[zurück zur Hauptseite]

 

DER FISCHER

von Little Tiger

 

 

     

Um etwas von vorne herein klarzustellen: diese Geschichte ist gänzlich und ausschließlich Krycek gewidmet, sollte ihn einer von euch nicht ausstehen können, tja, Pech gehabt. Mulder, Scully oder etwaige Außerirdische werden nicht einmal erwähnt, also sagt hinterher nicht, ihr wärt nicht gewarnt worden.

Disclaimer: Krycek gehört mir nicht, aber ich hätte ihn gerne... erfunden, versteht sich. Tatsächlich gehört er Chris Carter, seinen 1013 Productions und Fox Broadcasting, und ich leihe ihn mir nur für ein paar Seiten aus, was mir rein finanziell leider gar nichts bringt. "Il Pescatore" (Dischi Ricordi, 1979), das Lied, nach dem ich diese Geschichte geschrieben habe, ist von Fabrizio de Andre, dem großartigsten Cantautore Italiens. Der Text am Ende ist ohne Genehmigung, aber mit viel Liebe abgedruckt und dilettantisch übersetzt von mir höchstpersönlich.

Rating: eigentlich gänzlich jugendfrei. Trotzdem, ich glaube PG wäre angebracht.

 

Die letzten Strahlen der Abendsonne badeten den Hafen in langen Schatten. Das bernsteinfarbene Licht schenkte ihm ein fast märchenhaftes Aussehen, umschmeichelte alte Hausboote wie malerische Relikte aus längst vergessenen Zeiten und entlockte dem ruhigen Wasser smaragdenes Funkeln. Möwen spielten wie ausgelassene Kinder zwischen den Sonnenstrahlen, tauchten, stiegen wieder auf und trainierten waghalsige Tiefflugmanöver über der Pier. Nur der Lärm der Rush-Hour, den nicht einmal die riesigen Lagerhallen abhalten konnten, störte die Idylle. Seine ständige Präsenz nagte an der verzaubernden Macht des Sonnenlichts, machte Ölschlieren auf dem Wasser und herumliegenden Müll sichtbar und verwandelte die Stimmen der Möwen in misstönendes Gekreisch. Er tauchte die Skyline im Hintergrund in dunstige Wolken, die die Sonne aussperrten, und holte den Hafen aus seinem Schneewittchenschlaf zurück in den Alltag einer Großstadt.

In diesem Hafen, auf einer morschen Pier, die schon lange nur mehr Algen und Möwen am Leben hielten, saß ein alter Mann auf einem Stapel Taue. In seinem Schoß lag ein Schleppnetz, dunkel vom Alter und unzählige Male geflickt, aber sorgsam gepflegt, wie um der Zeit und der Tatsache, daß es nie mehr benutzt werden würde, zu trotzen. Die Hände des Alten lagen auf dem Netz, wie um die Schwielen dem Gegenstand näherzubringen, der sie verursacht hatte. An einen Andockpfosten gelehnt, hatte er das Gesicht dem Gekreisch der Möwen zugewandt, und die Sonne spielte merkwürdige Schattenspiele mit seinen hohen Wangenknochen, den geschlossenen Lidern unter den buschigen Augenbrauen, und die Furchen, die Zeit und das Meer in sein Gesicht gegraben hatten, verlieh ihm neue, verwirrende Gesichtszüge, die seine linke Wange wie durch ein übergroßes, diabolisches Grinsen zerschnitten.

Zu diesem Hafen, als die Sonne sich noch ein letztes Mal gegen das Untergehen aufbäumte, kam ein Fremder. Ein Fremder mit Augen, aus denen die Furcht jede Farbe gesogen hatte, Augen, groß wie die eines Kindes. Daß er auf der Flucht war, hätte jeder zufällige Beobachter sofort gesehen. Sein langes Haar hing ihm in dunklen Strähnen auf die Schultern und in die Stirn, in hartem Kontrast zu seinem bleichen Gesicht, das die Sonne zum ersten Mal seit langem wieder vorsichtig wie eine einst verschmähte Geliebte betastete. Doch er entzog sich fast erschrocken ihrer Berührung, um mit den Schatten eines Containers zu verschmelzen. Mit schon an Paranoia grenzender Nervosität beobachtete er jeden Winkel, jedes Schlupfloch, das der Hafen um ihn bot, seine abgewetzte schwarze Lederjacke eng um den Körper gezogen, als sei sie Tarnmantel und kugelsichere Weste zugleich. Und dann sah er den Alten.

