Hinweis:  Die Erstveröffentlichung dieser Story erfolgte "Double Vision", einem von  "Sternenjäger Enterprises"  herausgegebenen Fanzine.

 

 

Die Katze, die rückwärts lesen konnte
von Carmen Seegers



Nachdem er die Theorie aufgestellt hatte, dass man innerhalb seiner eigenen Lebensspanne Zeitreisen könne, stieg Dr. Sam Beckett in den Quantensprungzeitbeschleuniger ... und verschwand.
Als er aufwachte, fand er sich in der Vergangenheit wieder. Im Spiegel wurde er mit Gesichtern konfrontiert, die nicht seine eigenen waren. Und eine unbekannte Kraft trieb ihn dazu, die Geschichte zum besseren zu wenden.
Sein einziger Führer auf dieser Reise ist Al. Ein Projektbeobachter seiner eigenen Zeit, der ihm als Hologramm erscheint, das nur Sam sehen und hören kann.
Und so springt Dr. Beckett von Leben zu Leben. Immer darum bemüht, zu korrigieren was einmal falsch gelaufen ist. Und jedes mal hofft er, dass sein nächste Sprung der Sprung nach Hause sein wird.


*****


Der Sprung war diesmal seltsam. Als Dr. Sam Beckett sich seiner selbst bewußt wurde, fühlte er sich irgendwie ... komprimiert.
Eine bessere Umschreibung fand er nicht. Zusammengekauert hockte er vor einem Fenster und starrte in die mondlose Nacht hinaus. Erstaunlicher weise konnte Sam doch etwas erkennen. Zum Beispiel die Feuerleiter, die nach unten in einen kleinen Hinterhof führte. Und das dort etwas dunkles in einer Ecke lag. Etwas großes, ein Mensch!
Unbewußte fuhr Sam zurück und fiel dabei von der Fensterbank.
Einen Moment hockte Sam verwirrt auf dem Küchenfußboden, bis er versuchte aufzustehen, doch es gelang ihm nicht so recht. Mißmutig versuchte er erneut, sich aufzurichten und stellte erstaunt fest, dass er etliche Probleme mit dem Gleichgewicht hatte. Halt suchend streckte er die Arme aus und mußte erkennen, dass er scheinbar den Gebrauch der Hände verlernt hatte, denn seine Finger waren zusammengepreßt, so als seien sie nicht an den Einsatz solcher Extremitäten gewöhnt.
Ein Gedanke tauchte in Sam auf, den er rasch wieder abzuschütteln versuchte. Doch als er sich weiter umsah, erschienen ihm alle Einrichtungsgegenstände enorm vergrößert, ja fast gigantisch.
Das könnte ja bedeuten, er sei in ein Tier gesprungen, in ein kleines Tier.
"Oh, man!", was das einzige was er herausbrachte.




Jeder Zeitsprung hat seine Eigenarten. Wenn ich da nur an die vielen unmöglichen Situationen denke, in die ich hinein gesprungen bin. In einigen Fällen habe ich zu Anfang nicht einmal gewußt, in welchem Körper ich mich befinde. Denn wenn ich an mir hinunter sehe, dann sehe ich nur meinen Körper. Erst wenn ich in einem Spiegel schaue, erkenne ich meinen Wirt.
Aber dieses mal spürte ich von Anfang an, dass etwas anders mit mir war. Es ist erst das zweite Mal, dass ich in den Körper eines Tieres gesprungen bin. Bobo1, als Schimpanse war ja nicht besonders groß, aber auch in den Körpern von Kindern, in die ich ja mehr als einmal gesprungen bin, habe ich mich nie wirklich kleiner gefühlt, als ich es in meinem wirklichen Leben bin. Sicher, manchmal übernehme ich die Eigenarten meines Wirtskörpers, doch in der Regel behalte ich mein eigenes Körpergefühl, kann sehen, hören oder gehen, auch wenn meine Wirte es nicht können.
Doch bei diesem Sprung ist wirklich alles anders. Noch nie hatte ich solch ein Gefühl für einen fremden Körper, wie diesmal. Es ist unheimlich faszinierend zu spüren, wie man Ohren bewegen kann, um Geräusche aufzufangen und zu analysieren. Oder mit Schnurrhaaren Gegenstände zu erkennen. Selbst sehen tue ich anders. Mein Blickfeld ist wesentlich weiter als sonst. Ich kann Dinge im Dunkeln erkennen, die ich früher nur mit einer Lampe sehen konnte. Und wie man riechen könnte, wenn man ein gutes Geruchtsorgan hat, habe ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausmalen können.





