Hinweis:  Die Erstveröffentlichung dieser Story erfolgte "Vision", einem von  "Sternenjäger Enterprises"  herausgegebenen Fanzine.

 

 

 

Fly, Eagle, Fly
by Sapphire and Mac
c 1992/1993

 

Kapitel 1: Jetsam

 

Feuer, Erde, Wasser, Luft. Das Feuer einer Explosion; die Erde, die auf ihn zuflog; das Wasser des weiten Meeres und der Himmel über der Küste.

  * * *

 

Am nächsten Morgen wurde viel Strandgut an die Küste gespült.
Melanie McAllister, ihres Zeichens Tierärztin und von der Phoenix Foundation angestellt um die Fortschritte bei der Ansiedlung von Weißkopfseeadlern in dem Gebiet zu überprüfen, hatte wütend das Mikrofon des Funkgerätes auf den Tisch geworfen. Das Gerät war tot. Immer war irgend etwas mit dem Gerät, daß ihre einzige Verbindung mit der Außenwelt darstellte. Kinkstown, eine kleine Ansiedlung mit vielleicht 400 Einwohnern, war zwar nur acht Meilen von ihrer Hütte entfernt, aber bis zu ihrer Behausung war kein Telefon gelegt worden. Immerhin wohnte sie in einem, wenn auch kleinen, Naturschutzgebiet und dort hatten Telefonmasten nichts zu suchen.
Nun gut, sie konnte es nicht ändern. Sie hatte zwar viel Ahnung von der Natur und ganz besonders von ihren Schützlinge, den Weißkopfseeadlern, aber die Technik war ihr schon immer ein Buch mit sieben Siegeln gewesen. Es war doch wohl auch genug, daß sie die Geräte, die sie benötigte bedienen konnte. Und außerdem war das Gespräch auch nicht so wichtig gewesen. Ihre Vorräte würden noch für viele Wochen reichen, und sie würde es doch wohl schaffen für diese Zeit auf ihren morgendlichen Kaffee verzichten zu können, den sie bei ihrem letzten Einkauf vergessen hatte und den sie bei dem Gemischtwarenladen in Kinkstown über Funk hatte bestellen wollen.
Sie griff sich ihre Jacke und ihre Fernglas und machte sich auf den Weg zum Strand. Ein kräftiger Spaziergang würde ihr helfen ihr Wut abzureagieren.

 

Sie war etwa eine halbe Stunde unterwegs als sie bei dem Treibgut, das sie bei dem Sturm von vor zwei Tagen am Strand angesammelt hatte, eine Bewegung bemerkte. Als sie sich auf zehn Meter genähert hatte, erkannte sie plötzlich, was das war.
Sie legte den letzten Rest des Weges rennend zurück.
Zwischen einem großen Brett und einem alten Autoreifen lag auf seinem Bauch eine Mann. Er lag halb auf den Brett, so als ob er versucht hätte sich an diesem festzuklammern, aber nicht mehr die nötige Kraft hatte aufbringen können. Er mußte schon eine Weile dort gelegen haben, da der Wind seine Kleidung, eine zerrissenes Hemd und eine beiges Hose, getrocknet hatte.
Mel füllte als erstes seinen Puls. Er war nicht gerade kräftig, dafür aber regelmäßig. Dann untersuchte sie ihn kurz, ob sie ein größere äußere Wunde oder einen Knochenbruch feststellen konnte. Bis auf eine Platzwunde an der Schläfe, die ziemlich böse aussah, konnte sie auf die Schnelle nichts finden. Die Platzwunde war wahrscheinlich auf für die tiefe Ohnmacht, in der sich der Mann befand, verantwortlich.
Mel setzte sich auf den Autoreifen und überlegte, was sie tun sollte. Hilfe zu holen oder um Hilfe zu rufen schied aus. Sie hatte keinen Wagen, das Funkgerät war ja defekt und weit und breit war sie der einzige Mensch. Sie glaubte auch nicht, daß der Mann in Lebensgefahr schwebte. Sie mußte also selbst etwas tun.
Entschlossen stand sie auf. Aus dem Gerümpel, das am Strand herumlag, mußte sich doch etwas brauchbares bauen lassen. Zwei etwa gleich lange Stangen boten sich als Holme für eine Schleppbahre an und das Brett, auf dem der Mann lag, würde die Bahre vervollständigen.
Eine Stunde später war sie mit ihrer Last bei ihrer Hütte angekommen. Der Mann war während der ganzen Aktion kein einziges Mal aufgewacht und rührte sich auch nicht, als Mel ihn auf ihr Bett wuchtete. Sie holte den Erste Hilfe Kasten und fing an den Mann zu verarzten.
Dann stellte sie sich auf eine lange Wartezeit ein, bis er von alleine wieder aufwachen würde.Nach einigen Stunde bekam der Mann Fieber. Er wälzte sich auf dem schmalen Bett hin und her, als ob er von schlechten Träumen geplagt würde. Mel tat ihr bestes um den Mann die Stirn zu kühlen und ihn ruhig zu halten.
Etwa fünf Stunden später ging das Fieber wieder herunter und der Mann verfiel in einen tiefen erholsamen Schlaf.

  * * *

 

Jemand hatte ihn umbringen wollen. Warum, wußte er nicht. Er wußte nur, daß derjenige jetzt tot war. Er sah auf den Mann, der vor ihm auf dem Boden lag, herunter. Er trug eine Uniform. Es war eine olivgrüne amerikanische Uniform, wie man sie bei Einsätzen trug. Er selbst, stellte er fest, trug ebenfalls eine Uniform. Aber diese war erstens beige und zweitens sah sie mehr aus wie eine Paradeuniform. Auch die Abzeichen waren anders. Doch dies beschäftigte ihn im Moment nicht so sehr wie die Waffe, die er in der Hand hielt und mit der er anscheinend diesen Mann getötet hatte. Er mußte hier weg!
Das nächste, das er sah, war, daß er in einem Jeep saß, der mit hoher Geschwindigkeit durch die Gegend fuhr. Und daß ausgerechent auf der Motorhaube dieses Jeeps ein Mann lag, der sich verzweifelt an der Windschutzscheibe festhielt. Er versuchte, das Gesicht des Mannes genauer zu erkennen. Er wußte, daß er ihn kannte. Aber auch hier konnte er sich nicht daran erinnern, woher. Der Wagen machte wilde Schlenker, aber der Mann auf der Motorhaube blieb wo er war. Er ließ sich einfach nicht locker. In den Augen des Mannes stand Panik. Er hatte den Eindruck, als ob der Mann selbst nicht so genau wußte, was er auf dieser Motorhaube eigentlich zu suchen hatte.
In diesem Moment kam der Jeep mit einem solchen Ruck zum Stehen, daß der Mann, dem Gesetz der Massenträgheit folgend, vorne vom Wagen fiel. Er stellte erstaunt fest, daß er es war, der auf die Bremse getreten hatte. Er saß am Steuer dieses Wagens! Während der Mann vor ihm sich aufrappelte, stellte er fest, daß dieser auch eine grüne Armee-Uniform trug - wie der Mann, der ihn hatte umbringen wollen. Dieser Mann war eine Gefahr. Er mußte ihn töten!
Er setzte mit dem Wagen zurück, um genügend Anlauf zu bekommen. Ein Gefühl des Triumphes überkam ihn. Er würde siegen. Er trat das Gaspedal bis auf das Bodenblech durch. Der Wagen schoß mit durchdrehenden Reifen nach vorne. Der Mann blieb wie angewurzelt stehen. Erst im letzten Moment, Bruchteile von Sekunden, bevor ihn der Jeep ihn berühren konnte, sprang er mit einem großen Satz zur Seite. Der Wagen schoß über den Rand einer Klippe. Über ihm war der Himmel, unter ihm war - nichts! Er schrie einen Namen. Dann wurde es schwarz.

  * * *

 