Der Alte erwachte, als er kaltes Metall an seinem Hinterkopf spürte. "Geld her!" zischte hinter ihm eine Stimme, heiser, als sei sie lange nicht mehr benutzt worden. Oder zu lange zum Schreien. "Ich warne Sie, ich habe schon aus geringerem Grund getötet." "Ich habe kein Geld." Seine Antwort war ruhig, ohne Furcht. Und so aufrichtig und bestimmt, daß der Druck des Pistolenlaufs wie ferngesteuert nachließ. Aber er verschwand nicht ganz. Der Junge - denn das war er in Gegenwart des Alten, ein Junge, auch wenn er seine Kinderzeit schon lange hinter sich gelassen hatte - der Junge also lehnte seinen Kopf an den Pfosten, zu müde, um zu widersprechen. Doch er war noch nicht bereit aufzugeben. Noch nicht. "Dann geben Sie mir etwas zu essen! Ich habe Hunger." Der Alte schloss die Augen und erhob sich dann, ohne sich auch nur einmal umzusehen, mit vom Schlaf steifen Gelenken. "Komm!" war alles, was er sagte.

Das Haus war klein und zwischen zwei Monstern von Lagerhallen eingeklemmt, und doch trotzte es ihrer Übermacht und allen wirtschaftlichen Interessen wie sein Besitzer dem Tod. Es besaß nur zwei Räume, einen Wohn- und Schlafraum, vollgestopft mit Gerümpel und Erinnerungen an bessere Zeiten, und eine noch kleinere Küche, in der kaum ein Tisch Platz fand. An jenem Küchentisch, dessen Maserung im Laufe der Zeit zu Tälern und Bergkämmen geworden war, saß der Junge und aß. Der Alte hatte ohne ein weiteres Wort Brot, geräucherten Fisch, einen Krug Wein und eine Karaffe Wasser vor ihn hingestellt. Er hatte sich ihm gegenüber gesetzt während der andere sich wie ein ausgehungertes Tier auf das Essen stürzte. Nach und nach hatte sein Heißhunger nachgelassen, bis er sich schließlich wieder der grundlegendsten Tischmanieren besann, und mit einem fast schuldbewussten Blick mit Messer und Gabel und langsamer weiteraß. Lange Zeit schwiegen sie, bis die Stille schwer auf ihren Schultern lastete. "Wer sind Sie?" fragte der Junge schließlich mit einem scheuen Blick, der so gar nicht zu seinem Killer-Gehabe passen wollte. Sich seines Fehlers bewusst tastete er mit der Rechten nach der Waffe, die neben ihm auf dem Tisch lag, wie um sich zu versichern, daß er es war, der ihre Beziehung dominierte. "Ein Fischer." "In einer Großstadt?" Der Alte stand auf und begann ruhig, die Reste wegzuräumen. "Dort, wo ich herkomme, war ich Fischer. Hier bin ich... gar nichts. Niemand nimmt Notiz von mir. Nur Kinder und ein paar streunende Katzen. Und Mörder." Blasse, meergrüne Augen fingen den Blick des Jungen auf, hielten ihn fest, prüfend, wissend. "Wer bist du?" Einige Sekunden hielt der Junge stand, kämpfte mit seiner ganzen Willenskraft. Und verlor. "Ich bin..." Ein kurzes, bellendes Lachen, bar jeden Humors, "Ich bin das, zu dem sie mich gemacht haben. Ein Spion. Ein Verräter. Ein Killer. Jetzt jagen sie mich, obwohl ich nur das gemacht habe, was sie mich gelehrt haben. Verraten, getötet. Sie haben mich fallen gelassen, und doch bin ich nur das, was ich vorher war. Sie haben alles andere in mir ausgelöscht."

Eine Stunde später hatte die hereinbrechende Dunkelheit die einsame Kerze auf dem Kuechentisch beinahe besiegt. Abseits, kaum berührt von ihrem schwachen, flackernden Licht, saß der Junge zusammengekauert in einer Ecke, die Beine an den Körper gezogen. Die Pistole in seiner Hand hing kraftlos auf den Boden, und sein Kopf ruhte auf dem über die Knie gelegten Arm. Der Alte lächelte, ein wissendes, uraltes Lächeln, als er eine Hand ausstreckte, um den schlafenden Jungen zu berühren. Seine Fingerspitzen berührten das zerzauste Haar, die Stirn, die Lider und strichen dann fast zärtlich an der Linie seines Unterkiefers entlang über das Kinn zum Hals, wo sein Puls ruhig und regelmäßig die Zeit schlug. Schließlich schloss sich die Hand sanft um seine Schulter, und der Junge erwachte, die Augen voller Schlaf und Verwirrung. "Es ist Zeit." sagte der Alte leise, "Geh!".

