NAMEN - PART ONE: ALEX

von Little Tiger

 

 

     

Disclaimer: Nein, Krycek, Mulder und der ganze Rest gehören mir immer noch nicht, Chris Carter und 1013 Productions waren nicht zu überreden. Daß ich sie benutze, weiß keiner in den US of A, und ich bekomme immer noch kein Geld dafür. Aber danke der Nachfrage.

Rating: absolut jugendfrei.
Kategorie: Krycek-Angst (yeah, and proud of it!)
Zusammenfassung: Silo-Story.
Archiv: aber bitte!
Spoilers: Apocryphia

Übrigens, es gibt zwei Leute, die mitschuldig an dieser Geschichte sind: Anne, von der die Idee zur Serie stammt (vielleicht schaffen wir es ja tatsächlich, auch die anderen Teile zu schreiben) und Dusty, ohne den ich an jenem Samstag auf einer Party gewesen wäre, anstatt vor dem Computer zu hocken (wenn du mir das nächste Mal außer der Uhrzeit auch noch verrätst, wo die Fete steigt, dann passiert das auch nicht mehr).

Okay, die Pflicht ist erledigt, hier kommt die Kür:

 

Die Stimmen.

Sie rufen mich.

Ich weiß, daß sie nicht wirklich da sind. Daß sie nicht wirklich in meinem Kopf sind. Aber ich kann sie hören. Und das macht sie so wirklich wie alles andere um mich herum. Wie die kalten, feuchten Betonwände, gegen die ich meine Fäuste schlage, um am Schmerz zu spüren, ob ich noch lebe.

Ich lebe noch.

Wie das ewige Fast-Vollständig-Dunkel, das meine Augen dazu bringt, meinem Hirn aus Mangel an Informationen groteske Illusionen zu liefern. Ich weiß, das es nur Halluzinationen sind, Bilder, die irgendwo aus meinem Gedächtnis oder aus in ewigen Schleifen gefangenen Neuronenkreisen stammen.

Wie die Stimmen.

Nun, vielleicht sind sie wirklich in meinem Kopf. Vielleicht werde ich tatsächlich langsam verrückt. Ist es ein gutes Zeichen, wenn man merkt, daß man verrückt wird?

***

Ich weiß nicht mehr, wann sie zum ersten Mal zu mir gekommen sind. Und selbst wenn ich es wüßte, ich hätte keine Möglichkeit auszudrücken, wie viele Stunden? Tage? Wochen? seit dieser ersten Berührung vergangen sind.

Manchmal presse ich die Hände auf meine Ohren, um meinen Herzschlag hören zu können. Er ist das einzige, was mich noch mit der Zeit der Menschen da draußen verbindet, das einzige Kontinuierliche, sich Fortbewegende an diesem Raum außerhalb der Zeit. Alles andere ist Stillstand. Tod.

Tod. Ein so unscheinbares Wort, drei Buchstaben, für etwas so Komplexes wie den Tod. Etwas so Faszinierendes. Der Tod hat mich schon immer angezogen. Mit mir gespielt. Aber ich war nie mehr als ein Beobachter, er wollte mich nie. Ich kann seine Stimme unter den anderen nicht ausmachen. Ruft auch er nach mir?

***

Alex.

Manche der Stimmen rufen mich mit diesem Namen.

Alexander. Der Beschützer.

Ob Mulder die Ironie der Bedeutung meines Namens je aufgefallen ist? Wahrscheinlich nicht, er ist zu egozentrisch dafür. Dabei hat man den Namen seinetwegen für mich ausgewählt. Seinetwegen bin ich, was ich bin; sie haben mich für ihn geschaffen. Um ihn zu beschützen, sagten sie. Vor sich selber, hauptsächlich, vor allem, was ihm schaden könnte. Wie zuviel Wissen. Der Wahrheit.

Manchmal frage ich mich, was Mulder täte, wüßte er, was meine wahre Aufgabe ist - muß ich "war" sagen? Vergangenheit, Zukunft - leere Worte.

Daß es zu meinen Aufgaben gehört hat, ihn aus den Zwickmühlen zu holen, in die er sich in seiner schauklappenmäßigen Suche nach höheren Wahrheiten immer wieder verrennt. Daß sie mich dafür bezahlt haben, für ihn den Sandsack zu spielen, wenn er einen brauchte, um sich besser zu fühlen. Ich beklage mich nicht darüber, sie haben mich gut bezahlt, und es gibt Schlimmeres als ein paar gebrochene Rippen. Außerdem ist das der einzige Zweck, den mein Leben hatte. Er ist dieser Zweck.