Am nächsten Morgen fiel das Licht der aufgehenden Sonne direkt auf den Sessel, in dem Mel irgendwann im Laufe der Nacht eingeschlafen war. Mel spürte die wärmenden Strahlen der Sonne und wachte auf. Für einen kurzen Moment war sie irritiert, daß sie nicht, wie üblich, in ihrem Bett aufgewacht war und schaute sich verwirrt um. Doch dann kamen die Erinnerung an ihren gestrigen 'Fund' und die darauf folgende Nacht zurück.
Der Mann schien immer noch tief zu schlafen. Mel hatte nun zum ersten Mal so richtig Gelegenheit ihn in Ruhe zu betrachten, wie er so dalag und schlief.
Er war nicht unbedingt der Typ Mann, der in einer Menge auffallen würde und ihn zu beschreiben war nicht leicht. Aber, ohne recht zu wissen warum, fand Mel ihn doch sehr attraktiv - obwohl er sein Haar, nach Mels Meinung, zu kurz, zu militärisch, geschnitten hatte. Sie zog bei Männern Haarlängen vor, die sich mehr in der Gegend des Kragens bewegten.
Sie war so in ihren Gedanken versunken, daß sie erst einen Moment benötigte, um zu bemerken. daß sie im Gegenzug nun von braunen Augen gemustert wurde.
"Oh, hallo, wie geht es ihnen?", stammelte sie fast etwas verlegen.
"Wo bin ich hier?"
Der Mann hatte eine angenehme Stimme, die aber auch den Eindruck erweckt, daß sie, wenn sie wollte, auch sehr befehlend klingen könnte.
"Sie sind hier in meiner Hütte. Im 'High Cliffs National Park'. Ich habe Sie am Strand gefunden und hierher gebracht."
Erst in dem Moment, als sie es sagte, bemerkte sie, wie dämlich sich das anhören mußte. 'Ich habe Sie am Strand gefunden' . Bei Gott, eine blödere Formulierung ist Dir wohl auf die Schnelle nicht eingefallen. Doch der Mann schien sich daran nicht zu stören.
"Wie bin ich dahin gekommen?", fragte er nur und sah sich um.
"Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Aber wenn Sie mir ihren Namen sagen, dann werde ich heute noch in die Stadt gehen und schauen, ob Sie vielleicht vermißt werden. Sie müssen ja irgendwie von einem Schiff hier vor der Küste sein, oder so etwas in der Richtung."
Der Mann runzelte die Stirn. "Meinen Namen?"
"Na, wie Sie halt heißen."
Etwas wie Verzweiflung kroch in die Augen des Mannes. Er runzelte die Stirn noch heftiger und schüttelte den Kopf. Dann sagte er mit einer Stimme, der man die aufkeimende Panik anhören konnte:
"Ich weiß meinen Namen nicht. Ich kann mich nicht erinnern. Wer bin ich?"
Die letzten Worte waren fast geschrien.
Mel wußte, daß sie schnell etwas tun mußte um die Situation zu entschärfen. Panik würde jetzt niemanden helfen. Sie setzte sich neben ihn auf das Bett und legte ihre Hand auf seinen Arm. Plötzlich hatte sie das Gefühl, als ob ihre Finger unter Strom stehen würden. Sie hatte ihn doch schon vorher berührt, und nie hatte sie dabei dieses Gefühl gehabt!
Sie mußte einmal tief durch atmen. Ganz ruhig, Mel. Sei ganz ruhig. Nur jemand, der sie sehr gut kannte, hätte das leichte Zittern in ihrer Stimme bemerkt.
"Wie wäre es, wenn ich Ihnen jetzt erst einmal eine Tasse heißen Tee mache. Sie denken derweil darüber nach, was Ihnen alles einfällt und heute Nachmittag gehen wir zusammen nach Kinkstown zu Doc Richmont. Natürlich nur, wenn Sie sich fit genug dafür fühlen, es sind immerhin acht Meilen Fußmarsch."
Während sie in die Küche ging um das Wasser aufzusetzen, stand der Mann auf. Mel hatte für ihn einige Kleidungsstücke zurechtgelegt, die, als sie vor eineinhalb Jahren hier angefangen hatte, von ihrem Vorgänger zurückgelassen worden waren. Manchmal war es doch ganz gut, daß sie einfach nichts wegwerfen konnte.
Als der Mann zehn Minuten später in die Küche kam, wirkte er schon deutlich ruhiger. Er setzte sich in den Stuhl, der für Mels seltenen Gäste reserviert war und schaute ihr zu, wie sie den Tee aufbrühte.
"Ich würde Ihnen gerne Kaffee anbieten, aber leider habe ich ihn bei meinem letzten Einkauf vergessen. Und zum Nachbestellen bin ich auch nicht gekommen, da mein Funkgerät mal wieder den Geist aufgegeben hat. Ich hoffe, Sie mögen Tee."
"Das hoffe ich auch. Ich kann mich nicht erinnern."
Inzwischen war der Anflug von Panik in seiner Stimme verschwunden, und er hörte sich fast schon resigniert an. Nachdem der Tee für drei Minuten gezogen hatte, goß Mel ihn in zwei Keramikbecher und setze sich dann mit den beiden Bechern an den Tisch.
"Sie können sich also an nichts erinnern?"
"Es ist seltsam. Ich erinnere mich ganz verschwommen an Gesichter. Aber keine Namen." Er zuckte mit der Schulter. "Apropos Namen. Wie heißen Sie denn?"
"Oh, Entschuldigung. Ich habe ganz vergessen mich vorzustellen. Mein Name ist Dr. Melanie McAllister. Ich arbeite hier für die Phoenix Foundation im Rahmen ihres Artenschutzprogramms. Ich bin Tierärztin."
"Phoenix Foundation?"
"Sagt der Name Ihnen etwas?"
Der Mann schüttelte in Frustration den Kopf. "Irgendwie ja. Aber ich kann nicht sagen woher oder warum."
"Vielleicht fällt es Ihnen wieder ein, wenn ich Ihnen etwas darüber erzähle. Ich habe einmal gehört, daß, wenn jemand an Amnesie leidet, man ihn mit vertrauten Dingen in Kontakt bringen soll. Das dadurch die Erinnerung angeregt wird."
Für einen Moment zogen sich die Braune des Mannes zusammen. Er griff mit der Hand an seinen Kopf und rieb an seiner Stirn, so als ob er dadurch seine Erinnerungen aus seinem Kopf herausreiben könnte.

 

Das Gesicht eines blonden Mannes, der eine Wunde an der Schläfe hatte. Ein Ausdruck in seinen Augen, der dem, den er selbst vorhin im Spiegel gesehen hatte, nicht unähnlich war. Ein Name zu dem Gesicht.

 

Doch bevor der Mann am Tisch nach dem Namen in seiner Erinnerung greifen konnte, war er wieder verschwunden.
Mel hatte das Verhalten des Mannes beobachtet und im großen und Ganzen auch richtig interpretiert. Doch sie spürte, daß es besser wäre im Moment nicht näher darauf einzugehen. Sie begann von der Phoenix Foundation zu erzählen.

  * * *

 

Am Nachmittag hatten sie sich darauf geeinigt, daß sie ihn mit dem Namen Mike anreden sollte. Sie hatte John Doe vorgeschlagen, der Namen, der traditionsgemäß immer an Leute vergeben wurden, die ihr Gedächtnis verloren hatte. Aber Mike stellte fest, daß er den Namen John auf den Tod nicht ausstehen konnte. Er konnte jedoch beim besten Willen keinen Grund dafür angeben, warum das so war.
Außerdem hatte er gebeten mit dem Besuch bei Doktor Richmont noch ein wenig zu warten. Auch hier konnte er keinen Begründung geben, doch Mel hatte auch nicht so sehr das Bedürfnis danach.
Ihr war klar, daß er, wenn er einmal in Kinkstown war, wahrscheinlich bald zu seiner Familie, oder was auch immer, gehen würde und sie ihn dann für lange Zeit nicht mehr sehen würde. Und das war etwas, daß sie irgendwie nicht wollte. So ging sie am Nachmittag statt dessen mit ihm zum Kliff, wo eines der Weißkopf-seeadlerpärchen ihr Nest gebaut hatten.
Sie sagte sich, daß sie ja auch Morgen noch in die Stadt gehen könnten. Oder Übermorgen.

  * * *

 

Die folgenden eineinhalb Wochen war die schönsten in ihrem Leben. Mike hatte kein einziges Mal Interesse daran gezeigt, in die Stadt gehen zu wollen. Und Mel hatte keine Einwände dagegen. Er hatte außerdem ihr Funkgerät so weit repariert, daß sie ihre Bestellung aufgeben konnte und das Gerät nicht gleich danach wieder den Geist aufgab. Seine Anwesenheit bei ihr zu melden, kam ihr nicht in den Sinn.
An einem Abend in der Hütte hatten sie ein Gespräch darüber, ob er denn nicht gerne zu seinen Verwandten zurück wolle. Ob vielleicht jemand da wäre, der auf ihn warten würde. Aber Mike schmetterte den Gedanken ab.
"Mel, ich habe das Gefühl, daß ich noch nie in meinem Leben so zufrieden war. Ich möchte einfach nicht weg von Dir. Ich gebe zu, ich würde schon ganz gerne wissen, wie ich wirklich heiße, aber irgendwie habe ich das Gefühl, daß mir die Person, die ich früher einmal war, bevor ich Dich kennen gelernt habe, nicht gefällt. Es gefällt mir hier bei Dir und ich möchte nie mehr hier weg."
Damit beugte er sich zu ihr herüber und küßte sie zart auf den Mund. Mel erwiderte ohne zu zögern den Kuß.
Alles hätte perfekt sein können. Wenn da nicht Mikes Alpträume gewesen wären. Ein oder zweimal in jeder Nacht wachte er schweißgebadet auf. Manchmal schrie er dabei einen Namen, aber Mel konnte ihn nie verstehen und Mike konnte, oder wollte, sich nicht erinnern.

 

Kapitel 2: Unexpected Encounters

 

Dr. Melanie McAllister ist eine der faszinierendsten Frauen, die ich je getroffen habe. Sie ist auf der einen Seite intelligent, gut aussehend und charmant. Und auf der anderen Seite starrköpfig, eigensinnig und äußerst temperamentvoll. Ich kenne sie nun schon seit fast fünf Jahren, aber sie überrascht mich immer wieder.......