Als Sam sich von seinem ersten Schock erholt hatte, versuchte er nachzudenken. Doch irgendwie schien es ihm unpassend, dies auf dem Küchenfußboden zu tun. Ohne großartig zu überlegen, kauerte er sich kurz zusammen und sprang mit einem Satz auf den Küchentisch. Erst als er dort oben hockte, die Hände zwischen den Knien auf den Tisch gestützt, ging ihm auf, was er da gerade getan hatte.
Ein erneute "Oh, man" entfuhr ihm, während er darauf wartete, dass der Tisch womöglich unter ihm zusammenbrach.
Neugierig sah er sich in der dunklen Küche um. Er mußte unbedingt einen Spiegel finden, um sich davon zu überzeugen, ob er wirklich in eine Katze wie er vermutete, gesprungen war. Aber in dem ganzen Raum konnte er keine spiegelnde Fläche außer dem Fenster ausmachen. Doch um sich darin zu sehen, war es zu dunkel. Dennoch konnte er schemenhaft die Konturen einer Katze auf dem Küchentisch ausmachen. Er war tatsächlich in ein Tier gesprungen!
Sam sah sich weiter um. Ganz deutlich lag der Geruch von Essen und der eines Menschen in der Luft, besser gesagt eines Mannes.
Halt! Was redete er sich denn da ein? Wie konnte er so etwas riechen? Hatte er vielleicht doch einige der Eigenschaften, die eine Katze besaß, übernommen?
Sam schüttelte den Kopf und als sei das der Auslöser gewesen, fielen ihm die vielen Geräusche auf, die er zuvor gar nicht wahrgenommen hatte. Das Knarren der Holzdielen, zirpende Grillen, das leise Ticken einer Uhr im Nebenzimmer, das entfernte Trippeln einer Maus, oder eines anderen nachtaktiven Tieres in der Dunkelheit des Hofes, den Ruf eines Nachtvogels und Autos, die ihm unnatürlich laut erschienen, obwohl er sich doch IM Haus befand!
Sam saß einfach nur auf dem Küchentisch und hatte Vergnügen daran, diese neuen Sinneseindrücke zu verarbeiten. Wie herrlich wäre es, wenn Menschen so riechen und hören könnten, vielleicht würde die Menschheit dann mit dieser schrecklichen Umweltzerstörung aufhören, weil sie diese auch viel mehr wahrnehmen würde!
Fasziniert lauschte Sam jedem Geräusch und konnte dabei fast fühlen, wie sich seine Ohren in die entsprechende Richtung bewegten.
Das Zucken der Schnurrhaare hatte ihn zuerst irritiert, - überhaupt, dass er sie wahrnahm, - da es irgendwie einem leichten Kribbeln oder Kitzeln glich. Aber die Schnurrhaare waren nur weitere Sinnesorgane, die zwar einer Katze, jedoch keinem Menschen zur Verfügung standen und an die er sich erst gewöhnen mußte.
Dann fiel ihm wieder der Körper unten im Hof ein. Entschlossen richtete Sam sich auf, taxierte den "Weg" bis zur Fensterbank und entschied dann, dass er noch nicht so viel Übung im Springen hatte, um diese Strecke zurückzulegen. Außerdem sah er sich als sich selbst und als solcher konnte er eigentlich überhaupt nicht auf die Fensterbank springen! Also sprang er etwas unbeholfen vom Tisch, war mit zwei Schritten am Fenster und kletterte mühsam auf den Sims, da er trotz seiner Erwartung nicht seine normale Größe hatte, und folglich nicht einfach so aus dem Fenster sehen konnte.
Sam sah sich um, versuchte sich zu erinnern, in welcher Ecke des Hofes er den Schatten gesehen hatte. Da hinter, ja, dort lag wirklich etwas. Und wie schon bei dem ersten Blick darauf, konnte es sich nur um einen Menschen handeln.
Momentan vergessend, dass er im Körper einer Katze steckte, sprang Sam von der Fensterbank, lief aufrecht torkelnd, aus der Küche und durch die kaum beleuchtete Wohnung. "Ist hier denn niemand? Hallo! Hier muß doch jemand sein!", rief er immer wieder und suchte nach dem Hausherren. Die Wohnungstür stand einen Spalt auf und Sam huschte hindurch, rief nun nach unten um Hilfe.
Plötzlich hörte Sam das Klirren eines Schlüssels, welcher eine Tür aufschloß. "Hallo, hier drinnen, bitte beeilen sie sich!", rief er aufgeregt. Dabei saß er auf der untersten Treppenstufe und sah den Ankömmling ernst entgegen.
Es war ein Mann, der da hinein kam. Anfang Fünfzig vielleicht und mindestens 1,88 Meter groß. Er hatte schwarzes Haar und einen gewaltigen struppigen Schnauzbart, welches beides mit grauen Strähnen durchzogen war.
"Ha! du treuloser Freund", sagte er gerade mit einer ungemein tiefen, sehr angenehm klingenden Stimme. "Gestern hast du mich links liegengelassen. Erwarte heute keine Runde "Sperling", Kumpel."
Sam wußte nicht, was "eine Runde Sperling" bedeutete, doch das war auch ganz egal. Er mußte ihm sagen, dass dort eine Leiche im Hinterhof lag!
"Er kann dich nicht hören, Sam!"
"Al!"
"Hallo, mein Schöner!", flötete Al und grinste auf Sam herab. "Jetzt wissen wir wenigstens, warum der Kerl im Warteraum nicht mit uns reden will, besser gesagt, es nicht kann!"
"AL! Im Hinterhof liegt eine Leiche, oder zumindest ein verletzter Mann. Wir müssen ihm helfen! Aber dieser riesige Trottel versteht mich nicht."
"Das ist ja wohl kein Wunder, du steckst in einer Katze."
"Kater!", verbesserte Sam seinen Freund augenblicklich.
"Ach ja?"
"Al! Wie mache ich dem Kerl bloß klar, was ich von ihm will?"
"Ruhig, Koko! du wirst das ganze Haus aufwecken", meinte der Riese mit gedämpfter Stimme, und unterbrach Al und Sams Unterhaltung.
"Das ist ja genau das, was ich will. Irgendeiner muß mich doch verstehen!", meinte Sam frustriert.
"Vergiß es, Sam." Al nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarre und grinste nur.
"Was ist los, Koko? Was willst du mir sagen?"
"Dass da jemand im Hinterhof liegt!", murrte Sam.
Der Mann beugte sich vor und streichelte Sam/Kokos gekrümmten Rücken. Das sonst so seidige Fell des Katers war jetzt seltsam rauh und gesträubt.
Sam sprang erschrocken auf und lief ein paar Stufen die Treppe hinauf. "Bitte keine Vertraulichkeiten, so lange kennen wir uns nun auch noch nicht", meinte er pikiert, was bei Al ein lautes Lachen hervorrief. Sam warf dem Freund einen vernichtenden Blick zu. "Ein Gutes hat dieser Sprung, ich kann dir Gemeinheiten an den Kopf werfen, ohne dass mich jeder gleich für verrückt erklärt. Und wenn du nicht gleich aufhörst zu lachen, dann springe ich dir an die Gurgel."
Al trat unwillkürlich zwei Schritte zurück und schwebte nun mitten in der Luft, da er den Treppenabsatz verlassen hatte.
"Bist du ausgesperrt, Koko? Gehen wir hinauf und sehen nach", unterbrach der Mann Sam/Kokos Tirade.
"Gute Idee", meinte Al und verschwand, um die beiden in der Wohnung zu erwarten.
Gleichzeitig schoß Sam die restlichen Stufen hinauf.
Der Mann folge Sam. "Die Tür ist offen, Koko", flüsterte er dann, als sie beide vor der Wohnungstür standen. "Geh hinein. Geh schlafen."
Sam schlüpfte hindurch, in der Hoffnung, dass der Mann ihm folgen würde. Doch dieser hatte sich umgedreht und ging die Treppe wieder hinunter.
Sam begann wieder lautstark zu rufen. Zwar konnte der Mann seine Worte nicht verstehen, doch die Laute die Sam/Koko von sich gab waren eindringlich genug, dass er sofort kehrt machte.
Sam stand ihm Türrahmen und wartete darauf, dass der Mann ihm nun folgen würde.
"Du kannst nicht die ganze Nacht so weitermachen! Komm mit mir mit. Ich such dir was zu essen." Mit diesen Worten packte der Riese Sam/Koko unter dem Bauch und trug ihn hinunter in seine eigene Wohnung. Sam war froh, dass Al noch in der oberen Wohnung war und nicht sah, wie der Riese ihn die Treppe hinunter trug. Warum konnte der Mann ihn eigentlich so hoch nehmen, ohne unter seinem Gewicht zusammenzubrechen?
In der unteren Wohnung angekommen setzte der Mann Sam/Koko sanft auf dem Sofa ab, doch dieser spurtete sofort wieder aus der offenen Tür und die Treppe hinauf, wobei er lautstark rief, ihm zu folgen.
Al stand mittlerweile wieder oben auf dem Treppenabsatz und verfolgte mit einem verschmitzten Grinsen, wie Sam sich abmühte, den Mann dazu zu bringen ihm zu folgen.
Und tatsächlich gelang es ihm diesmal. Mit einem etwas resignierten, aber gleichzeitig auch neugierig/gespannten Ausdruck folgte der Mann Sam nun in die obere Wohnung.
Zuerst klopfte er an, doch als keine Antwort folgte, stieß er die Tür weiter auf und trat ein.
Der Mann schien sich hier auszukennen, denn er schaltete sofort das Licht an und sah sich um. Sam tat es ihm gleich. Der Raum war düster und überladen mit Kunstgegenständen wie Bildern, Marmorbüsten und chinesischen Vasen. An einer Wand hing ein riesiger Wandteppich. Der Kamin, über dem ein van Gogh hing, war eingerahmt mit Regalen und kostbaren antiken Büchern.
Der Mann suchte die ganze Wohnung ab.
Sam der ihn dabei begleitete, lief in die Küche, als der Fremde ratlos im Flur stehenblieb.
Der Mann folgte ihm. Er schaltete das Küchenlicht an und fragte Sam/Koko: "Was willst du, du Teufel?"
"Dass du die Tür aufmachst!" Sam rieb seinen schlanken Körper an der Hintertür zur Feuertreppe, um ihn darauf aufmerksam zu machen.
"Wenn du nur einen Spaziergang machen willst, drehe ich dir den Hals um. Ist es das?"
"Nein, natürlich nicht. Mach schon die Tür auf!" Sam richtete sich auf und berührte mit einer Pfote den Türknauf.
"Er scheint das für selbstverständlich zu halten, dass der Kater ihm zeigt, was er will", meinte Al und nahm seine Zigarre aus dem Mund.
"Nun, ich gehe nicht mit dir raus. Wo ist dein Zimmergenosse? Soll er doch mit dir hinaus-gehen ..."
"Der liegt ja da unten", maunzte Sam seine Vermutung.
"... Außerdem ist es da zu kalt für Katzen."
"Wozu haben die wohl ein dickes Fell? War nicht persönlich gemeint, Sam." Al machte einen Schritt zurück, als Sam drohend in seine Richtung kam.
Der Mann drehte sich um und löschte im Hinausgehen das Licht.
"Hiergeblieben!" Sam schoß hinterher und sprang ihm vor die Beine.
Der Mann drehte also wieder um, machte Licht und nahm aus dem Besenschrank eine Taschenlampe. Als er den Knauf der Hintertür drehte, stellte er überrascht fest, dass sie nicht verschlossen war. Er drückte einen weiteren Schalter neben der Tür und ein schwacher Lichtstrahl fiel auf die oberen Stufen. Mit der Taschenlampe, die einen viel kräftigeren Strahl hatte, untersuchte er den kleinen Hof, der von drei Ziegelmauern eingeschlossen war. Er beleuchtete die Tür, die verschlossen schien, über den Boden, bis er dort etwas liegen sah.
Sam war schon längst unten und untersuchte den Körper. Es war ein Mann und er war definitiv tot!
Außer dem Blut konnte Sam mehr als deutlich die Limonenschalenessenz riechen, die der Tote als After Shafe benutzt hatte. Außerdem war da noch etwas anderes. Etwas, dass nicht hierher zu gehören schien. Es dauerte einen Augenblick, bis er begriff, dass er den Geruch eines anderen Menschen wahrnahm. Eines Malers, was, den Geruch von Ölfarben, Leinwänden und Terpentin erklären würde. Zweifelsfrei gehörte dieser Geruch dem Mörder, denn er konnte ihn ganz deutlich an der Leiche ausmachen.
Sam machte Al darauf aufmerksam, doch der zuckte mit den Schultern. "Anhand eines Geruches kann ich keinen Mörder überführen."
"Weiß Ziggy denn nicht mehr?"
"Noch nicht. Da Koko ja nicht sprechen kann, oder will, hatten wir Mühe, dich überhaupt zu finden."
"Wo bin ich hier eigentlich?"
"In einer Stadt im Südosten. Es ist ein Dienstag, besser gesagt schon Mittwoch morgen. Es ist Winter und wir haben das Jahr 1966. Dein Name ist Kao Kó-Kung, du bist eine Siamkatze ..."
"Kater!"
"Oh entschuldige! ... also SiamKATER und gehörst, Pardon gehörtest, einem Mr. George Bonifield Mountclemens, dem hiesigen Kunstkritiker des Daily Fluxion. Die Zeitung hat übrigens eine Auflage von etwa einer Millionen. Der Kerl, der sich da gerade über den Toten beugt ist Jim Qwilleran, mit Qw geschrieben. Reporter, ehemaliger Polizeiberichterstatter und seit kurzem für dieselbe Zeitung tätig."
Während Al diesen kurzen Bericht vortrug, untersuchte Sam noch immer die Gegend, in der der Mörder dem armen Mr. Mountclemens aufgelauert haben mußte. Es war erstaunlich, wieviel man nur anhand des Geruches über einen Menschen erfahren konnte. Sam wollte gerade Al etwas davon erzählen, als Jim Qwilleran Sam/Koko auf den Arm nahm und die Treppe hinauf ging.
Sam flüchtete einige Meter, sobald Jim ihn hinuntergelassen hatte. Dann lauschte er dem Anruf bei der Polizei.
Al war indes zurückgegangen, um herauszufinden, warum Sam überhaupt hierher gekommen war, wenn der Mord doch schon passiert war.

