einer Plastikplane abgedeckten Holzscheithaufen und versuchte, einen Weg aus dieser vertrackten Situation zu finden. Er hatte keine Ahnung, wo der zweite Mann war. Er hatte keine Ahnung, wo Sam war. Und er wußte ebenfalls nicht, was mit Murdoc passiert war. Okay, er war in die Hütte gestürzt und die Bombe war nicht hochgegangen. Da hieß , er war au erhalb der Reichweite der Bewegungsmelder gelandet. Aber war er verletzt? Und lebte er überhaupt noch? Und warum zum Teufel machte er sich Sorgen um Murdoc?? Einfache Antwort: er war der einzige, der ihm helfen konnte, Mel zu befreien.

Plötzlich sah er einen Schatten, der rechts von ihm durch das Gebüsch huschte. Entweder war das der Mann von H.I.T. oder es war Sam. MacGyver beschlo , kein Risiko einzugehen. Er schnappte sich einen der dicken Holzprügel, der ungefähr Armeslänge hatte, und versteckte sich so gut wie möglich hinter dem Holzhaufen. Er hörte, wie jemand näher kam. Als er die Fußspitze des Mannes sah - definitiv nicht der Fuß von Sam, denn der trug keine teuren schwarzen Lackschuhe! - holte er mit dem Prügel aus und schlug zu. Er erwischte den Mann direkt vor die Brust und dieser wurde zurückgeworfen. Dabei verlor er seine Waffe. MacGyver warf den Holzprügel weg und setzte noch einen Faustschlag nach. Der Mann blieb bewußtlos liegen.

Dann holte MacGyver die Rolle Klebeband aus seiner Hosentasche, die er immer mit sich herumtrug. Er riß einige Stücke von dem silberfarbenen Band ab und fesselte den Mann gründlich. Dann machte er sich auf die Suche nach Sam. Er fand ihn auch. Sam lag auf dem Waldboden, etwa 10 Meter von der H³tte entfernt. MacGyver rannte zu ihm hinüber und kniete sich neben seinen Sohn.

"Sam?", fragte er besorgt und versuchte einen Puls zu finden. Er fand ihn auch und stellte fest, da Sam noch lebte. Sam bewegte sich zögernd und stöhnte leise. Mac half ihm, sich aufzurichten.

"Hast Du die Nummer von dem Laster, der mich überfahren hat?", fragte Sam.

MacGyver lächelte erleichert. "Alles okay?"

"Sicher, Dad. Alles okay. Nur mein Kopf könnte 'ne Eispackung gebrauchen. Wo ist dieser Murdoc?"

"In der Hütte und befreit Mel."

Zusammen gingen sie wieder zurück in die Hütte. Wie vorher benutzte MacGyver den Spiegel, um in den Raum mit den Bewegungsmeldern zu sehen. Dort entdeckte er Mel, die jetzt frei war, und Murdoc, der sich über den Kasten auf dem Tisch beugte.

"Murdoc?"

Murdoc sah auf. "MacGyver?"

"Was ist mit der Bombe?"

"Die Bombe hat einen Timer", erklärte Murdoc und er klang sehr angespannt. "Wir haben noch knapp drei Minuten Zeit."

"Können Sie die Bombe entschärfen?", fragte MacGyver.

"Ich glaube schon. Es ist eins von den üblichen Standardmodellen von H.I.T. Dürfte kein Problem sein."

Dürfte kein Problem sein???? MacGyver traute seinen Ohren nicht. Durch den Spiegel konnte er sehen, wie Murdoc sich an den Drähten zu schaffen machte. Sam sah währenddessen auf seine Uhr. Wenn Murdoc recht hatte, hatten sie noch etwas weniger als 2 Minuten. Und die Zeit verstrich erbarmungslos, während Murdoc arbeitete. MacGyver sah Sam an und dieser erwiderte den Blick. Dann war die Zeit vorbei. Und es passierte nichts. Gar nichts.

"Murdoc!?"

"Kommen Sie rein, MacGyver. Es ist alles sicher", kam die sehr erleichtert klingende Antwort.

MacGyver lugte vorsichtig um die Ecke und sah Murdoc, der in seine Richtung blickte. Ein Lächeln stand auf seinen Lippen. In diesem Moment kam ein lautes Aufstöhnen von Mel. Murdoc fuhr wie von der Tarantel gestochen herum. Mel griff sich an den Bauch und krümmte sich zusammen.

"Mel!" MacGyver und Sam rannten nun ebenfalls zu ihr. Mel sah auf.