MacGyver lenkte seinen Jeep nach rechts und verließ damit die gepflasterte Straße. Es gab keine Wegweiser, aber er wußte, wo er hinwollte. Nach etwa 15 Minuten konnte er das Haus entdecken, das sein Ziel war. Mel McAllisters Wirkungsstätte. Er mußte etwas grinsen. Er erinnerte sich an ihr erstes Zusammentreffen. Damals war sie neu bei Phoenix gewesen und er hatte sie beim Artenschutzprogramm untergebracht, weil sie sich unheimlich für bedrohte Arten engagierte. Sie hatte ihm auch gleich klipp und klar erklärt, daß er keine Gefälligkeiten zu erwarten habe, nur weil er ihr den Weg etwas geebnet habe. Sie hätte das ebenso alleine geschafft. Daran hatte er keine Minute gezweifelt. Sie hatten sich dann aber zusammengerauft und waren nun gute Freunde.
MacGyvers Aufgabe war eigentlich einfach. Er sollte kurz bei ihr vorbeischauen und nachsehen, was ihre Arbeit machte. Man hätte das auch fernmündlich machen können, aber hier gab es keine Telefonleitungen. Dies war ein Naturschutzgebiet. Und das Funkgerät war ziemlich unzuverlässig. Manchmal brach die Verbindung ab. Mel hatte sich geweigert, eines der neueren Geräte zu benutzen. Sie bastelte schon so lange an dem alten Kasten rum, daß sie kein neues wollte. Als er das letzte Mal dagewesen war, hatte er ihr das Ding auch wieder zusammengebaut. Er hatte nur den Kopf geschüttelt, als er gesehen hatte, wie sie das Funkgerät zusammenhielt. Eigentlich war an dem Ding kein Originalteil mehr. Alles war irgendwie improvisiert. Naja, auf jeden Fall hielten ihre Improvisationen so lange, bis entweder jemand Ersatz schickte, oder er vorbeikam um die letzte Katastrophe zu beseitigen. MacGyver stellte den Wagen neben dem Haus ab und klopfte dann an die Tür. Keine Reaktion.
"Mel?" Er öffnete die Tür und steckte den Kopf hindurch. Alles war ruhig. Anscheinend war sie nicht da. Er umrundete das Haus und sah sich um. Nur wenige hundert Meter von hier war der Strand. Das Haus stand an der Klippe und es führten kaum Wege nach unten. Nicht weit von hier gab es einige Felsen - die Brutstätte der Weißkopfseeadler. Und dann entdeckte er sie - oder besser: die beiden. Zwei Menschen standen am Rande der Klippe - ziemlich nahe beieinander. Eine der beiden Personen war Mel - eindeutig. Ihre roten Haare waren unübersehbar. Dies, zusammen mit ihrem Temeprament, hatten ihr bei Phoenix den Namen ´Feuerteufel´ eingebracht. Und sie trug ihn mit Würde. Er zuckte mit den Achseln und ging zu ihnen.
Als er näher kam, trennten sich die beiden von etwas, das wie ein Kuß aussah. Der Mann war etwa so groß wie Mel und hatte hellbraune, kurze Haare. Mel entdeckte ihn und winkte ihm zu. Der Mann drehte sich um und MacGyver erstarrte auf dem Fleck. Das konnte doch nicht wahr sein! Das war einfach unmöglich!
"MacGyver!", rief Mel und auf ihren Lippen war ein erfreutes Lächeln.
MacGyver machte zwei Schritte nach vorne. Der Mann bei Mel schien auf seine Anwesenheit nicht sonderlich zu reagieren. Ein Arm lag um ihre Taille. Die braunen Augen musterten MacGyver nur wie man einen Fremden nun mal anschaut.
Endlich fand er die Sprache wieder. "Murdoc!"
Mel runzelte die Stirn und sah ihn verwirrt an. Der Mann - Murdoc - hob beide Augenbrauen.
"Du kennst ihn?", fragte Mel erstaunt.
"Kennen wir uns?", fragte Murdoc fast gleichzeitig.
MacGyver war verwirrt. Plötzlich hörte er einen Wagen hinter sich. Mels Gesicht veränderte sich schlagartig, als sie den Wagen sah. MacGyver drehte sich um. Zwei Männer kamen auf sie zu. Einer trug ein Gewehr. In MacGyvers Magen zog sich etwas zusammen. Ärger!
"Hallo, Doc!", sagte der Kleinere der beiden. "Haben Sie sich jetzt Hilfe geholt?"
"Verschwinden Sie!", zischte Mel und sie trat auf die beiden zu. MacGyver sah zwischen ihr und den Männern hin und her. Großer Ärger!
"Aber nicht doch, Doc", fuhr der Mann fort. "Wir wollen doch nur ein kleines Geschäft machen. Seien Sie also ganz lieb und geben Sie uns das was wir wollen."
"Und ich sagte, verschwinden Sie, bevor ich die Polizei hole!" Es war eine leere Drohung, da sie erstens zu weit von der Hütte weg waren und zweitens das Funkgerät sowieso kaputt war. Die Männer wußten das. Der eine lachte leise, während der andere nur breit grinste.
"Seien Sie doch friedlich! Was machen so zwei Eier mehr oder weniger schon aus?"
"Die Adler stehen unter Naturschutz! Diese Art ist vom Aussterben bedroht!"
MacGyver merkte, wie Mel sich mal wieder gefährlich in etwas reinsteigerte.
"Bei uns sind sie auch sehr sicher", beschwichtigte der Mann. "Unser Auftraggeber wird sich um sie kümmern!"
"Sie verdammtes Schwein!", zischte Mel. "Diese Tiere gehören in keinen Privatzoo!" Sie näherte sich den Männern. Der eine hob sein Gewehr.
"Ganz ruhig, Lady!", sagte er und seine Waffe zielte direkt auf Mel. Sie stoppte.
"Wir können das ganze doch auch sicherlich ohne diese Dinger regeln", schaltete sich nun MacGyver in die Unterhaltung ein, die eine für ihn bedrohliche Wendung genommen hatte. Die Waffe schwang zu ihm und er hob die Hände etwas an. "Bitte", setzte er hinzu.
Der zweite Mann grinste wieder breit. "Klaro! Wir wollen ja auch keinem weh tun! Wir wollen nur die Eier und dann wieder verschwinden!"
In diesem Moment ging bei Mel das Temprament durch. Sie schlug dem ersten Mann mit voller Wucht die Faust ins Gesicht. MacGyver war für eine Sekunde total überrascht. Dann sah er, wie der zweite Mann sich Mel schnappen wollte. Auch Murdoc reagierte. MacGyver sah, wie er sich auf den Mann stürzen wollte. Das Gewehr, das für einige Sekunden weggeschwenkt war, richtete sich auf MacGyver. Er hörte einen Schuß und irgendetwas riß ihn herum. Er stolperte zurück und suchte nach Halt. Der Boden gab unter ihm nach und dann wurde es schwarz um ihn. Das letzte, was er hörte, war Mel, die seinen Namen schrie.

  * * *

 

Murdoc hatte die zwei Kerle zwar kommen sehen, aber es war zu spät gewesen, um zu reagieren. Verdammt! Einer der Kerle packte Mel und hielt ihr die Pistole an die Schläfe.
"Lassen Sie sie sofort los!" In seiner Stimme war mehr als nur eine simple Drohung.
Die Männer reagierten darauf, in dem sie beide Waffen auf ihn richteten. Der Kerl, der Mel gepackt gepackt hatte, schubste sie in seine Richtung, und er fing sie auf. Er nutzte die sich ihm bietende Gelegenheit, ihr etwas ins Ohr zu flüstern.
"Wenn ich es Dir sage, läufst Du los!"
"Und wenn Du glaubst, daß ich Dich mit den beiden Kerlen alleine lasse, dann hast Du Dich aber geschnitten!", erwiderte sie genau so leise, aber bestimmt.
"Ich sagte: Du läufst, wenn ich es Dir sage!", wiederholte er und als sie ihn ansah, bemerkte sie eine noch nie zuvor dagewesene Kälte in seinen Augen. Sie nickte nur leicht.
Die beiden Typen vor ihnen hatten von dem Wortwechsel nichts mitbekommen. Sie deuteten mit ihren Waffen in Richtung Hütte.
"Da lang!", befahl der eine. "Auf geht´s!"
Mike/Murdoc - der Name kam ihm irgendwie bekannt vor, aber war es wirklich seiner? - nahm Mel am Arm und dirigierte sie in die von den Gangster angewiesene Richtung. Sie hatten in etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt, als Mel plötzlich über eine Wurzel eines der vielen an der Küste stehenden, verkrüppelten Bäume stolperte. Sie stürzte zu Boden und er kniete sich neben sie, um ihr zu helfen. Die beiden kamen näher.
"Aufstehen!", befahl der eine und fuchtelte mit dem Gewehr herum. Murdoc sah die Chance, auf die er die ganze Zeit gewartet hatte. Er griff sich, verdeckt durch Mels Körper, eine Hand voll Sand. Er sah sie kurz an und sie verstand. Das war das Zeichen. In einer fließenden, fast katzenhaften Bewegung richtete er sich auf und schleuderte den Sand dem einen der beiden ins Gesicht. Dieser schrie auf und ließ das Gewehr fallen um sich den Sand aus den Augen zu reiben. Murdoc sprang den anderen an und entwand ihm die Pistole. Der Mann war viel zu überrascht über die plötzliche Aktion, als daß er sich hätte wehren können. Aus den Augenwinkel heraus sah Murdoc, wie Mel davonrannte. Gut. Mit einem rechten Haken schickte er den Mann ins Reich der Träume. Womit er nicht gerechnet hatte, war, daß der andere sich so schnell von der Sandattacke erholen würde. Er wurde schnell eines besseren belehrt. Irgendetwas hartes traf ihn von hinten und er ging zu Boden.
Als er wieder halbwegs klar denken konnte, befand er sich in Mels Hütte. Genauer gesagt auf einem der Küchenstühle in Mels Hütte. Und er war festgebunden. Wie er nach kurzer Zeit feststellte war er außerdem noch alleine. Die zwei Typen waren verschwunden. Das war gut. Wahrscheinlich waren sie hinter Mel her - und sie kannte sich in der Gegend so gut aus, daß die zwei sie nie erwischen würden. Jetzt mußte er sich nur befreien, bevor die beiden zurückkamen. Er sah sich um. Sein Blick fiel auf Mels alte Brotschneidemaschine. Das Ding war schon antiquarisch. Aber praktisch. Besonders wenn es darum ging, Seile durchzuschneiden. Mühsam ruckelte er mit den Stuhl zu der Ablage hinüber, auf der das Gerät stand. Seine Hände waren zwar auf dem Rücken festgebunden, aber zum Glück nicht an dem Stuhl. Mit einer fast akrobatischen Verrenkung schaffte er es, die Arme so weit hochzuheben, daß er mit dem Seil an die Klinge heranreichte. Nach einiger Zeit - es kam ihm vor wie Stunden - wurde das Seil lockerer, bis es endlich riß. Der Rest war ein Kinderspiel.

 

Kapitel 3: Partnership

 

 

Er war frei. Er durchsuchte Mels Hütte nach einer Waffe. Die fand er in Gestalt eines alten, aber eindrucksvollen Messers. Es war zwar nicht gerade eine sehr gute Waffe, aber immerhin war es eine Waffe. In dem Moment, als er das Messer anfasste, wußte er, daß er es auch anwenden konnte. Und es auch schon getan hatte. An einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit.

Das Gesicht eines blonden Mannes, der ihn geschockt und voller Entsetzen anstarrte. Der rechte Arm seines Parkas war blutverschmiert. Er hatte das Gefühl, daß er auf den Mann zuschweben würde. Jemand schrie. MacGyver!