Zwei Polizisten in einem Streifenwagen erreichten das Haus als erste. Jim Qwilleran erklärte ihnen, dass sie den Hinterhof nur über die Feuerleiter, oder von hinten aus der Seitengasse erreichen könnten.
Die Polizisten nickten, fragten nach dem Mieter der zweiten unteren Wohnung und mußten erfahren, dass diese leer stand und auch verschlossen war.
Zusammen gingen sie dann in Mountclemens Wohnung und von dort über die Feuerleiter hinunter in den Hof.
"Zuerst dachte ich, er wäre über die Stufen hinuntergestürzt. Sie sind tückisch. Aber er liegt zu weit davon entfernt." Qwilleran war den beiden Polizisten gefolgt.
"Sieht aus wie eine Wunde", meinte der eine Polizist, der sich über die Leiche gebeugt hatte. "Sieht aus wie von einem Messer."
Sam/Koko den man oben in der Küche gelassen hatte murmelte: "Hätte ich euch schon viel früher sagen können. Aber auf mich hört ja keiner!" Ärgerlich machte er einen Buckel und lief frustriert im Kreis herum.
Als dann die angekommenen Gerichtsmediziner sich mit der Leiche beschäftigten, untersuchte Sam auf seine eigene Art die gesamte Wohnung. Jede Ritze und jeder Ecke wurde genaustens unter die Lupe genommen. Noch nie hatte er aus dieser Perspektive eine Wohnung betrachtet.
Oben auf dem Kühlschrank in der Küche lag eine Kunststoffhand. Mountclemens Prothese, wie Sam allein schon am Geruch erkannte. Außerdem hatte er gesehen, dass der Leiche eine Hand fehlte.
Die doppelflügigen Lamellentüren im Wohnzimmer standen einen Spalt weit auf und Sam schlüpfte hindurch, um sich auch dort umzusehen. Sam vermutete, dass dieser Raum früher mal ein Näh- oder Arbeitszimmer war. Jetzt waren die Fensterläden jedoch geschlossen und der gesamte Raum mit Regalen vollgestellt. Doch es waren keine Bücherregale, sondern in senkrechten Schlitzen wurden Gemälde aufbewahrt. Ein paar waren gerahmt, manche nicht. Und einige waren einfach nur auf gespannten Leinwänden.
"Hier stehen zum Teil die schönsten Schätze. Zum Teil aber auch der größte Ramsch!" Al war zurück gekehrt und lehnte am Türrahmen, während er Sam beobachtete.
Dieser hatte zwar das Öffnen der Bilderkammertür gehört, ließ sich aber dennoch nicht dadurch von seiner Erkundung abhalten.
"Übrigens findet man hier in ungefähr einem Jahr ein Gemälde, welches eigentlich nur ein halbes ist. Es ist von Ghirotto und zeigte einen Affen. Ghirotto hat überwiegend Affen oder Ballerinas gemalt. Aber nur auf diesem einen hat er beides gemalt. Durch einen unglücklichen Zufall wurde es beschädigt und auseinander gerissen. Die andere Hälfte befindet sich übrigens zur Zeit gerade in der Lambreth-Galerie", meinte Al und nahm einen Zug aus der Zigarre. "Beinahe wäre dieser Affe auf dem Müll gelandet. Doch es kam fast genauso schlimm. Man verkaufte es und die beiden Hälften wurden bis heute, bis in unsere Zeit, nicht wieder vereint."
"Bin ich deswegen hier, um das Bild wieder zu vereinen?"
"Möglich, aber Ziggy hat noch andere Daten, die sie gerade verarbeitet. Ich komme später noch mal wieder, um sie dir mitzuteilen." Al tippte auf die Handsteuerung, und die Bilderkammertür öffnete sich.
"Koko! Wo bist du, komm her."
"Ah, dein Herr und Meister ruft", unkte Al und verschwand schnell.
Sam verließ den Raum, in der Hoffnung Jim darauf aufmerksam zu machen. Doch kaum hatte er sich in dessen Nähe blicken lassen, griff dieser nach ihm und trug ihn hinunter in seine eigene Wohnung.
"Das solltest du dir schnell wieder abgewöhnen", maulte Sam, der sich wie ein Idiot vorkam, da Jim ihm, am "Nackenfell" hielt, und er im wahrsten Sinne des Wortes in der Luft hing.
Frustriert lief Sam in der anderen Wohnung auf und ab, während die Polizisten und der Gerichtsmediziner mit der Leiche das Haus verließen.

Es war weit nach Mitternacht, schon früher Morgen, als Jim Qwilleran endlich dazu kam, sich hinzulegen.
Sam fand keine Ruhe, die Ereignisse hatten ihn aufgewühlt. Warum war er hierher gesprungen, nachdem der Mord passiert war? Aber auf der anderen Seite, hätte er den Mord verhindern können? Er steckte im Körper eines kleinen Katers, der zudem noch oben in der Küche eingesperrt war. Was konnte er da schon ausrichten?
Qwill lag seit etwa einer Stunde im Bett, als Al erneut kam. "Ich habe schlechte Nachrichten", meinte er, noch während er aus der Tür trat. "Dies war nicht der erste Mord, sondern schon der Dritte. Am Montag morgen wurde ein Bildhauer bei einem Unfall getötet und ein Woche vorher wurde Earl Lambreth umgebracht."
"Lambreth? Hat der irgend etwas mit der Lambreth-Galerie zu tun, von der du erzählt hast?"
"Allerdings. Allgemein wurde angenommen, dass die Galerie ihm gehörte. Doch er hatte nur seinen Namen dafür hergegeben. In Wirklichkeit gehörte sie Mountclemens. Der Mann hat sich übrigens in der ganzen Stadt Feinde gemacht. Seine Kritiken waren zum Teil nicht nur geschmacklos, sondern sie trafen stets unter die Gürtellinie. Er hatte zwar Ahnung, vor seinem Unfall mit der Hand war er selbst ein recht guter Maler, doch das Ganze schien ihn sehr verbittert zu haben. Mit der Ehefrau von Lambreth hatte er übrigens ein Verhältnis."
"Ist sie die Mörderin?"
"Keine Ahnung. Der Täter wurde nie gefaßt. Man hatte zwar Mutmaßungen, z.B. dass Mountclemens Lambreth umgebracht hat, aber irgendwie fehlte der rechte Hinweis darauf."
"Soll ich etwa den Hinweis finden?" Sam fuhr sich nachdenklich mit der rechten Hand/Pfote über die Nase.
"Nein, viel wahrscheinlicher ist es, dass du einen weiteren Mord, bzw. zwei, wenn man es genau nimmt, verhindern sollst."
"Nein!"
"Doch! Ziggy hat herausgefunden, dass Jim Qwilleran zwei Tage nach dem Mord an Mountclemens verschwand. Und mit ihm der Kater. Sofort wurde er zum Hauptverdächtigen."
"Wer, der Kater?", witzelte Sam mit einer Art Galgenhumor, die eigentlich nicht zu ihm paßte.
Al überhörte die Worte einfach. "Erst ein gutes halbes Jahr später, als das Haus verkauft werden sollte und man es dafür inspizierte, wurde Qwills Leiche und die des Katers in der hinteren Wohnung entdeckt."
"Oh, man!"
Al nickte nur.
"Das Beste wäre, wenn ... wie hast du ihn genannt?" Sam neigte leicht den Kopf.
"Seine Freunde haben ihn Qwill genannt."
"Nun gut, ... wenn Qwill erst gar nicht dort hinein gehen würde."
"Aber wie es scheint, taucht der Mörder von Mountclemens dort auf. Ich wette, dass es dort in der hinteren Wohnung von Hinweisen nur so wimmelt."
Sam seufzte.
Aus dem Schlafzimmer kam ein verschlafenes: "Koko, gib doch endlich Ruhe!" herüber.
"Momentan können wir hier sowieso nichts mehr machen. Versuch zu schlafen, Sam. Ich werde Ziggy noch einmal bitte, nach weiteren Hinweisen zu suchen." Al verabschiedete sich mit einer Geste, so als würde er Sam über den Rücken streichen.
Sam/Koko machte einen Buckel und fauchte!

Am nächsten Morgen, Qwill war später aufgestanden als sonst, verabreichte er dem Kater sein Frühstück und ging zur Redaktion.
Sam hockte in der Wohnung und wußte nicht, was er mit dem ganzen Tag anfangen sollte. Zunächst suchte er jedoch einmal einen Spiegel, um sich genau betrachten zu können.
Das Spiegelbild zeigte eine etwa 25 cm große, zierlich elegante, blauäugige Siamkatze, deren Vorderpfoten sittsam nebeneinandergestellt waren. Den Schwanz, der genau wie die Pfoten und Ohren etwas dunkler als das übrige Fell war, hatte sich sorgsam um die Pfoten geschlungen. Sam konnte nicht umhin, den Kater für schön zu halten.
Nachdem sich Sam sein Spiegelbild lange genug betrachtet hatte, unterzog er diese Wohnung nochmals einer gründlichen Inspektion, - nach einem Schlupfloch nach draußen, oder wenigstens in die Eingangshalle, - fand dabei jedoch nichts. Jäh überfiel ihn eine unsagbare Müdigkeit und er rollte sich auf dem Sofa zusammen, um ein Nickerchen zu machen.
Und wachte erst wieder auf, kurz bevor Qwill am später Nachmittag nach Hause kam!
Als Sam die Schlüssel hörte, war er sofort hellwach und lauschte. Das mußte Qwill sein. Sam streckte sich, gähnte herzhaft und suchte sich dann einen Platz aus, von dem er Qwill gut beobachte konnte.