"Ich glaube", sagte sie, "mir ist soeben die Fruchtblase geplatzt."

 

* * *

 

Das Timing von Killern ist immer irgendwie perfekt. Ich habe da ja meine Erfahrung mit Murdoc. Aber ich mu zugeben, dieser andere Kerl, der hinter uns her war, war auch nicht schlecht. Wie auch Murdoc schaffte er es, immer zum unpassendsten Moment aufzutauchen.

Murdoc stützte Mel und wollte ihr gerade helfen, sich hinzulegen, als Jefferson Thomas hereinkam. Es war nicht einfach gewesen, sich von den Klebebändern zu befreien, aber er war ja nicht umsonst der beste Mann von H.I.T. Mit Hilfe eines an seinem Handgelenk verborgenen Messers, hatte er es mit einigen Mühen geschafft. Seine Waffe hatte er auch wiedergefunden. Murdocs Helfer hatte sie einfach einige Meter von ihm weggeworfen. Amateur!

"Sie dachten doch nicht etwa, da ich so leicht auszuschalten bin, oder?" Thomas lächelte MacGyver kalt an und diesem lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Murdoc, der Mel stützte, erstarrte und sein Gesicht wurde zu einer stählernen Maske.

"Thomas!"

"Richtig, Murdoc. Wie schön es doch ist, einen alten Bekannten in dieser einsamen Gegend zu treffen. Ich freue michüber unser Wiedersehen!" Thomas sah Murdoc kalt an. Noch nie war er seinem Ziel so nahe gewesen.

"Lassen Sie die Frau gehen, Thomas. Ich glaube kaum, da sie Ihnen etwas bringt."

"Na, na", schalt Thomas gespielt. "Sie sind wohl schon zu lange aus dem Geschäft, mein Lieber. Würden Sie so eine wertvolle Geisel und einen so wichtigen Zeugen gehen lassen? Nein, Sie nicht. Ich habe von Ihnen gelernt, Murdoc. Und nun wird der Schüler den Meister schlagen."

MacGyvers Verstand arbeitete auf Hochtouren und er versuchte einen Ausweg aus dieser hoffnungslosen Situation zu finden. Sam stand nur wenige Meter neben ihm und warf nervöse Blicke zwischen Mel, Murdoc und Thomas hin und her. Auch er suchte nach einem Ausweg. MacGyver schätzte die Entfernung zwischen sich und Thomas ab. Zu weit, stellte er fest. Er würde keinen Meter weit kommen, ohne getroffen zu werden.

Die Lösung dieses Problems wurde von Mel geliefert - wenn auch unfreiwillig - in Form einer neuen Wehe. Mel stöhnte laut - vielleicht etwas zu laut - und krümmte sich zusammen. Murdoc hielt sie fest. In diesem Moment war Thomas' gesamte Aufmerksamkeit auf Murdoc und Mel gerichtet. MacGyver sah seine Chance. Er hechtete auf Thomas zu. Doch dieser sah ihn kommen und die Waffe ruckte herum. Thomas schoß.

Sam sah, wie sein Vater nach hinten gerissen wurde und zu Boden fiel. Eine blutige Wunde war an seiner rechten Schläfe. Bei Sam kam es zu einer Kurzschlußreaktion.

"NEIN!!!"

Er hechtete nun ebenfalls auf Thomas zu und prallte mit ihm zusammen. Die beiden gingen zu Boden. Thomas war eine Sekunde lang total verwirrt. Sam nutzte das aus und verpaßte ihm einen sehr harten und gezielten Schlag an das Kinn.

"Autsch!" Seine Hand reagierte Su erst schmerzhaft auf den Zusammenstoß und er schüttelte sie.

Murdoc runzelte kurz die Stirn, als er die Bewegung sah. Er kannte sie von irgendwoher. Aber wie auch immer, Thomas blieb bewußtlos liegen. Sam schnappte sich die Waffe und steckte sie gesichert in den Hosenbund. Dann lief er zu MacGyver hinüber und beugte sich über ihn.

"Mac? Kannst Du mich hören?" Er suchte nach einem Puls. MacGyvers gesamte linke Gesichtshälfte war blutüberströmt und er gab kein Lebenszeichen von sich. Die Kugel hatte ihn an der äußeren Spitze der Augenbraue getroffen und eine tiefe Wunde bis hin zum Haaransatz gerissen. Und es blutete f³rchterlich.

"Dad? Bitte! Sag etwas!"