 

"MacGyver."
Schon in dem Moment, als Mel den Namen des blonden Mannes erwähnt hatte, hatte er gewußt, daß er ihn von irgendwoher kannte. Und der Gesichtsausdruck des Mannes in diesem Moment hatte ihm dies bestätigt. Sie kannten sich. Wie gut wußte er nicht, aber sie waren sich auf jeden Fall schon öfters begegnet. Und irgendwie hatte er sich daran erinnern können, daß dieser Mann aus jeder noch so verfahrenen Situation einen Ausweg wußte. Genau der Mann, den er jetzt brauchte.
Mel war in Sicherheit. Aber die beiden Kerle waren sicherlich noch immer in der Gegend. Ohne Mels heißgeliebte Vogeleier würden sie nicht von hier verschwinden. Er mußte sie aufhalten. Doch dazu brauchte er Hilfe. MacGyver. Er glaubte nämlich nicht, daß der Mann bei dem Sturz von der Klippe umgekommen war. Er hatte ein ziemlich sicheres Gefühl dabei. Diesen Mann brachte so schnell nichts um. Das einzige, das er jetzt noch brauchte, war eine Möglichkeit, den Mann die Klippe wieder hinaufzuschaffen. Diese Möglichkeit bot sich ihm in Form eines Seils, das er in einem vor der Hütte geparkten Jeep fand. Er machte sich auf den Weg zur Klippe.
Der Mann - MacGyver - lag auf einem Felsvorsprung auf halber Höhe der Klippe. Er bewegte sich nicht. Anscheinend war er bewußtlos. Das Seil an einen Baum zu binden und sich an diesem herunterzulassen war kein Problem. Es gab genug stabile Bäume am Klippenrand. In dem Moment, als er sich mit dem Messer in der Hand über den bewußtlosen Mann beugte, kamen die Erinnerungen wie eine Flutwelle auf ihn zu.

Der Mann lag am Boden. Er sah wieder die Schnittwunde dessen Arm. Eine Hand packte den Mann an der Schulter und riß ihn nach oben. Die braunen Augen starrten voller Entsetzen in seine Richtung. Ein Messer kam von rechts in sein Blickfeld. Es zielte auf den blonden Mann vor ihm. MacGyver. Das Messer zerschnitt ein Seil, das wie aus dem Nichts direkt vor ihm aufgetaucht war. Sein Seil! Das Seil, mit dem er am Felsen verankert war. Welcher Felsen? Widowmaker. Er verlor das Gleichgewicht. Entsetzt stellte er fest, daß dort hinten nichts war, das ihn aufhalten konnte. Er fiel.

 

Er atmete mehrmals tief durch und die Bilder der Vergangenheit verschwanden. MacGyver stöhnte leise. Er kam wieder zu sich.

  * * *

 

Es gibt Leute, die behaupten, man würde sich an die auf den ersten Schock folgenden Schmerzen gewöhnen , wenn man nur oft genug angeschossen wird. Ich versichere Ihnen, man tut es nicht.

 

 

Als MacGyver zu sich kam, war das erste, das er spürte, ein höllischer Schmerz, der sich in seiner linken Schulter immer mehr ausbreitete bis er seinen gesamten Arm erfasste. Und er wurde von Sekunde zu Sekunde stärker. Er hörte ein Stöhnen, das anscheinend von ihm kam. Er lag ziemlich unbequem, wie er merkte. Irgendetwas drückte ihm in den Rücken. Sein linker Arm war wie gelähmt. Er öffnete die Augen. Über ihm war ein verschwommen erscheinender, leuchtend blauer Himmel. Einige Wolken zogen träge durch sein Blickfeld. Er sah eine Bewegung aus dem Augenwinkel und versuchte, den Kopf zu drehen. Das war ein Fehler, denn nun begann auch sein Kopf zu schmerzen. Ein Gesicht tauchte über ihm auf.
"Mr. MacGyver?"
Die Stimme! Sein Blick klärte sich und dann erkannte er, wer über ihm war. Murdoc! Panik stieg in ihm hoch, als er die Waffe erkannte, die Murdoc hielt. Es war ein Küchenmesser - ein sehr großes Küchenmesser! Er wich automatisch zurück, was ihm eine weitere Schmerzwelle einbrachte. Auftstöhnend sank er wieder zu Boden. Murdoc legte das Messer zur Seite und untersuchte MacGyvers Schulter. MacGyver zuckte zusammen, als er die Wunde an seiner Schulter berührte.
"Sieht böse aus", erklärte Murdoc in einem ihm völlig untypischen Tonfall. Er klang - besorgt!? "Sie haben sich eine Schußwunde in der Schulter eingefangen. Die Kugel ging glatt durch. Ich glaube, daß Ihnen der Sturz das Schlüsselbein gebrochen hat. Können Sie aufstehen?"
MacGyver starrte ihn an. Irgendetwas stimmte nicht! Jetzt, wo er Murdoc genauer sah, erkannte er auch eine fast verheilte Wunde an seiner linken Schläfe. War dies der Mann, der ihn schon mehrmals hatte umbringen wollen? Er konnte es nicht glauben. Er nickte trotzdem und Murdoc half ihm, sich aufzurichten. Seine Schulter brannte wie Feuer und er taumelte etwas zur Seite und stieß gegen Murdoc. Dieser lehnte ihn gegen die Felswand.
"Ganz ruhig bleiben!"
MacGyver sah sich um. Er befand sich auf etwa halber Höhe der Klippe. Eine Art von Vorsprung hatte seinen Sturz aufgefangen. Es ging noch einige Meter weiter da runter. Und da unten lagen einige bösartig aussehende Felsbrocken. Er erschauerte, als er daran dachte, was hätte passieren können. Dann entdeckte er das Seil. Sein Seil! Das war sein bestes Kletterseil! Das aus seinem Jeep! Murdoc hatte sich an diesem Seil zu ihm hinuntergelassen! Was zum Teufel ging hier vor? Murdoc hatte zwischenzeitlich ein Teil des Seils - seines Seils! - abgeschnitten und trat auf ihn zu.
"Das wird Ihren Arm ruhig halten, bis wir etwas geeigneteres finden", erklärte er, während er einem immer noch verdutzten MacGyver mit dem Seil den linken Arm am Körper festband. "Ich werde jetzt wieder hochklettern und Sie dann mit dem Seil hochziehen. Glauben Sie, daß Sie es schaffen?"
MacGyver nickte nur stumm. Murdoc griff nach dem Seil und in diesem Moment fiel es herunter. Über ihnen lachte jemand boshaft.
"Glauben Sie, daß wir nicht daran gedacht haben?", rief einer der Männer, die auf ihn geschossen hatten. "Viel Spaß noch da unten. Wir werden uns zwischenzeitlich mit dem Doc auf den Weg machen und die Eier holen!"
Der Mann verschwand und MacGyver sah Murdoc an. Dieser sah etwas blaß aus. Sein Plan hatte nicht so funktioniert, wie er es sich gedacht hatte. Diese Schweine hatten Mel gefunden!
"Wir müssen Mel helfen!", sagte er dann und seine Stimme klang nur mühsam beherrscht. MacGyver hörte auf, sich über das Verhalten des Berufskillers zu wundern. Murdoc schnappte sich das Seil, das in einem Haufen auf dem Vorsprung lag.
"Uh, was haben Sie vor?", fragte MacGyver. Das erste, was er überhaupt gesagt hatte.
Murdoc wandte sich zu ihm um und seine Augen hatten einen entschlossenen Ausdruck.
"Ich werde da hochklettern und das Seil dann zu Ihnen herunterlassen!"
MacGyver starrte ihn an. "Sind Sie übergeschnappt? Die Wand ist viel zu steil! Sie werden sich den Hals brechen!" MacGyver runzelte nach dem Gesagten die Stirn. Murdoc war ein wahnsinniger Killer. Jedenfalls der Murdoc, den er kannte. Murdoc sah ihn kalt an. Seine Augen bekamen den Ausdruck, den MacGyver schon mehr als einmal an ihm gesehen hatte. Dieser Ausdruck bedeutete Gefahr für jeden, der ihm jetzt widersprechen würde.
"Ich werde da hochkommen!", erklärte er mit schneidender Stimme. "Und ich glaube kaum , daß Sie in der Lage sind, mich aufzuhalten!"
MacGyver wich etwas zurück. Murdoc drehte sich um und suchte nach einem ersten Halt für seine Klettertour. Während MacGyver Murdoc dabei beobachtete, wie er die für ihn vollkommen glatt erscheinende Felswand hochkletterte, kam er zu dem Schluß, daß in Murdocs Verwandtschaft irgendwo mal ein Steinbock gewesen sein mußte. Er runzelte die Stirn, als ihm einfiel, daß Murdoc laut seiner Akte ein Steinbock war - astrologisch gesehen natürlich! Der Mann brauchte für die ca. 10 Meter keine 5 Minuten. Sekunden nachdem er über dem Klippenrand verschwunden war, fiel das Seil zu MacGyver herunter. MacGyver schnappte sich das Seil, führte es unter seinen Armen durch - sehr, sehr vorsichtig - und schaffte es mit einiger Mühe, einen festen Knoten zu machen.
"Fertig?", kam Murdocs Stimme vom Klippenrand. Er hatte ihn die ganze Zeit von oben aus beobachtet.
"Fertig!", bestätigte MacGyver und bemerkte, wie sich das Seil spannte. Sich mit der rechten Hand am Seil festhaltend und mit den Füßen gegen den Felsen stemmend, wurde er langsam nach oben gezogen. Plötzlich schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf. Wenn Murdoc ihn beseitigen wollte, war dies der geeignetste Zeitpunkt. Andererseits wäre es sicherlich nicht schwer gewesen, dieses Ziel schon vorher zu erreichen. Als er den Rand erreichte, streckte sich ihm eine Hand entgegen. Er ergriff sie automatisch - Moment, daß war Murdocs Hand! - und fühlte, wie er mit einem Ruck die letzten Zentimeter hinaufgezogen wurde. Schweißgebadet sank er zu Boden. Nach einigen Sekunden öffnete er die Augen und sah Murdoc auf sich zukommen. Er hatte anscheinend das Seil vom Baum gelöst und machte sich nun daran, MacGyver ebenfalls davon zu befreien.
Als Murdoc so vor ihm kniete runzelte er plötzlich die Stirn und sah ihn zum ersten Mal in die Augen.
"Wir kennen uns." Das war eigentlich eine Feststellung, aber MacGyver hörte den fragenden Unterton darin.
"Uh", machte er, da er nicht so genau wußte, was er eigentlich sagen sollte.
"Sie müssen wissen", fuhr Murdoc fort, "ich habe mein Gedächtnis verloren. Ich kann mich an nichts aus meiner Vergangenheit erinnern. Ich sehe nur ab und zu ein paar Bilder, die ich nicht zuordnen kann. Und Sie kommen andauernd in diesen Erinnerungen vor."
Er sah MacGyver auffordernd an.
"Uh", machte dieser wieder. Murdoc hatte sein Gedächtnis verloren! "Sie können sich wirklich an nichts erinnern?", fragte er sicherheitshalber noch einmal nach. Wenn das wahr wäre.....
Murdoc nickte nur. Von MacGyver kam ein leises 'Oh!'. Langsam wurde es Murdoc zu viel.
"Sind Sie immer so gesprächsfreudig?", fragte er.
"Ähm", erwiderte MacGyver.
"Verstehe!" Murdoc verstand zwar nicht, aber zur Zeit gab es wichtigere Dinge zu tun. Er stand auf und streckte MacGyver die Hand hin. Dieser sah aus, als ob er sich erst selbst überwinden mußte, griff dann aber doch zu. Zusammen gingen sie zu Mels Hütte zurück.
Sie hatte ungefähr die Hälfte des Weges zur Hütte zurückgelegt, als MacGyver sich an Murdoc wandte.
"Wer sind die zwei Typen überhaupt? Und was wollen sie von Mel?"
"Mit Namen kann ich nicht aufwarten, aber vor zwei Tagen waren sie schon einmal hier. Sie wollten von Mel zwei Adlereier kaufen. Mel hatte natürlich abgelehnt. Dann haben sie angefangen zu drohen. Daraufhin hat Mel sie dann hochkant aus ihre Hütte herausgeworfen."
"Und warum haben sie sich dann nicht an die Polizei gewandt?" Ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf. Murdoc war ja eigentlich ein international gesuchter Killer - also kein Liebhaber von Polizei. Noch war er sich nicht sicher, daß diese Geschichte mit dem Gedächtnisverlust wirklich stimmte.
"Das Funkgerät funktioniert nicht."
MacGyver runzelte nur die Stirn.

