Zur Beachtung: Diese Geschichte wurde nur zu meinem eigenen und zum Spaß für andere SW-Fans geschrieben. Ich verfolge damit keine finanziellen Absichten; weder jetzt noch in Zukunft. Sie soll in keiner Weise die Rechte von Lucasfilm, LucasArts und anderen Rechteinhabern berühren!

Anmerkung für die Leser: Ich schreibe meine Storys, wie ich gerade Lust habe. Dass sie dadurch nicht immer ins offizielle SW-Universum passen und untereinander nicht unbedingt in Beziehung stehen, betrachte ich als kreative Freiheit. Man möge mir verzeihen.

Konstruktive Kritik wird gerne entgegengenommen - aber treibt es nicht zu bunt, Leute ;-)
Mailt mir!
Dairyû


"Entscheidungen" schließt direkt an die Geschichte "Schein und Sein" an.
Sie greift ein altbekanntes Thema wieder auf.
Viel Spaß!

In dieser Story ist die Schriftart Aurabesh verwendet worden. Ihr findet sie auf diversen Star Wars Pages oder unter http://people.freenet.de/dairyu/aurabesh.zip, die Story lässt sich aber auch so lesen, der Effekt ist nur weg :-).


Entscheidungen
Dairyû


   Darth Vader kehrte in seinen Palast zurück; auf ebenso geheimen Wegen, wie er ihn vor einigen Tagen verlassen hatte. Einen Unterschied gab es allerdings: Vader wollte vollkommen unbemerkt bleiben, denn sein Aussehen war mehr als beschämend. Er würde damit sogar in Coruscants Unterwelt Aufsehen erregen. Um das zu vermeiden, beeinflusste er die Wahrnehmung derjenigen, die ihm begegneten. Sie sahen ihn zwar flüchtig, vergaßen ihn aber, sobald sie den Blick abwandten.
Der Dunkle Lord erreichte daher in Ruhe die wenig genutzten Gänge in den tiefsten Lagen der unterirdischen Welt. Er betrat den Gang, der zum geheimen Turbolift führte.
Quietschend flohen die Ratten vor ihm. Sie verschwanden in Ritzen und unter dem Schutt, der überall herumlag, aber Vader wusste, dass sie ihn aus ihren gelben Augen misstrauisch beäugten und wieder hervor kamen, wenn sie seine Präsenz nicht mehr spürten.
Vader erreichte die imaginäre Felswand. Als er hindurchtrat hatte es den Anschein, als verschlucke der Fels ihn mühelos.
Der Turbolift brachte Vader sanft und lautlos nach oben. Die kleine Kabine kam zum Stillstand und die geheime Tür, die den Lift verbarg, öffnete sich langsam.
Vader betrat seine Behausung. Die Räume lagen in völliger Dunkelheit, aber Vader war mit ihnen so vertraut, dass er kein Licht benötigte.
Zielstrebig ging er in sein Badezimmer. Erst dort machte er Licht, vermied es aber, in den großen Spiegel zu blicken, der eine Wand beherrschte. Er wollte sich jetzt nicht sehen. Er wollte nur seine Kleidung, besser gesagt, ihre Überreste loswerden.
Vader betrachtete wenig später das dreckige und zerlumpte Bündel aus grobem Stoff in sanften Braun- und Beigetönen, das achtlos zusammengeworfen auf dem glänzenden Marmorboden lag.
Seine Jedi-Robe hatte endgültig ausgedient.
Dabei hatte er sich vor Kurzem noch dafür gescholten, das Gewand nicht wegwerfen zu können, weil damit so viele Erinnerungen verbunden waren. Erinnerungen, die auch jetzt wieder auf ihn einstürmten.
Obi-Wan Kenobi war auf dem Weg nach Coruscant!
Diese Enthüllung des Imperators hatte Vader bis ins Mark getroffen.
Obi-Wan.
Sein ehemaliger Meister, sein ... Freund.
Nein!
Nun nicht mehr. Es gab keine Freundschaft mehr, es konnte sie nicht mehr geben. Sie starb, als Anakin Skywalker zu Darth Vader wurde.
Er hatte sich von Obi-Wan getrennt, war nach einer heftigen Aussprache einfach gegangen –Obi-Wan hatte nicht versucht ihn aufzuhalten – und nicht zurückgekehrt.
Das war vor einem knappen halben Jahr gewesen. Seitdem hatte Vader von Kenobi nichts mehr gehört oder gesehen.
Er hatte geglaubt, sein ehemaliger Meister habe sich zurückgezogen, wie viele Jedi, um abzuwarten und zu beobachten, wie sich die Situation entwickelte. Denn der Imperator begann die Jedi zu verfolgen. Er hatte sie lange genug verschont. Hatte so lange gewartet, bis seine Herrschaft über das Imperium gefestigt war, und zwar so gefestigt, dass er ungestraft die Jagd auf die ehemaligen Beschützer der Alten Republik und der Ordnung eröffnen konnte, solange, bis er die geeigneten Häscher an der Hand hatte.

   Sein erstes Ziel war der Jedi-Rat auf Coruscant gewesen. Aber die Ratsmitglieder waren gewarnt worden – oder vielleicht auch nur wachsam, sehr wohl wissend, dass Palpatine ihre Anwesenheit auf Coruscant schon gefährlich lange geduldet hatte.
Vader kannte die Gründe nicht, und sie waren ihm auch egal. Es zählte einzig und allein, dass der Rat sich buchstäblich unsichtbar gemacht hatte, denn seine Residenz – der Jedi-Tempel – war verlassen gewesen, als das Überfallkommando anrückte.
Palpatine hatte getobt und verschiedene Köpfe waren gerollt, aber der oder die Verräter fanden sich nicht, ebenso wenig wie die Mitglieder des Rates, die Coruscant verlassen zu haben schienen.
Vader war insgeheim dankbar darüber gewesen, denn er war vom Imperator damit beauftragt worden, den Jedi-Rat gefangen zu setzen. Diese Konfrontation hätte ihm alles abverlangt, das wusste er. Er kannte alle Ratsmitglieder, er hatte sie im Laufe der Jahre schätzen gelernt und wusste, dass er letztlich ihnen verdankte, dass Obi-Wan ihn zu einem Jedi ausbildete. Qui-Gon hatte damals etwas in ihm gesehen, und viele Mitlieder des Rates hatten diesem Urteil später zugestimmt, als sie sahen wie Anakin sich entwickelte.
Und jetzt?
Er hatte den Weg der Dunklen Seite bewusst gewählt (wenn auch nicht ohne Zögern, dass verdrängte er allerdings), aber dennoch konnte er aufkeimende Schuldgefühle nicht ganz unterdrücken. Du bist immer noch zu schwach! sagte er sich bitter.
Darth Vader hatte damals unverrichteter Dinge den Jedi-Tempel verlassen; gefolgt von mehreren Abteilungen Elitesoldaten, die ebensolche Erleichterung empfanden wie er, wenn auch aus anderen Gründen.
Der Dunkle Lord hatte seinem Gebieter Bericht erstattet und die Wut des Imperators gespürt. Von diesem Tage an fürchtete er seinen Herrn noch mehr.
Palpatines Zorn war allerdings schnell verraucht und einem dunklen Grübeln gewichen. Während ein innerlich bebender Darth Vader kniend vor dem Thron verharrt hatte, hatte der Imperator die Situation abgewogen und war zu dem Schluss gekommen, dass sie für ihn eigentlich nicht nachteilig war. Er rief sich das Ansehen, das der Jedi-Rat bei der Bevölkerung Coruscants immer noch genoss, ins Gedächtnis und sah, dass ein direktes Vorgehen gegen seine Mitglieder möglicherweise Unruhen hervorgerufen hätte. Nun konnte Palpatine seine unbekannten Häscher ausschicken, ohne dass irgendjemand ihm die Urheberschaft der Morde an den Jedi beweisen konnte.
Und so geschah es.
Überall in der Galaxis fielen Jedi unbekannten Mördern zum Opfer. Niemandem gelang es, einen von ihnen zu fassen (Vader war sich sicher, dass es auch niemand versuchte) und auch wenn jeder wusste, dass das Imperium dahinter stand, schwiegen die meisten. Die, die es nicht taten, wurden zum Schweigen gebracht.
Die Furcht war eine machtvolle Verbündete!

   Vader kehrte seufzend in die Gegenwart zurück. Nun war ein Jedi – ein ganz spezieller Jedi – auf dem Weg in die Höhle des Rancors!
Der Dunkle Lord verschob die Grübelei über die möglichen Konsequenzen dieser Tatsache auf die Zeit nach dem Bad. Er wollte den Schmutz und das Blut loswerden; beides hatte nicht nur seine Kleidung verunziert, sondern auch ihn.
Nachdem Vader in sein übliches schwarzes, gepanzertes Gewand gekleidet war, fühlte er sich wenigstens körperlich wieder besser.
Er ging zurück ins Badezimmer und hob seine Jedi-Robe auf. Er übergab sie dem Abfallzerkleinerer in der Wand, dessen meterlanger "Schlund" bis in den Keller reichte. Dort würde sie auf Nimmerwiedersehen verschwinden.
Vader begab sich daraufhin in sein Wohnzimmer – der Raum verdiente diese Bezeichnung eigentlich nicht, denn er war ebenso unpersönlich gehalten, wie alle anderen Zimmer, die Vader bewohnte – und ließ sich eine Mahlzeit bringen.
Ein schweigsamer Diener servierte sie und verließ nach einer kaum merklichen Handbewegung des Dunklen Lords mit einer knappen Verbeugung den Raum.
Vader aß und dachte nach.
Vielleicht machte er sich völlig grundlos Gedanken. Vielleicht war die Information des Imperators falsch gewesen.
Nicht dass Palpatine in dieser Sache willentlich gelogen hatte!
Vader wusste, dass sein Gebieter einen einzigen Jedi-Ritter von seinen Häschern verschonen ließ, damit er, Vader, das Unvermeidliche erledigte. Das wurde von ihm erwartet. Man konnte es den endgültigen Treuebeweis gegenüber dem Imperator und der Dunklen Seite nennen.
Aber auch der perfekte imperiale Geheimdienst konnte nicht alles wissen. Man brauchte sich nur an die Angelegenheit mit dem Jedi-Rat erinnern!
Im Grunde genommen wusste Vader jedoch, dass er sich etwas vormachte.
Obi-Wan war auf dem Weg nach Coruscant, und er war auf dem Weg zu ihm.
Warum?
Weil (Obi-Wan immer noch sein Freund war) er nicht einsehen konnte, dass Vader sich für einen anderen Weg entschieden hatte. Weil er es – verdammt noch mal! – nicht einsehen wollte!
Sie würden wieder aneinandergeraten und in endlosen Diskussionen stecken bleiben. Nur ..., diesmal konnte Vader nicht so einfach gehen und die Tür hinter sich schließen, denn nun kam Obi-Wan zu ihm.
Die einzige Lösung, um dem zu entgehen, war, es erst gar nicht zu einem Kontakt kommen zu lassen. Obi-Wan Kenobi durfte nicht einmal in die Nähe seines Domizils gelangen. Er durfte Coruscant nicht betreten!
Das bedeutete ... ihn zu beseitigen. Zu ermorden! Warum sprichst du es nicht mal in Gedanken aus?
Die nötigen Vorkehrungen dafür zu treffen, würden für Vader ein Leichtes sein. Und damit übernahm er immer noch die Verantwortung für Kenobis Tod, auch wenn er nicht selbst Hand an seinen ehemaligen Mentor legte. Das sollte dem Imperator genügen!
Vader beschloss, jeden Schritt Kenobis überwachen zu lassen.


Fünf Tage später

   Obi-Wan Kenobi stand einsam auf einem niedrigen, mit Gras bewachsenen Hügel am Rande eines Ozeans und schaute der purpurroten Sonne zu, wie sie sich langsam unter den Horizont schob. Ihre Strahlen ließen das tiefblaue Meer rot-golden schimmern. Ein warmer Wind strich um den Jedi-Meister herum. Aber Obi-Wan fröstelte es. Die Kälte kam von Innen, und sie war mit keiner Wärme des Universums zu vertreiben.
Kenobi wandte sich vom Wasser ab und blickte zurück. Fern am Horizont sah er die Silhouette einer riesigen Stadt. Dorthin würde er bald (zu bald) zurückkehren und seinen schweren Weg wieder aufnehmen.
Zweifel hatten ihn hier heraus getrieben, Zweifel und der Wunsch allein und in Ruhe nachdenken zu können.
War es richtig, sich nach Coruscant zu begeben?
Kenobi wusste um die einsetzenden Verfolgungen der Jedi. Er forderte sein Schicksal doch geradezu heraus, wenn er sich in das Herz des Bösen begab!
Aber er musste es tun. Um seiner selbst willen, für Qui-Gon, für die bezaubernde Amidala, für Anakin und nicht zuletzt für die Zukunft der Galaxis. Die Macht musste wieder ins Gleichgewicht kommen, bevor die Dunkle Seite endgültig überwog.
Und er war verpflichtet, seinen Teil dazu beizutragen. Eigentlich ruht alle Verantwortung auf meinen Schultern, dachte er traurig. Ich war ein wahrhaftig schlechter Lehrmeister. Vermutlich ist mir nie ein Padawan bestimmt gewesen!
Aber er hatte ein Versprechen gegeben, und er hatte es gehalten. Anakin war ein Jedi-Ritter geworden.
Ja, und jetzt ist er ein Sith-Lord, Obi-Wan. Du kannst mächtig stolz sein!
Was hatte er bloß falsch gemacht?
Er hatte Anakin nach bestem Wissen und Gewissen unterwiesen. Der Junge war von Anfang an ein eifriger, ernster und sehr begabter Schüler gewesen. Hatte nie gemurrt, wenn Obi-Wan ihn mit endlosen Meditationsübungen quälte, hatte nie den Mut verloren, wenn er zurecht gewiesen wurde, sondern noch mehr Ehrgeiz entwickelt. Vielleicht war das ein Grund? Aber davon abgesehen, hatte sich Anakin genauso verhalten und entwickelt, wie die anderen Schüler. Nun gut, er war immer etwas wilder und risikobereiter gewesen und hatte seine körperlichen und mentalen Grenzen wieder und wieder ausgelotet. Aber sobald er Verantwortung für andere trug, nahm er sie bitter ernst. Und schließlich kam Königin Amidala ins Spiel. Unter ihrem Einfluss wurde aus dem ungestümen jungen Mann ein beherrschter und ausnahmslos für Gerechtigkeit und das Gute kämpfender Jedi-Ritter.
Trotzdem musste es erste Warnsignale gegeben haben!
Obi-Wan seufzte.
Er hatte sie offensichtlich nicht bemerkt.
Aber was war mit dem Jedi-Rat gewesen? Kenobi erinnerte sich noch gut daran, dass insbesondere Yoda Vorbehalte gegen Anakins Ausbildung gehabt hatte. Anakins positive Entwicklung schien sie jedoch gegenstandslos gemacht zu haben, denn Yoda brachte dem jungen Mann im Laufe der Zeit ebensolche Wertschätzung entgegen, wie die anderen Mitglieder des Rates. Qui-Gon’ s Vorsehung war augenscheinlich richtig gewesen.
Bis ... ja, bis ... was passierte?
Obi-Wan dachte lange nach.
Seine Überlegungen kehrten immer wieder zurück zu dem Tag, an dem er Anakin nach den aufwühlenden Ereignissen um Königin Amidalas Entführung das erste Mal wieder getroffen hatte. Er hatte Anakin schon mit einem schlechten Gefühl alleine nach Naboo zurückkehren lassen, da er ihren gemeinsamen Auftrag unbedingt ausführen wollte und musste. Wäre er bloß seiner inneren Stimme gefolgt, die ihm förmlich zugeschrien hatte, Anakin nicht allein zu lassen.
Als er seinen Schüler damals vor sich stehen sah, war sein erstes Gefühl Erleichterung gewesen. Anakin war unverändert. Er lächelte verschmitzt wie immer und hatte Obi-Wan mit ehrlicher Freude und Herzlichkeit umarmt und empfangen. Nichts deutete zu diesem Zeitpunkt auf eine unglücksselige Veränderung hin.
Aber Obi-Wan hätte hellhörig werden müssen! Denn es war nicht Anakin, der ihm schließlich die ganze Wahrheit erzählt hatte, sondern Amidala. Von der Königin erfuhr er auch, dass Anakin selbst ihr zuerst nicht von der Versuchung der Dunklen Seite berichtet hatte.
Obi-Wan Kenobi hatte seinen Padawan zur Rede gestellt. Irgendwann sprudelten die Worte nur so aus Anakin heraus und Obi-Wan hatte den Eindruck gehabt, dass der junge Mann nur aus Scham über sein Verhalten geschwiegen hatte, dass er erleichtert gewesen war, seine Bürde mit einem anderen Jedi zu teilen.
Vielleicht war es Anfangs tatsächlich so gewesen, überlegte Kenobi. Vielleicht war er aber auch nur einer perfekten Täuschung erlegen, die ihn in Sicherheit wiegen sollte.
Die Dunkle Seite war gefährlich und sie war noch gefährlicher, wenn sie im Verborgenen wirkte.
Wie auch immer. Was geschehen war, war geschehen. Ein Fehler war schließlich zum anderen gekommen, denn auch der Jedi-Rat hatte den Ereignissen nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt. Keiner hatte sich die Hintergründe ausmalen können. Dafür konnte Obi-Wan Kenobi sich die Zukunft in den schwärzesten Farben vorstellen.
Die Dunkle Seite, verkörpert durch den ruchlosen Palpatine, hatte einen mächtigen Verbündeten gewonnen. Beileibe nicht den ersten, aber den stärksten; und den fürchterlichsten, wenn der Imperator es nur richtig anstellte. Und daran zweifelst du doch wohl nicht im Ernst, Obi-Wan!
Kenobi blickte noch einmal über das Meer. Die Sonne war schon lange untergegangen, aber das sanfte Licht dreier Monde lag auf dem Wasser und färbte es silbern.
Der Jedi-Meister, obwohl in der Blüte seiner Jahre, wirkte alt und bedrückt. Die Hoffnung, Anakin aus den Klauen der Dunklen Seite zu befreien, war mehr als gering, aber er würde jedes Mittel anwenden, um es zu versuchen.
Darum würde er jetzt noch einmal nach Naboo zurückkehren, um seine Habseligkeiten zu ordnen und sich von dem Planeten zu verabschieden, der über Jahre hinweg so etwas wie eine Heimat für ihn gewesen war, denn er spürte, dass er Naboo nie wieder betreten würde, wenn alles vorbei war. Wie auch immer dieses "Alles" ausgehen würde.
Ein Plan begann in seinen Gedanken Gestalt anzunehmen.
Obi-Wan Kenobi ging zu dem gemieteten Landgleiter und schwebte wenig später langsam in die noch junge Nacht davon. Das Leuchten der gewaltigen Stadt am fernen Horizont wies ihm den Weg.
Der grasbewachsene Hügel blieb im sanften Mondlicht zurück. Nur eine schmale Spur heruntergedrückter Halme wies darauf hin, dass vor Kurzem jemand da gewesen war. Am Morgen würde diese Spur verschwunden sein, und mit ihr die Erinnerung an einen verzweifelten, aber dennoch fest entschlossen Mann mit einer großen Bürde.