Dad?! Murdoc glaubte, einen Hörfehler zu haben! Hatte der Junge eben 'Dad' zu MacGyver gesagt? MacGyver stöhnte leise und seine linke Hand zuckte leicht. Er schlug zögernd die Augen auf.

"Hi, Sam", murmelte er und versuchte dann, sich aufzurichten. Er stöhnte wieder auf und hielt sich den Kopf.

"Alles in Ordnung, Dad?" Sam half MacGyver auf. Dieser schwankte etwas, schaffte es aber, sich auf den Beinen zu halten.

"Alles okay,", erwiderte er. Und dann kam bei Mel die nächste Wehe.

 

* * *

 

Ich habe schon mehr als einen Erste-Hilfe-Kurs mitgemacht und kenne mich bei der Notversorgung von Wunden eigentlich recht gut aus. Ich habe auch schon genug Filme gesehen, die einem zeigen, wie ein Kind geboren wird. Was ich noch nicht getan habe, ist ein Kind auf die Welt zu bringen. Nun, es gibt ja eigentlich auch die Ambulanz, die man in Notfällen ruft. Aber was tut man, wenn das nicht geht?

 

Sean Angus Malloy stand hinter seinem Vater und beobachtete das fast hektische Treiben der beiden älteren Männer. Murdoc hatte Mel McAllister geholfen, sich auf den Boden zu legen, während MacGyver die Decke von einem der beiden Betten aus dem Schlafzimmer, das direkt unter dem Dach des Hauses war, geholt hatte. Mel hatte mit ihren Atemübungen begonnen und Murdoc hielt nur mit einem hilflosen Gesichtsausdruck ihre Hand.

"Brauchen wir nicht irgendwie etwas heißes Wasser?", fragte er an MacGyver gewandt.

MacGyver zuckte nur mit den Achseln. "Woher soll ich das wissen? Ich habe noch nie ein Kind auf die Welt gebracht!" Er erinnerte sich kurz an die fast dramatische Geburt, bei der er dabei gewesen war. Damals war eine hochschwangere Frau wie aus dem Nichts aufgetaucht, war an einer Tankstelle in seinen Wagen gesprungen und hatte ihm etwas von ihrem Ex-Mann erzählt, der Drogendealer und Waffenhändler wäre. Und sie hätte die Beweise, um ihn einzulochen. Elaine Harryman, die besagte Frau, hatte ebenfalls Wehen bekommen aber wie durch ein Wunder war die Ambulanz noch rechtzeitig aufgetaucht und die Sanitäter und nicht er hatten das Baby auf die Welt gebracht! Nur leider sah es diesmal nicht so aus, als ob jeden Moment eine Ambulanz auftauchen könnte. Sie waren hier mitten im Nirgendwo! Und sie hatten weder ein Funkgerät, noch ein Telefon!

"Kein heißes Wasser", mischte sich nun Sam ein. "Heißes Wasser verwendet man nur in diesen TV-Serien."

"Woher willst Du das den wissen?", fragte MacGyver verbüfft.

"Als ich auf der Suche nach Dir war, war ich auch mal kurz in Indien in einer Frauenklinik. Ich habe da ein bißchen Geld für die Weiterreise verdient. Und da habe ich auch mal ein Kind auf die Welt gebracht. Natürlich mit ärztlicher Hilfe."

Das waren ja ganz neue Seiten bei seinem Sohn! MacGyver sah Sam erstaunt an. Sam kümmerte sich nicht um die verwunderten Blicke, sondern kniete sich neben Mel, die immer noch ihre Atemübungen machte.

"Okay, Doc", sagte Sam. "Machen Sie weiter mit den Atemübungen. Und Sie", wandte er sich dann an Murdoc, "nehmen die Uhr und messen die Abstände zwischen den Wehen."

Murdoc nickte nur und sah auf seine Uhr. Mel stöhnte wieder und drückte seine Hand. Eine Wehe.

MacGyver nahm Sam beiseite. "Weißt Du auch wirklich, was Du da tust?"

"Keine Sorge, Dad. Es wird schon werden."

"Vier Minuten", meldete Murdoc.

Sam nickte nur und kniete sich zwischen Mels hochgestellte Beine. "Ich brauche ein paar saubere Tücher."

MacGyver nickte knapp und machte sich auf die Suche. Eine Minute später war er mit einem kleinen Stapel Geschirr - und Tischtücher wieder da. Er hatte den Stapel in einem der Küchenschränke gefunden.