 

Kapitel 4: In Theory

 

Amnesie ist ein vorübergehender Gedächtnisverlust, häufig ausgelöst durch einen schweren Schlag auf den Kopf. Wie lange so etwas anhält, kann man meistens nicht sagen. Viele behaupten, daß die Erinnerung zurückkommt, wenn man den Patienten mit Dingen aus seiner Vergangenheit konfrontiert. Ich war mir nicht sicher, ob man das bei Murdoc machen sollte. Immer vorausgesetzt, die Amnesie war echt.

MacGyver und Murdoc standen neben dem Küchenfenster von Mels Hütte und beobachteten die Szene, die sich ihnen bot. Auf einem der beiden Küchenstühle saß Mel. Einer hielt die Pistole auf sie gerichtet, der andere hatte sich drohend vor ihr aufgebaut.
"Wo ist das Nest?", fragte er. Mel preßte die Lippen zusammen und sah ihn nur trotzig an. "Ich frage nicht noch einmal!", sagte der Mann, aber Mel schwieg weiterhin. Darauf verpaßte er ihr eine schallende Ohrfeige. Ihr Kopf flog zur Seite.
MacGyver bemerkte, wie Murdoc sich anspannte, als ob er gleich durch das Fenster springen wollte. Er legte seine Hand auf Murdocs Arm.
"Ganz ruhig! Wir holen Sie da raus!"
Murdoc starrte ihn an. MacGyver konnte ganz deutlich den inneren Kampf in Murdocs Augen sehen. In diesem Moment kam ihm die Szene in den Kopf, die sich ihm geboten hatte, als er heute morgen zu der Klippe gegangen war. Murdoc war verliebt! In Mel! Und er schien es ernst zu meinen! Dies erklärte einiges - aber noch lange nicht alles.
"Und wie?", fragte Murdoc und entspannte sich etwas.
MacGyver sah sich um. Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren. Murdoc beobachtete ihn genau. Ihm war, als ob er diesen Gesichtsausdruck bei MacGyver schon einmal beobachtet hatte.
"Kommen Sie mit!", meinte MacGyver dann nur und Murdoc blieb nichts anderes übrig, ihm zu folgen. Sie gingen zur Rückseite des Hauses. Dort, neben der Luke, die in den 'Keller' führte, war ein schmales, offenstehendes Fenster. Das Labor.
"Okay", sagte MacGyver und sah Murdoc an, "Sie klettern jetzt da rein und ich sage Ihnen dann, was Sie weiter tun müssen."
Murdoc sah ihn, gelinde gesagt, erstaunt an. "Durch dieses Fenster?", fragte er und deutete auf die schmale Öffnung.
"Durch dieses Fenster", bestätigte MacGyver. "Das müßte doch eine Ihrer leichtesten Übungen sein."
"Ach?"
Murdoc zuckte innerlich mit den Achseln. Was soll's. Ein Versuch war es wert. Und es klappte tatsächlich! Mit einigen Mühen schaffte er es, sich durch das Fenster zu zwängen.
"Und nun?", fragte er und sah sich im Labor um. Die Tür zur angrenzenden Küche war nur angelehnt. Deutlich konnte er die Stimmen der beiden Männer hören.
"Sehen Sie sich um! Suchen Sie nach Ammoniak und Salzsäure!"
Ammoniak und Salzsäure? Wozu brauchte der Mann das denn?
'"Und außerdem brauchen wir vier dünnwandige Glasbehälter!", fuhr MacGyver fort.
Murdoc fand das Gesuchte nach einigen Sekunden.
"Und jetzt?"
"Füllen Sie je zwei Behälter mit Ammoniak und zwei mit Salzsäure! Und seien Sie vorsichtig! Das Zeug ist gefährlich! Binden Sie sich auf jeden Fall etwas vor den Mund!"
Murdoc entdeckte einen Mundschutz, den Mel im Labor des öfteren trug. Er band ihn sich vor Mund und Nase und tat, was MacGyver von ihm verlangte. Während er das letzte Gefäß verschloß, ging ihm ein Licht auf.
"Das ist eine Rauchbombe!", sagte er plötzlich leise, damit ihn die zwei im anderen Raum nicht hören konnten. Das eine war eine starke Säure, das andere eine starke Lauge. Zusammengemixt würden sie sich neutralisieren und einen kurzen, aber brauchbaren chemischen Nebel bilden.
"Richtig", bestätigte MacGyver. "Geben Sie mir zwei Gefäße raus. Die anderen beiden behalten Sie. Ich werde versuchen, die Typen abzulenken. Wenn das ganze losgeht, werfen Sie ihre Bombe und holen sich Mel!"
Murdoc gab ihm die beiden Behälter durch das Fenster.
"Und wie wollen Sie die zwei ablenken?", fragte er.
MacGyver grinste ihn nur an. "Ich habe da so eine Idee, die funktionieren könnte."
Murdoc hob beide Augenbrauen.
"Theoretisch", fügte MacGyver mit einem unschuldigen Gesichtsausdruck hinzu und verschwand aus seinem Blickfeld.

  * * *

 

MacGyver stellte die beiden Behälter vorsichtig auf der Veranda ab. Dann lief er gebückt zu dem Wagen der beiden Gangster. Es war schon seltsam, daß er Murdoc als Partner so einfach akzeptiert hatte. Der Mann war ein Killer! Ein berufsmäßiger Mörder! Gut, er hatte sein Gedächtnis verloren, aber.... Er schüttelte nur den Kopf, um den Gedanken zu verscheuchen. Zur Zeit gab es wichtigeres.
Der Wagen stand so, daß er mit der Schnauze in Richtung Klippe zeigte. Ein bißchen Aufmunterung von seiner Seite und der Wagen würde freiwillig dorthin fahren, wo er ihn haben wollte. MacGyver öffnete die unverschlossene Fahrertür und entdeckte, was er suchte: die Handbremse. Er löste sie und gab dem Wagen einen leichten Schubs. Dieser fing zu rollen an und wurde immer schneller. MacGyver rannte zum Haus zurück und postierte sich neben der Tür. Das Ergebnis seiner Bemühungen ließ nicht lange auf sich warten. Mit einem lauten Krachen schlug der Wagen auf die Felsen unter den Klippen auf. Nur Bruchteile einer Sekunde später flog die Tür auf und einer der beiden Typen trat auf die Veranda.
MacGyver warf seine Rauchbombe. Der Mann bemerkte die Bewegung hinter sich und fuhr herum. MacGyver holte aus und wollte einen rechten Haken landen. Doch der andere war schnell - zu schnell. Er packte MacGyvers Handgelenk und zog daran. MacGyver wurde von seinem eigenen Schwung zum Türrahmen hingetragen. Er knallte dagegen und sank halb bewußtlos zusammen. Er spürte, wie der Mann ihn hochzog und wie ein Schild vor sich hielt.
"Keine Bewegung, oder Dein Freund wird dran glauben!"
MacGyver sah alles wie durch eine Nebelwand. Kein Wunder: die Rauchbomben hatten hervorragend funktioniert! In diesem Nebel entdeckte er Murdoc, der über dem zweiten Mann stand. Mel war von ihrem Stuhl aufgesprungen.
"MacGyver! Mike!"
"Setz' Dich, Schätzchen!", befahl der Mann, der MacGyver hielt und schob ihn vor sich haltend in den Raum. Murdoc rührte sich nicht vom Fleck. Der andere Mann rappelte sich auf und entwaffnete ihn schnell. Der Rauch verzog sich schon wieder. Dann brachten die beiden Typen Murdoc und MacGyver zu der Luke, die in den Keller führte.