Qwill hatte sich den ganzen Tag über Gedanken um den eingesperrten Kater gemacht. Der Mord, den er zweifellos mit angesehen hatte, der ganze Trubel in der Nacht und nun das lange Alleinsein. Wie mochte es dem Kater ergangen sein.? Doch die Telefone ließen ihn morgens kaum in Ruhe und auch der Nachmittag war erfüllt mit Anrufen und anderen wichtigen Dingen, die mit dem Mord an Mountclemens zusammen hingen.
Doch als Qwill die Wohnung betrat, war von dem Kater nichts zu sehen.
Er lag weder auf dem Sofa, noch auf dem Bett. Auf dem Teppich saß ebenfalls keine elegante Katze und auch sonst war der Kater nirgends zu sehen. Qwill rief nach dem Kater und ging dann sogar auf die Knie, um in jeden Winkel und in jede Nische zu spähen. Verzweifelt überlegte er, ob er den Kater vielleicht in einen Schrank gesperrt hatte. Aber auch als er sämtliche Türen und Läden aufriß, kam kein Kater zum Vorschein.
Voller Panik ging Qwill hinüber in die Kochnische und fand sich Aug' in Aug' mit einem ruhigen, kühl blickenden Sam/Koko.
Sam hatte die Suchaktion atemlos verfolgt und sich vor lachen kaum halten können. Er wollte sich schon melden, doch einem unwiderstehlicher Drang zufolge, hatte er sich mucksmäuschenstill verhalten und sich nicht verraten.
"Du Teufel! Hast du die ganze Zeit hier gesessen?"
"Ja!"
"Was ist los mit dir, alter Knabe? Bist du unglücklich?"
Sam/Koko veränderte seine Position. "Wenn ich mir überlege, wie ich verhindern soll, dass du getötet wirst, dann schon."
"Du sitzt unbequem!"
"Allerdings."
"Das ist es! Nach dem Abendessen gehen wir hinauf und holen dein Kissen. In Ordnung?"
"Das wäre die Gelegenheit, Qwilleran das Bild zu zeigen", meinte eine Stimme hinter Qwill.
"Al! Mußt du mich immer so erschrecken?"
Qwill schnitt derweil Kokos Rindfleisch klein. "Wenn dieses Stück Fleisch aus ist, wirst du dich auf Futter umstellen müssen, das ich mir leisten kann - oder nach Milwaukee ziehen. Du lebst ja besser als ich." Qwill kochte das Fleisch in einer leichten Brühe.
"Milwaukee?", fragte Sam überrascht.
"Dort lebt Mountclemens einzige Verwandte, seine Schwester", antwortete Al.
"Oh!"
Nachdem Sam sein Rindfleisch, was erstaunlich gut schmeckte, verzehrt und Qwilleran ein Salamisandwich verdrückt hatte, gingen sie hinauf, um das blaue Kissen von Mountclemens Kühlschrank zu holen. Die Wohnung war jetzt zugesperrt, doch Qwill besaß noch immer den Schlüssel, den der Kritiker ihm eine Woche zuvor gegeben hatte, um die Wohnung und Koko zu versorgen.
Zögernd betrat Sam die Wohnung. Er wanderte ziellos umher, nicht sicher, was Qwill von ihm erwartete und was er weiter unternehmen sollte, um Qwills Tod zu verhindern. Dann entschloß er sich, dem Reporter das unvollständige Bild zu zeigen.
Um Qwill auf sich aufmerksam zu machen, beschnupperte er hingebungsvoll die Lamellentüren.
"Was suchst du, Koko?", fragte Qwill auch prompt.
Sam richtete sich auf und kratzte etwas an der Tür. Dann berührte er den roten Teppich.
"Willst du in diesen Schrank hinein? Wozu?"
"Um dir etwas zu zeigen." Sam schüttelte ungeduldig den Kopf, nur um dann heftig am Teppich zu scharren, als Qwill nicht sofort reagierte.
Endlich verstand Qwilleran den Wink und öffnete die Doppeltüren.
"Al, wo zum Teufel bist du, wenn ich dich brauche?", fragte Sam ärgerlich, da er nicht genau wußte, in welchem Fach das Bild steckte. Ergeben seufzend untersuchte Sam alles sehr genau; seine Nase führte ihn von einem Regal zum anderen. Er versuchte, ob er trotz des nur spärlichen Lichtes, etwas von einem Affen erkennen konnte. Bei einem der Schlitze stockte er. Aber nicht weil er glaubte das Bild gefunden zu haben, sondern weil ein verlockender Duft davon ausging. Er versuchte mit der Hand hinein zufassen.
"Ich möchte wissen, was diese Vorstellung zu bedeuten hat", sagte Qwill.
"Weiß ich auch nicht, aber der Geruch, der da aus dem Fach strömt, ist unwiderstehlich", murmelte Sam, strich an Qwills Hosenbein lang, um ihn aufzufordern etwas zu unternehmen.
"Du brauchst Hilfe, glaube ich. Was ist in diesem Regal?" Qwill zog das gerahmte Bild heraus, dass in dem schmalen Schlitz steckte. Sofort nutzte Sam die Gelegenheit, faßte hinein und zog etwas kleines, dunkles heraus.
Qwill nahm ihm das Ding weg, um es zu begutachten.
"He!", protestierte Sam lautstark. Er wollte selbst erst einmal untersuchen, was er da entdeckt hatte.
"Entschuldige", sagte Qwilleran. "Reine Neugierde. Das ist also Minzi-Maus!" Er warf das minzeduftende Spielzeug dem Kater zu, der es mit beiden Pfoten festhielt, sich auf die Seite rollte und es mit den Hinterpfoten wild bearbeitete.
'Wozu so ein biegsamer, gelenkiger Körper doch alles gut sein kann', durchfuhr es Sam, der jedoch nicht verstand, warum ihn das Spielzeug so erregte. Er war nur froh, dass Al gerade nicht anwesend war!
"Komm verschwinden wir von hier." Qwilleran stellte das Gemälde in seinen Schlitz zurück, jedoch nicht, ohne es vorher betrachtet zu haben. Er sah sich auch noch weitere Bilder an.
Sam hatte indes aufgehört, sein "Spielzeug" zu untersuchen und betrachtete ebenfalls die Gemälde.
Beim Anblick des nächsten Bildes spürten beide dann ein Prickeln. Der eine an seinen Schnauzbartwurzeln, der andere an am Ansatz der Schnurrhaare.
Noch ehe Sam reagieren konnte, hatte Qwill das Bild abgestellt, ihn sich unter den Arm genommen und lief die Treppe hinunter.
Unten angekommen telefonierte er sofort. "Zoe? Hier ist Jim. Ich habe hier im Haus etwas entdeckt, das Dich interessieren wird. Koko und ich sind in Mountclemens Wohnung hinaufgegangen, um etwas zu holen und der Kater hat mich zum Schrankraum geführt. Er war sehr beharrlich. Du wirst nicht glauben, was wir gefunden haben ... Einen Affen. Das Gemälde eines Affen! ... Kannst du herkommen?"
Nachdem Qwill aufgelegt hatte, ging er noch mal in die Wohnung hoch, holte das Gemälde und stellte es auf den Kaminsims.
Einige Minuten später kam Zoe Lambreth mit einem Taxi vorgefahren.
Das erste was Sam auffiel, war der Pelzmantel, den sie über Hose und Pullover geworfen hatte. Erst danach besah er sich das ganze Erscheinungsbild der Frau. Sie roch nach Ton, Farbe und einer anderen Substanz, die Sam nicht einordnen konnte, aber nicht nach Parfüm. Ihre wunderschönen, großen, braunen Augen sahen ungläubig auf das Bild, während sie ihre wohlgeformte Lippen schürzte.
"Das ist es!", rief sie mit einer sanften und tiefen Stimme. "Das ist die zweite Hälfte von Earls Ghirotto!"
"Bist du sicher!"
"Es ist ganz eindeutig ein Ghirotto. Die Pinselführung ist unverkennbar und der Hintergrund hat dasselbe gelbgrün."
"Ja!", bestätigte auch Al, der gerade aus der Bilderkammertür getreten war und das Bild ebenfalls betrachtete. "Hast du ihm das Bild gezeigt, Sam?"
"Ja und nein", wich dieser auf und lauschte weiter auf Zoes Worte.
"Sieh mal, wie unausgewogen der Aufbau des Bildes ist: der Affe ist zu weit rechts und er greift aus dem Bild heraus. Und da - kannst du nicht auch am rechten Rand ein Eckchen des Ballettröckchens erkennen?"
Zu viert starrten sie auf die Leinwand, ihre Gedanken nahmen Form an, aber nur die von zwei Leuten wurden wahrgenommen.
Al verlor jedoch rasch das Interesse an dem Bild und besah sich lieber die Frau. "Diese Augen. Sie erinnern mich an meine vierte Frau, oder war es meine zweite?"
"Al!"
"Wenn das die verschwundene Hälfte ist ..."
"Was bedeutet das?", fragte Qwill.
Zoe setzte sich und biß sich auf die Unterlippe. Langsam sagte sie: "Mountclemens wußte, dass Earl nach dem Affen suchte. Er gehörte zu den Leuten, die die Ballerina kaufen wollten. Kein Wunder! Er hat den Affen gefunden!"
Qwilleran sagte nichts, spielte nur an seinem gewaltigen Schnurrbart.
Al und Sam sahen sich an. "Könnte der Mörder gewußt haben, dass Mountclemens den Affen hatte?", fragte Sam nachdenklich.
Al zuckte mit den Schultern. "Glaube ich nicht, denn wenn er es gewußt hätte, würde er es ja sicherlich mitnehmen, wenn er Qwilleran tötet. Aber das tut er nicht. Das Bild wird nach wie vor erst in einem Jahr gefunden", meinte er nach einem Blick auf die Handsteuerung.
Zoe, die einige Zeit nur ihre Hände betrachtet hatte, blickte auf einmal auf und meinte: "Ich habe ihn verachtet! Ich habe ihn **verachtet** !"
"Ach, und warum bist du dann mit ihm ins Bett gehüpft?", fragte Al neugierig und handelte sich damit einen tadelnden Blick von Sam ein.
"Er war ein arroganter, habgieriger, anmaßender Mensch", fuhr sie fort. "Ich habe Mountclemens verabscheut und doch mußte ich mitspielen - aus offensichtlichen Gründen."
"Aus offensichtlichen Gründen?", fragten Sam und Qwill wie aus einem Mund?
"Wer's glaubt ...", murmelte Al und hielt Sams Blick stand.
"Kannst du das nicht verstehen? Meine Bilder standen in seiner Gunst als Kritiker. Wenn ich ihn verärgert hätte, hätte er meine Karriere ruinieren können. Und Earl hätte er auch ruiniert. Was konnte ich tun? Ich habe geflirtet - diskret wie ich dachte -, weil Mountclemens es so wollte." Sie spielte mit dem Verschluß an ihrer Tasche. Das Klicken klang recht laut und unangenehm in Sam/Kokos empfindlichen Ohren. "Und dann wollte er, dass ich Earl verlasse und zu ihm gehe."
"Ein ganz schönes Früchtchen, dieser Mountclemens", meinte Al und nahm einen Zug aus seiner Zigarre.
Sam nickte zustimmend.
"Wie hast du auf den Vorschlag reagiert?", hakte Qwill nach.
"Das war eine heikle Sache, das kannst du mir glauben! Ich sagte - oder deutete an -, dass ich seinen Antrag gerne annehmen würde, dass ich mich durch ein altmodisches Gefühl der Loyalität jedoch an meinen Mann gefunden fühlte. Was für ein Drama! Ich kam mir vor wie eine Heldin in einem alten Stummfilm."
"Für mich klingt das, als sei Mountclemens zumindest an Lambreth Tod schuld", murmelte Al um seine Zigarre herum.
Sam nickte erneut.
"War die Sache damit erledigt?"
"Leider nein. Er ließ nicht locker, und ich geriet immer tiefer in die Geschichte hinein. Es war ein Alptraum! Dieser ständige Druck, so zu tun als ob!"
"Sag jetzt nicht, dass sie dir wie die Mörderin von Mountclemens vorkommt!", warnte Sam seinen Freund.
Al, der schon den Mund aufgemacht hatte, um etwas zu sagen, schloß ihn wieder. Denn das war genau das, was er gedacht hatte.
"Wußte dein Mann nicht, was vor sich ging?"
Zoe seufzte. "Lange Zeit hegte er keinerlei Verdacht. Earl war immer so mit seinen Problemen beschäftigt, dass er blind und taub für alles andere war. Aber schließlich kam ihm der Klatsch zu Ohren. Und dann hatten wir eine furchtbare Szene. Am Ende gelang es mir, ihn zu überzeugen, dass ich in einer scheußlichen Lage war und keinen Ausweg wußte." Zoe spielte wieder mit dem Verschluß und meinte dann stockend: " Weißt du - Earl schien an mir zu hängen. Obwohl wir uns nicht mehr so - nahestanden -, wenn du verstehst, was ich meine. Für mich war es sicherer, verheiratet zu sein und Earl hing an mir, weil ich erfolgreich war. Er war der geborene Versager. Seinen einzigen Erfolg - dass er den halben Ghirotto entdeckte - hatte er einem glücklichen Zufall zu verdanken und sein ganzer Ehrgeiz bestand nun darin, die zweite Hälfte aufzuspüren und damit reich zu werden!"
"Du glaubst nicht, dass Mountclemens deinen Mann umgebracht hat, oder?"
Zoe blickte Qwill hilflos an. Dieser Blick rührte auch Al und er ging von seiner vorgefaßten Meinung ab.
"Ich weiß nicht. Ich weiß es einfach nicht. Zu so einem drastischen Mittel hätte er gewiß nicht gegriffen, nur um mich zu bekommen. Da bin ich ganz sicher! Zu so einer leidenschaftlichen Liebe war er nicht fähig. Aber um mich und die andere Hälfte des Ghirotto zu kriegen, hätte er es vielleicht getan."
"Siehst du!", triumphierte Al, doch Sam achtete nicht auf ihn, sondern lauschte weiter dem Gespräch der beiden.
Qwill sagte gerade: "Mountclemens hatte eine Leidenschaft für die Kunst."
"Nur als Form von Reichtum, den man sammelt und hortet. Er hat seinen Besitz nicht mit anderen geteilt. Er wollte nicht einmal, dass die Leute erfuhren, dass er wunderbare Schätze besaß."
"Woher hatte er das Geld dafür? Gewiß nicht von seinen Rezensionen für den Daily Fluxion", meinte Qwill.
Zoe beantwortet die Frage nicht. Vielleicht konnte sie es auch gar nicht. "Ich bin müde. Ich möchte nach Hause. Ich wollte das alles gar nicht sagen."
"Kann ich mir denken", murmelte Sam und reckte sich.
"Ich weiß, ist schon in Ordnung", antwortete Qwilleran. "Ich rufe ein Taxi."
"Danke, dass du so verständnisvoll bist."
"Ich fühle mich geehrt, dass du mir vertraust."
"Und mir wird gleich schlecht", meinte Al trocken.
Zoe biß sich mal wieder auf die Unterlippe. "Ich glaube, soviel kann ich dir sagen: Als Earl umgebracht wurde, war meine Reaktion eher Angst als Trauer - Angst vor Mountclemens, und was jetzt passieren würde. Jetzt ist die Angst weg, und ich kann nichts als Freude empfinden."
"Das kann ich verstehen. Dieser Mountclemens wird mir auch immer unsympathischer." Sam starrte nachdenklich auf den Affen.
Er bemerkte nicht, wie Qwill und Zoe die Wohnung verließen.
Als Qwilleran zurück in seine Wohnung kam, saß Sam/Kao Kó-Kung aufrecht auf dem Kaminsims. Er wirkte wie eine Schildwache vor dem Gemälde und starrte ihn vorwurfsvoll an. "Du mußt es der Polizei mitteilen, dass du das Bild entdeckt hast", maunzte er. "Ich habe deine Blicke für Zoe gesehen!"
"Okay. Du hast gewonnen", meinte der Reporter, so als habe er Sam verstanden. "Ich melde es der Polizei."