Zwei Tage später

   "Mein Lord!"
Der kleine, unscheinbare Mann stand ruhig vor Darth Vader, der an seinem Esstisch saß und sich – wie so oft – dem Studium alter Sith-Schriften widmete, und wartete auf die Erlaubnis Bericht zu erstatten. Er stand in den Diensten des Dunklen Lords, hielt für ihn Augen und Ohren offen und war überall und nirgends. Schlicht und ergreifend: er war ein Spion, ein Spitzel. Aber er hatte seinen Stolz und würde sich selber nie so bezeichnen. Er war ein wandelnder "Informationsdienst" mit der Garantie auf erfolgreiche Informationsbeschaffung. Und tatsächlich konnte sich der kleine Mann rühmen, Lord Vader schon häufig gute Dienste geleistet zu haben; immer dann nämlich, wenn er nach einem Bericht fürstlich belohnt wurde, und das war in der letzten Zeit häufig vorgekommen.
Darth Vader wusste um die Qualität dieses Spions. Er beschäftigte viele. Welche maßgebliche Person auf Coruscant tat das nicht? Deshalb hatte er den Befehl erteilt, diesen Mann jederzeit zu ihm durchzulassen.
Jetzt nickte Vader auffordernd und der Mann sagte: "Ich sollte Euch sofort berichten, wenn sich in der gewissen Sache etwaige neue Informationen eingefunden haben."
Vader nickte abermals, und der Spion fuhr fort: "Ich habe den bestätigten Bericht, dass sich die Zielperson in Kürze nach Coruscant begeben wird. Momentan befindet sie sich auf Chirath."
Chirath! Ein unmittelbarer Nachbarplanet Coruscants. Vader musste Obi-Wan bewundern. Er war sehr weit gekommen. Vor zwei Tagen hatten die Spione auf seinen Fersen seine Spur verloren. Da war er noch weit vom imperialen Zentrum entfernt gewesen. Und jetzt. So nah! Fast schon zu nah. Die Entscheidung rückte unerbittlich näher!
Der kleine Mann sprach weiter. Vader hörte im ersten Moment abwesend zu, deshalb drangen die Worte des Spions verspätet zu ihm durch.
"Was war das eben?" unterbrach er den Mann, bevor dieser weitersprechen konnte.
"Verzeihung, mein Lord! Ich sagte, die Zielperson reise nicht alleine. Eine Frau ist bei ihr."
Eine Frau?!
Darth Vader erhob sich langsam und schritt auf seinen Agenten zu. Dem Mann wurde unbehaglich zumute. Er spürte, dass sein Herr dieser Information höchste Wichtigkeit beimaß, auch wenn Vader nach außen hin ruhig wie immer war.
"Weiß man, wer sie ist?"
"Nun, Lord Vader, ich ..." Der Mann zögerte. Wenn er etwas Falsches sagte, erzürnte er den Dunklen Lord vielleicht, wenn ...
Vader trat noch einen Schritt näher. "Ihr Name!" sagte er leise, aber die Drohung in diesen zwei Worten war nicht zu überhören.
Das und die bloße körperliche Präsenz Vaders brachte den Mann zum Reden. "Padmé Naberrie", stieß er gehetzt hervor.
In Vaders Augen blitze es kurz und gefährlich auf, dann wandte er sich abrupt ab.
"Behalten Sie das ... die Zielobjekte weiter im Auge." Vaders Stimme klang mühsam beherrscht, sie schien Wut oder einen seelischen Schmerz auszudrücken und verunsicherte den Spion vollends. So kannte er seinen Herrn gar nicht. Vorsichtig fragte er: "Und die Behandlung der Zielobjekte, mein Lord? Bleibt sie be..."
"Sie ist aufgehoben!" Vader drehte sich ungestüm um. "Ich mache Sie persönlich dafür verantwortlich, dass diese Änderung an die maßgeblichen Stellen weitergeleitet wird!" sagte er drohend. "Ich will die beiden weiter unter strenger Beobachtung wissen, bis sie Coruscant erreichen. Aber dann ist es meine persönliche Angelegenheit. Ist das klar?"
"Natürlich, mein Lord!" Der Spitzel verneigte sich tief und ehrerbietig und wurde von Vader mit einer knappen Geste entlassen. Diese Begegnung mit dem Dunklen Lord gab ihm zu denken, aber er würde sich strikt an die Befehle halten. Niemand war so verrückt und widersetzte sich den Anordnungen Darth Vaders! Das und so manches andere hatten viele in der kurzen Zeit erfahren, seit der Dunkle Lord auf Coruscant weilte.

   Als der Spion gegangen war, ließ Vader seinen Gefühlen freien Lauf. Fassungslosigkeit wechselte sich ab mit Wut und einer gewissen Verwunderung. Seine Pläne waren einfach so zunichte gemacht worden!
Schließlich ergab sich Vader zähneknirschend den Tatsachen.
Amidala!
Wieso hatte er sie nicht in seine Rechnung mit aufgenommen?
Weil er sie einfach vergessen hatte?
Nein. Weil er sich nicht an sie erinnern wollte. Er konnte die Gedanken an sie (die wahre, erfüllende Liebe) nicht ertragen. Was hatte er sich noch vor Kurzem eingeredet? Dass er mit der Dunklen Seite so viel gewonnen hatte, dass es jeden Verlust aus seinem früheren Leben allemal aufwog?
Lügner! durchzuckte ihn eine innere Stimme, und diese Stimme gehörte eindeutig Anakin Skywalker.
Amidala war ein Verlust, der sich noch nicht (vielleicht nie) verwinden ließ. Aber möglicherweise war sie für ihn überhaupt nicht verloren! Schließlich kam sie nach Coruscant. Welchen anderen Grund konnte sie haben, als ihn zu sehen?
Er würde sie überzeugen, bei ihm zu bleiben. Sie gehörte an seine Seite; mit ihrer Schönheit, Klugheit und ihrem Mut ..., mit ihrer Machtbegabung, die nur darauf wartete, gefördert zu werden.
Darth Vader lächelte. Schließlich würde ein neuer Grundstein für die Herrschaft der Sith über die Galaxis gelegt werden: durch ihrer beider Nachkommen ... !
Aber seine euphorischen Gedanken an eine glorreiche Zukunft wurden schnell gedämpft, als ihm etwas Entscheidendes bewusst wurde.
Amidala kam mit Obi-Wan. Auf seine Bitte hin, nicht weil es ihr Wunsch war. Schließlich hätte sie jederzeit die Möglichkeit gehabt, mit ihm Kontakt aufzunehmen oder gar zu kommen, und wenn es in ihrer offiziellen Rolle als Repräsentantin Naboos gewesen wäre.
Aber sie war nicht gekommen.
Konnte er das von ihr überhaupt erwarten? Schließlich war er es doch gewesen, der sie verlassen hatte.
Er erinnerte sich noch so genau an den Tag, als wäre es Gestern gewesen. An diesem Tag hatte er zweimal großen Schmerz und Enttäuschung gebracht: erst zu Obi-Wan, dann zu Amidala.
Vaders Gedanken schweiften in die Vergangenheit ...


Zwei Tage später

   Amidala drängte sich Schutz suchend an die Wand eines Geschäftsgebäudes. Ein plötzlicher heftiger Gewitterschauer hatte sie überrascht. Die Prachtstraße, auf der noch vor Minuten zahlreiche Passanten flaniert waren, war wie ausgestorben. Amidala hatte verwundert registriert, dass die Wandernden mit besorgten Blicken in den klaren Himmel schauten, der sich als blasser Streifen zwischen den gewaltigen Häusern zeigte, welche die Straße säumten, und dass sie – wie auf ein geheimes Kommando – ihre Wohnungen, Geschäfte oder Cafes aufgesucht hatten.
Nun wusste sie warum. Sie zog sich noch weiter unter den Mauervorsprung zurück, der als Schmuck des Hauses mit kunstvollen Statuen besetzt war, da Windböen den Regen durch die Straße trieben. Amidala blickte durch die grauen Schleier aus Tropfen und versuchte ihr Ziel zu erkennen. Aber abgesehen davon, dass Regen und schlechtes Licht einen jeglichen Blick in die Ferne zunichte machten, versperrten die gewaltigen Häuserzeilen die Sicht, da die Straße in sanften Biegungen verlief.
Dabei befand sich Amidala schon auf der höchsten Ebene der planetenumspannenden Stadt: derjenigen, die dem Regierungsviertel vorbehalten war. Wie mochte es dann erst ganz unten aussehen? Amidala fühlte sich unbehaglich. Sie war noch nie auf sich allein gestellt und zu Fuß hier unterwegs gewesen. Immer war sie als Herrscherin von Naboo gekommen, hatte ihre Nubian auf einer der Kilometer hohen Landeplattformen verlassen, einen Shuttle bestiegen und ihren Bestimmungsort auf dem Luftweg erreicht; wenn sie nicht gar auf dem Gebäude gelandet war, dass diesen Ort beherbergte.
Das Gewitter klang ab, nachdem ein letzter mächtiger Blitz die Luft förmlich zum Knistern gebracht hatte. Der Regen fiel nur noch wenig und hörte nach ein paar Minuten ganz auf. Amidala sah nach oben. Sie gewahrte dichte Wolken am Himmel, die so tief hingen, dass sie den Luftverkehr, der über der höchsten Ebene herrschte, vor den Augen verbargen. Das Licht wurde dunkler. Es ging auf den Abend zu.
Dieser Abend würde allerdings nie zu einer wirklichen Nacht werden, denn je mehr die Dunkelheit herankroch, desto mehr künstliche Lichter flammten auf und tauchten alles in einen sanften gelben Schein.
Es war ein faszinierendes Wechselspiel zwischen Licht, Schatten und glitzernden Pfützen, das Amidala zu umgeben begann. Die Straße belebte sich wieder und alles nahm seinen gewohnten Gang. Die Bewohner Coruscants hatten sich schon lange an die kurzen, aber heftigen Kapriolen des Wetters gewöhnt. Schließlich waren sie selbst es gewesen, die mit immer höheren und gewaltigeren Bauwerken Coruscants raues und kaltes Klima über die Jahrhunderte hin verändert hatten. Sie hatten die höchsten Luftschichten künstlich mir Sauerstoff angereichert, um die oberen Ebenen Coruscants, ohne Bequemlichkeit einbüßen zu müssen, bewohnen zu können. Aus diesem Grunde wurde die Luft auch künstlich erwärmt. Das manchmal chaotische Wetter war ein geringer Preis für die im Universum einzigartige Attraktion namens Coruscant!
Amidala mischte sich unter die Wandernden und geschäftig hin und her Eilenden. Sie hoffte, ihren Weg nun ohne unliebsame Unterbrechungen fortsetzen zu können.
Schließlich kam sie an das Ende der Prachtstraße. Diese Straße war eine der acht Hauptstraßen zum Imperialen Palast. Amidalas Schritte stockten. Sie musste stehen bleiben. Passanten warfen ihr belustigte und wissende Blicke zu. Die Einheimischen erkannten einen Außenweltler spätestens dann, wenn er den ersten Blick auf den Imperialen Palast warf – das Herzstück des Planeten – und vor Ehrfurcht erstarrte.
Auch Königin Amidala wurde von diesem Anblick in einen Bann gezogen, obwohl sie Palpatines Residenz kannte. Aber sie hatte nie einen Blick aus ihrer jetzigen Perspektive darauf geworfen, und nie bei einsetzender Dunkelheit.
Palpatines Domizil lag in der Mitte eines gigantischen, quadratischen Areals – Platz der Regierung genannt –, auf den acht Prachtstraßen sternförmig zuliefen, und zwang jeden Blick auf sich. Der Palast war das höchste Gebäude Coruscants. Er reichte bis in die höchsten Luftschichten und seine Spitze wurde oftmals von Wolken verhüllt. Bei Tage wirkte das Bauwerk, das einen unübersehbar sakralen Charakter hatte, schon beeindruckend genug, denn die Außenmauern waren mit einer lichtreflektierenden Schicht überzogen, die ihre volle Pracht entfaltete, wenn Coruscants Sonne sie beschien. Aber wenn es dunkelte, erhielt der Palast etwas Mystisches.
Geschickt positionierte Flutlichter beleuchteten den Fuß des pyramidenförmigen Baues völlig, so dass der Eindruck erweckt wurde, als schwebe der Palast auf goldenem Licht, während unzählige kleine Scheinwerfer an den Außenwänden die Umrisse des Gebäudes in Licht fassten. Heute Abend war der Anblick noch ein wenig prächtiger, denn die Regenwolken verdeckten die Palastspitze und erweckten eine Illusion der Unendlichkeit. Erhaben wirkte er schließlich auch durch die zahlreichen angestrahlten, pyramidenförmigen Nebengebäude rundherum, die regelrecht klein waren, obwohl auch sie beeindruckende Ausmaße hatten.
Amidala riss sich von dem sinnverwirrenden Anblick des Imperialen Palastes los. Auch sie konnte sich der Faszination des bautechnischen Meisterwerks kaum entziehen. Aber sie spürte nicht nur Bewunderung, sondern auch Angst: war der Palast doch das Sinnbild ungeheurer Macht in den Händen eines einzigen Mannes; eines Mannes, den sie einstmals gut zu kennen glaubte ...
Sie vertrieb Palpatine aus ihren Gedanken. Vor ihr lag eine Aufgabe, von der sie sich nicht ablenken lassen wollte. Ihre Augen streiften nach rechts. Dort lag ihr Ziel!
Vielleicht einen Kilometer von ihr entfernt erhob sich ein Gebäude schier endlos in den Nachthimmel. Eigentlich sah man es gar nicht richtig, sondern konnte sein Aussehen nur erahnen, denn es war vollkommen unbeleuchtet; nur Positionslichter aus gleißendem Rot hoch oben warnten Gleiter und Raumschiffe, dass dort ein Hindernis stand. Es war ein schwarzer Schatten in den Lichtern der Umgebung; aber deshalb war es nicht minder beeindruckend als der Palast des Imperators. Aber während der Betrachter jenem ehrliche Bewunderung zollen konnte, war dieses Gebäude einfach nur erschreckend.
Amidala betrachtete ihr Ziel mit Unbehagen. Sie hatte diesen Bau bei ihren seltenen Besuchen auf Coruscant noch nie gesehen; auch nicht bei ihrem letzten, der vielleicht ein Standardjahr her war. Er war neu, sehr neu. Die imperialen Baudroiden leisteten offensichtlich perfekte und schnelle Arbeit. Auf Raffinesse oder Eleganz hatte der Architekt dieses Gebäudes allerdings keinen Wert gelegt, wie Amidala am Tage hätte feststellen können. Es war zwar ebenfalls in Pyramidenform gebaut, um sich dem Gesamtbild des Platzes wenigstens etwas anzupassen, aber es war eine grotesk verzerrte Pyramide; mit zahlreichen Spitzen, die drohend in den Himmel ragten. Die großen Fenster dieser Festung waren von Außen nicht zu erkennen, denn sie waren aus speziellem Glas, dass dem dunklen, stahlverkleideten Mauerwerk nachempfunden war.
Dorthin also musste Amidala ihre Schritte lenken. Sie tat es ungern.