  * * *

 

Als die Luke über ihnen zufiel, wandte sich Murdoc an MacGyver.
"Aha", meinte er. "Das verstehen Sie also unter 'theoretisch'."
MacGyver konnte nur entschuldigend grinsen. "Es war ein guter Plan."
"Theoretisch!", bestätigte Murdoc. "Haben Sie noch so 'ne großartige Idee?", fragte er sarkastisch. "Mit uns als Geiseln wird es den beiden nämlich nicht schwer fallen, Mel dazu zu zwingen, sie zum Adlernest zu führen!"
MacGyver schaute sich um. Es war ziemlich düster hier unten. Das einzige Licht fiel durch die Ritzen der Tür. Die Tür war aus stabilen Eichenbrettern und wurde durch eine metallene Stange verschlossen. Frontalausbruch fiel aus. Murdoc studierte ebenfalls diese Tür.
"Wir müssen eine der Latten herausbrechen und könnten dann so die Metallstange beseitigen", meinte er nachdenklich.
MacGyvers Kopf fuhr herum und er sah Murdoc an.
"Das ist es!", rief er dann.
"Das ist was?", fragte Murdoc fast mißtrauisch.
"Ich habe einen Plan!"
"Theoretisch?""Bis jetzt", erwiderte MacGyver und deutete auf eine bestimmte Stelle an der Tür. "Und das ist unser Anfang."
Murdoc folgte seinem Fingerzeig. Er sah ein etwa 3 cm durchmessendes Astloch.
"Ich glaube", sagte Murdoc langsam, "das ist eine gute Idee."
MacGyver schaute ihn verblüffte an. "Ach ja?"
"Ja! Wirklich! Ich sehe nach, was sich hier unten als Widerhaken auftreiben läßt."
MacGyver zuckte nur mit den Schultern - was er sofort wieder bereute; er hatte seine Schulter total vergessen. Dann versuchte er mit seinem Schweizer Taschenmesser, das ihm die beiden Männer nicht abgenommen hatte, den Astrest aus dem Astloch zu entfernen. Murdoc rumorte währenddessen in Mels Gerümpel. Die Frau hob wirklich alles auf, was man irgendwann mal noch gebrauchen konnte. Nach einiger Zeit tauchte er mit einem uralten Regenschirm und einer Zange wieder auf. Das war das Beste, das er hatte finden können.
"Mr. MacGyver?"
"Einfach MacGyver", erwiderte der Angesprochene automatisch.
"Okay, MacGyver. Sie kennen mich, oder?"
MacGyver holte tief Luft. Er konnte Murdoc nicht für immer ausweichen. Aber wo sollte er anfangen?
"Ja", meinte er dann nur.
"Und mein Name ist Murdoc?"
"Ja", wiederholte MacGyver.
"Wir kennen uns schon länger." Murdoc runzelte die Stirn. "Einige Jahre...."
"Etwa 10 Jahre", meinte MacGyver.

 

Ich erinnere mich noch sehr genau an jenen Tag, als ich für Jack, der wegen zweier gebrochener Beine im Krankenhaus lag, aus einer Gefälligkeit heraus, das Taxifahren übernommen hatte. Damals hatte ich jene mysteriöse Frau namens Sara zu einem verlassenen Lagerhaus gefahren . Wie sich später herausgestellt hatte, war Sara ein Mann gewesen. Ein Mann namens Murdoc - ein Berufskiller. Damals hatte ich auch Pete Thornton kennengelernt - das war das Positive an der Sache gewesen. Das Negative waren die zwei Bazookas gewesen, mit denen Murdoc Pete und mich hatte umbringen wollen. Wir hatten es überlebt - nicht so Jacks Taxi.

Murdoc sah ihn überrascht an.

Er war in einem Krankenhaus. In dem einzigen Bett in dem Krankenzimmer lag ein schnauzbärtiger Mann, der eine Fliegerkappe trug. Beide Beine und sein rechter Arm waren eingegipst. An seinem Bett standen ein korpulenter Mann mit schütterem Haar und jemand, den er kannte. Er hatte etwas kürzere Haare und er war jünger. MacGyver...

Er zog eine Waffe und richtete sie auf die Gruppe. MacGyver reagierte schnell und trat ihm die Waffe aus der Hand. Er revanchierte sich mit einem fließend ausgeführten Tritt vor die Brust, der MacGyver zurückschleuderte. Er rannte. Weg! Er mußte weg!
Der Polizeiwagen. Eine nie gekannte Panik erfaßte ihn.
Das Haus.
Der Knall einer Explosion.
Leere.

"Und", sagte er dann und setzte sich auf eine Kiste, "wir sind nicht gerade Freunde...."
MacGyver sah ihn überrascht an. Er musterte den Mann, der langsam die Reste des Schirmes von den Streben entfernte. Irgendwie schien er sich nicht sehr wohl zu fühlen.
"Wie kommen Sie darauf?", fragte er dann.
"Ich sehe Bilder, die anscheinend aus meiner Vergangenheit sind. Sie sind eine der Hauptpersonen, die in diesen Erinnerungen vorkommt. Und jedes Mal bin ich dann der Gegner."
Zwei Paar braune Augen sahen sich sekundenlang an. MacGyver senkte den Blick.
"Ja", gestand er dann. "Wir sind Gegner."
"Habe ich jemals versucht Sie zu töten?"
MacGyver starrte ihn perplex an. Ob Murdoc versucht hatte, ihn zu töten?
"Um, äh, ja", gab er dann zu.
Warum fühlte er sich dabei nur so verdammt schlecht? Es war Murdoc! Seine Erinnerungen bestanden aus Dutzenden von Morden!
"Zum Glück ohne Erfolg, scheint mir", meinte Murdoc dann.
MacGyver sah ihn, gelinde gesagt, fassungslos an. Seine Augenbrauen hoben sich fragend.
"Bitte?"
"Nun, wenn ich Erfolg gehabt hätte", erklärte Murdoc, "wären Sie jetzt nicht hier, um mir zu helfen."
Wenn er Erfolg gehabt hätte, dachte MacGyver, wäre er - Murdoc - jetzt auch nicht hier, da er nämlich nicht die Klippe mit einem Jeep hinuntergestürzt wäre.
Murdoc fuhr damit fort, den Schirm zu präparieren.
"Wie ernst ist es Ihnen mit Mel?", wechselte MacGyver das Thema.
"Ich liebe sie", erklärte Murdoc einfach und ohne zu zögern.
Oha, dachte MacGyver. Es hat Murdoc erwischt. Und es war ziemlich ernst. Nur einmal hattte er bei dem Mann solche starken Gefühle zu einer Frau gesehen. Damals hatte es seine Schwester Ashton betroffen. Doch Ashton war jetzt tot - ein Skiunfall. Zu gerne hätte MacGyver gewußt, was zwischen Mel und Murdoc alles vorgefallen war. Vor allem daher, weil er sie nicht als eine Frau kannte, die sich jedem x-beliebigen Mann an den Hals warf. Wenn er so zurückdachte, konnte er sich nicht daran erinnern, Mel jemals mit einem Mann gesehen zu haben. Und Murdoc war nicht der Mann, von dem er erwartete, daß er Gefühle wie Liebe und Zuneigung entwickeln konnte. Naja, was auch immer zwischen den beiden vorging, MacGyver war viel zu sehr Gentleman um weiter nachzufragen.
Er sah ihn noch eine Weile an, machte dann aber ebenfalls mit seiner Arbeit weiter. Nur wenige Minuten später hatte er den Ast restlos entfernt. Er steckte das Messer weg und ging zu Murdoc hinüber. Dieser hatte die Metallstreben des Schirmes gestutzt und schob den restlichen Schirm gerade zusammen. Er sah MacGyver an.
"Wir brauchen eine Art von Winde, oder so etwas", sagte er. Er erwiderte MacGyvers fragenden Blick völlig ruhig, trotz dem, was er gerade erfahren hatte. MacGyver nickte und sah sich um. Nach einiger Zeit fanden sie ein Spill - eine Schiffswinde. Gott wußte, wo Mel das Ding nun schon wieder ausgegraben hatte. Sie befestigten es an einem aus der Wand hervorstehenden Haken und führten ein Seil hindurch, das MacGyver in einer Ecke fand. Dann verknoteten sie ein Ende des Seils an dem Schirm und MacGyver schob den Schirm durch das Astloch. Fertig.
"Soweit die Theorie", meinte MacGyver.
Murdoc lächelte nur - ein offenes und freundliches Lächeln. Nicht dieses triumphierende Grinsen, das er sonst immer zeigte. MacGyver schob den Schirm durch das Astloch und Murdoc spannte das Seil. Der Schirm schnappte auf und der Widerhaken saß. Murdoc zog nun ruckartig und fest an dem Seil. Der Widerhaken krallte sich in das Holz und plötzlich barst die Latte. Staub wallte auf und MacGyver hustete. Er ging zu der zerborstenen Latte. Licht strömte durch den Spalt und deutlich konnte er die Metallstange erkennen, die die Tür verschloß. Er langte mit der rechten Hand hindurch und versuchte, sie zu heben.
"Aargh!"
Seine Schulter nahm ihm diesen Versuch sehr übel. Murdoc schob ihn zur Seite und versuchte es selbst. Es war ziemlich schwierig, da der Spalt eng war und wenig Raum zum Manövrieren ließ. Schweiß rann seine Stirn herunter. Dann schaffte er es, die Stange zu heben. Sehr, sehr langsam hob sie sich über die erste Halterung und dann fiel sie polternd herunter. Murdoc öffnete vorsichtig die Klappe und sah sich um. Nichts. Anscheinend waren die zwei Kerle mit Mel verschwunden. Mel! Mit einem Satz war er aus dem Keller heraus.
MacGyver stolperte hinterher. "Murdoc!"
Murdoc hielt inne und drehte sich um. "Was!?" In seiner Stimme schwang ein gefährlicher Unterton. MacGyver wich etwas zurück.
"Es bringt nichts, wenn Sie jetzt so einfach losstürmen", sagte er ruhig. "Wir sollten langsam vorgehen. Ansonsten gefährden wir Mel."
Mel!
Murdoc preßte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen.
"In Ordnung", sagte er gedehnt. "In Ordnung."