Am nächsten Morgen nutze Sam Jim Qwillerans Abwesenheit, um sich gründlich zu waschen. Er sehnte sich nach einer Dusche, und vor allem, danach, sich die Zähne zu putzen. Doch als er es endlich geschafft hatte, den Wasserhahn des Waschbeckens aufzudrehen, um sich darunter zu stellen, fuhr er entsetzt zurück, als das Wasser ihn berührte. Seine ganze Haut prickelte und sein Fell hatte sich sträubend aufgerichtet. Es war ihm fast unangenehm, mit dem Wasser in Berührung zu kommen, dennoch versuchte er es noch einmal. Diesmal war es nicht so unangenehm, als das Wasser auf ihn rieselte. Halbwegs befriedigt versuchte er, nachdem es ihm mit viel Mühe gelungen war, den Wasserhahn wieder zuzudrehen, seine Finger gehorchten ihm einfach nicht und er konnte sie gar nicht richtig gebrauchen, mit der sogenannten "Katzenwäsche", um sich "abzutrocknen".
Oft genug hatte Sam gesehen, wie Katzen sich putzen, aber es selber machen, war viel schwieriger als er es gedacht hatte. Und ganz gewisse Stellen übersah er geflissentlich!
Als er endlich fertig war, sich so gut wie irgend möglich zu säubern, rollte sich Sam erschöpft auf dem Sofa zu einem Nickerchen zusammen.