Nein, ich würde einfach gerne sein Gesicht sehen, sollte er das alles je erfahren - was sie zu verhindern wissen werden. Dafür alleine hätte sich die Mühe gelohnt.

Aber das wird nie geschehen.

***

Andere Stimmen nennen mich mit einem Namen, den ich lange nicht mehr gehört habe.

Azrael.

Ich war zwölf, als ich ihn bekommen habe. Ich war der einzige aus meiner Gruppe, dem Grandpa einen eigenen Namen gegeben hatte. Alle anderen hießen John, Jim, Peter... gewöhnliche, unauffällige Namen, wie der, der auf meinen Schulheften stand, auf meinem Spind, später auch auf meinem Führerschein. Namen, die keinen Verdacht erregten. Namen, die nie wirklich unsere waren.

Ich war anders. Ich hatte einen Namen bekommen, der ganz allein mir gehörte.

Auch Grandpa hatte keinen Namen. Zumindest keinen, den wir kannten. Alle nannten ihn Grandpa, auch die Erwachsenen, die uns ausbildeten. Dabei war er nicht einmal alt. Vielleicht hätte er Enkel in unserem Alter haben können, vielleicht war er deshalb gut zu uns, aber er war nicht alt.

Und er gab mir einen Namen. Das war ein so kostbares Geschenk, wie ich es nie zuvor in meinem Leben erhalten hatte, es zeichnete mich unter all den anderen Jungen aus. Ich war so stolz darüber, daß ich die Anfeindungen und Prügel der anderen - nicht lange, ich habe immer schnell gelernt, wenn es sein mußte - nicht nur ertrug, sondern beinahe schon genoß. Auch sie machten mich zu dem, was ich bin. Der, der außerhalb der Gruppe steht, dem Einzelgänger. Etwas Besonderem.

Azrael. Ich liebte den Klang dieses Namens. Wenn Grandpa ihn sagte, dann hatte seine Stimme einen Unterton, den ich erst viel später verstehen lernte.

Ich weiß nicht mehr, wann ich entdeckte, was Azrael wirklich bedeutet, und warum Grandpa mich so nannte.

Azrael. Der Todesengel.

Hat es mich gestört? Ich weiß es nicht. Zu jener Zeit war ich schon längst das, was der Namen verschwieg.

***

Aus. Ich will mich nicht daran erinnern.

Es sind Stimmen, nichts weiter als Stimmen. Eingebildete Stimmen. Sie haben keine Macht über mich, sie kennen meinen Namen nicht. Meinen wahren Namen.

Mein Name.

Sogar ich hatte ihn vergessen gehabt.

Diese Erkenntnis war schlimmer als alles andere. Ich hatte ihn vergessen. Der erste Namen, den ich hatte. Der all die Hoffnungen, die Erwartungen, die Liebe (ich glaube, sie haben mich wirklich geliebt, aber was weiß ein Sechsjähriger schon von Liebe) meiner Eltern in sich barg - war es so? Ich werde es nie erfahren.

Meine Eltern. Die Worte haben einen seltsamen Geschmack. Warum mußten sie mich zum Krepieren in ein dunkles Loch werfen, bevor ich das bemerkt habe?

All die feinen Nuancen in einem Namen. Zärtlich geflüstert, ungeduldig gerufen, vergnügt, stolz, neutral, ermahnend, spielerisch, neckend...

Mein Name. Der Gedanke gefällt mir. Ich wußte nicht, daß ich etwas habe, das nicht von ihnen kommt. Das sie mir nicht nehmen können, egal, was sie tun. Ob ich sterbe, hier, jetzt, an diesem gottverlassenen Ort, wie sie es für mich geplant haben, oder morgen, oder irgendwann. Ob sie mich umbringen oder Mulder oder jemand anderer.

Mein Name. Ich werde ihn natürlich nie benutzen, selbst, wenn ich nicht hier verrecken sollte. Ich werde weiterhin Alex sein, Azrael, oder wie auch immer.

Aber auch etwas, was ich noch nie war.

Ich.

 

 

ENDE

 

Copyright © 1998 by Nicole C. Ritsch