Mel war inzwischen schwei überströmt. Ihr Kopf lag in Murdocs Schoß und sie klammerte sich mit beiden Händen an seine Unterarme. Immer wenn eine Wehe kam, krallte sie sich fest. Dann machte sie wieder die hechelnden Bewegungen, wie sie sie im Schwangerschaftskurs gelernt hatte. MacGyver half Sam dann, Mels Unterkörper frei zu machen. Sam breitete ein Tischtuch über ihrem Bauch und einem Teil der Oberschenkel aus.

"Der Muttermund ist ge÷ffnet", sagte er zu keinem bestimmten. "Haben die Preßwehen schon eingesetzt?" Mel nickte und brachte ein verkrampftes 'Ja' hervor, bevor die nächste Wehe kam.

"Eineinhalb Minuten", sagte Murdoc angespannt. Er kam sich so vollkommen hilflos vor! Er konnte nichts tun, um Mel zu helfen! Es war zum verzweifeln!

"Okay, Doc", Sams Stimme klang ruhig, "pressen Sie - jetzt!"

Mel preßte und holte dann aufkeuchend tief Luft. Und dann preßte sie wieder.

"Ich kann den Kopf sehen!" Sam beugte sich vor und dann sah auch MacGyver den Kopf des Kindes, dem bald die Schultern folgten. Sam griff den Körper und zog leicht. Mel preßte wieder. Dann war das Kind geborgen. Sam reinigte schnell Mund und Nase. Ein lauter Schrei ertönte und auf den Gesichtern der drei Männer machte sich ein erleichtertes Lächeln breit. Sam legte das Kind - ein Mädchen - auf ein Tuch und wollte gerade die Nabelschnur durchtrennen, als Mel wieder stöhnte.

"Mel? Was ist los?"

"Tut mir ja echt leid, Jungs, aber es ist noch nicht vorbei", sagte sie schwer atmend.

"Was??", fragten MacGyver und Murdoc synchron.

"Zwillinge?", fragte Sam. Mel nickte nur.

"Warum hast Du das nicht gesagt?", fragte MacGyver.

"Du hast nicht gefragt!", fauchte Mel.

Sam sah seinen Vater an. "Kümmer' Du Dich um das erste Baby. Du muut die Nabelschnur durchtrennen und dann abbinden!"

MacGyver sah das hilflose Bündel auf dem Tuch etwas unschlüssig an und holte dann sein Taschenmesser heraus. In einer anderen Hosentasche fand er ein Feuerzeug und er desinfizierte schnell das Messer. Dann durchtrennte er die Nabelschnur und band den Nabel des Kindes mit etwas Schnur ab. Währenddessen war auch das zweite Kind auf die Welt gekommen. Sam kümmerte sich um den kleinen Jungen, während MacGyver das Mädchen in ein sauberes Tuch wickelte. Sam tat das gleiche mit dem zweiten Kind. Dann kam noch die Nachgeburt und Mel schlo erschöpft die Augen.

"Bist Du Dir sicher, da es nur Zwillinge sind?", fragte MacGyver vorsichtig.

Mel öffnete die Augen. "Ich war diejenige, die Monate lang zum Frauenarzt zum Ultraschall ging, Mac! Es sind Zwillinge!"

Murdoc strich ihr sanft durch die nassen Haare und Mel lSchelte ihn schwach an. Sam kam zu ihr und zeigte ihr ihre Kinder, die er und MacGyver auf den Armen trugen.

"Herzlichen Glückwunsch, Doc", sagte er mit einem breiten Grinsen. "Sie sind jetzt Mutter von einem wunderhübschen Mädchen und einem ebenso hübschen Jungen!"

 

* * *

 

Einen Tag später besuchten Sam und MacGyver Mel im Krankenhaus. Sie hatten sie sofort nach der Geburt dorthin gefahren. Da hieß, MacGyver und Murdoc waren mit dem etwas überladenen Jeep und Sam mit dem Motorrad wie die Irren dorthin gerast. Die Ärztinder Geburtsklinik stellte fest, da beide Kinder und auch die Mutter wohlauf waren. Sie machte Sam ein großes Kompliment für seine fast professionelle Geburtshilfe.

Die beiden Männer von H.I.T. waren der Polizei übergeben worden. Sie waren gesuchte Attentäter und man hatte sie sofort in Gewahrsam genommen. Murdoc war in dem gesamten Drunter und Drüber in der Notaufnahme untergetaucht und verschwunden.