Gegen 18.00 Uhr schaute Al herein, nur um ihm zu sagen, dass sie noch keine weiteren Erkenntnisse gewonnen hatten, außer dass Mountclemens für die Zeit ein Alibi hatte, in der Earl Lambert getötet wurde. "Qwilleran selbst hat das Flugticket für Mountclemens abgeholt. Er hätte eigentlich in der Drei-Uhr-Maschine nach New York sitzen müssen", erklärte Al, der diesmal ein hellbeiges Jackett mit braunen Revers trug, dazu eine ebenfalls helle Hose, deren Nähte dunkel abgesetzt waren. Leider ging Sam überhaupt nicht auf Al's Anspielung in Bezug auf sein Fell ein und so fuhr er fort: "Die Polizei vermutet jedoch, dass die angebliche Tatzeit, 18.15 Uhr, gestellt ist. Die elektrische Uhr auf dem Schreibtisch hat zu weit weggestanden, als dass sie bei einem Kampf wirklich vom Tisch gefallen und der Stecker aus der Dose gerissen werden konnte. Die Polizei geht zur Zeit davon aus, dass Mountclemens eine spätere Maschine benutzt hatte, um Lambreth aufzusuchen und umzubringen."
"Das klingt einleuchtend", erwiderte Sam.

Als Jim Qwilleran mit Tonbändern unterm Arm - darauf waren diktierte Rezensionen von Mountclemens - nach Hause kam, war es fast acht Uhr, und Sam/Koko begrüßte ihn ungeduldig an der Tür!
"Na endlich, das wird aber auch Zeit. Weißt du wie langweilig das so allein ist!? Und außerdem habe ich entsetzlichen Hunger. Ich habe sogar schon versucht, den Kühlschrank zu öffnen. Aber diese alten Geräte taugen nicht für Katzenpfoten!", meinte er mißmutig, obwohl Qwill ihn ja nicht verstehen konnte.
"Wenn du sprechen lernen würdest, müßte ich nicht soviel Zeit im Presseclub verbringen ... ", meinte der Reporter gerade.
"Ich KANN sprechen!"
" ... und du bekämest deine Mahlzeiten rechtzeitig."
"Das stelle ich mir gerade vor, ein Kater, der den Mord an seinem ehemaligen Besitzer löst." Sam fuhr mit einer Hand über sein Ohr und leckte zweimal rasch über sein Schulterblatt. Mittlerweile beherrschte er auch das Putzen sehr gut.
Qwilleran beobachtete ihn dabei. "Na schön, vermutlich kannst du ohnehin sprechen. Nur bin ich nicht klug genug, dich zu verstehen."
"Allerdings!"
"Wenn du wüßtest, was er noch so alles kann!", kam es gleichzeitig von Al, der schon eine ganze Weile da war und dem "Gespräch" der beiden belustigt zugehört hatte.

Nach dem Abendessen gingen beide, oder besser alle drei, hinauf in die Wohnung des Kritikers, in der sein Diktiergerät stand. Qwilleran legte ein Band ein und die scharfe Stimme des verstorbenen George Bonifield Mountclemens - die auf Band noch nasaler klang - erfüllte den Raum.
Sam hockte neben dem Gerät auf dem Schreibtisch und fühlte sich trotz der vergangenen, und noch bevorstehenden Morde wohl. Das gleichmäßige drehen der Bänder erleichterte ihm das Abschalten von diesen Tragödien und half ihm beim nachdenken. Er bemerkte nicht einmal, dass er schnurrte!
"Erkennst du deinen alten Zimmerkollegen?", fragte Qwill Sam/Koko und riß ihn damit aus seinen Überlegungen über die wunderbaren Funktionen eines Katzenkörpers.
"Nein, wie sollte ich." Sam hatte es sich zu Angewohnheit gemacht, auf Qwills Fragen stets zu antworten, auch wenn dieser es nicht verstehen konnte.
Qwill spulte das Band zurück. Sam juckte es unterm Kinn und er rieb sich inbrünstig an der Kante des Gerätes.
"Wer hat ihn umgebracht, Koko? Du kannst doch angeblich solche Dinge spüren?"
"Spüren? Nein, aber ich könnte ihn an seinem Geruch erkennen." Sam hatte sich aufrecht hingesetzt und sah Qwill direkt in die Augen.
Einen Moment hatte Qwill das Gefühl, als ob das Blau in Kokos Augen verschwände und eine dunkle Leere zurück blieb. "Los, doch. Rede! Du mußt wissen, wer ihn umgebracht hat."
Sam schloß die Augen und meinte zögernd: "Ich wünschte ich wüßte es wirklich!"
"Du mußt doch gesehen haben, wie es passiert ist!"
"Leider nein! Ich kam erst später."
"Dienstag nacht", fuhr Qwill eindringlich fort. "Aus dem Fenster zum Hof."
"Übrigens ein guter Film", warf Al ein, doch Sam reagierte nicht.
"Katzen können doch im Dunkeln sehen, nicht wahr?", fragte Qwill und sah Sam/Koko an, als erwarte er wirklich eine Antwort.
Sam wußte nicht genau wie er reagieren sollte. Aber um Qwill nicht zu enttäuschen, sprang er vom Schreibtisch, und begann - anfangs ziellos - im Raum umherzustreichen. Dann lief er im Zickzack den langen Gang zur Küche hinunter, und Qwill folgte ihm.
An der Schlafzimmertür entdeckte Sam plötzlich einen vertrauten Geruch. "Al, ich kann von irgendwo den Geruch des Mörders riechen!", meinte er aufgeregt, und versuchte die Spur aufzunehmen. Vor dem Wandteppich, der gegenüber der Schlafzimmertür hing und den Großteil der Wand einnahm, blieb er stehen. "Von hier kommt der intensivste Geruch", meinte Sam und berührte den Teppich leicht mit der Hand/Pfote. Er richtete sich auf und schüttelte den Kopf. Dann ließ er sich wieder auf alle Vieren nieder und beschnupperte erneut die Kante.
"Sam, was machst du denn da?" Al sah seinem Freund skeptisch bei seinem tun zu.
"Ich habe dir doch gesagt, dass ich den Geruch wiedererkannt habe!"
"Ist da etwas dahinter?", fragte Qwill und hob eine Ecke des Teppichs an.
"Allerdings! Los beeil dich."
Auf Sam/Kokos freudiges Geschrei hob Qwilleran den Teppich noch höher.
Sam schob sich dahinter.
"Einen Augenblick." Qwill holte die Taschenlampe und leuchtete damit zwischen Wand und Teppich. Der Lichtkegel enthüllte die Ecke eines Türrahmens und genau an dieser Stelle rieb sich Sam/Koko.
"Los, beeil dich, Jim!", drängelte Sam.
Qwill zwängte sich ebenfalls zwischen Teppich und Wand, entriegelte die Tür. Dahinter befand dich eine schmale Treppe. Sie machte eine scharfe Biegung und führte hinunter in das Erdgeschoß, wo sie vor einer zweiten Tür endete.
"Das war früher mal der Dienstbotenaufgang", meinte Al, der die beiden schon unten erwartete.
Indes versuchte Qwill das Licht anzumachen, doch es tat sich nichts, als er den Schalter betätigte.
Als Qwill endlich unten angekommen war, wartete Sam schon längst ungeduldig. Doch zu seinem Unmut, nahm der Reporter den Kater auf den Arm, was Al ein Kichern entlockte.
Sam warf ihm einen wütenden Blick zu!
Qwill öffnete die Tür. Sie befanden sich nun in einer altmodischen Küche mit heruntergezogenen Jalousien und einer unbewohnten Atmosphäre. Doch der Raum war angenehm warm. Es war eher ein Studium als eine Küche. Da standen eine Staffelei, ein Tisch, ein Stuhl und - an einer Wand - eine Pritsche. Viele ungerahmte Leinwände standen auf dem Fußboden, mit der bemalten Seite zu Wand gedreht.
Eine Tür führte in den Hinterhof. Eine andere, Richtung Vorderseite des Hauses, ging in ein leeres Wohnzimmer.
Sam wandte sich und versuchte aus Qwillerans Griff zu entkommen, da er nur zu deutlich den Geruch des zweiten Mannes, den er unten im Hof wahrgenommen hatte, roch. Doch dieser hielt ihn fest.
Qwilleran, mit Sam/Koko auf dem Arm, sah sich erneut in der Küche um. Ein Gemälde stand auf dem Spültisch, es war an den Hängeschrank darüber gelehnt. Es stellte einen stahlblauen Roboter vor einem rostroten Hintergrund dar, beunruhigend realistisch. Es trug die Signatur des Künstlers, O. Narx. Das Bild wirkte dreidimensional, und der Roboter selbst hatte den Glanz und die Oberflächenstrucktur von richtigem Metall. Das Bild war staubbedeckt.
Auf einem Küchentisch neben der Hintertür, der mit einer dicken Kruste vertrockneter Farbe überzogen war, befanden sich ein Gefäß mit Pinseln, ein Spachtelmesser und zerquetschte Farbtuben. Die Staffelei stand am Fenster, und darauf war noch ein mechanischer Mensch mit eckigem Kopf in drohender Haltung. Das Bild war unvollendet, und ein weißer Pinselstrich quer über die Leinwand hatte es verunstaltet.
"Al, hast du die Signatur gesehen?"
"Natürlich, ich bin ein Hologramm, aber nicht blind."
Sam überhörte das. "Ich weiß nicht was es ist, aber irgend etwas kommt mir daran vertraut vor. Frag doch mal Ziggy, was sie alles über diesen Maler hat."
"Gut. Wenn ich mehr weiß, komme ich wieder. Und noch etwas, Sam! Denk daran, dies ist der Ort, an dem Qwill und du, ich meine der Kater, ums Leben kommen. Sieh zu, dass ihr dieser Küche fern bleibt!"
Qwill, der Sam/Koko kaum noch halten konnte, meinte: "Gehen wir hinauf. Hier unten ist nichts als Schmutz."
Oben angekommen verriegelte Qwilleran die Tür wieder und tastete sich hinter dem Wandteppich hervor. Dann meinte er: "Falscher Alarm, Koko. Du warst auch schon mal besser. Da unten waren keine Anhaltspunkte.
Sam warf Qwill einen vernichtenden Blick zu und enthob sich jeder Antwort. Statt dessen begann er sich, als Zeichen seiner gegenteiligen Meinung ausgiebig zu putzen!