   Darth Vader schrak aus seiner Meditation. Ihm war, als hätte ihn ein eisiger Hauch berührt. Er hatte sich mit der Dunklen Seite verbunden, sie durch sich hindurch strömen lassen, um ihre tiefsten Geheimnisse zu ergründen, als ihn eine Störung in der Macht aus seiner geistigen Sammlung riss. Er wusste, wer diese Störung verursacht hatte. Diese Präsenz würde er immer erkennen!
Der Dunkle Lord griff nach dem hausinternen Kommlink und gab seinen Sicherheitskräften einen kurzen Befehl. Dann rief er seinen schweigsamen und ergebenen Diener zu sich ...


   Schließlich stand die Königin am Fuße einer breiten Treppe aus schwarzem Marmor, die auf beiden Seiten von einer stetig höher werdenden marmornen Brüstung begrenzt wurde. Das Ende der Treppe bildete ein drei Meter breiter Absatz, der über die gesamte Vorderfront des Gebäudes reichte.
Viele Stufen waren zu erklimmen, um die große zweiflügelige Tür zu erreichen, die ins Innere der riesenhaften schwarzen Festung führte.
Amidala raffte Kleid und Mantel auf und bestieg hoch erhobenen Hauptes die Treppe.
Auf halbem Wege begann Dunkelheit sie zu umgeben. Das goldene Licht, das den Platz umschmeichelte, wich den Schatten des Gebäudes und der Marmorbrüstungen, die Amidala schon um einiges überragten.
Die Königin blieb kurz stehen, um ihre Augen an das Dunkel zu gewöhnen.
Schwach erkennbare, helle Schemen am oberen Ende der Treppe erregten ihre Aufmerksamkeit. Als sie näher kam, erkannte Amidala, dass es sich dabei um zwei Wächter in weißen Sturmtruppenrüstungen handelte. Sie hatten große Blaster geschultert und standen vollkommen reglos da. Amidala schritt ungehindert zwischen den beiden Wächtern hindurch.
An der Vorderfront des Gebäudes erkannte sie noch mehr Soldaten; aber keiner stand vor der riesigen Tür, deren Umrisse Amidala mehr ahnte, als sah. Sie blickte sich nach den beiden Wächtern am oberen Ende der Treppe um, die ihr am nächsten waren. Warum hielt man sie nicht auf? Zugegeben, das Regierungsviertel von Coruscant war der sicherste Ort des gesamten Planeten und die Festung, vor deren Tür sie stand, dürfte nur durch eine ganze Armee einzunehmen sein – wenn überhaupt –, aber trotzdem war das völlige Desinteresse der Wachen an ihr unlogisch. Es sei denn, ... sie wurde erwartet!
Wie zur Bestätigung dieser Vermutung erschien vor Amidala ein schmaler Lichtstreifen auf dem Boden, der stetig breiter wurde. Die Türflügel hatten lautlos begonnen, sich nach innen zu öffnen.
Die Königin schloss kurz die Augen gegen den grellen Schein. Als sie die Lider wieder öffnete, sah sie im Gegenlicht eine Gestalt. Ihr Herz tat einen Sprung. Ein Teil von ihr wollte nach vorne laufen, ein anderer die Flucht ergreifen, solange es noch ging.
Aber sie tat nichts von beidem; sie stand einfach da, und als ihre Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, sah sie einen unbekannten Mann in der Livree eines Bediensteten. Der Mann verneigte sich ehrerbietig und bat Amidala mit einer Handbewegung in das Haus.
Sie zögerte kurz, trat dann aber entschlossen durch die Tür. Ihr Blick streifte die Türflügel. Der Stahl war nicht völlig schmucklos, wie es zuerst den Anschein gehabt hatte, sondern unter seiner glatten Oberfläche schimmerten zwei große Runenzeichen kurz und unheilverkündend auf. Sie verblassten ebenso schnell, wie sie erschienen waren, als die Königin weiterschritt.
Der Bedienstete huschte eilfertig und ohne sie anzusehen an ihr vorbei und führte sie einen endlosen, breiten Flur entlang auf einen Turbolift zu.
Amidala war kalt; nicht etwa weil der lange Flur kalt gewesen wäre – ihn durchströmte im Gegenteil ein warmer Luftzug –, sondern weil ihm jegliche Anzeichen von Lebendigkeit fehlten. Es gab kein Bild, keine Malerei, keine Verzierungen, nichts ... Das ganze Gebäude strahlte eine feindselige Kälte aus, schien sie vertreiben zu wollen ...
Reiß dich zusammen, Amidala! Das ist Einbildung. Du fühlst dich einfach nur unbehaglich. Die junge Frau bedauerte die Menschen, die hier Dienst leisten mussten. Sie würde nicht einmal eine Woche aushalten, ohne verrückt zu werden!
Endlich erreichte sie den Lift. Ihr Führer deutete wortlos in die Kabine, den Blick noch immer gesenkt, er selbst betrat sie nicht. Amidala trat in den Lift und schaute den Diener verwirrt an, wollte eine Frage stellen, als sich die Tür der Kabine zu schließen begann. Die Königin erhaschte noch einen letzen Blick auf den schweigsamen Mann. Diesmal sah er sie an, und seine Augen waren voller Mitleid.
Amidala spürte Furcht. Wussten denn alle hier, was ihr geschehen würde und nur sie tappte buchstäblich im Dunkeln?
Der Lift ruckte kaum merklich, als er seinen Weg in die Höhe begann. Amidala war überzeugt, dass er erst im obersten Stockwerk zum Stehen kommen würde. Zeit genug, um ihre Gedanken zu sammeln.

   Fast zu schnell beendete der Turbolift seine Fahrt. Seine lautlose Tür entließ Amidala ... ins Nichts! Über ihr erstrahlte Coruscants Nachthimmel, links von ihr funkelte der Palast des Imperators und unter ihr lag der Platz der Regierung im Lichterglanz.
Die junge Frau stieß einen leisen Schrei aus und taumelte rückwärts. Sie spürte das kalte, aber jetzt beruhigende Metall der Aufzugstür im Rücken. Vorsichtig schaute sie sich etwas genauer um. Dann tastete sie sich langsam nach links. Ihre ausgestreckte Hand berührte nach vielleicht drei Metern etwas Festes: eine massive Wand oder eher eine Art Bildschirm. Die Königin ging langsam vorwärts. Ihre Hand fuhr leicht an der Wand entlang. Das beruhigte sie und half ihr, eine grade Richtung einzuschlagen. Sie setzte langsam Schritt vor Schritt, bemüht, nicht nach unten zu schauen, weil ihr Unbehagen dann zu Angst werden würde.
Es war beeindruckend und erschreckend zugleich. Sie befand sich zweifellos im Inneren des riesigen Gebäudes, aber hatte das erhabene Gefühl, hoch über dem Regierungsviertel zu schweben. Diese Illusion jagte ihr allerdings auch Furcht ein; die Furcht, ausgeliefert zu sein, plötzlich zu fallen.
Oh Anakin, warum tust du mir das an? Verwirrst mich und meine Gefühle, machst mir Angst!, dachte sie. Ich bin nicht irgendein möglicherweise lästiger Besucher, den du beeindrucken und einschüchtern musst, damit er dich bis an sein Lebensende fürchtet.
Amidala wurde es schwer ums Herz. Anakin hatte sich so sehr verändert. Er schien sein früheres Leben vollkommen abgestreift zu haben; selbst seinen Namen hatte er abgelegt und einen neuen angenommen, der die Fortsetzung einer bösen Tradition war. Und wenn sie den Gerüchten Glauben schenkte, die sich mit dem Namen Darth Vader verbanden, dann waren diese Veränderungen entsetzlich und unfassbar.
Ein leises Zischen riss die Königin aus ihren Gedanken. Vor ihr war die Illusion des freien Himmels einer dunklen Wand gewichen, in der eine Türöffnung gähnte. Dahinter empfing sie gedämpftes Licht ... und eine Gestalt.
Diesmal trat Amidala ihr mit absoluter Gewissheit entgegen. Das war Anakin!
Die junge Frau ging langsam und zögernd durch die Tür. Das leise, zischende Geräusch der Türhydraulik erklang nochmals und dann umgab absolute Stille die beiden Menschen, die sich gegenüber standen. Es war, als seien sie in diesem Moment, der einer Ewigkeit glich, die einzigen Lebewesen des Universums.
Aber der magische Augenblick ging schnell vorüber.
Amidala musterte ihren Mann genau. Was sie sah, gefiel ihr nicht.
Anakin erschien ihr bedrohlich, fremd und abweisend. Das lag zum einen an seinem dunklen Gewand, welches seine ohnehin imposante Gestalt noch größer und breiter wirken ließ, und zum anderen an seiner düsteren und verschlossenen Miene. Amidala kannte Anakin als freundlichen, stets zu einem Lachen bereiten Menschen, und auch als dieses Lachen langsam einem grüblerischen Ernst gewichen war, hatte Anakin nie so gewirkt wie jetzt. Dabei war Amidala sich sicher, dass ihr Mann nicht die Absicht hatte, so zu sein. Er war es einfach.
Die Königin fühlte sich befangen, wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. So viel war in der letzten Zeit geschehen ...
Sie würde Anakin den ersten Schritt tun lassen.

   Darth Vader seinerseits betrachtete Amidala ebenfalls genau.
Sie trug ein langes, unscheinbares und sehr weit geschnittenes Kleid und einen ebensolchen Mantel. Ihr ellenlanges Haar war zu einem einfachen Zopf geflochten. Natürlich, dachte Vader, sie hat ja niemanden, der ihr hilft die Haare zu bändigen. Seltsam, dass ihm solche Nebensächlichkeiten als erstes auffielen. Vielleicht lag es daran, dass er Amidala eine schmerzlich lange Zeit nicht gesehen hatte. Er sog ihren Anblick in sich auf wie ein Verdurstender Wasser. Dabei fiel Vader noch etwas auf. Amidalas Kleidung bedeckte ihren Körper bis zur Unförmigkeit; verbarg ihn perfekt.
Vor ihm?
Vader kannte diesen Körper, wusste genau wie er sich anfühlte, hatte ihn unzählige Male berührt ..., aber jetzt konnte er ihn nur erahnen. Dafür war Amidalas wunderschönes Gesicht umso ausdrucksvoller. Sie betrachtete ihn, aber er konnte ihren Blick nicht deuten. Fand er in ihren Augen den Willen zur Versöhnung? Vorwürfe? Anklage?
Einem plötzlichen Impuls folgend trat er auf sie zu. Er hob eine Hand, um ihr Gesicht zu berühren. "Amidala, ich brauche dich so sehr. Du gehörst an meine Seite ...", begann er, aber sie wich nach kurzem Zögern zurück, getrieben von einem Willen, der nicht der ihre war.
"Es tut mir Leid, Anakin", flüsterte sie.
Wäre sie mit Vorwürfen zu ihm gekommen oder hätte sie ihn geschlagen, wäre er nicht so verletzt gewesen wie jetzt. Er hatte sich ihr öffnen wollen, aber sie hatte ihn abgewiesen.
Der Augenblick, der sie hätte verbinden können, ging vorüber, und beide wussten es.
Vader fasste einen Entschluss. "Wie du willst", sagte er hart und wandte sich ab. "Du hättest nicht kommen sollen. Wir ... haben uns nichts mehr zu sagen."
Amidala erwiderte nichts, konnte nicht sprechen, aber in ihr tobte ein Kampf. Nein, das stimmte nicht! Sie musste Anakin noch so viel sagen. Er musste wissen, dass sie ...
Aber die junge Frau schwieg, einem unergründlichen Impuls folgend. Sie sah ihren Liebsten jetzt genau an. War das noch Anakin? Sie konnte die Dunkelheit in ihm förmlich greifen, die sichtbar ihren Ausdruck in der schwarzen Kleidung fand, die eine Karikatur der traditionellen Jedi-Roben zu sein schien.
Amidala war der Dunklen Seite schon einmal begegnet. Dieses Ereignis hatte die Weichen gestellt, wie sie mit plötzlicher, erbitterter Erkenntnis feststellte. Sie hasste den Dunklen Jedi, dessen Namen sie nie in Erfahrung gebracht hatte, dafür. Er hatte begonnen ihr Anakin wegzunehmen ... und in Palpatines Klauen zu treiben! Und sie verabscheute die Dunkle Seite, die alles erst ermöglicht hatte.
Und damit auch Anakin, der diese zerstörerische Kraft jetzt repräsentierte?
Nein. Sie liebte Anakin Skywalker noch immer, aber die Person vor ihr hatte die letzten Überreste von Anakin vor ein paar Augenblicken vielleicht für immer in den hintersten Winkel ihres Seins gesperrt, das hatte sie so deutlich empfunden, dass es ihr wehtat. Für den Mann vor ihr konnte sie nichts mehr empfinden; außer vielleicht ... Mitleid? Also verschloss auch sie sich und verbarg das brennende Geheimnis, das sie so gerne mit Anakin geteilt hätte, und um dessen Willen sie Obi-Wan Kenobis Drängen ihn nach Coruscant zu begleiten schließlich nachgegeben hatte, damit sie gemeinsam versuchten, Anakin vor der Dunklen Seite zu retten.
Aber es war zu spät!
Amidala kämpfte die Verzweiflung und die Hilflosigkeit nieder, die mit dieser Erkenntnis verbunden waren. Sie schlüpfte in die Rolle der Königin von Naboo, was ihr Würde, Selbstsicherheit und Stärke verlieh.
"Du weißt natürlich, dass ich nicht alleine nach Coruscant gekommen bin." Ihre Stimme war ernst.
Vader schaute sie nicht an. Er wusste, dass diese Frage rein rhetorisch war. Schweigen lastete schwer zwischen den beiden Menschen, die einst stundenlang, ohne ein Wort miteinander zu wechseln, beisammen sein konnten. Jetzt war dieses Schweigen nervtötend; sowohl für Amidala als auch für Vader.
Das Band zwischen ihnen war zerrissen. Dieses Band, das seine entscheidende Stärke aus der Macht bezogen hatte und doch die Garantie für eine Verbindung über den Tod hinaus hätte sein sollen! Aber die Macht schien in diesen schweren Zeiten unergründlich und unberechenbar zu sein.
Bevor das Schweigen zwischen ihnen unerträglich wurde, beschloss Amidala zu gehen. Sie sah den Mann vor sich noch einmal genau an. Das war Anakin, und doch wieder nicht. Sie erblickte nur eine Hülle; das Abbild ihres einstmals so sehr geliebten Mannes. Aber das Entscheidende fehlte: Anakins Seele!
Deshalb war es für Amidala auch nicht so schwer, zu gehen, wie sie befürchtet hatte. Sie verließ Darth Vader und nicht Anakin Skywalker.
"Lebe wohl", flüsterte sie, als sie sich abwandte und mit einem kaum wahrnehmbaren Rascheln ihrer Kleidung den Raum durch die Tür, die sich bereitwillig öffnete, verließ.
Vader stand da, völlig ohne Regung, obwohl er doch eigentlich hinter Amidala herhasten sollte, um ihr zu erklären, dass er das alles nicht gewollt habe. Dass sie bei ihm bleiben sollte ... Wenn nicht freiwillig, dann mit Gewalt!
Vader griff mit der Macht nach der jungen Frau, die den Korridor (der jetzt nur ein einfacher Korridor war) zur Hälfte durchschritten hatte. Er wollte sie zurückreißen ... aber er konnte es nicht. Die Dunkle Seite stieß ins Leere, so als sei Amidala gar nicht vorhanden. Darth Vader war einen Augenblick verwirrt. So etwas hatte er noch nicht erlebt. Unschlüssig verharrte er im Nichtstun, und Amidala erreichte ungehindert den Turbolift. Vader spielte kurz mit dem Gedanken, sie von seinen Sicherheitskräften aufhalten zu lassen ...
Statt dessen ließ er sie gehen und verhärtete sein Herz. Er war Darth Vader, der Dunkle Lord der Sith, für Schwäche und menschliche Regungen sollte und durfte er nicht mehr empfänglich sein! Und er wusste, dass Amidala niemals auf sein Angebot eingegangen wäre, an seiner Seite zu herrschen und das Erbe der Sith weiterzugeben. Sie blieb ihren Idealen treu, und dafür beneidete der Rest von Anakin Skywalker sie brennend, während Darth Vader sie dafür zu hassen begann ...