Der nächste Morgen wetteiferte mit dem vorhergehenden Abend um die Gunst des Alten. Er saß auf seinem angestammten Platz auf der Pier, das Netz im Schoss, die geschlossenen Augen der Sonne zugewandt. Bis sich ein Schatten über sein Gesicht legte. Ein Mann stand vor ihm, riesig aus seiner Perspektive, die Sonne verdeckend, so daß seine Züge nicht zu erkennen waren. Die schweren Schritte eines zweiten Mannes schickten ein kaum merkbares Schaudern durch das morsche Holz. "Wir sind Agenten des FBI." Ein Abzeichen, das jeder für echt gehalten hätte, unterstrich die Aussage, "Gestern haben wir einen Mann bis in dieses Viertel verfolgt, dann ist er spurlos verschwunden. Sie haben ihn nicht gesehen?" Das Abzeichen verschwand, und an seine Stelle trat ein Foto. "Der Gesuchte heißt Alex Krycek. Er hat mehrere Morde begangen und wird außerdem der Spionage und des Hochverrats verdächtigt." Beide Männer hatten ihre Waffen gezogen, doch keiner von ihnen hatte Handschellen dabei. Der Alte sah das Bild nicht an. Er wusste, wen sie suchten. "Überlegen Sie es sich gut, er ist ein eiskalter Killer. War er hier?" Der Alte sah wortlos zu dem Schwarzgekleideten auf, bis dieser sich schließlich widerstrebend zum Gehen wandte, wie ferngesteuert und ein bisschen erstaunt über sich selber. Der Alte schloss die Augen und genoss die Sonne auf seiner Haut. Und die Furchen in seinem Gesicht erweckten den Anschein, als würde er grinsen.
 

ENDE 

 

Copyright © 1997 by Nicole C. Ritsch


IL PESCATORE (Fabrizio de Andre) DER FISCHER
All' ombra dell' ultimo sole
s'era assoppito un pescatore
e aveva un solco lungo il viso
come una specie di sorriso.

Venne alla spiaggia un assassino,
due occhi grandi da bambino,
due occhi enormi di paura,
eran gli specchi d' un avventura.

Chiese al vecchio: "Dammi il pane!
Ho poco tempo e troppa fame!"
E chiese al vecchio: "Dammi il vino!
Ho sete, sono un assassino!"

Gli occhi gli schiuse il vecchio al giorno,
non si guardo neppure intorno,
ma verso il vino, spezzo il pane,
perche diceva: "Ho sete, ho fame!"

E fu il calore d' un momento,
poi via di nuovo verso il vento,
poi via di nuovo verso il sole,
dietro alle spalle un pescatore.

Dietro alle spalle un pescatore,
e la memoria e gia dolore,
e gia il rimpianto d' un aprile
giocato all' ombra d' un cortile.

Vennero alla spiaggia due gendarmi,
vennero in sella con le armi,
chiesero al vecchio se li vicino
fosse passato un assassino.

Ma all' ombra dell' ultimo sole
s'era assoppito il pescatore, 
e aveva un solco lungo il viso
come una specie di sorriso.
 

Im Schatten der untergehenden Sonne
schlief ein Fischer,
und eine lange Furche zerschnitt sein Gesicht
wie eine Art Lächeln.

An den Strand kam ein Mörder,
Augen, groß wie die eines Kindes,
Augen, weit vor Angst
wie Spiegel eines Abenteuers.

Er bat den Alten: "Gib mir Brot!
Mir bleibt keine Zeit, und ich bin hungrig!"
Und er bat den Alten "Gib mir Wein!
Ich bin durstig, ich bin ein Mörder!"

Der Alte schloss die Augen
und sah sich nicht einmal um.
Aber er schenkte Wein ein und brach Brot,
denn der andere hatte gesagt:"Ich bin hungrig, ich bin durstig!"

Es war die Wärme eines Augenblicks, 
bevor er mit dem Wind fortging,
bevor er Richtung Sonne fortging;
zurück blieb der Fischer.

Zurück blieb der Fischer,
und die Erinnerung schmerzte ihn,
die Erinnerung an einen April,
spielend im Schatten eines Hofes verbracht.

An den Strand kamen zwei Polizisten. 
Sie kamen hoch zu Ross und mit allen Waffen.
Sie fragten den Alten, ob dort 
ein Mörder vorbeigekommen sei.

Aber im Schatten der untergehenden Sonne
schlief der Fischer,
und eine lange Furche zerschnitt sein Gesicht,
wie eine Art Lächeln.