Al kam am nächsten Morgen wieder, als Qwill schon längst zur Arbeit war. Auf Sams vorwurfsvolle Worte hob er beschwichtigend die Hände und meinte: "Tut mir leid, ich konnte leider nicht eher kommen. Tina hatte etwas besonderes mit mir vor. Ich hätte es fast vergessen."
"Also, was hast du über diesen O. Narx?" Sam setzte sich aufrecht hin und schaute Al in die Augen.
Dieser zwinkerte und senkte dann seinen Blick. Um zu tarnen, dass er Sam/Kokos Blick nicht standhalten konnte, tat er so, als würde er Daten von der Handsteuerung ablesen. "Also, man sagt, dass Maler immer etwas von sich selbst auf die Leinwand bringt. Narx hat sehr viel Ähnlichkeit mit seinen Robotern, eckiges Gesicht, breite Schultern. Aber das ist nicht das erstaunlichste. Kennst du Scrano, den Dreieckmaler, erinnerst du dich an Bilder von ihm?"
Sam überlegte kurz, manchmal ließ ihn sein "Schweizerkäsegedächtnis", wie Al sich auszudrücken pflegte im Stich, doch diesmal erinnerte er sich. Er nickte. Vor Jahren hatte er in einer Ausstellung Bilder von dem Künstler gesehen. Sie bestand ausschließlich aus Bildern mit Dreiecken. Die Kritiker waren sich einig, dass sie vielleicht obszön, aber die Technik makellos und von beinah klassischer Schönheit waren. Die Proportionen hatten gestimmt, der Aufbau, die Tiefe, und das Geheimnisvolle in einer simplen Anordnung von geometrischen Formen.
"Scrano und Narx sind ein und dieselbe Person!" unterbrach Al Sams Gedankengänge.
"Wie seit ihr darauf gekommen?"
"Durch ein Wortspiel, das Tina und ich in letzter Zeit wieder öfter spielen. Wir lesen alles Rückwärts und erfinden so neue Wörter. Versuch mal Scrano rückwärts ... "
"O N A R C S - O. Narx!" Sam lächelte, was Al jedoch nicht sehen konnte.
"Jap! Ach, was wir noch entdeckt haben: die Polizei vermutete, dass Mountclemens doch der Mörder von Lambreth war, konnte es aber nie beweisen."
"Wie kamen sie darauf?"
"Nun, bei der Überprüfung von Mountclemens Nachlaß entdeckte man Hinweise darauf, dass der Kritiker Steuern hinterzogen hatte. Earl Lambreth hatte in der letzten Zeit seine Bücher geführt. Die Polizei vermutete, dass er doppelte Buchführung gemacht hatte und Mountclemens erpressen wollte, oder es sogar getan hat. Doch beweisen konnte man das alles nicht. Und die Vermutung, dass eine Person hinter alle Morde stand, war noch die konkreteste."
Sam schüttelte den Kopf. "Ich verstehe nicht, warum Ziggy nicht mehr finden kann."
"Ganz einfach. Weil du laufend die Zukunft veränderst, frag mich nicht wie. Mit jedem Hinweis, den du Qwill gibst, entdecken wir etwas neues. Aber leider werdet ihr noch immer getötet."
Sam überlegte. Er mußte nicht nur den Mord an Qwill verhindern, nein, er mußte auch den Mörder überführen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als mit Qwill in der Küche auf den Mörder zu warten. Wer würde schon auf eine Katze, dazu noch eine "verzärtelte" Rassekatze, achten? Und das war sein Vorteil. So konnte er den Mord verhindern, oder zumindest versuchen, so gut es dieser fremde Körper zu ließ.

Als Jim Qwilleran an diesem Abend nach Hause kam, war er recht schweigsam. Nachdem er Sam/Koko sein Abendessen gemacht hatte, saß er in seinem Lehnstuhl versunken und sog an seiner Pfeife, die bereits seit zehn Minuten ausgegangen war. Die Atmosphäre war beinahe drückend.
"Du scheinst irgend etwas auf dem Herzen zu haben?" Sam kam näher zu Qwill und baute sich vor ihm auf.
"Tut mir leid, alter Freund", meinte Qwilleran. "Ich bin heute nicht sehr gesellig."
"Stimmt." Sam war es leid und ging auf den Gang. Er mußte Qwill einfach auf sich aufmerksam machen. Er rief.
Qwill kam auch tatsächlich und sah, dass Sam/Koko auf der Treppe stand.
Als Sam sah, dass Qwill ihm wirklich gefolgt war, lief er leichtfüßig die Treppe hinauf und sah auf ihn hinunter. Seine Haltung und die Stellung seiner Ohren drückte für Qwill eine liebenswürdige Einladung aus, ihm zu folgen.
"Willst du deinem alten Revier einen Besuch abstatten?" Er folgte Sam/Koko nach und schloß die Wohnung des Kritikers auf.
"Sam!" Al kam beinah außer Atem aus der Bilderkammertür. "Was machst du? In den letzten Stunden sank eure Prognose getötet zu werden auf unter 70 Prozent, doch nun steigt sie wieder mit jeder Minute!"
"Al, ich weiß. Aber nur wenn ich den Mörder stellen kann, kann ich auch verhindern, dass Qwill getötet wird."
"Und du!" Al neigte leicht den Kopf. "Du magst den Reporter."
"Er ist sehr sympathisch."
"Aber wie willst du den Mord an euch beiden verhindern? Vergiß nicht, du steckst im Körper eines Katers."
"Wie könnte ich das vergessen? Du erinnerst mich ja ständig daran. Außerdem renne ich auf Händen und Füßen herum und bekomme rohes Fleisch vorgesetzt."
"Du speist aber besser als dein ... Pardon, Kokos Herr."
Qwill hörte Kokos Laute und glaubte, er würde sich freuen, die Wohnung inspizieren zu können. "Genieß die Düfte, Koko. Diese Frau aus Milwaukee wird bald kommen und die wird das Haus verkaufen und dich mit sich nehmen und dann wirst du von Bier und Brezeln leben müssen."
"Bloß nicht." Sam schüttelte es bei dem Gedanken und er zeigte auf sehr unmißverständliche Art, was er davon hielt.
"Wenn ich recht versteh, würdest du lieber bei mir bleiben", meinte Qwill leicht gerührt.
"Darauf würde ich nicht wetten", grinste Al und blies einen Rauchring.
"Es muß doch Hinweise geben, was in der Mordnacht geschehen ist. Ich gehe noch mal in die Küche." Dort untersuchte er gewissenhaft sämtliche Flächen ab. Den Kühlschrank, auf dem Mountclemens Handprothese gelegen hatte, die Spüle, den Herd, das Schneidebrett, von dem sogar noch verführerische Düfte aufstiegen. "Al, hast du gesehen, dass an der Messerleiste ein Messer fehlt?"
"Ja."
"Was ist, wenn Mountclemens seinen Mörder erwartet hat. Vielleicht hat er selbst das Messer mit genommen, um denjenigen zu töten. Vielleicht kam es zum Kampf, und dabei wurde Mountclemens getötet", mutmaßte Sam.
"Glaubst du daran?" Al wechselte die Zigarre von einer Seite des Mundes zur anderen.
"Ich weiß nicht. Qwill erzählt mir - Koko, zwar manches, aber leider weiß ich einfach noch zu wenig, um vernünftige Schlüsse zu ziehen."
Qwilleran hatte das Messer, welches Sam/Koko bei seiner Schnüffelei heruntergestoßen hatte, wieder an die Magnetleiste gehängt.
Sam sah ihn an und bemerkte, wie Qwills Schnauzbart sich sträubte.
Dann holte der Reporter die Taschenlampe aus der Besenkammer und stieg die Feuertreppe zum Hof hinunter. Sam/Koko begleitete ihn, genau wie Al.
Qwill leuchtete mit der Taschenlampe über die verwitterten Ziegelmauer, während Sam einen dunklen Fleck entdeckt hatte und ihn untersuchte.
"Koko! Das ist ja widerlich!" Qwill packte den Kater grob um die Mitte.
"He, laß das!", protestierte Sam erbost und zappelte wild.
Doch Qwill war unerbittlich und stieg die Feuertreppe wieder hinauf.
In Mountclemens Küche setzte sich Sam mitten auf den Fußboden und suchte kleine Steinchen aus den Zwischenräumen seiner Pfoten.