   Amidala verließ Vaders Festung wie ein Schatten. Sie weinte still vor sich hin. Sie war enttäuscht und mit einer wütenden Verzweiflung erfüllt, über die sie sich ärgerte. Es war dumm von ihr, so zu empfinden.
Mit welchen Vorstellungen war sie überhaupt nach Coruscant gekommen? Sie war Obi-Wan Kenobis Bitte gefolgt, hatte falsche Hoffnungen mit sich herumgetragen ... und war enttäuscht worden.
Hast du etwa erwartet, Anakin – Darth Vader, verbesserte sie sich – würde bereitwillig mit dir gehen? Du warst naiv, Amidala! Schau dich doch um. Wer würde freiwillig die Position, die Darth Vader besaß, gegen ein einfaches Leben als Jedi-Ritter und Gemahl einer unbedeutenden Königin eintauschen, wenn er einmal den Rausch der fast absoluten Macht gekostet und genossen hatte? Und welcher Jedi war jemals den Klauen der Dunklen Seite entronnen, wenn er sich ihr erst einmal kompromisslos ergeben hatte?
Amidala wusste es nicht, aber sie war sich sicher, dass in der Jahrtausende langen Geschichte der Jedi solche Fälle absolute Ausnahmen waren.
Im Grunde ihres Herzens konnte sie Anakin sogar ein klein wenig verstehen. Sie wusste aus eigener Erfahrung, was es hieß über andere zu herrschen. Es konnte oftmals sehr befriedigend sein, denn es war eine verantwortungsvolle und herausfordernde Aufgabe. Aber sie hatte ihre Macht nie missbraucht, weil sie verstanden hatte, dass ein Herrscher für die Beherrschten da zu sein hatte und nicht umgekehrt.
Anakin hatte sich darum offensichtlich nie Gedanken gemacht.

   "Hoheit!"
Amidala schrak zusammen. Sie war so sehr mit ihren Gedanken beschäftigt, dass sie nicht bemerkt hatte, dass sie nicht mehr allein durch den leichten Regen ging, der wieder eingesetzt hatte.
"Verzeihung, Hoheit! Ich wollte Euch nicht erschrecken", sagte eine wohlbekannte Stimme.
"Ritter Kenobi!" Amidala war erleichtert, und zugleich fühlte sie sich schuldig. Sie hatte das Quartier, welches sie mit Obi-Wan Kenobi teilte, heimlich verlassen, als der Jedi kurze Zeit nicht da war. Er hatte sich sicherlich Sorgen um sie gemacht, wahrscheinlich war er sogar wütend auf sie. Aber als sie in Kenobis Augen sah, fand sie darin nur Mitgefühl und Verständnis.
"Ich wusste, dass ich Euch hier finden würde", sagte er leise.
Und im Grunde meines Herzens wusste ich auch, dass Ihr keinen Erfolg haben würdet! Es tut mir so unendlich Leid für Euch. Ich hoffe, Ihr verzeiht mir, dass ich Euch diesen Schmerz antat!
Er war egoistisch gewesen. Amidalas Anwesenheit auf Coruscant resultierte einzig aus seinen Bestrebungen. Er hätte damit rechnen müssen, dass Amidala sich allein auf den Weg machen würde. Obi-Wan’ s Plan hatte darin bestanden, gemeinsam mit ihr vor Anakin zu treten.
Weil du ein Feigling bist, Kenobi! Du wolltest dieser Begegnung nicht alleine ins Auge sehen müssen, vor der du dich immer noch fürchtest! Wie hatte er annehmen können, dass Amidala eine Unterredung mit Anakin in seinem Beisein wünschte. Es war etwas gewesen, dass nur die beiden etwas anging; nicht ihn oder irgendjemanden sonst.
Ihm stand die entscheidende Konfrontation noch bevor, und sie würde keinen angenehmen Verlauf nehmen, das war gewiss.
"Anakin existiert nicht mehr." Die Worte der Königin waren kaum zu verstehen.
Kenobi nickte. Er legte sanft einen Arm um ihre erschreckend knochige Schulter, die er sogar durch die Kleidung fühlen konnte. Amidala war nur noch ein Schatten ihrer selbst, obwohl sie immer noch schön war.
Hast Du sie berührt, Anakin! Wenn ja, dann hoffe ich, dass es Dir zu denken gegeben hat. Das ist Dein Werk! "Ich werde noch einmal mit ihm sprechen, Hoheit", sagte er.
"Nein!" Es war fast ein Schrei. "Tut das nicht. Es wird nichts Gutes daraus erwachsen. Anak..., Vader wird Euch töten!"
"Wenn mein Tod eine beschlossene Sache wäre, dann hätte er mich schon viel früher ereilt. So viele Jedi haben ihr Leben lassen müssen... Weshalb hat man mich geschont?"
"Aber ..."
"Es ist so, Hoheit. Seitdem der Imperator die Jagd auf uns Jedi eröffnet hat, sind mir seine Spione auf den Fersen. Und nicht nur die seinen ... Manchmal konnte ich sie abhängen, aber nie lange. Dass ich so weit kam, habe ich einzig der Tatsache zu verdanken, dass ich so weit kommen sollte."
"Kommt, Hoheit! Lassen wir die Diskussion einstweilen ruhen. Ihr seid sicher erschöpft und müde. Kehren wir in das Hotel zurück. Ich habe einen Gleiter gemietet. Wir können morgen entscheiden, was wir tun sollen. Einverstanden?"
Die Königin nickte ergeben. Sie war wirklich zu Tode erschöpft, auch wenn nicht Müdigkeit daran Schuld war, sondern Resignation und eine tiefe Trauer.
"Ihr werdet sehen, Hoheit. Morgen können wir vielleicht schon wieder positiver in die Zukunft blicken", versuchte Kenobi die Königin zu trösten.
Sie lächelte ihn dankbar an, obwohl sie genauso wusste wie er, dass seine Worte eine falsche Hoffnung schürten ...

   Aber die strahlende Morgensonne vertrieb die dunklen Schatten nicht. Sie quälten Obi-Wan noch mehr als die Königin.
Der Jedi-Ritter hatte den Rest der vergangenen Nacht wachgelegen, über Amidalas kurzen, aber sehr aussagekräftigen Bericht nachgedacht und mit sich gekämpft. Ein wenig Trost hatte er in der Gewissheit gefunden, dass die Königin nach kurzer Zeit in einen traumlosen, tiefen Schlaf der Erschöpfung gesunken war, der ihre Verzweiflung wenigstens für eine kleine Weile verdrängte. Obi-Wan hatte beruhigt die Macht gespürt, die reglos und wie ein wärmendes Licht um die Königin lag; wie ein uneinnehmbarer Schutzwall.
Im Morgengrauen hatte Obi-Wan Kenobi sich erhoben, um den gleichen Weg zu beschreiten wie Königin Amidala vor ihm.
Er beschloss, ebenfalls heimlich zu gehen, obwohl er Amidala versprochen hatte, gemeinsam mit ihr das weitere Vorgehen zu überdenken. Aber er hatte Angst, dass die junge Frau ihn irgendwie von seinem Vorhaben abbringen könnte. Er musste ihr einfach aus dem Weg gehen.
Jetzt schlich er über den Flur des Hotels am Zimmer der Königin vorbei wie ein Dieb.
"Ihr geht zu ... ihm." Obi-Wan’s Schritte verharrten. Er drehte sich um. Leise hatte sich die Tür zu Amidalas Zimmer geöffnet. Die junge Frau lehnte müde am Türrahmen, ihre Haare waren zerzaust und ihr Kleid sah aus, als habe sie es in aller Eile übergeworfen.
Kenobi setzte zu einer Erklärung an, aber Amidala schüttelte den Kopf und lächelte kaum merklich. "Ihr braucht mir nichts zu erklären. Ich wusste von Anfang an, dass Ihr versuchen würdet zu Anakin zu gelangen; auch wenn Ihr gestern Abend Kompromissbereitschaft vorgetäuscht habt. Ich kann Eure Beweggründe sehr gut verstehen, Ritter Kenobi. Aber dennoch hoffe ich inbrünstig, dass Ihr und Anakin euch nie wieder begegnet. Möge die Macht mit Euch sein!"
Die Tür schloss sich und Obi-Wan blickte noch eine Minute später nachdenklich auf die Stelle, an der die Königin gestanden hatte. Ihre wenigen Worte hatten ihn aufwühlt. Sie glaubte ganz fest daran, dass seine angestrebte Begegnung mit Anakin ein schlimmes Ende nehmen würde. Genauso wie, du Kenobi!
Wollte die Macht ihm ein Zeichen geben? Was, wenn Anakin ihn tötete? Dadurch war nichts gewonnen. Nur ein weiterer Jedi-Ritter wäre ausgelöscht. Und wenn er Anakin tötete?
Nein! Warum denkst du immer nur an Kampf und Tod? Lass die Zukunft ruhen und konzentriere dich auf das Hier und Jetzt; so wie Qui-Gon es dich lehrte. Und vertrau der Macht! Alles andere würde sich ergeben, wenn es soweit war. Sein einziges Bestreben hatte sich jetzt darauf zu richten, Anakin gegenüberzutreten und eine letzte – da war es schon wieder, dieses endgültige Wissen! – Aussprache zu haben.

   Dieser Wunsch blieb Obi-Wan Kenobi allerdings zunächst verwehrt.
Die Wachen vor Vaders Palast schienen nur auf den Jedi-Ritter gewartet zu haben. Kenobi sah die Morgensonne auf ihren weißen Rüstungen und ihren Blastern glitzern, als er sich dem Palast näherte. Die Sturmtruppensoldaten säumten die gesamte Treppe. Obi-Wan war alarmiert. Dennoch ging er weiter. Er würde sich durch den Anblick einiger Soldaten nicht abschrecken lassen. Tatsächlich ließen die Wachen ihn bis vor die große Tür gelangen – Kenobi betrachtete mit Abscheu die beiden Sith-Runen, die das Tageslicht enthüllte –, aber dann setzten sie sich alle gleichzeitig in Bewegung und umzingelten ihn mit den Waffen im Anschlag. Einen Augenblick lang glaubte der Jedi, sie würden ihn einfach erschießen, ungeachtet der vielen Lebewesen auf dem Platz in der Nähe des Palastes, die Zeugen wären. Sie alle würden sicherlich mit der Aussage beruhigt werden, dass ein Krimineller die Verwegenheit besessen habe, zu Darth Vader vordringen zu wollen.
Aber die Wachen rührten Kenobi nicht an. Statt dessen sprach der befehlshabende Offizier kurz in sein Helmkommlink. Zwei Minuten später öffnete sich ein Türflügel etwas und ein dunkel gekleideter Mann trat aus dem Gebäude. Seine harten Gesichtszüge waren ausdruckslos, als er auf Kenobi zuging und vor ihm stehen blieb.
Mit militärisch präziser und befehlsgewohnter Stimme sagte Darth Vaders Sicherheitschef: "Ich habe eine Botschaft von Lord Vader", und übergab Obi-Wan Kenobi einen versiegelten Umschlag, "und die strikte Anweisung, Sie zum Verlassen dieses Ortes aufzufordern, was hiermit geschehen ist. Jede nochmalige Annäherung bedeutet Ihre Eliminierung!"
Der Mann nickte dem befehlshabenden Soldaten zu – dieser salutierte bestätigend –, drehte sich auf dem Absatz um und ging.
Obi-Wan blickte auf die Tür, die sich hinter dem Mann wieder schloss und dann auf den Brief in seiner Hand. Was sollte er empfinden? Enttäuschung oder vielleicht doch lieber Erleichterung? Anakin hatte sehr deutlich gemacht, dass er Obi-Wan’ s Anwesenheit in seiner Nähe nicht dulden würde. Aber der Brief ...
Der Jedi-Ritter sah in die Runde. Er konnte die Gesichter der Soldaten nicht erkennen, aber sie schienen seiner Miene zu entnehmen, dass er den Entschluss gefasst hatte zu gehen, denn sie zogen sich auf ihre vorherigen Posten zurück.
Obi-Wan schritt langsam die Treppe hinunter, während er das Siegel des Briefes aufbrach. Er las die wenigen Zeilen in Anakins vertrauter, kraftvoller Handschrift und spürte neue Hoffnung in sich aufkeimen. Anakin hatte ihn nicht ganz abgewiesen ...


   Obi-Wan Kenobi stand bewegungslos auf einem grob behauenen Gesteinsims am Eingang einer gewaltigen Werkshalle – der dritten, durch die er kam – und sah sich um. Die Halle war eigentlich eine Höhle, tief in die Eingeweide des Planeten getrieben. Coruscant war sowohl für seine Erhabenheit, als auch für seinen exquisiten Stahl bekannt, der – aus anderen Systemen importiert – in unglaublichen Eisenhütten, tief unten und unbelebt, weiter veredelt wurde. Tag und Nacht, ohne Pause, wurde die Stahlproduktion von riesigen Maschinen am Laufen gehalten. Diese Eisenhütten waren wie eine immerwährende Wunde in der Oberfläche des Planeten. Obi-Wan wollte diesen Ort so schnell wie möglich verlassen, so unwirtlich war er. Da war er doch lieber in der gefährlichen Unterwelt Coruscants unterwegs, durch die er sich eben noch gekämpft hatte.

   Der Jedi war das einzige Lebewesen in diesem Inferno aus Lärm, Rauch, Gestank und Hitze.
Warum hatte Anakin sich ausgerechnet diesen Ort für eine Aussprache ausgesucht? Hatte er irgendwelche Hintergedanken dabei gehabt? Wenn ja, dann wollte Obi-Wan Kenobi gar nicht genau wissen, welche, denn seine Phantasie malte die furchtbarsten Dinge, die hier passieren konnten.
In dem rötlich flackernden Licht, das von den zahlreichen Schmelzgruben und Rinnen voll flüssigem Erz ausging, konnte Obi-Wan einen schmalen, mit schweren Eisenketten an der Höhlendecke befestigten Laufsteg erkennen, der quer durch die Halle lief und in einem gähnenden schwarzen Loch endete. Zweifelsohne eine weitere Höhle.
Kenobis machtverstärkte Sinne suchten nach einer vertrauten Präsenz. Aber er spürte nichts. Also musste er weiter, in die nächste Höhle, und darauf hoffen, dass Anakin des Versteckspielens irgendwann überdrüssig wurde.
Er lief auf dem Gesteinsims entlang und sprang auf den stählernen Laufsteg. Das Gebilde wackelte gefährlich und Kenobi hatte Mühe das Gleichgewicht zu halten. Zu allem Überfluss hatte der Steg kein Geländer.
Obi-Wan ging äußerst vorsichtig weiter, denn sein Weg führte über die Schmelzgruben hinweg. Sie bestanden aus riesigen, in den steinernen Boden gegrabenen Tiegeln, die so dicht beieinander lagen, dass kaum zwei Meter Platz zwischen ihnen war. Die Tiegel waren über kleine Kanäle miteinander verbunden, so dass sich das Erz in immerwährender Bewegung befand. Woher es kam und wohin es floss war nicht zu sehen.
Obi-Wan hatte vielleicht ein Drittel der Strecke hinter sich, als er unwillkürlich stehen blieb, denn es war ihm, als streiften dunkle Flügel über seine Seele. Er sah nach vorne. Am Ende des Laufstegs stand eine vertraute Gestalt.