"Hallo, Ihr beiden!" Mel sah sehr gesund und munter aus, als MacGyver und Sam in das Krankenzimmer traten. In zwei kleinen Bettchen lagen die Zwillinge und schliefen. MacGyver trat an die Bettchen heran und betrachtete sich die beiden hilflosen Bündel.

Damit man sie unterscheiden konnte, trugen sie verschiedenfarbige Jäckchen.

"Wie geht's Dir?", fragte er dann.

"Danke, sehr gut. Und ich möchte mich noch bei Dir und Deinem Sohn für die Geburtshilfe bedanken."

"Also eigentlich war nur Sam der Geburtshelfer." Sam zuckte etwas verlegen mit den Achseln.

"Hast Du Dich schon für einen Namen für die beiden entschieden?", wollte Mac wissen.

 

"Ich nenne sie nach den wichtigsten Menschen in meinem Leben", antwortete Mel. "Meinem Freund und Helfer in allen technischen Notsituationen, meinem Geburtshelfer und jemanden, den ich sehr liebe. MacGyver, Sam, darf ich euch Samantha und Michael Angus vorstellen?"

MacGyver war im ersten Moment etwas sprachlos. Ebenso wie Sam. Dann lachte Sam leise. "Ich sehe schon die Probleme, die der Kleine mit seinem zweiten Namen haben wird! Und ich spreche da aus Erfahrung!"

Mel kicherte ebenfalls etwas, während MacGyver keine Miene verzog. In diesem Moment kam die Stationsschwester herein. "Okay, ich mußdie beiden Kleinen wieder zur Kinderstation bringen."

Mel seufzte leise. Die Schwester lachte. "Sie werden ja morgen entlassen und wenn Sie sie den ganzen Tag haben, werden Sie sich wünschen, mal wieder ohne sie zu sein!"

"Auf gar keinen Fall!", meinte Mel mit spielerischer Empörung.

"Darüber sprechen wir in einem halben Jahr, Miss McAllister", sagte die Schwester und lächelte dabei. Dann brachte sie die Kinder hinaus.

Mel wandte sich an MacGyver. "Mac, ich möchte etwas wissen: was hat Mike mit den Enführern zu tun? Und sag jetzt bitte nicht, da es nichts wäre. Ich habe gehört, wie die beiden sich über ihn, also Murdoc, unterhielten. Und ich habe auch gehört, daß er für eine Organisation namens H.I.T. arbeitete. Also: keine Ausflüchte! Ich will die Wahrheit wissen!"

MacGyver zögerte. Sollte er Mel alles sagen? Immerhin war Murdoc der Vater - er konnte es selbst nicht glauben! - ihrer Kinder! Er setzte sich auf einen Stuhl und Sam tat das gleiche. Er war ebenfalls gespannt, wer oder was dieser Mike - oder Murdoc - war. Langsam begann MacGyver alles von Anfang an zu erzählen.

 

* * *

 

Mel war sehr froh wieder in ihrem Heim zu sein. Nur leider würde sie hier nicht lange bleiben. Sie hatte sich schon vor der Geburt der Kinder vorgenommen, nach Vancouver zu ziehen, da sie dort von einer Freundin eine größere Wohnung vermittelt bekommen hatte. Und mit den beiden Kindern war diese Wohnung auch nötig. Mutter zu sein war wirklich nicht leicht, denn die Kinder machten die Nacht zum Tag. Außerdem waren zwei von der Sorte schon anstrengend, aber sie hatte es ja so gewollt!

MacGyver und Sam waren noch immer in Beddrock und würden ihr bei Umzug helfen, den sie in etwa zwei Wochen beginnen wollte, wenn sie sich erholt hatte. MacGyver hatte noch immer bei Praddoxx zu tun und Sam versuchte, einige Fotos an die lokale Zeitung zu verkaufen. Von ihrer Entführung und der Anwesenheit von H.I.T war nichts an die Presse gelangt.

Mel hatte schon begonnen, einige kleine Sachen, die sie nicht tagtäglich brauchte, in Umzugskartons zu packen. Dabei hatte sie immer ein Auge auf die beiden Kinder, die zur Zeit - welch' Wunder - ruhig schliefen. Naja, was ein Fläschchen und eine frische Windel doch für Wunder bewirken konnten. Pl÷tzlich h÷rte sie, wie die Vordert³r ging. Sie runzelte die Stirn. Au er ihrer Nachbarin, die ihr nun ab und zu half, hatte keiner einen Schlüssel. Und Mrs. Newman war heute bei ihrem Gesangsverein. Sie würdeerst in - Mel sah auf die Uhr - einer halben Stunde kommen. Da sie durch die letzten Ereignisse gelernt hatte, griff sie zum Baseballschläger und hielt den Schläger verteidigungsbereit hoch. Auf einmal legte sich von hinten ein Arm um sie.