 

Kapitel 5: Fly Free

MacGyver stand vor der Hütte und sah sich um. Keine Spur von Mel oder den beiden Männern, die sie entführt hatten. Wo war sie? Murdoc war noch in Mels Hütte. MacGyver hatte die Verteilerkappe von seinem Jeep entfernt und sie versteckt. Da der Wagen der Gangster nur ein Haufen Schrott am Fuß einer Klippe war, bestand die Möglichkeit, daß sie versuchen würden, MacGyvers Jeep zu nehmen. Und sicher war immerhin sicher.
Er hörte Schritte und drehte sich um. Es war Murdoc. MacGyvers Blick fiel auf das Messer in Murdocs Gürtel. Es war ein großes Küchenmesser, nicht unähnlich dem, das er schon vorher gehabt hatte. MacGyver wurde etwas flau in der Magengegend. Der Gedanke, daß Murdoc mit einer Waffe herumlief war wenig erheiternd. Murdoc bemerkte sein Verhalten, schien es aber nicht auf die Waffe zu beziehen.
"Was ist los?", fragte er.
"Wo sollen wir mit der Suche nach Mel beginnen? Sie könnten überall sein!"
Murdoc grinste. "Wie wär's, wenn Sie mich fragen?"
"Wie bitte?", fragte MacGyver.
"Ich weiß, wo sie sind", erläuterte Murdoc und zeigte auf eine Felserhebung, die etwa 800 Meter von ihnen entfernt war. "Dort ist das Adlernest."
"Woher.....", begann MacGyver und verstummte dann wieder. Natürlich. 'Lerne dein Terrain kennen'. Regel Nummer 1 für Agenten - und Attentäter. Er nickte nur.
"Okay, gehen wir!"
Murdoc entdeckte die Tasche, die MacGyver trug. Es war ein kleiner Rucksack.
"Was ist das?"
"Mein Angelzeug", erklärte MacGyver nur und Murdoc fragte nicht weiter nach. Er wollte nicht wissen, welchen Plan der blonde Mann nun schon wieder ausgearbeitet hatte.

  * * *

 

Der Adlerfelsen war etwa 50 Meter hoch und spärlich bewachsen - bis auf einige Bäume, die sich tapfer auf dem kargen Boden hielten. MacGyver und Murdoc lagen in einer Art von Senke auf dem Bauch und beobachteten die Szene vor ihnen. Die beiden Männer waren am Rande der Klippe. Einer überwachte die Gegend, der andere lag auf dem Bauch und sah angestrengt nach unten. Mel konnte er nirgendwo sehen. An einem Baum war ein Seil festgebunden. Etwas säuerlich stellte MacGyver fest, daß es auch wieder eins von seinen Seilen war.
"Was jetzt?", fragte Murdoc leise. "Wenn wir näher kommen, sehen sie uns. Es gibt hier nicht genug Deckung."
"Gute Frage, nächste Frage!", meinte MacGyver. Er runzelte die Stirn. Er hatte so eine vage Idee. Er öffnete die Tasche und zog eine Angel heraus. Es war eine Teleskopangel, die man mit einem Knopfdruck ausfahren konnte. Murdoc sah ihm zu, wie er die Angel ausfuhr und die Schnurrolle befestigte. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was MacGyver nun schon wieder vorhatte.
"Hören Sie zu", sagte MacGyver. "Ich werde versuchen, dem Typ mit der Pistole die Waffe aus der Hand zu reißen."
Murdoc beäugte mit zweifelnden Blick die Angel. MacGyver bemerkte den Blick und mußte ungewollt grinsen.
"Vertrauen Sie mir."
Murdoc seufzte leise. "Was ist mit Mel?", fragte er dann.
"Wenn ich richtig liege, haben die zwei sie den Felsen hinuntergelassen, um von ihr sich die Eier holen zu lassen."
Murdoc nickte zustimmend. Sie war also aus der Gefahrenzone heraus.......
"Gut, ich werde versuchen, den Typen abzulenken." Damit erhob er sich aus der Senke und schlich zu einem Baum hinüber. Der bewaffnete Mann sah ihn nicht, da er sich gerade seinem Partner etwas zurief.
MacGyver schätzte die Entfernung ab. Etwa 6 Meter. Es könnte hinkommen. Er sah auf. Murdoc saß hinter einem Baum und wartete auf sein Zeichen. MacGyver holte tief Luft und nickte ihm dann zu. Zu seinem Entsetzen tat Murdoc genau das, was er nicht erwartet hatte. Er rannte direkt auf den bewaffneten Mann zu. MacGyver fluchte innerlich und holte dann mit der Angel aus. Mit einem Surren entrollte sich die Schnur. Der Haken bohrte sich in die Hand des Bewaffneten und er schrie voller Schmerzen auf. MacGyver zog ruckartig an der Angel. Der Haken bohrte sich tiefer in die Hand und der Mann ließ die Waffe fallen. Diese fiel polternd zu Boden und schlitterte auf Grund der leichten Bodenneigung von ihm weg.
Murdoc hatte sich zwischenzeitlich das auf dem Boden liegende Gewehr des zweiten Mannes geschnappt. Als er die Waffe in der Hand hielt, durchströmte ihn plötzlich ein Gefühl der macht. Es war nicht das erste Mal, daß er ein Gewehr in der Hand hielt. Wie bei dem Messer wußte er, daß er es benutzen konnte. Nur war diesmal das Gefühl - das dejà vu - viel stärker. Er wußte nicht nur, wie man ein Gewehr hielt, sondern konnte es auch benutzen - er hatte es schon mehrmals benutzt. Um zu töten..... Und er hatte es auch schon sehr oft getan. Dann brachen die Erinnerungen wie eine Flutwelle über ihn herein. Nicht nur die gelegentlichen Bruchstücke oder Bilder seiner Erinnerungen. Alles. Er wußte wieder wer er war und was er war. Murdoc....
Der Mann nutzte dieses momentane Zögern aus - auch wenn es nur für den Bruchteil einer Sekunde war - und zog an dem Seilende. Der Knoten löste sich und ein schreckenserfüllter Schrei kam von unterhalb der Klippe. Dieser Schrei riß Murdoc aus seinen Gedanken.
"Mel!" Das Gefühl der Macht verschwand völlig und machte einem neuen Gefühl Platz: Angst. Angst um Mel.
Der Mann am Boden versuchte, Murdoc aufzuhalten, aber dieser machte kurzen Prozeß und schlug ihm den Gewehrkolben ins Gesicht. Bewußtlos blieb der Gangster liegen.
MacGyver hatte sich zwischenzeitlich des zweiten Mannes angenommen. Dieser versuchte den Haken, der tief in seiner Hand saß, und die Angelschnur loszuwerden. MacGyver nutzte dieses Handikap aus und landete einen rechten Haken auf dessen Kinn. Er hatte etwas zuviel Schwung und wurde so nach vorne getragen. Stolpernd versuchte er, das Gleichgewicht zu halten.
"Aargh!", machte er, als sein rechtes Handgelenk ziemlich schmerzhaft auf die Begegnung seiner Hand mit dem Kinn des Mannes reagierte. Der Mann sackte bewußtlos zusammen. In diesem Moment hörte MacGyver Mels Aufschrei.
"MacGyver!" Das war Murdocs Stimme. MacGyver drehte sich um - und bekam plötzlich ein Gewehr zugeworfen. Instinktiv fing er das Ding auf. Murdoc kümmerte sich nicht weiter um MacGyver sondern, beugte sich über die Klippe.
MacGyver sah das Gewehr mit Abscheu an. Er haßte Waffen! Mit einer fast heftigen Geste warf er es weg. Das Gewehr segelte in einem hohen Bogen über den Klippenrand und verschwand. Dann kümmerte er sich um den bewußtlosen Mann. Schnell wickelte er ihn gründlichst in Angelschnur ein. Aus einem Mitleidsanfall heraus entfernte er den Haken aus dessen Hand und lief dann zur Klippe.
Murdoc sah angestrengt nach unten. MacGyver folgte seinem Blick. Etwa 10 Meter unter ihnen entdeckte er einen roten Haarschopf.
"Mel!", schrie Murdoc und MacGyver konnte deutlich die Sorge in seiner Stimme hören.
"Mike!", rief Mel.
"Halt Dich fest!"
"Darauf wäre ich nun nicht gekommen!", kam die sarkastische Erwiderung von unten.
MacGyver sah sich suchend um und entdeckte neben dem Baum an dem das erste Seil geknotet gewesen war, ein zweites Seil. Er sprang auf und band das zweite Seil an den Baum. Murdoc war etwas überrascht, als plötzlich ein Seil neben ihm die Klippe hinunterfiel. Er wandte sich an Mel.
"Halt Dich fest, wir ziehen Dich rauf!"
Die Antwort, die er erhielt, war nicht das, was er erwartet hatte. "Moment noch, ich klettere erst noch mal nach unten!"
"Mel! Laß das!", rief MacGyver nach unten.
"Du hast mir gar nichts zu sagen, Mac! Wo ich jetzt schon mal da bin, kann ich die Adlereier auch gleich wieder zurückbringen!"
"Schatz!", kam es jetzt von Murdoc. "Bitte komm hoch! Das ist viel zu gefährlich für Dich!"
"Und Du hast mir auch nichts zu sagen! Außerdem bin ich eine erwachsene Frau und kann tun und lassen, was ich will!"
Murdoc sah MacGyver hilflos an. "War sie schon immer so?", fragte er dann.
"Keine Ahnung", erwiderte MacGyver. "Ich kenne sie erst seit fünf Jahren. Aber bis jetzt hat sie sich noch nie anders verhalten."
Die beiden sahen sich noch eine Sekunde an und beiden schien der selbe Gedanke durch den Kopf zu schießen: Frauen! Plötzlich runzelte Murdoc die Stirn.
"Wo haben Sie eigentlich das Gewehr gelassen, das ich Ihnen zugeworfen habe?"
MacGyver sagte nichts, sondern deutete nur auf die Klippe. Murdoc starrte ihn fassungslos an. Aber dann erinnerte er sich, daß MacGyver keine Waffen benutzte und Gewalt so weit wie möglich aus dem Weg ging. Plötzlich kam Mels Stimme von unten.
"Fertig! Jetzt könnt ihr mich hochziehen!"
Murdoc schüttelte nur den Kopf und dann zog er Mel nach oben.
Zurück bei der Hütte legten sie die beiden Gangster jeweils zu einem handlichen Paket verschnürt auf die Veranda von Mels Hütte. Mel kümmerte sich dann um MacGyvers Schulterwunde. Wie Murdoc schon festgestellt hatte, war das Schlüsselbein gebrochen. Die Schußwunde war blutverkrustet, aber die Kugel war wirklich glatt durchgegangen. Mel säuberte die Wunde und verband sie. Dann stellte sie den Arm wieder ruhig, indem sie ihn an seinem Körper festband.
Währenddessen versuchte Murdoc seine widersprüchlichen Gefühle zu sortieren. Er wußte wieder wer er war. Aber er war nicht mehr der gleiche. Etwas hatte ihn verändert. Mel. Er wußte ohne Zweifel, daß er sie liebte und deswegen konnte und wollte er nicht mehr derselbe sein. Aber seine Vergangenheit existierte noch immer und er konnte das, was er getan hatte, nicht mehr rückgängig machen. Wie sollte er - und vor allen Dingen Mel - damit fertig werden? Ein bis dahin noch nie gekanntes Gefühl der Verzweiflung überwältigte ihn.
Abrupt drehte er sich um und ging zu der Hütte zurück. Dort entdeckte er MacGyver, der versuchte, die Verteilerkappe seines Jeeps wieder an ihrem Platz anzubringen. Mit einem Mal konnte er nicht mehr verstehen, was ihn früher dazu getrieben hatte, diesen Mann immer und immer wieder töten zu wollen. Zugegeben, er war eine Art von Herausforderung gewesen, da er jede seiner Fallen irgendwie austrickst hatte. Aber warum hatte er es überhaupt tun wollen? Eigentlich war ihm MacGyver sympathisch. Er hatte in den letzten Stunden festgestellt, daß er und MacGyver sich irgendwie auch ähnlich waren. Sie waren beide normalerweise Einzelgänger. Jeder hatte seine eigene Art, einen Auftrag zu erledigen. Doch waren sie beide auch bereit, sich für jemanden, der ihnen viel bedeutete, ihr Leben einzusetzen.
Eigentlich, dachte Murdoc, würden wir ein gutes Team abgeben. MacGyvers Intelligenz und Einfallsreichtum zusammen mit Murdocs Wissen um Waffen und seiner Erfahrung. Er mußte bei diesem Gedanken grinsen.
Er trat zu MacGyvers Jeep und beugte sich von der anderen Seite über den Motor. MacGyver versuchte gerade einige Kabel wieder zu befestigen, hatte jedoch sichtlich Schwierigkeiten, dies mit nur einer Hand zu tun.
"Kann ich Ihnen helfen?", fragte Murdoc.
MacGyver, der Murdocs Annäherung nicht bemerkt hatte, fuhr abrupt mit dem Kopf nach oben. Dieser kollidierte mit einem dumpfen Knall mit der Motorhaube.
"Ganz ruhig." Murdoc machte einen halben Schritt nach hinten. "Ich wollte Sie nicht erschrecken."
"Ist schon okay", erwiderte MacGyver.
"Wo ist Mel?", fragte Murdoc.
"In der Hütte. Sie versucht gerade den Sheriff zu erreichen." Er lehnte sich mit dem Ellenbogen auf den Kotflügel. "Haben Sie das Funkgerät repariert?"
Murdoc nickte.
"Interessantes Stück Arbeit."
Murdoc wußte nicht so genau, ob er das als Kompliment auffassen sollte. Ohne weiter darauf einzugehen, beugte er sich über den Motor und half MacGyver die Verteilerkappe zu befestigen. MacGyver schloß die Motorhaube. Dann gingen sie zurück zur Hütte. MacGyver, der hinter Murdoc ging, bemerkte plötzlich, daß dieser noch immer das Messer hinten im Gürtel stecken hatte. Ein eisiges Gefühl breitete sich in seinem Magen aus. Was wäre, wenn sich Murdoc jetzt wieder an seine Vergangenheit erinnerte....?
Als ob Murdoc seine Gedanken gespürt hätte, hielt er plötzlich inne und drehte sich um.
"Wissen Sie eigentlich, daß wir beide da draußen ein verdammt gutes Team waren? Fast wie beim letzten Mal."
"Fast wie beim letzten Mal....?" MacGyver betonte jedes Wort einzeln.
"Können Sie sich nicht erinnern?" Murdocs Stimme klang fast spöttisch und seine Augen glitzerten. Ein Lächeln umspielte seine Lippen.
MacGyver war wie vom Blitz getroffen. Erstarrt blieb er auf der Stelle stehen. Er erinnerte sich! Murdoc war wieder Murdoc!
"MacGyver, ich bin Ihnen etwas schuldig", fuhr Murdoc fort.
Der Eisklumpen in MacGyvers Magengegend wurde zu einem ausgewachsenen Gletscher. Denn leider konnte er sich nur zu gut daran erinnern, was geschehen war, als Murdoc dachte, ihm etwas schuldig sein zu müssen.
Damals hatte Murdoc ihn in eine seiner selbst gebauten Falle manövriert, um ihn dann anschließend wieder daraus zu befreien. Murdocs Interpretation nach war damit seine Schuld wieder bezahlt und er konnte ohne 'schlechtes Gewissen' weiter Jagd auf MacGyver machen.
Murdoc streckte die Hand aus und MacGyver beäugte sie mißtrauisch. Zu gerne hätte er gewußt, was Murdoc dachte. Andererseits - besser nicht. Er kämpfte innerlich mit sich, schüttelte dann aber doch die Hand.
"MacGyver", meinte Murdoc plötzlich, "Es tut mir ehrlich Leid."
Leid? Was tat Murdoc leid?
MacGyver sah die Bewegung zwar, konnte aber der Faust nicht mehr ausweichen. Murdocs Schlag traf ihn am Kinn und er stürzte ins Nichts. Murdoc fing den fallenden Körper auf und legte ihn sanft zu Boden.
"Mike! Was soll das?"
Er drehte sich um und entdeckte Mel, die ihn entsetzt ansah. Er trat auf sie zu und nahm sie bei den Schultern.
"Mel", sagte er leise, "ich kann mich wieder erinnern, wer ich bin."
"Und das MacGyver regelrecht umgehauen?", meinte Mel sarkastisch.
Murdoc schloß kurz die Augen. Wieviel konnte er es ihr sagen?
"Es war die einzige Möglichkeit, Mel, glaub' mir. Wie ich schon einmal sagte, wirst Du meine Vergangenheit nicht mögen. Und deshalb muß ich gehen."
"Gehen?", echote Mel. Das Ganze war wie ein Schock für sie. "Du kannst doch nicht so einfach gehen", meinte sie schwach. "Nach allem was....."
Murdoc nahm sie in die Arme und hielt sie einfach fest. Es war für ihn auch nicht leicht. Was er MacGyver gesagt hatte, stimmte. Er liebte Mel. Sie war die erste Frau, die er wirklich liebte.
"Egal, was sie Dir von mir erzählen", flüsterte er ihr dann ins Ohr, "ich habe mich geändert." Er sah ihr in die Augen. "Und Du warst diejenige, die mich geändert hat."
Er gab ihr einen langen, leidenschaftlichen Kuß. Als sie sich voneinander trennten, konnte sie ihn nur ansehen. Sie brachte keinen Ton heraus.
Murdoc ging zu MacGyvers Jeep und stieg, ohne zurückzuschauen, ein. Er startete den Motor und setzte so weit zurück, daß er neben Mel zum Stehen kam.
"Wir werden uns wiedersehen, Dr. Melanie McAllister. Ich schwöre es", sagte er mit weicher Stimme. Mel versuchte zu lächeln. "Ich liebe Dich, Mel." Dann setzte sich der Wagen in Bewegung und fuhr den Weg zu der gepflasterten Verkehrsstraße hinauf.
"Ich liebe Dich auch, Mike", flüsterte Mel und eine Träne rann über ihre Wange.