   "Du bist also gekommen", sagte Darth Vader zu seinem ehemaligen Mentor und Freund.
Kenobi betrachtete den Mann, den er als Anakin Skywalker kannte, den er in seinen dunklen Gewändern im diffusen Licht der Höhle kaum genau genug erkennen konnte. Er gewann den gleichen Eindruck wie Amidala. Anakin war verändert: äußerlich wie innerlich.
Vader sprach weiter: "Ich hatte auch nichts anderes erwartet. Deinen missionarischen Eifer mich vor etwas zu retten, vor dem ich nicht gerettet werden will, kann man nicht überschätzen! Aber dass Du in diesem blinden Eifer Amidala in die Sache hineingezogen hast, verzeihe ich Dir nie!"
Obi-Wan ließ die hasserfüllten Worte an sich abperlen. "Anakin, Du weißt nicht was Du sagst. Du bist der Verblendete, und der Gekränkte. Du kannst mir an allem die Schuld geben, wenn Du willst, aber nicht daran, dass Amidala sich treu geblieben ist und sich Deinem Willen nicht unterwerfen wollte ..."
Kenobi sah Anakins Augen zornig aufblitzen, aber der junge Mann erwiderte nichts. Obi-Wan fuhr fort: "Es stimmt, dass ich Amidala dazu bewogen habe mit mir nach Coruscant zu kommen. Ich hoffte, ihr Einfluss auf Dich würde Dich zum Nachdenken bringen. Du liebst sie doch immer noch ..."
"Ich wollte sie an meiner Seite haben! Aber sie hat mich abgewiesen, wie Du sehr wohl weißt. Was hast Du ihr über mich erzählt? Das ich ein verabscheuungswürdiges Monster geworden bin, dessen bloße Berührung sie verunreinigt?"
"Ani ..., hör mir zu ..." Obi-Wan war betroffen über so viel Bitterkeit.
Vaders Augen funkelten gefährlich auf und brachten Kenobi zum Verstummen.
Vader hasste diesen Namen, er hasste seine Verniedlichung! Er war ein erwachsener Mann, kein kleiner Junge mehr. Er war Darth Vader und trug den Ehrentitel eines Sith-Lords. "Ich will Dir aber nicht zuhören!" schrie er, getrieben von seiner aufkeimenden Wut. "Warum willst Du das nicht einsehen! Lass mich in Ruhe, oder Du wirst es noch bitter bereuen!"
"Anakin, ich bitte Dich." Obi-Wan’ s Stimme war eindringlich. "Du weißt doch gar nicht, was Du tust. Die Dunkle Seite wirkt in Dir. Aber Du kannst sie bekämpfen, noch ist es nicht zu spät. Löse Dich von deinen negativen Gefühlen."
Vader lächelte verächtlich. Dieses Geschwätz kam ihm nur zu bekannt vor. Es blieb immer Dasselbe, wie er belustigt feststellte. Der lächerliche Jedi-Meister aus dem Holocron hat genauso gesprochen. Damals hat dich das noch getroffen, jetzt nicht mehr!
"Du glaubst immer zu wissen, was richtig ist, Meister, nicht wahr." Vaders Stimme troff vor Hohn. "Was gibt euch Jedi die Gewissheit, dass ihr den richtigen Weg geht?"
"Wir treten für den Frieden ein, die Schwachen, Unterdrückten. Wir haben dafür gesorgt, dass aus einer chaotischen Galaxis ein geordnetes Universum wurde. Und wir dienen der Macht, wir missbrauchen sie nicht für eigene Ziele! Das alles habe ich Dir unzählige Male erzählt, und genauso häufig hast Du mit Begeisterung nach dem Jedi-Kodex gehandelt", sagte Obi-Wan Kenobi anklagend. Er konnte fast nicht glauben, dass Anakin alles Gelernte infrage stellte.
"Die Jedi predigen aber auch die Toleranz und die Akzeptanz anderer Meinungen. Hast Du das vergessen, Obi-Wan?" Vaders Herausforderung gab Kenobi einen Stich ins Herz. Aber er antwortete beherrscht. "Du hast recht, Anakin. Allerdings endet diese Akzeptanz dort, wo andere Meinungen, wie Du es beschönigend nennst, zu Terror, Gewalt, Willkür und Versklavung führen. Nichts anderes geschieht seit dem Moment, als Dein verehrter Imperator die Macht an sich gerissen hat! Das allein ist schlimm genug, aber noch schwerer wiegt die Tatsache, dass Palpatine die Dunkle Seite vertritt. Und Du brichst ihr ebenfalls die Bahn, Anakin, und vielleicht ist das am Schlimmsten, denn Du warst derjenige, auf dem alle Hoffnungen ruhten, die Macht jemals ins Gleichgewicht zu bringen! Du siehst, die Jedi akzeptieren die Dunkle Seite als das was sie ist: ein Aspekt der Macht. Aber wir werden nie zulassen, dass sie die Oberhand gewinnt!"
"Und wie willst Du Deinen Teil dazu beitragen?" fragte Vader lauernd.
"So!"
Kenobi griff nach seinem Lichtschwert und ging langsam auf Vader zu.
Vader lächelte böse. Endlich ließ Obi-Wan das Reden und handelte.
"Ich werde Dich töten, und langsam glaube ich, dass es mir Freude bereiten wird!" sagt er. "Du wirst Dich nicht mehr zwischen mich und meine Ziele stellen!"
"Und dann, Anakin?" fragte Obi-Wan sanft. "Was hast Du dann gewonnen? Oh, abgesehen von grenzenloser Macht und Despotie im Dienste des Bösen!"
Vader zuckte trotzig mit den Schultern. Dieser Spott berührte ihn nicht. "Wir werden ja sehen, ... Meister!" fauchte er.
Beide Männer nahmen Kampfstellung ein und aktivierten ihre Waffen. Das charakteristische Geräusch, das die Lichtschwerter von sich gaben, ging im allgemeinen Lärm der Werkshalle unter, als die beiden Jedi die ersten Schläge austauschten.
Obi-Wan Kenobi kämpfte besonnen und konzentriert. Er suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, die Endgültigkeit dieses Kampfes zu verhindern. Aber sein ehemaliger Schüler ließ ihm keine Wahl.
Anakin schien nicht mehr er selbst zu sein.
In der Tat brannte in Vaders Augen ein gnadenloses Feuer des Hasses. Auch er kämpfte konzentriert, aber mit der Absicht zu vernichten.
Obi-Wan fühlte ein großes Bedauern in sich aufsteigen. Er und andere hatten so viele Hoffnungen in den außerordentlich begabten jungen Mann gelegt. Und jetzt!
Altbekannte Fragen begannen ihn wieder zu quälen. Was hatte er falsch gemacht? Vielleicht nichts. Außer dass er ein Versprechen eingelöst hatte. Aber war das eine Entschuldigung für sein Versagen als Lehrmeister? Nein! Obi-Wan Kenobi war nie der Mann gewesen, der für seine Fehler nicht grade stand, und mochten die Konsequenzen auch noch so bitter sein. Es dämmerte ihm, dass er Anakin ausschalten musste, wenn er ihn nicht zur Vernunft bringen konnte. Das einzige, vor dem er sich fürchtete war, es Amidala zu sagen, ihr dann unter die Augen treten zu müssen, obwohl sie sicherlich ahnte – nein, wusste –, dass es zu einem Kampf zwischen Anakin und ihm kam. Schließlich hatte sie ihn gebeten, Anakin für immer aus dem Weg zu gehen. Ihre Bitte war vergeblich gewesen.
Kenobi dachte betrübt an die Königin. Sie hatte sowohl Anakin, als auch ihn vor Schaden bewahren wollen. Und jetzt stehen Anakin und ich uns gegenüber, mit der Absicht, den anderen zu vernichten!Welch eine Ironie hält die Macht doch manchmal für uns bereit, dachte der Jedi mit einem Anflug von verzweifeltem Humor.
Obi-Wan packte sein Lichtschwert fester und ging zum Angriff über.
Vader lächelte. Sein Meister hatte seinen inneren Kampf also endlich ausgefochten und war zu einem Entschluss gekommen.
Die beiden Männer tauschten Schläge aus, wirbelten über den gefährlich schwankenden Laufsteg und schenkten sich nichts. Die Hitze aus den Schmelzgruben war qualvoll und erschöpfte die Kämpfenden. Ihre Schläge wurden kraftloser, aber keiner konnte über den anderen die Oberhand gewinnen.
Darth Vader schüttelte sich die schweißnassen Haare aus der Stirn. Jede Bewegung, jeder Atemzug wurde zu einer ungeheuren Anstrengung. Aber er tröstete sich damit, dass es Obi-Wan Kenobi nicht besser ging.
Sie mussten endlich zu einer Entscheidung kommen! Vader war zwar stärker als sein Meister, aber dieser machte seinen Nachteil durch Erfahrung und Geschicklichkeit wieder wett. Vader sammelte sich, wich einem Schlag aus und brachte sich aus Kenobis Reichweite. Er schloss die Augen und führte den entscheidenden Gegenschlag.
Obi-Wan Kenobi wurde von einer unsichtbaren Hand ergriffen und zu Boden geschleudert. Er stieß einen überraschten Schrei aus und versuchte verzweifelt das Gleichgewicht zu behalten. Aber es gelang ihm nicht.
Verdammt, Kenobi! Du hättest damit rechnen müssen. Es ist ein uralter Trick, und du fällst darauf herein!
Der Laufsteg war dermaßen ins Schwanken geraten, dass Obi-Wan stürzte und über eine Kannte rutschte. Mit der linken Hand erwischte er den Rand des Stegs und baumelte hilflos über einer Schmelzgrube.
Vader öffnete die Augen und sah zufrieden, was er getan hatte. Langsam und bedächtig näherte er sich Kenobi, das Schwanken des Stegs mit seinem Körpergewicht ausgleichend. Als er über den Rand schaute, an dem Kenobi baumelte, sah er in das vor Anstrengung verzerrte Gesicht seines ehemaligen Mentors.
"Ich habe Dich gewarnt, Obi-Wan!" sagte er leise. "Du wirst den Weg aller Jedi gehen. Du bist nicht der erste, den ich persönlich töten werde und es sind immer noch genug andere da!"
"Du kannst doch nicht wollen, dass die Jedi vernichtet werden, Anakin!" Obi-Wan war fassungslos und entsetzt zugleich. Fassungslos über Anakins Absichten und entsetzt über die Tatsache, dass die Dunkle Seite seinen Freund in so kurzer Zeit restlos überwältigt hatte.
"Sie werden aus der Galaxis gefegt werden, wie Sandkörner in einem Wirbelsturm! Und die Sith werden herrschen, wie es ihnen zusteht!" Vader spie die Worte förmlich aus. Er war erfüllt von einem dunklen Sturm der Emotionen, der sich eine Bahn zu brechen versuchte.
Obi-Wan Kenobi fühlte sich wie gelähmt. Das vor ihm war kein Lebewesen mehr, es war der personifizierte Hass und der Zerstörungswille der Dunklen Seite. Bei der Macht! Du musst ihn vernichten, Obi-Wan! Wirf dein Lichtschwert, feg ihn mit ebensolchen Kräften von dem Laufsteg, mit denen er dich zu Fall gebracht hat! Tu irgendetwas ...!
Vader spürte Kenobis Verzweiflung und lachte darüber. Niemand konnte ihn jetzt mehr aufhalten. Er nahm sein Lichtschwert und holte aus.

   Als er einen verzweifelten Schrei hörte, war Vader irritiert.
Als etwas an seiner Robe zupfte und einen stechenden Schmerz verursachte, war er verwundert.
Der Dunkle Lord verlor das Gleichgewicht, als der Blasterschuss ihn in die Seite traf. Das Lichtschwert entglitt seinen Händen und krachte polternd auf den Laufsteg.
Vader fiel sehr langsam. Seine suchenden Augen erblickten ... Amidala! Sie stand am Eingang der Höhle und hielt den Blaster noch in der Hand. Ihre großen, ausdrucksvollen Augen zeigten Leid und Schmerz, aber auch eine eiserne Entschlossenheit, und ihre Lippen formten zwei Worte: Verzeih mir!