"Das w³rdest Du mir doch nicht wirklich antun, oder?", fragte eine ihr wohlvertraute Stimme.

Mel drehte sich um. "Mike!"

Murdoc lSchelte und nahm ihr den Baseballschläger ab. Dann gab er ihr einen sanften Kuß. "Hallo, Schatz."

"Mike! Wo zum Teufel warst Du die ganze Zeit?" Eigentlich war das eine blöde Frage, dachte Mel im nachhinein. Immerhin hatte sie einiges über diesen Mann erfahren.

Murdoc seufzte leise und sah dann zu den Bettchen der Zwillinge hinüber. Er trat zu ihnen und betrachtete sich die Babys. Mel trat zu ihm und legte einen Arm um ihn. Lange Zeit sagte keiner etwas. Murdoc betrachtete nur die Kinder, wie sie sich im Schlaf bewegten.

"Mel, sind diese Babys...ich meine, bin ich...?"

Mel lächelte etwas und nickte dann. "Ohne Zweifel, Mike."

"Bist Du Dir 100%-ig sicher?", hakte Murdoc nach.

"Nun hör aber auf!" Mel sah ihn gespielt erbost an. "Ich bin die Mutter! Ich werde es wohl wissen, oder?"

Murdoc sah wieder auf die Kinder. Sein Leben hatte sich mit einem Schlag um einiges verkompliziert! Schon beim letzten Mal war es ihm schwer gefallen, sich von Mel zu trennen. Aber jetzt...? "Mel, ich....", begann er.

"Ich weiß alles", unterbrach ihn Mel kurzerhand.

Murdoc starrte sie erschrocken an. "Was?!"

"MacGyver hat es mir erzählt."

"Wie konnte er das tun?!" Murdoc hielt inne, als ihm bewußt wurde, was er da gerade gesagt hatte. "Warum?", meinte er dann.

"Ich habe ihn einfach gefragt. Ich fand, daß es Zeit war, daß ich erfuhr, was zwischen euch eigentlich los ist."

Murdoc schwieg entsetzt. Er hätte es Mel vielleicht irgendwann einmal erzählt - nach und nach. Vielleicht. Er drehte sich um und ging zum Fenster. Wortlos starrte er hinaus. "Und jetzt?"

Mel sah ihn an. Das heißt, sie sah seinen Rücken an. Sie hatte lange darüber nachgedacht, was nun werden sollte. Der Vater ihrer Kinder war ein gesuchter Mörder. Aber sie liebte diesen Mann. Sie glaubte ihm, da er sich verändert hatte, aber das alleine reichte nicht, um ihn reinzuwaschen. Sie würden nie ein normales Leben führen können. Vor allem nicht, weil MacGyver ein guter Freund war und er und Murdoc eigentlich Todfeinde waren.

"Mike." Für sie würde er immer 'Mike' bleiben. "Ich liebe Dich und Du bist der Vater meiner Kinder. Wie auch immer Du Dich entscheidest - es wird sich nichts zwischen uns Sndern. Und meine Tür steht immer offen. Aber ich werde niemals mit Dir gehen, wenn Du verschwindest."

Murdoc starrte weiter aus dem Fenster. Er hätte auch nie von Mel erwartet, da sie mit ihm ginge. Es war einfach zu gefährlich. Dann drehte er sich wieder zu ihr um und ging zu den beiden Babys.

"Wie heißen sie?", fragte er und wechselte das Thema.

Mel machte den Wechsel mit. "Samantha und Michael Angus." Murdoc hob beide Brauen. Mel lächelte. "Ich habe sie nach den Menschen benannt, die mir am meisten bedeuten und mir in dieser schwierigen Zeit geholfen haben."

In diesem Moment klopfte es an der Küchent³r und Mel rief automatisch 'herein.' Es waren MacGyver und Sam. MacGyver blieb wie angewurzelt stehen, als er Murdoc sah. Er hatte gehofft, da der ehemalige H.I.T.-Mann schon wieder in der Versenkung verschwunden wäre.

"Murdoc!"

"MacGyver." Murdoc sah, wie Sam neben seinen Vater trat. MacGyvers Sohn. Warum hatte er nie etwas davon erfahren? Er wu te viel über MacGyvers Leben, seine Gewohnheiten, seine Freunde - aber er hatte nie etwas von einem Nachkommen erfahren!