 

Epilog

Wissen Sie, was ich bei Krankenhäusern hasse? Sie lassen einen einfach nicht gehen. Auch wenn man den Ärzten eidesstattlich versichert, daß man völlig okay ist. Aber nach vier Tagen schwerster Überzeugungsarbeit war es so weit, daß ich gehen durfte.

MacGyver bezahlte das Taxi und stieg die Treppen zu seiner Wohnung hinauf. Er warf die Tasche in die Ecke und ging zum Kühlschrank. Es war gut, wieder daheim zu sein. In seinem Kühlschrank herrschte eine ziemliche Leere, aber der Orangensaftbehälter war noch halb voll. Er holte die Flasche heraus und stellte sie auf die Ablage. In diesem Moment fiel sein Blick auf den Tisch. Darauf lag ein ihm wohl bekannter Schlüssel. Es war der Schlüssel von seinem Jeep. Der Jeep, den Murdoc sich 'geliehen' hatte. Unter dem Schlüssel lag ein Zettel. Er hob ihn auf.

In der Garage, las er. MacGyver runzelte die Stirn, ging aber in die Garage hinunter. Und dort stand er. Sein Jeep, der trotz einer Fahndung der Polizei nie gefunden worden war. Kein Wunder. Wahrscheinlich war er die ganzen vier Tage hier gewesen. Unter dem Scheibenwischer klemmte ein Brief. Vorsichtig machte MacGyver den Brief auf. Aber wider Erwarten passierte nichts.

MacGyver, begann der Brief.
Tut mir leid, daß ich Ihren Jeep ausleihen mußte. Aber wenn mich
mein wiedergekehrtes Gedächtnis nicht trügt, gibt es einige Leute, die
mich ganz gerne hinter Gitter bringen würden - Sie eingeschlossen.
Aber ich habe mich geändert - auch wenn Sie es mir vielleicht nicht
glauben wollen.

MacGyver las den letzten Satz nochmals. Geändert?

Schauen Sie nicht so erstaunt, MacGyver. Es ist wahr. Ich habe
meinen Job an den Nagel gehängt.
Was ich jetzt weiter tue, weiß ich noch nicht. Ich weiß nur, daß wir
uns wiedersehen werden.
Und passen Sie auf Mel für mich auf. Sie ist eine ganz besondere Frau. Murdoc

MacGyver ließ den Brief langsam sinken.
"Ja", sagte er dann, "wir werden uns wiedersehen."

  THE END.........?