   Obi-Wan Kenobi sah mit Entsetzten und Verwirrung, wie Anakin in den Tiegel mit dem glühenden Erz unter ihm fiel. Es war ein grauenhafter Anblick und ein grauenhafter Tod.
Aber es war auch ein gerechtes Urteil für einen Verräter an den Idealen der Jedi, und an der Republik. Für jemanden, der bereit war, ohne mit der Wimper zu zucken, seine ehemaligen Brüder und Schwestern zu vernichten ...
Und dennoch konnte Obi-Wan sich gegen die aufkommende Trauer und Verzweiflung nicht wehren. Alles erschien ihm falsch. Für eine Sekunde war Kenobi versucht, sich einfach fallen zu lassen; Anakin zu folgen und einzutauchen in das Vergessen, und den Schmerz auszulöschen, der sowohl seinen Körper, als auch seinen Geist peinigte, und um eins mit der Macht zu werden. Er hatte doch keine Aufgabe mehr ...
Irgendjemand packte ihn hart am Handgelenk. Obi-Wan schaute auf und sah in die entsetzten Augen der Königin.
Sie hat den Schuss abgefeuert. Es kann nur die Königin gewesen sein. Bei der Macht ... !
Sie hielt ihn mit beiden Händen und all ihrer Kraft fest, so als wüsste sie, was der Jedi-Ritter vorhatte. Kenobi spürte plötzlich Schuldgefühle. Er konnte Amidala nicht allein lassen; nicht an diesem Ort, nicht auf Coruscant ... Er musste sie zurück nach Naboo bringen. Er konnte sich nicht einfach aus der Verantwortung stehlen, die er übernommen hatte, als er Amidala nach langen Überredungsversuchen bewogen hatte, mit ihm nach Coruscant zu kommen. Wärst du mit der Königin nicht hier aufgetaucht, dann würde Anakin noch leben, dann hätte sich die Sache vielleicht anders entwickelt, Kenobi, sagte er sich verbittert.
Mit Amidalas Hilfe gelang es dem Jedi sich mühsam auf den Laufsteg zu ziehen. Erschöpft blieb Kenobi liegen. Amidala kniete neben ihm und schaute wie versteinert in das gold-gelbe Inferno des Erzes in dem Schmelztiegel direkt unter ihnen. Ihr Gesicht war totenbleich und ihre Lippen zitterten. Kenobi spürte den Wirrwarr ihrer Gefühle; so stark, dass es ihm wehtat. Er litt mit ihr, aber er konnte ihr keinen Trost spenden; weil er ihn selber brauchte und weil Amidala ganz alleine damit fertig werden musste, dass sie ihren Mann dem Tode überantwortet hatte.
"Ich wollte ihn nicht töten, nur kampfunfähig machen." Amidalas leise Stimme war erstaunlich gefasst. "Aber die Macht hat anders entschieden ... Sie war es auch, die mich antrieb, Euch zu folgen. Ich war immer auf Euren Fersen ... und als ich sah ... was Anakin vorhatte ..." Plötzlich fing die junge Frau an zu weinen. Obi-Wan richtete sich auf und nahm sie in die Arme. Er war erleichtert, dass sie ihrem Schmerz Ausdruck verlieh; alles andere hätte ihn zur Verzweiflung getrieben.
"Hoheit, eins sollt Ihr wissen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Anakin war der Dunklen Seite völlig erlegen, so schwer diese Erkenntnis auch fällt. Ich hätte ihn töten müssen! Irgendwie. Ich habe mich schon einmal in einer solchen aussichtlosen Lage befunden, und den Kampf dennoch für mich entschieden. Ihr habt mir die bitteren Konsequenzen durch Euer beherztes Handeln erspart. Aber ich wünschte es wäre nicht so! Die Bürde, Anakin das Leben genommen zu haben, wird Euch Zeit Eures Lebens begleiten, fürchte ich." Kenobi verstummte.
"Was ich getan habe, habe ich getan. Wer weiß, ob aus dieser Tat nicht doch noch etwas Gutes entspringen wird", sagte Amidala stockend.
Kenobi nickte bedächtig. "Anakin war ein sehr mächtiger Jedi, und er wäre im Laufe der Jahre ein noch mächtigerer Sith geworden. Möglicherweise habt Ihr das Universum vor einem der fürchterlichsten Diener der Dunklen Seite bewahrt!
Kommt!"
Kenobi erhob sich und zog die Königin mit sich über den Laufsteg zum Höhleneingang, durch den sie gekommen waren. Er blieb kurz stehen, um Anakins Lichtschwert aufzuheben. Es würde ihn ewig an das Geschehene erinnern. Ein Dorn in seinem Fleisch und eine Mahnung für die Zukunft!
"Verlassen wir diesen Ort", sagte er. "Ich kann ihn nicht mehr ertragen. Außerdem müssen wir Coruscant so schnell wie möglich den Rücken kehren. Der Imperator wird sicherlich in kurzer Zeit die Hintergründe für Anakins Tod in Erfahrung bringen. Und ich glaube kaum, dass Palpatine es ruhig hinnimmt, zum zweiten Mal seines effektivsten ‚Werkzeugs’ beraubt zu werden, und ausgerechnet wieder von mir!"
"Ihr habt recht. Aber ..."
"Macht Euch keine Sorgen um Eure Zukunft, Hoheit! Wir werden einen Weg finden. Ich kümmere mich um Euch!"
"Um uns drei, Ritter Kenobi. Um uns drei", antwortete die Königin. Sie lächelte ihn unter Tränen an.
Obi-Wan Kenobi stutzte und sah Amidala überrascht an. Sein Gehirn verarbeitete das eben Gehörte nur langsam, so perplex war er. Die Königin war schwanger?! Das erklärte die Kleidung, aber wieso hatte er es nicht gespürt? Er war auf eine gewisse Weise mit Amidala verbunden, denn die Macht durchströmte sie beide ... Und die Macht hat sie auch beschützt. Erinnere Dich an die letzte Nacht. Du hattest den Eindruck, die Macht sei wie ein Schutzschild um die Königin geflossen. Sie hatte Amidalas Geheimnis vor ihm verborgen, aber ...
"Anakin ... ?"
"Er wusste nichts davon. Ich wollte es ihm sagen, weil ich glaubte, ihn so vielleicht von seinem zerstörerischen Weg abzubringen, aber als wir uns das letzte Mal trafen ..." Amidala brach ab. Sie wollte sich an das letzte Treffen mit Anakin nicht mehr erinnern. Es war doch erst vor so wenigen Stunden gewesen! Aber so viel hatte zwischen ihnen gestanden und sie getrennt. Nichts schien geblieben zu sein von der Liebe zwischen ihnen. Amidala wurde schmerzlich bewusst, dass sie einen völlig Fremden dem Tod übergeben hatte. Tröstete sie das nicht? Nein. Sie hatte Anakin helfen wollen, er hatte sich nicht helfen lassen, von niemandem. Jetzt war er tot, und auf ewig verloren, denn er hatte sich der Dunklen Seite verschrieben und die Dunkle Seite ließ einen nicht mehr los, auch nicht über den Tod hinaus. Das sagen die Jedi, und du weißt, dass es stimmt. Ja, gerade dann nicht, wie sie mit aufkeimendem Entsetzen feststellte. Sie würde Anakin nie wieder sehen.
"Jetzt wird etwas von ihm weiterleben und das sollte uns trösten!" brachte sie hervor.
Obi-Wan Kenobi nickte langsam.
Anakins Nachkommen.
Zwillinge.
Wie stark mochten sie in der Macht sein?
Außergewöhnlich stark, dessen war Obi-Wan sich sicher.
Was sollte er tun?
Verschwinde mit der Königin von Coruscant so schnell du kannst, und bring sie und dich aus der direkten Reichweite von Palpatine! Er wird dich verfolgen lassen, also such dir einen Ort, an dem das Imperium noch nie Interesse gezeigt hat, der so weit vom imperialen Zentrum entfernt ist, dass sich die Neue Ordnung dort nie etablieren wird.
"Hoheit, ich werde Euch in die Nähe Naboos bringen."
"Und Ihr? Kehrt mit mir nach Naboo zurück. Ihr seid dort immer willkommen gewesen ... und ich hätte jemanden, mit dem ich meinen Schmerz teilen kann!"
"Es tut mir Leid, aber ich kann Euch nicht begleiten. Um meiner eigenen Sicherheit willen. Der Imperator wird nicht ruhen, bis er die letzten Jedi vernichtet hat, oder glaubt sie vernichtet zu haben. Es gibt für einen Jedi Möglichkeiten sich zu verbergen. Es ist schwer und erfordert viele persönliche Opfer, aber einige von uns müssen überleben, sonst ist alles verloren. Und wenn Eure Kinder in das Alter der Ausbildung kommen ..." Obi-Wan sprach nicht weiter. Aber die Königin hatte ihn verstanden, er sah es am Ausdruck in ihren Augen. "Ich werde mich nach Tatooine zurückziehen. Ihr kennt diesen Planeten. Er sollte mir für eine hoffentlich lange Zeit Schutz bieten."
Amidala akzeptiere Obi-Wan Kenobis Entscheidung schweigend.
Der Jedi und die Königin erreichten den Ausgang der Erzhöhle. Keiner von beiden sah sich noch einmal um ... Sonst wäre ihnen vielleicht die sonderbare Bewegung in einem der Tiegel aufgefallen ...


   Als Darth Vader stürzte, hatte er einen schier ewigen Moment nichts und alles empfunden.
Amidalas Anblick schwebte vor seinem geistigen Auge. Ihr verzweifelter, aber dennoch fest entschlossener, um Verzeihung bittender Blick bannte ihn und die Welle der Liebe, die sie ausgesandt hatte, bevor sie den Blaster abfeuerte, erreichte ihn und schien ihn davonzutragen. Seine eigene Verwirrung und eine seltsame Form von Verständnis mischten sich unter diese Empfindungen. Unzählige andere Eindrücke begannen ihn zu umschwirren, ebenso wenig fassbar, wie ein Lichtstrahl, aber gnädig das Wissen überdeckend, was in wenigen Sekunden geschehen würde.
Doch der Augenblick der Gnade war zu schnell vorüber gegangen. Darth Vader hätte geschrien, wenn er gekonnt hätte, aber ein tiefverwurzelter Instinkt ließ ihn Augen und Lippen fest zusammenpressen und den Atem anhalten, als das Erz über seinem Kopf zusammenschlug.
Die Qualen waren unbeschreiblich.
Aber Vader kämpfte. Er wollte nicht sterben! Nicht so ... erbärmlich, und sinnlos! Er hatte noch so viele Pläne zu verwirklichen. Er musste aus dem Schmelztiegel heraus!
Vader griff bewusst nach der Macht. Sie hatte ihn bis jetzt vor dem Tod im glühenden Erz gerettet, nun musste sie ihm helfen, diesem Erz zu entkommen. Aber die Dunkle Seite ließ sich nicht fassen, schien weitere Hilfe zu verweigern.
Vader sammelte seine verbliebenen Kräfte.
Hass! Er musste hassen, zügellosen Zorn empfinden, er musste die Dunkle Seite bezwingen!
Und der Zorn kam. Er speiste sich aus Vaders Schmerzen und seiner Verzweifelung, und dieser Zorn wurde zu Hass. Ein abgrundtiefer Hass auf diejenigen, die ihm das hier angetan hatten, die Schuld waren an seinen Qualen. Obi-Wan und ..., ja, auch Amidala. Gerade sie. Sie hat einfach auf dich geschossen! Sie hat dich zu dem hier verdammt!
Er krümmte sich vor Schmerzen und kämpfte um sein Leben. Und die Macht begann ihn urplötzlich zu durchströmen, so als hätte sie nur darauf gewartet, von seinen dunklen Gefühlen genährt zu werden.
Darth Vader spürte den Boden des Tiegels und stieß sich ab. Die Dunkle Seite gab ihm die Kraft sich durch die zähe Erzmasse zu quälen und den Rand des Tiegels zu erreichen. Er zog sich auf den schmalen Zwischenraum und rührte sich nicht mehr.
Vader war ein Bild des Jammers. Seine langen, dunkelblonden Haare waren restlos verbrannt und seine Haut warf Blasen, dort wo das Erz sie sofort ungehindert hatte erreichen können. Seine Kleidung, besser das, was davon noch übrig war, schwelte und hatte sich teilweise in sein Fleisch gefressen. Aber die schwarze, gepanzerte Sith-Robe hatte dem Erz in den ersten Sekunden widerstanden und damit entscheidend zu Vaders Überleben beigetragen.
Darth Vader versuchte die Augen zu öffnen und einen tiefen Atemzug zu nehmen, und verfluchte diesen Versuch einen Augenblick später, so qualvoll war das Ergebnis. Seine Lunge musste Schaden genommen haben!
Er war zwar aus dem Tiegel heraus, aber sein Körper schien auf dem harten Boden noch mehr Schmerzen ertragen zu müssen (und zu können!), als in der Hölle des Erzes. Sie waren so unerbittlich und stark, dass sich Vaders Verstand zu umnebeln begann.
Mein Gebieter! flehte, nein, schrie er förmlich in Gedanken und hoffte inbrünstig, dass der Imperator das Flehen seines ergebensten Dieners vernommen hatte.
Schließlich nahm eine tiefe Ohnmacht den Dunklen Lord gnädig auf und löschte alles aus.
Aber die Dunkle Seite blieb und umgab Darth Vader wie ein schützender Kokon, denn seine Zeit war noch nicht gekommen, und sein Flehen war gehört worden ...


Anderthalb Monate später

   "Sir, können Sie mich hören? Sir ...?"
Sir ... ir ... ir ... hallte es in Darth Vaders geschundenem Gehirn. Stimmen schwollen an und ab, aber nichts drang richtig zu ihm durch. Er wollte wieder in das sanfte Nichts gleiten, dass ihn eingehüllt hatte. Aber irgendetwas zwang ihn, dass Bewusstsein zu behalten; auch wenn es ein sehr diffuses Bewusstsein war.
"...en wir die Systeme abschalten. Anderthalb Monate befindet er sich nun in solch einem Zustand. Das ist nicht ... menschenwürdig."
"Aber der Imperator ..."
Vader horchte auf. Sie (wer?) sprachen von seinem Gebieter. Er wollte etwas sagen, sich aufrichten ... und konnte nur die Augen öffnen. Rote Schleier tanzten vor ihnen, sie schmerzten unerträglich, enthüllten nach einer Weile aber zwei in imperiale Uniformen gekleidete Gestalten, die sich hastig und überrascht über ihn beugten.
"Er ist aufgewacht, Doktor Neah! Das ist ein Wunder!"
Der so Angesprochene – einer der angesehensten Ärzte auf Coruscant und ein Leibarzt des Imperators (Palpatine benötigte ihn zwar nicht, aber man konnte ja nie wissen) – nickte bedächtig. Er wollte die Euphorie seines Assistenten noch nicht teilen, denn nur er wusste um die Schwere der Verletzungen des Mannes vor ihm. Und er fragte sich, ob es nicht gnädiger gewesen wäre, wenn der Mann nicht mehr aufgewacht wäre. Aber irgendeine unheimliche Kraft wirkte in ihm und hielt in am Leben. Eine Kraft, die Neah nicht verstand; und nicht verstehen wollte. Sie machte ihm Angst. Vom medizinischen Standpunkt aus, hatte er es von Anfang an mit einem Toten zu tun gehabt, denn die Maschinen hatten über einen Monat lang einen leblosen Körper erhalten.
Neah erschauerte.
Als man den Verletzten damals zu ihm brachte, hatten alles lebenswichtigen Organe nicht mehr funktioniert. Und dennoch hatte der Mann irgendwie noch gelebt. Neah spürte immer wieder die Verwirrung, die ihn damals ergriffen, und das unheimliche Gefühl, das ihn beschlichen hatte. Aber der Imperator hatte darauf bestanden, dass Neah den Mann sorgfältig behandelte (und ein paar "Modifikationen" vornahm). Natürlich gehorchte Doktor Neah seinem Gebieter.
Er schaute jeden Tag nach seinem Patienten und resignierte jedes Mal ein bisschen mehr, weil keine Veränderungen eintraten; weder zum Guten, noch zum Schlechten.
Und jetzt das! Neah betrachtete seinen Patienten mit Unglauben, aber er spürte auch so etwas wie Stolz aufkommen, sein Schützling war – hoffentlich – auf dem Weg der Besserung!

   Vader versuchte zu Sprechen.
Das misslang.
Entsetzt stellte er fest, dass er noch nicht einmal aus eigenem Willen atmen konnte!
Panik überkam ihn. Seine Lungen schienen (noch immer !?) mit heißem Erz gefüllt zu sein. Er musste atmen!
Vader riss die Hände nach oben; eine an den Hals, die andere an die Brust. Und seine Panik steigerte sich noch. Kalte Schläuche ragten aus seinem Hals. Einer verschwand in seiner Brust, kurz unter dem Brustbein, andere irgendwo ...
Er packte sie.
"Nein!"
Doktor Neah stieß einen verzweifelten Schrei aus. Sein Patient war auf dem besten Wege, sich schnell und effizient umzubringen. Neahs ärztlicher Stolz gewann die Oberhand über seine anfänglichen Gefühle. Er vergaß, dass er seinem Patienten noch vor wenigen Minuten einen sanften Tod gegönnt hatte. Jetzt ging es nur darum, Schaden abzuwenden.
Er war hastig zu einer Computerkonsole gesprungen, als er bemerkte, dass Vader in Panik geriet. Jetzt hieb Neah förmlich auf den Knopf ein, der den durchsichtigen Deckel hob, unter dem sich Vaders Krankenlager befand, und der absolut sterile Luft um den Kranken gehalten hatte.
Diese Luft entwich fauchend und gemeinsam mit seinem Assistenten sprang Doktor Neah vorwärts. Sie hatten die größte Mühe Vader zu bändigen.
"Sie dürfen nicht dagegen ankämpfen!" schrie Neah. "Lassen Sie die Maschinen ihre Arbeit tun. Bitte! Dann werden Sie genug Luft bekommen!"
Schließlich verließen Vader seine Kräfte. Er gab resigniert auf. Versuchte nicht mehr zu atmen ... und konnte tatsächlich leben.
Sein Herz schlug weiter. Sein Herz?
Ja, es schlug, aber es schlug wie ein Uhrwerk. Nichts brachte es aus der Ruhe. Vader begann zu zittern. Was hatten sie mit ihm gemacht? Er wollte etwas fragen, sagen ... Hilflos suchte sein Blick den des Mannes an seiner rechten Seite.
Doktor Neah seufzte im Stillen. Er war erleichtert, dass sein Patient vernünftig geworden war, aber er konnte sich auch gut vorstellen, was der Mann jetzt empfand.
Neah zwang sich zu einem aufmunternden Lächeln. "Ich weiß. Momentan können Sie nicht sprechen. Aber wir arbeiten daran!"