"Was zum Teufel machen Sie hier?"

"Ich besuche meine Familie, MacGyver." Murdoc wirkte sehr ruhig. Nur seine Augen blickten wachsam auf die beiden anderen Männer.

MacGyver glaubte, sich verhört zu haben. Familie?? Er griff zum Telefon. "Ich werde die Polizei rufen. Sie erwarten doch nicht etwa, daß ich Sie hier einfach herausspazieren lasse, oder?"

"Nein, das hatte ich nicht erwartet", meinte Murdoc und von irgendwoher hatte er plötzlich eine kleine Pistole gezaubert. Diese richtete er jetzt auf MacGyver. "Stellen Sie das Telefon wieder hin, MacGyver!"

MacGyver legte den Hörer wieder auf und stellte das Telefon ab. "Wollen Sie mich einfach erschießen? Ist so gar nicht Ihr Stil."

"Menschen ändern sich."

"Sie sind kein Mensch, Murdoc, sondern ein eiskalter Killer!"

Beide Männer hatten Mel vollkommen vergessen. Sie nahmen nur noch die Anwesenheit des anderen wahr. Ein über 10 Jahre alter Zweikampf war wieder ausgebrochen. Doch Mel nahm diese Mißachtung ihrer Selbst nicht so einfach hin. Vor allem nicht, wenn es so etwas ernstes betraf. Sie trat einfach zwischen MacGyver und Murdoc und damit direkt in Murdocs Schußlinie.

"Mike, steck' sofort die Waffe weg! Mir ist klar, da Ihr beide keine Freunde seit, aber dies hier ist mein Haus! Ich mache hier die Regeln! Und Regel Nummer eins ist: mein Haus ist eine neutrale Zone! Das bedeutet, keine Waffen, keine Polizei - nichts!

Habe ich mich klar ausgedrückt?!"

Sie funkelte die beiden aufgebracht an. Murdoc lie die Waffe verschwinden und MacGyver machte einen Schritt vom Telefon weg.

"In Ordnung", sagte MacGyver widerwillig. Und auch Murdoc nickte.

"Huhu! Dr. McAllister!", erscholl mit einem Mal eine weibliche Stimme.

"Mrs. Newman!" Mel drehte sich erschrocken um. Die Haustür wurde wieder geschlossen. Man konnte Schritte hören und dann stand eine kleine, etwa 50 Jahre alte Frau im Türrahmen. Ihre mit grauen Strähnen durchzogenen Haare steckten unter einem breiten Hut und in einer Hand hielt sie eine Einkaufstüte. Mrs. Antonia Newman, die Helferin in allen Notlagen und Nachbarin von Mel, war da.

"Hallo", sagte Mel.

Mrs. Newman strahlte die jüngere Frau an. "Ich wu te nicht, daß Sie Besuch haben, Doktor. Sonst hätte ich etwas mehr zu essen mitgebracht!"

"Ah, eh, Mrs. Newman, das sind MacGyver, sein Sohn Sam und...." Mel hatte sich umgedreht, um die MSnner vorzustellen. Als sie Mike vorstellen wollte, sah sie, da er verschwunden war.

MacGyver, der sich wie auch Sam zu Mrs. Newman gedreht hatte, fühlte ein Gefühl von deja vu in sich aufsteigen. Murdoc hatte es wieder einmal geschafft. Er war spurlos verschwunden.

Mel selbst fühlte etwas anderes. Es war Enttäuschung und ein kleines bißchen Hilflosigkeit, das sich ihr breit machte. Mike war wieder bei ihr gewesen, nur um dann wieder genauso schnell zu verschwinden.

 

* * *

 

Als MacGyver einige Zeit später Mel und ihre beiden Kinder verließ , fand er einen Zettel an der Windschutzscheibe seines Jeeps. Eine böse Ahnung stieg in ihm hoch. Und ein Name: Murdoc. Er nahm den Zettel von der Scheibe und faltete ihn auseinander. Samstellte sich neben seinen Vater, um einen Blick auf den Brief zu werfen.

Hallo, MacGyver, begann der Brief.

Nun, ich schätze, ich schulde Ihnen mal wieder einen Gefallen.

MacGyver stöhnte innerlich, als er das las. Nicht schon wieder! Nicht schon wieder einen von Murdocs Gefallen!

Keine Angst. Ich bin aus meinem alten Beruf ausgestiegen. Ich werde diesen Gefallen so zurückzahlen, wie sie Ihn mir getan haben - fair.