Plötzlich hielt er mitten in der Bewegung inne und lauschte.
"Weiß du, wie albern du aussiehst?", fragte Al und betrachtete Sam, der mit herausgestreckter Zunge und in die Luft gespreizten Zehen dasaß.
"Al, ich habe da etwas gehört."
"Ach was, da ist nichts", versicherte Al und vergewisserte sich mit einem Blick auf seine Handsteuerung.
Plötzlich änderte sich jedoch sein Gesichtsausdruck. "Sam, du hast recht. Die Chancen, dass der Mord heute Nacht, in wenigen Minuten geschieht, stehen mehr als ... " Al wollte erst gut sagen, wurde sich dann aber bewußt, dass das nicht die passenste Wortwahl gewesen wäre.
"Es kommt von unten." Sam stand auf und ging zum Wandteppich.
"Da unten in der alten Küche ist doch nichts als Staub", meinte Qwill, der ihm gefolgt war. Wieder einmal holte er die Taschenlampe, bog die Ecke des Teppichs hoch, öffnete den Riegel der Tür, und stieg die schmale Dienstbotentreppe hinunter.
Sam/Koko war wieder schneller als der Reporter und wartete schon unten auf ihn.
Qwill bückte sich und hob Sam/Koko hoch. Diesmal protestierte Sam nicht, er war viel zu gespannt.
Der Reporter hatte die Tür geöffnet und leuchtete die gesamte Küche aus. Sam und Al bemerkten es sofort, bei Qwilleran dauerte es etwas länger, bis er registrierte, dass jetzt weniger Leinwände hier waren, als in der Nacht zuvor. Die Staffelei war leer, auch das Roboterbild auf dem Spültisch war weg.
"Al, ich rieche wieder den Geruch des fremden Mannes!"
Qwill hatte indes die Taschenlampe auf den Tisch gelegt und eines der Bilder umgedreht. Es war ein Scrano! Er drehte noch andere um und alles waren Scranos.
Ein kehliger Laut von Sam/Koko ließ den Reporter aufblicken.
"Al, irgendwie muß ich Qwill zeigen, dass Scrano und Narx dieselben sind." Dann hatte Sam eine Idee und da Qwill ihn beobachtete, konnte er sicher sein, dass er seinem Wink folgen würde.
Sam/Koko zeichnete mit seiner Nase jeden Buchstaben der Signatur nach, von hinten nach vorn! O N A R C S
"Bemerkenswert!", sagte Qwill. "Bemerkenswert!" Weswegen er auch nicht den Schlüssel hörte, der ins Schloß der Hintertür gesteckt und umgedreht wurde. Doch Sam hörte es. Er verschwand in der Dunkelheit, um den Überraschungsmoment auf seiner Seite zu haben.
Alle drei erkannten breite Schultern, einen dicken Pullover, ein kantiges Gesicht und eine hohe, eckige Stirn.
"Narx!", meinten Qwill und Al fast im selben Moment.
"Al, das ist der Mann, dessen Geruch ich an Mountclemens wahrgenommen habe. Das ist der Mörder!", meinte Sam und kauerte sich zusammen, um im geeigneten Moment loszusprinten.
Narx schlich seitwärts in den Raum, griff nach dem Spachtelmesser auf dem Tisch und stürzte sich vor.
"SAM! Unternimm doch etwas!", schrie Al und raufte sich fast die Haare.
Und Sam sprang! Er konnte die Muskeln unter seinem Fell spüren, wie sie sich zusammenzogen und dann wieder losschnellten. Er konnte laufen und springen, ohne sich wirklich anzustrengen. Es war fast eine Freude sich so zu bewegen, wenn der Anlaß nicht so schrecklich wäre!
Plötzlich ... Kreischen ... Knurren! Das Zimmer war erfüllt von Dingen, die durch die Luft geflogen kamen, hinunter auf den Boden und wieder hinaufsausten, hier und dort und überall waren!
Die attackierenden Körper bewegten sich schneller, als man schauen konnte. Sie schrien wie Harpien. Sie fegten hierhin und dorthin, hinunter und hinauf, kreuz und quer durch den Raum. Narx wußte nicht wieviele es waren und vor allem was es waren. Er wußte nur, dass es nicht Qwilleran war, denn der stand noch immer in einer Ecke und starrte ihn ungläubig an. Irgend etwas traf Narx am Arm. Er stolperte.
Diesen Sekundenbruchteil nutzte Qwilleran. Er packte die Taschenlampe und schlug mit aller Kraft zu.
Narx taumelte zurück und fiel nach hinten. Sein Kopf schlug mit einem scharfen, knirschenden Geräusch auf die gekachelte Arbeitsfläche auf. Er sackte langsam zu Boden.
"Sam b...bist du in Ordnung?", fragte Al besorgt.
"Ja, Al."
Einen Moment war Stille im Raum. Man hörte nur das heftige Atmen der beiden Männer und das leise Schnurren des Katers.
Als Qwilleran wieder bei Atem war, fesselte er Narx' Füße mit seinem Gürtel, die Hände mit seiner guten schottischen Krawatte. Dann sah er sich nach Koko um, der zufrieden dreinblickend auf dem Tisch saß und ihn ansah.
"Koko, du bist einfach unglaublich. Ich glaube, du hast mir das Leben gerettet!"
"Darauf kannst du wetten!", meinte Al zufrieden und kaute auf seiner Zigarre herum.
Während Qwilleran die Polizei rief, wandte Sam sich an Al: "War es das? Wird Qwill noch sterben?"
"Nein, Sam. Du hast es geschafft." Al sah auf seine Handsteuerung. "Ich bin stolz auf dich! - Narx hat Mountclemens umgebracht und in der ersten Geschichte auch Qwilleran. Allerdings war es nicht so geplant. Mountclemens wollte sich nämlich eigentlich Narx entledigen. Er hatte zu viel gewußt und außerdem verkauften sich Bilder von toten Maler sehr viel besser, als von lebenden Künstlern. Doch als Narx Bilder holen wollte, lauerte ihm Mountclemens auf. Aber zu seinem Glück hatte er das Limonenschalenessenz gerochen, welches Mountclemens immer verwendete, und konnte den Mordversuch an ihm verhindern. Wenn man es genau nimmt, war es sogar ein Fall von Notwehr. Er hat ihm mit dem Messer erstochen, welches eigentlich ihn töten sollte! Danach allerdings hat er es verschwinden lassen. Wenn du nicht gewesen wärst, wäre er auch ungestraft damit durchgekommen."
"Waren die beiden Komplizen? Warum wollte Mountclemens Narx töten?"
"Nun, Mountclemens konnte nicht mehr malen, hatte aber noch immer schöpferische Phantasie, die Narx jedoch abging. Dafür beherrschte dieser eine hervorragende Technik. Scranos Bilder waren eine Gemeinschaftsarbeit!" Al sog an seiner Zigarre, blies den Rauch dann genußvoll aus. "Mountclemens hat vor, Narx auszuschalten. Das plötzliche Ableben eines Künstlers ist für den Verkauf von Bildern immer sehr günstig. So ließ er Qwill das Flugticket holen, damit er sich daran erinnern konnte und ihm somit ein felsenfestes Alibi verschaffte. Narx war gerade mit einen Lieferwagen in die Stadt gekommen, um Bilder nach New York zu bringen. Mountclemens hat ihm gesagt, er solle sofort nach New York zurück fliegen, da er gerade ein Geschäft telefonisch vereinbart hatte. Dann hat er ihm sein Ticket überlassen.
Den Kunden gab es auch wirklich. Aber er wollte mehr Bilder kaufen, als vereinbart waren. Also rief Narx in der Lambreth-Galerie an. Und als Lambreth sagte, dass der Lieferwagen, mit dem Mountclemens angeblich schon auf dem Weg nach New York sein sollte noch vor der Galerie stand, wurde Narx skeptisch.
Und als er dann von dem Mord an Lambreth hörte, merkte er, dass er belogen wurde. Er beschloß Kapital daraus zu machen." Al sah sehr selbstgefällig aus.
"Du hast doch noch etwas", vermutete Sam.
"Ja. Stell dir vor, Qwilleran wird in etwa einem Jahr ein Vermögen erben und in ein Dorf namens Pickax ziehen. Zusammen mit Koko und Yum

Yum, einer kleinen Siamkatze, die er in etwa einen halben Jahr zu sich nimmt. Die beiden, Qwill und Koko, werden so ein Duo wie Holmes und Watson, was das Aufklären von Kriminalfällen betrifft. Aber sie leben glücklich und zufrieden in ihrer neuen Heimat."
"Das freut mich." Sam wünschte sich auch er konnte wieder in seine Heimat! Dann spürte er das vertraute ziehen, welches dem Zeitsprung voran ging. - "Al!"
Dieser drehte sich um, sah das nur für ihn und Sam sichtbare charakteristische blau des Zeitstroms. Er hob die Hand, in der er die Zigarre hielt und winkte abschied nehmend.





Als das blaue Leuchten des Zeitstromes verblaßte, sah Sam direkt in das Gesicht eines grimmig dreinblickenden Fremden. Es dauerte einige Sekunden, bis Sam begriff, dass er einen KLINGONEN vor sich hatte. Er wich instinktiv einen Schritt zurück, trat dabei gegen einen Klappstuhl, der hinter ihm stand, fiel in den Sitz desselben, schwankte und kippte dann zusammen mit dem Stuhl um.
Auf den Boden liegend, starrte er fassungslos in das fremdartige Gesicht des Außerirdischen. "Oh, man!"







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Carmen Seegers TashinaD@aol.com
13. August 1994 bis 13. Juli 1995
9859 Worte

1 Siehe Quantum Leap - Folge "Affenliebe / The wrong stuff".