Eine Woche später

   Und das taten sie – Ärzte und Techniker nämlich – tatsächlich, und noch etwas mehr. Sie hatten eine Überraschung für Vader.
An diesem Morgen kam Doktor Neah freudestrahlend seine Visite machen.
"Ich habe gute Neuigkeiten für Sie, Lord Vader! Wir haben Kleidung entwickelt, die es Ihnen ermöglicht, sich frei und zeitlich unbegrenzt zu bewegen. Ich lasse sie Ihnen gleich herbringen." Doktor Neah verließ den Raum, bevor Vader etwas erwidern konnte.
Der Dunkle Lord stand an einem großen Panoramafenster, durch das er einen weiten Blick über Coruscant hatte. Vader konnte sogar in der Ferne die Spitze des Imperialen Palastes aufragen sehen. Er vermied es jedoch, der Fensterscheibe zu nah zu kommen. Er konnte sein Spiegelbild einfach nicht ertragen.
Es war ein sonniger Morgen, der einen großartigen Tag ankündigte. Aber nicht für dich, sagte sich Vader düster. Deine großartigen Tage dürften gezählt sein.
Vor vier Tagen hatte er sich das erste Mal gesehen; in eben dieser Scheibe, denn wohlweislich hatte man alle spiegelnden Gegenstände aus seinem Zimmer entfernt.
Vader hatte sich selbst nicht mehr erkannt. Vielleicht war das ganz gut so. Jetzt war er sogar körperlich ein anderer geworden! Aber trösten konnte ihn das nicht.
Vader kehrte langsam zu seinem Bett zurück; immer darauf bedacht, dem Beatmungsschlauch nicht in die Quere zu kommen, der aus seinem Hals ragte und an eine Maschine angeschlossen war, die unablässig mit Medikamenten angereicherte Luft in seine geschädigten Lungen pumpte.
Vorsichtig legte er sich auf die weiche Bettdecke. Es war schon bedeutend erträglicher, aber seine verbrannte Haut schmerzte immer noch bei jeder Berührung. Wenigstens hatte er sich an die leichte, kühle Krankenbekleidung gewöhnt, die er trug.
Vader betrachtete seine Hände. Hässliches Narbengewebe überwucherte sie. Darth Vader schloss die Augen, um es nicht mehr sehen zu müssen. Doktor Neah hatte ihm versichert, dass diese Narben im Laufe der Zeit verschwinden würden. Aber einige Narben würden für immer bleiben. Die schlimmsten, die tiefsten, die schmerzhaftesten ... und die Narben in seiner Seele. Er war für immer entstellt, abhängig von lebenserhaltenden Systemen ... und von seinem Hass. Denn nur der machte dieses Leben noch erträglich. Er gab ihm einen Sinn: die Vernichtung all derer und all dessen, was Schuld war an seinem Zustand.
Vader kultivierte diesen Hass und kanalisierte ihn: auf die Jedi. Er würde sie mit Freuden auslöschen; und ganz zuletzt käme er an die Reihe ... Obi-Wan Kenobi!
Und dann ... sie?
"So ist es richtig, Lord Vader! Hasst und Ihr werdet erstarken und mein perfektes Werkzeug sein", sagte plötzlich eine Stimme.
Darth Vader schreckte hoch, ungeachtet der Schmerzen, die ihn dabei durchzuckten. Der Imperator war gekommen. Er hatte das Zimmer so leise betreten, dass Vader ihn nicht bemerkt hatte.
"Mein Gebieter!" Vader neigte ehrerbietig den Kopf. Palpatine war selten gekommen, als Vader mit dem Tode gerungen hatte, dass wusste er von Doktor Neah, und schnell wieder gegangen. Vader machte sich nichts daraus. Der Imperator hatte andere Dinge im Sinn als einen verletzten Untergebenen zu besuchen, auch wenn dieser Darth Vader hieß.
Jetzt war er das erste Mal seit Vaders Erwachen da.
Der Dunkle Lord wartete. Insgeheim befürchtete er Vorwürfe. Er hatte auf der ganzen Linie versagt! Obi-Wan Kenobi war noch am Leben, während er das seine fast verloren hätte. Zudem war er ein Krüppel; minderwertig für den Dienst des Imperators, so schien es ihm. Palpatine hätte allen Grund gehabt, ihm zu zürnen. Aber als der Imperator nach einer schier endlosen Zeit schließlich sprach, kamen keine Vorwürfe aus seinem Mund.
"Wie ich sehe, schreitet Eure Genesung voran. Gut. Es warten viele Aufgaben auf Euch. Und sie werden ganz nach Eurem Geschmack sein, Lord Vader!" Palpatine lachte leise und boshaft.
Vader sah seinen Herrn an. Palpatines Vorfreude übertrug sich auf ihn, und obwohl Herzschlag und Atmung sich nicht ändern konnten, spürte Vader zum ersten Mal seit langem so etwas wie Aufregung und Anspannung. Er konnte sich gut vorstellen, was für Aufgaben der Imperator für ihn hatte. Darth Vaders Gedanken schweiften ab. Er würde ...
"Ja, Lord Vader." Palpatines harte Stimme fegte Obi-Wan Kenobis Bild aus Vaders Gedanken. "Auch dieser Jedi wird uns nicht entgehen. Aber im Moment ist er unbedeutend. Wir müssen uns um diejenigen kümmern, die eine Gefahr für uns darstellen könnten: Die Ratsmitglieder. Meine Agenten haben zwei von ihnen ausfindig gemacht. Sie sind Euer erstes Ziel!"
Darth Vader nickte. Obi-Wan Kenobi konnte warten.
Der Imperator wandte sich der Tür zu. Als er fast aus dem Raum gegangen war, stellte Vader die Frage, die ihm die ganze Zeit keine Ruhe ließ. "Mein Gebieter! Wollt Ihr nicht wissen, was passiert ist. Wieso ich ..." Vader verstummte, da Palpatine sich beiläufig umdrehte. "Aber das weiß ich doch, Lord Vader. Ihr habt sehr aussagekräftige Träume!" Nach diesen Worten verschwand der Imperator lautlos durch die Tür. Der Dunkle Lord sah ihm lange nach.
In Zukunft wist du besser auf deine Träume aufpassen müssen! sagte er sich ernst.

   Kurze Zeit später wurde Vader wieder gestört. Diesmal waren es Doktor Neahs Assistent und ein weiterer Mann, den Vader nicht kannte. Dieser Mann trug ein gewaltiges schwarzes Bündel auf dem Arm. Es entpuppte sich als Vaders neue Kleidung. Eigentlich war sie nicht richtig neu, denn sie war exakt seinen Sith-Gewändern nachempfunden worden. Darth Vader betrachtete die Kleidung eine Zeit lang stumm, dann ließ er sich von den beiden Männern beim Anziehen helfen. Es nahm einige Zeit in Anspruch, da diverse Schläuche und Kabel angeschlossen werden mussten, aber schließlich war Vader fertig.
"Doktor Neah dachte, es würde Ihnen Gefallen, wenn wir Ihr neues Gewand so gestalten", sagte der Assistent, nachdem er einen bewundernden Blick auf Vader geworfen hatte.
Der Dunkle Lord nickte. Es war tatsächlich ein beruhigendes Gefühl, eine vertraute Sith-Robe zu tragen; auch wenn er sich an Einiges gewöhnen musste. Zum Beispiel an die Art Schaltkasten auf seiner Brust. Er betastete ihn.
"Oh, damit können Sie Ihre Atmung regulieren!" Neahs Assistent eilte zu Vader und betätigte einen Schalter. Vader spürte, wie sich seine Atemfrequenz erhöhte. Der Assistent tippte auf einen zweiten Schalter und Vader atmete wieder normal. "Sie werden die Schalter aber nicht brauchen. Der kleine Chip in Ihrem Gewand regelt alles. Darauf können Sie sich verlassen!" Der Assistent strahlte Vader erwartungsvoll an, aber sein Lächeln erstarb, als er Vaders Blick begegnete.
"Ich bin überzeugt, dass der Chip seine Arbeit richtig machen wird", sagte Darth Vader sarkastisch. "Aber das nützt mir herzlich wenig, wenn meine Gegner nur halbwegs vernünftig mit ihren Blastern umgehen können."
"Sir ...?"
Vader deutete auf den quadratischen Schaltkasten. "Wenn Sie mit einem Finger meine Atmung verändern können, was kann dann ein Laserstrahl?"
Neahs Assistent erbleichte. "Du meine Güte, Lord Vader! Ich fürchte, das haben wir nicht bedacht. Sehen Sie, diese ... Rüstung ist etwas völlig Neues. Wir haben uns auf die medizinischen Aspekte konzentriert ..."
Vader winkte ab. "Lassen Sie die Rechtfertigungen! Bringen Sie die Sache einfach in Ordnung!"
Der Assistent verbeugte sich eilig. "Natürlich, Lord Vader! Aber ... ansonsten findet unsere Entwicklung Ihre Zustimmung?"
"Ja", sagte Darth Vader, "bis auf eine Kleinigkeit ..."

   Nachdem auch diese "Kleinigkeit" zu Vaders Zufriedenheit gelöst worden war, fühlte er sich ... nun, nicht wohl, aber bestens gerüstet für sein weiteres Leben.
Die Techniker hatten das Kontrollsystem für seine Atmung mit einem winzigen, aber sehr effizienten Kraftfeld versehen, das sämtliche Berührungen – welcher Art auch immer – verhinderte. Vader konnte diesen Schutz mit einem kleinen, verborgenen Schalter an seinem Gürtel deaktivieren, falls es nötig sein sollte.
Und die "Kleinigkeit" war eine schwarze, grotesk wirkende Maske nach Vaders Vorstellungen, die seinen gesamten Kopf umhüllte. Diese Maske war mit optischen und akustischen Sensoren ausgestattet, und konnte im Notfall lebensrettend sein. Sie war aber nicht nur eine nützliche Schutzmaßnahme. Nein. Sie war viel mehr. Sie verbarg Vaders entstelltes Gesicht vor allen, gab ihm die Möglichkeit, ungestört andere zu beobachten ... und sie verbreitete Angst.
Mit dieser Maske würden die Lebewesen in der Galaxis in Zukunft den Namen Darth Vader verbinden, und sie würden Grauen empfinden. Vader hatte einfach das Notwendige mit dem Nützlichen verbunden.
Er war zufrieden.


Zwei Wochen später

   Obi-Wan Kenobi trat aus dem steinernen, runden Bau, der ihm seit einiger Zeit als Wohnung diente. Er hatte dieses "Haus" verlassen vorgefunden. Sicherlich war es das Überbleibsel gescheiterter Existenzen, die versucht hatten, sich in der unwirtlichen Jundlandwüste niederzulassen. Hier draußen hatte es noch kein Farmer geschafft. Nur die Tusken konnten das raue und tödliche Wüstenklima überleben; und er selber. Er hatte das perfekte Versteck gefunden, von dem nur wenige wussten.
Eine Regung in der Macht ließ Obi-Wan aufhorchen. Er blickte sich um. Sein Heim war von drei Seiten von meterhohen Sanddünen und brüchigem Felsen umschlossen; nur eine Seite gestattete den Blick kilometerweit in die Ferne. Dorthin wurden Kenobis Augen gezogen. Er schirmte sie mit den Händen gegen das grelle Licht der Doppelsonnen Tatooines ab, die sich gerade erst vom Horizont gelöst hatten. Im Gegenlicht konnte der Jedi eine Bewegung erkennen. Sand stob auf und verschleierte die Sonnen. Ein Gleiter näherte sich mit hoher Geschwindigkeit.
Der Gleiter stoppte einen Meter vor Obi-Wan und Staub und Sand wirbelten umher. Verärgert hustete Kenobi und klopfte den gelben Sand von seiner Kleidung.
"Wie oft habe ich dir gesagt, dass du das lassen sollst, Nam!" schimpfte er. "Meine Gewänder sind schon so nicht mehr die besten ..."
"Ach Ben. Staubiger können sie gar nicht mehr werden", sagte Nam verschmitzt und ein spitzbübisches Funkeln lag in ihren Augen. Obi-Wan seufzte. Er konnte der jungen Frau nicht lange böse sein, und das wusste sie. Überdies war sie eine der wenigen Verbindungen zur Zivilisation – wenn man auf Tatooine von so etwas überhaupt sprechen konnte.
Nam betrieb in Mos Eisley eine Art Kramerladen, aber das war nur ein notwendiges Übel für die junge Frau. Schließlich musste sie von etwas leben. Viel lieber trieb sie sich jedoch in den unwirtlichen Gegenden Tatooines herum; immer auf der Suche nach einem Abenteuer. Deshalb riss sie sich auch förmlich danach, Kenobi in der Jundlandwüste aufzusuchen und ihm dann und wann Lebensmittel und andere nötige Dinge zu bringen.
Nam sprang aus dem Gleiter und wirbelte nochmals Staub auf. Sie war groß und schlaksig, trug eine abgewetzte Pilotenmontur und fuhr sich mit der Hand durch die stoppelkurzen Haare, um den Sand herauszuschütteln. Sie lächelte Obi-Wan an und konnte dabei mit dem Strahlen der beiden Sonnen durchaus konkurrieren.
Kenobi trat vor ihr in seine kühle Steinbehausung. Er machte einen Abstecher in die Küche, um der jungen Frau etwas zu trinken zu holen, während sie den Wohnraum ansteuerte. Sie hatte es sich schon auf dem Boden bequem gemacht, als Obi-Wan mit dem Getränk kam. Er reichte ihr den Becher und ließ sich auf einem aus Stein gehauenen Sitz nieder.
"Was führt dich zu mir, Nam? Ich habe dich nicht erwartet", sagte er zu der jungen Frau.
"Vielleicht liegt mir ja viel an deinem Anblick, Ben!" gab sie keck zurück.
Obi-Wan musste grinsen. Nams Flirtversuche erheiterten ihn immer wieder und manchmal ging er ihr zuliebe darauf ein. Aus irgendwelchen Gründen hatte Nam sich ihn als Übungsobjekt auserkoren. Kenobi ahnte, dass sie auf ihre Weise ebenso einsam war wie er; aber nicht freiwillig. Sie tat Obi-Wan Leid; er konnte es jedoch nicht übers Herz bringen ihr zu sagen, dass ihre burschikose Art andere abschreckte. Nam erschien nach Außen hin wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung. Nach der Ansicht anderer kam sie allein klar; wollte allein zurecht kommen. Dass sie sich aus reiner Unsicherheit so gab, erkannten wohl nur die wenigsten. Und hier auf Tatooine hatte jeder genug Sorgen um das eigene Wohlergehen, als dass er sich um die Probleme anderer mit Freuden kümmerte. Nam war da anders. Sie half, wo sie konnte. Obi-Wan hatte die junge Frau schon bei ihrer ersten Begegnung ins Herz geschlossen.
Nam ihrerseits hielt Obi-Wan für einen seltsamen Mann, der sich in eigenbrötlerischer Manier zurückgezogen hatte, aber sie mochte ihn sehr, auch wenn seine niedergedrückte Art sie oftmals in stille Verzweiflung trieb, denn sie sah keine Möglichkeit, ihm zu helfen. Sie wusste von ihm nur, dass er sich Ben Kenobi nannte. Was er gemacht hatte, woher er kam, dass alles blieb Spekulation. Aber Nam fühlte sich bei Kenobi geborgen und vergaß für ein paar Stunden ihre Ruhelosigkeit. Denn er wusste so viel zu erzählen; über fremde Welten, große Taten und Abenteuer. Er sprach jedoch niemals über sich selbst, obwohl Nam annahm, dass er kein gewöhnlicher Mann war, dass er vieles des Erzählten selbst erlebt hatte. Sie versuchte jedoch nie, ihn auszufragen. Sie respektierte seinen Wunsch nach Einsamkeit und Heimlichkeit. Er war einfach der "verrückte Ben" – wie ihn alle nannten – und sie würde an diesem allgemeinen Bild nichts ändern, auch wenn sie irgendwann einmal mehr über Ben Kenobi erfahren sollte.
"Ich bin deswegen gekommen", sagte Nam und nestelte an einer der diversen Taschen ihres Anzugs. Sie kramte nach einiger Zeit eine kleine Datendisk hervor, die sie Obi-Wan reichte. "Die Nachricht kam gestern Abend in der Funkstation an; mit einem ziemlich kryptischen Hinweis darauf, dass du sie erhalten sollst. Es hat ein Weilchen gedauert, bis wir das begriffen."
Obi-Wan griff zögernd nach der Disk.
Es gab nur eine Person, die wusste, dass er sich auf Tatooine versteckte. Hatte sie gute oder schlechte Nachrichten für ihn?
Was habt Ihr mir mitzuteilen, Hoheit, dass Ihr das Risiko eingeht, Kontakt mit mir aufzunehmen und mich dadurch in Gefahr zu bringen?
Kenobis Herz klopfte so laut, dass er meinte, auch Nam könnte es hören. Aber sie sah ihn an wie immer, und er bezwang seine Aufregung und legte die Datendisk beiseite. Er würde die Nachricht in aller Ruhe lesen – später, wenn er sie entschlüsselt hatte, denn Amidala und er hatten bei ihrer Trennung einen Code vereinbart, der ihre Nachrichten schützen sollte. Aber sie hatten auch vereinbart, nur miteinander in Kontakt zu treten, wenn etwas Außergewöhnliches einen von ihnen dazu zwang.
" ... die Sandleute wieder aktiv. ... Ben? ... Ben!" Nams Stimme riss Obi-Wan aus seinen Gedanken.
"Träumst du neuerdings mit offenen Augen, Ben? Das sieht dir gar nicht ähnlich", sagte sie irritiert.
"Tut mir Leid, Nam. Im Moment bin etwas durcheinander. Muss an den außergewöhnlichen Aktivitäten der Sonnen liegen."
Kenobi fuhr sich fahrig mit der Hand über die Stirn.
Nam betrachtete ihn eingehend. "Das ist die erste Lüge, die ich aus deinem Mund gehört habe, Ben", sagte sie plötzlich. Aber es klang nicht vorwurfsvoll, eher mitfühlend und Kenobi war in diesem Augenblick dankbar, dass Nam da war; damit ihn die Einsamkeit der Wüste nicht erdrücken konnte, denn er fühlte sich so hilflos ...
"Es hat mit dem Ding zu tun." Sie deutete mit dem Kopf in die Richtung der Datendisk. "Was es auch bedeuten mag, ich möchte, dass du eins nicht vergisst: ich werde dir helfen, wenn ich kann!"
Nams Stimme war eindringlich und ernst. Obi-Wan lächelte sie dankbar an. "Ich weiß", sagte er leise, "aber ... es gibt Dinge, die man nur mit sich selbst ausmachen kann."
Nam nickte. Sie verstand. Ben konnte und wollte seine Sorgen nicht teilen. Also wechselte sie einfach das Thema.
"Ich muss dir unbedingt das Neuste über Jabba erzählen ..."