Fair?! Hatte Murdoc dieses Wort überhaupt in seinem Wortschatz??

Haben Sie noch viel Spaß bei Praddoxx und passen Sie auf, wem Sie dort nachts auf den GSngen begegnen, MacGyver

Murdoc.

 

Praddoxx??? MacGyver ließ den Brief sinken. Murdoc! Es war Murdoc gewesen! Der Mann hatte tatsächlich den Beruf gewechselt. Vom Attentäter zum Industriespion! Was für ein Karrrieresprung, dachte MacGyver zynisch.

Sam sah seinen Vater an. MacGyver hatte ihm in den letzten Tagen einiges über Murdoc erzählt - nachdem ihn Sam andauernd gedrängt hatte. Was er erfahren hatte, glaubte er einfach nicht. Dieser fast unscheinbare Mann, bei dem nur die Augen einen Teil der Persönlichkeit widerspiegelten, hatte immer wieder versucht, seinen Vater umzubringen!

"Na, komm'", meinte er dann. "Gehen wir mal bei Praddoxx vorbei. Vielleicht hat Miss Larson etwas für uns zu tun. Du brauchst etwas Ablenkung!"

MacGyver seufzte leise und nickte. Sam hatte recht. Zusammen fuhren sie aus der Stadt in Richtung des Komplexes von Praddoxx Engineering.

 

* * *

 

Fünf Wochen später war Mel mit Sack und Pack in ihre neue Wohnung in Vancouver eingezogen. Es hatte etwas länger gedauert ihren ganzen Krempel nach Vancouver zu fahren, aber Dank MacGyvers und Sams Hilfe hatte es eigentlich recht reibungslos geklappt. Pete war bei ihrer Einweihungsfeier vor genau drei Tagen auch dagewesen und hatte ihr gesagt, sie würde weiter bei Phoenix arbeiten können - von zu Hause aus. Mel hatte von MacGyver einen brandneuen Computer inklusive Modem aufgestellt bekommen, mit dem sie jederzeit auf die Files von Phoenix zugreifen konnte, als wäre sie direkt in einem der Hauptgebäude der Organisation. MacGyver hatte schon wieder gelästert, da es wohl nicht lange dauern würde, bis er das Gerät notreparieren mußte. Er hatte dafür Bekanntschaft mit einem Kissen von Mels Couch gemacht, das Mel auf ihn geworfen hatte.

Mel brachte Sammy und Mike (jr.) zu Bett und lie die Tür des Babyzimmers angelehnt. In spätestens drei Stunden würden die beiden wohl loslegen. Zum Glück war die Wohnung erstens in keinem Apartmentblock und zweitens mit dicken Wänden versehen. Darauf hatte ihre Freundin, die ihr die Wohnung verschafft hatte, geachtet. Mel streckte sich und machte dann ihre Gymnastikübungen. Schließlich wollte sie wieder in Form kommen. Dann zog sie sich dann um, legte sie sich ins Bett und schaltete das Licht aus.

Sie schätzte, da sie etwa eine halbe Stunde geschlafen hatte, als sie aufwachte. Sie horchte in die Dunkelheit. Kein Babygeschrei. Kein Geräusch. Wovon war sie dann aufgewacht? Sie griff nach dem Lichtschalter und knipste die Nachtischlampe an. Sie holte erschrocken Luft, als sie eine Gestalt in dem Sessel neben ihrem Spiegelschrank sitzen sah.

"Keine Angst, Mel. Ich wollte Dich nicht erschrecken."

"Mike!", flüsterte sie heiser.

Murdoc stand aus dem Sessel auf, aus dem er Mel seit geraumer Weile beobachtet hatte. Er setzte sich auf die Bettkante des breiten Bettes und sah sie an. "Hi, Schatz." Er beugte sich zu ihr hinunter und gab ihr einen leidenschaftlichen Kuß, der ebenso leidenschaftlich erwidert wurde.

"Wie lange?", fragte Mel leise, als sie wieder zu Luft kam.

Murdoc lächelte. "Solange wie es geht. Solange es die neutrale Zone gibt."

Mel lächelte nun ebenfalls. "Dann sollten wir keine Zeit verschenken." Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und zog ihn zu sich herunter. "Denn sobald die beiden im Nebenzimmer mit Operation 'Nasse Windel' loslegen, wird die neutrale Zone zum Kampfgebiet."

Murdoc hob nur eine Augenbraue.

 

E N D E............