   Nam war schon eine Weile fort, als Obi-Wan endlich den Mut fand, die Nachricht zu entschlüsseln.
Er musste nur noch das verflixte Datenpad finden, das er dazu benötigte. Nachdem er seine Behausung durchsucht hatte, fiel ihm schließlich ein, dass er es in der Truhe in seinem Wohnraum untergebracht hatte.
Kenobi kramte in der Truhe herum, die alle möglichen Gegenstände enthielt, die ihm nützlich erschienen waren. Dabei streiften seine Hände ein kühles Stück Metall. Er zuckte zurück, als habe er sich verbrannt.
Er hatte auch Anakins Lichtschwert in die Truhe gelegt, um es an einer Stelle aufzubewahren, die er in der Regel meiden konnte.
Obi-Wan schüttelte verärgert den Kopf und griff wieder in die Truhe. Es ist nur ein Stück Metall, ein toter Gegenstand, schalt er sich. Genauso tot, wie derjenige, in dessen Händen das Lichtschwert früher zum Leben erwacht ist. Es kann dir nichts tun; nur Erinnerungen verstärken. Und das wolltest du ja nicht anders, Obi-Wan!
Endlich fand er das Datenpad und schloss die Truhe.
Kenobi nahm die Disk und schob sie in den Leseschlitz an der Seite des Gerätes. Wirre Zeichen tanzten über das kleine Display, während Kenobi den Entschlüsselungscode eingab. Wenige Minuten später waren aus den Zeichen lesbare Buchstaben geworden. Sie bildeten nur wenige Worte, aber Kenobi spürte ein seltsam unwirkliches Gefühl in sich aufsteigen, während er sie las.

Er lebt, Ritter Kenobi!

stand auf dem grünlich leuchtenden Bildschirm. Obi-Wan musste die Botschaft mehrmals lesen, bis sein Gehirn verarbeitete, was seine Augen sahen: ER LEBT, RITTER KENOBI!
Wenn dort zu lesen gewesen wäre, dass morgen das ganze Universum untergehe ... Obi-Wan wäre nicht schockierter gewesen.
Die bildliche Bestätigung der wenigen Worte in Form eines winzigen, aber gestochen scharfen Hologramms, das die Königin der Nachricht beigefügt hatte und das Obi-Wan jetzt aktivierte, hätte er nicht gebraucht. Das Unbewusste, Verborgene im Wesen des Jedi glaubte das Unmögliche sofort. Aber alles andere sträubte sich gegen die Wahrheit. Kenobi starrte das Hologramm an. Es stellte das Abbild einer vertrauten Gestalt dar. Alles stimmte: die Größe, die Kleidung, die Haltung, nur ...
Obi-Wan Kenobi sah das alte Datenpad an, als würde es jeden Augenblick in seiner zitternden Hand explodieren. Das Bild verschwamm vor seinen Augen. Er kniff sie kurz zu und schüttelte den Kopf, um das betäubende Gefühl loszuwerden, das in sein Gehirn und in seine Knochen kroch.
Anakin lebte!
Das konnte nicht sein! Es durfte nicht sein! Niemand überlebte einen solchen Sturz in kochendes Erz. Die Person, die du da siehst, ist nicht Anakin. Sie haben irgendwen in ein Sith-Gewand gesteckt, ihm eine grausige Maske aufgesetzt, um alle zu täuschen ...
Unterschätze niemals die Dunkle Seite, Obi-Wan! hallte Qui-Gon’ s Stimme plötzlich durch seine Gedanken.
Aber es ist trotzdem nicht fair, Meister! dachte Obi-Wan zurück. Er lauschte, aber es kam keine Antwort. Natürlich nicht! Qui-Gon war seit Jahren tot, und er hatte auch zuvor nie geantwortet, wenn Obi-Wan Zwiesprache mit ihm gehalten hatte. Seine Stimme existierte nur in Obi-Wan’ s Erinnerungen. Sie hatte das ausgesprochen, was Kenobi in seinem Innersten schon gewusst hatte, als er die Nachricht das erste Mal las: Die Dunkle Seite forderte nicht nur, sie gab auch, und sie sorgte gut für ihre liebsten Diener.
Findest du das gerecht, Obi-Wan? Was tut die Macht denn für dich? Sie erlegt dir bittere Prüfungen auf, an denen du zerbrechen wirst!
Kenobi seufzte resigniert. War er schon so weit gesunken, dass er an der Macht zu zweifeln begann? Er hatte ihr immer vertraut; und wer hatte jemals behauptet, dass es einfach war, den Wegen der Hellen Seite der Macht zu folgen!
Obi-Wan setzte sich langsam auf einen steinernen Hocker und ließ das Datenpad auf den runden Tisch vor ihm sinken. Was willst du tun, Kenobi? fragte er sich. Es fiel ihm schwer, klare Gedanken zu fassen. Ihm selber war es schon fast egal, was passieren würde, aber es gab andere, an die er denken musste. Die wichtiger waren als er, weil sie vielleicht das Schicksal der Galaxis mitbestimmen konnten.
Er musste so schnell wie möglich nach Naboo! Die Königin brauchte seine Hilfe.
Du musst sie beschützen, Kenobi! Anakin – nein Vader – wird sie aufsuchen. Und auch wenn er ihr nichts tun sollte, wird er ihren Zustand sehen. Er wird sie gegen ihren Willen mit nach Coruscant nehmen. Dann sind die Kinder in seiner Hand. Was denkst du, wird er mit ihnen machen? Obi-Wan hätte am liebsten hysterisch gelacht. Sich diese Frage überhaupt zu stellen! Als wenn es nicht offensichtlich wäre ...
Und Amidala? Sie wird nie zulassen, dass Vader aus ihren Kindern Diener des Bösen macht. Und das wäre ihr Todesurteil.Kenobi wollte nicht, dass die Königin noch mehr Leid erfuhr. Und es gab noch einen Grund. Er hatte die Möglichkeit, eine neue Generation der Jedi hervorzubringen, indem er Amidalas und Anakins Kinder ausbildete. Du hast die Pflicht dazu, sagte er sich energisch. So kannst du dein Versagen bei der Ausbildung Anakins wenigsten etwas wieder ausgleichen. Und deine Schuld verringen. Deine Schuld, dazu beigetragen zu haben, dass die Jedi gnadenlos dezimiert werden; unter tatkräftiger Mithilfe deines ehemaligen Schülers.
Und er schwor sich feierlich, dass er Anakins Kinder besser führen würde, als den Vater. Und wenn er diesen Schwur einmal mit dem Leben bezahlen musste, würde er es mit Freuden tun.


Eine Woche später

   Der Jedi und die Königin standen sich in Amidalas Thronsaal gegenüber und schauten sich einen Moment lang tief in die Augen. Ihr gegenseitiges Verstehen wob ein Band zwischen ihnen, das sie für den Rest ihres Lebens verbinden würde.
Amidala lächelte. "Ich bin froh, dich wiederzusehen, Obi-Wan." Ungezwungen ging sie auf ihn zu und umarmte ihn. Obi-Wan Kenobi war zuerst überrascht, dann erfreut. Er erwiderte die Umarmung vorsichtig, denn die Königin war hochschwanger. Kenobi begriff, warum Amidala auf die Formalitäten verzichtete, mit denen sie früher einander begegnet waren: sie waren Verbündete geworden durch ihr gemeinsames Handeln und Wissen!
"Hoheit ... Amidala!" verbesserte er sich. "Auch ich bin froh zu sehen, dass es dir gut geht. Besser gesagt euch."
Amidala legte liebevoll eine Hand auf ihren Bauch. "Die beiden scheinen es kaum erwarten zu können, auf die Welt zu kommen. Aber ein paar Tage Geduld müssen sie noch haben", sagte sie vergnügt.
Ihre Freude verging allerdings schnell, als sie daran dachte, unter welchen Umständen sie Kenobi wiedersah.
"Was soll ich tun, Obi-Wan? In diesem Stadium lässt sich meine Schwangerschaft nicht mehr verbergen. Ich bin zwar schon lange nicht vor meinem Volk erschienen, aber meine engsten Vertrauten wissen davon. Und es wäre ein Wunder, wenn Vader oder der Imperator es übersehen würden, wenn sie ihre Aufmerksamkeit auf mich richten. Ich fürchte, zumindest Vader wird das bald tun. Ich glaube, er hasst mich jetzt; und ich kann ihm das nicht einmal verübeln. Er wird Vergeltung üben wollen ..."
Kenobi wiegte bedächtig den Kopf. "Was du sagst, klingt überzeugend, Amidala. Obwohl ... Anakin ... Vader hat dich einstmals über alles geliebt. Diese Liebe mag im Verborgenen noch schlummern."
"Nein, Obi-Wan! Glühende Liebe kann in ebensolchen Hass verwandelt werden. Anakin existiert endgültig nicht mehr. Er hat sich im wahrsten Sinne des Wortes in Darth Vader verwandelt. Deshalb habe ich Angst. Nicht um mich, aber um die Zwillinge. Die Macht ist sehr stark in ihnen. Wenn sie Vader und dem Imperator in die Hände fallen, dann Gnade uns ..."
Der Jedi nickte müde. "Es gibt nur eine Möglichkeit, das zu verhindern, Amidala. Darum bin ich nach Naboo gekommen. Wir müssen die Kinder gleich nach ihrer Geburt verbergen. Aber zunächst müssen wir dich in Sicherheit bringen. Auf Naboo kannst du nicht bleiben. Wenn Vader deiner habhaft werden will, dann wird er dich zuerst hier vermuten."
"Ja", bestätigte die junge Frau. "Uns bleibt keine Zeit mehr. Aber ich kann Naboo nicht Hals über Kopf verlassen. Ich bin die Königin, ich habe Verantwortung zu tragen ..."
"Ich weiß", sagte Kenobi ernst. "Das lässt sich nicht ändern." Er überlegte lange. Dann huschte ein Lächeln über seine Züge. "Naboo wird seine Königin behalten", sagte er. "Sabé wird deine Rolle übernehmen. Du weißt, dass sie das kann. Wir werden nur wenige in diese Täuschung einweihen müssen; nur die, die auch von deiner Schwangerschaft wissen und die, denen du absolut vertrauen kannst. Alle anderen werden nichts merken."
Amidala sah Kenobi einen Augenblick verblüfft an. Im ersten Moment wollte sie mit Freude seinem Vorschlag zustimmen, weil ihr diese Lösung so verlockend erschien. Aber ...
"Nein, Obi-Wan!" sagte sie ernst. "Das kann ich nicht zulassen. Ich bin nicht bereit, Sabé in ihr sicheres Verderben gehen zu lassen. Ich bin mir sicher, dass sie tun würde was immer ich verlange, aber ich kann mein Gewissen nicht auch noch mit ihr belasten. Vader wird ihr etwas antun; in jedem Fall. Er kann nicht lange getäuscht werden. Spätestens wenn er vor ihr steht, wird er die Wahrheit erkennen. Dann wir er sie zwingen, ihm zu sagen, was mit mir geschehen ist. Sie kann ihm nicht widerstehen und er wird sie nicht verschonen, wenn er weiß, was er wissen will!"
Obi-Wan Kenobi seufzte, aber er konnte die Beweggründe Amidalas verstehen. Er bewunderte sie sogar für ihre Haltung. Aber sie musste von der Bildfläche verschwinden.
"Nun gut", sagte er. "Dann wist du sterben müssen. Schau mich nicht so an! Natürlich nicht wirklich. Aber Königin Amidala von Naboo wird einer schweren Krankheit erliegen, die sie schon länger gequält hat. Das würde auch erklären, warum du nicht mehr an die Öffentlichkeit gegangen bist. Und es würde dir Vader vom Hals halten. Wenn er erfährt, dass du tot bist, dann ist seine Rache gegenstandlos geworden."
Amidala dachte lange über Obi-Wan’ s Vorschlag nach. Schließlich nickte sie. "Na schön. Diese Täuschung widerstrebt mir, aber ich sehe keine andere Möglichkeit. Amidala wird sterben. Wir werden nur Sabé, Captain Panaka und meinen Leibarzt einweihen. Die anderen werden sich zwar wundern, aber keine Fragen stellen. Sabé wird die Regierungsgeschäfte übernehmen, bis ein neues Staatsoberhaupt gewählt wird. Sie ist von adligem Geblüt und kann eine Interimsregierung führen. Captain Panaka muss Bescheid wissen, um uns einen heimlichen Abflug von Naboo zu garantieren, und um meine ... Beerdigung zu arrangieren. Und mein Arzt wird meinen Tod bescheinigen." Amidala lächelte kläglich. Es hat nicht jeder die Möglichkeit, sein eigenes Ableben zu planen, sagte sie sich in einem Anflug schwarzen Humors.
"Aber was ist, wenn Vader nach Naboo kommt?" fragte sie unsicher.
"Auch wenn er nach Naboo käme, um sich selbst zu überzeugen ... Er wird dein Grab finden und die Bevölkerung Naboos in Trauer. Panaka, Sabé und dein Arzt müssen ihm eben aus dem Weg gehen, damit ihre Gefühle sie nicht verraten können; und das sollte machbar sein!" sagte Kenobi überzeugt.
"Aber wo soll ich hin, Obi-Wan?" fragte Amidala den Jedi. "Die Geburt der Zwillinge steht unmittelbar bevor. Ich brauche Hilfe!"
"Lass das meine Sorge sein. Ich habe mir schon einen Plan zurecht gelegt. Aber ich möchte ihn dir noch nicht erläutern. Wenn du nicht weißt, wohin ich dich bringe, dann kann es hier auch niemand anders erfahren. Ich weiß, dass du wissentlich nicht darüber reden würdest, aber vielleicht aus Versehen. Das Risiko ist einfach zu groß."
Amidala entgegnete darauf nichts. Sie wusste, dass Kenobi recht hatte. Da nun alles abgemacht war, war es an der Zeit, den Plan umzusetzen. Sie ging zu ihrem Thronsitz und betätigte den Schalter für das palastinterne Kommunikationssystem. Wenige Augenblicke später trat ein Bediensteter ein und die Königin begann ihm ihre Anweisungen zu geben ...


Ein Monat später

   Amidala lag entspannt in ihrem großen Bett und ließ sich die Morgensonne auf das Gesicht scheinen. Seit Obi-Wan sie nach Alderaan gebracht hatte, konnte sie wieder so etwas wie stilles Glück empfinden. Ihre Kinder und sie waren in Sicherheit bei der königlichen Familie der Organas. Kenobi war sehr gut mit Bail Organa befreundet, und Bail war sofort bereit gewesen, Amidala aufzunehmen. Sie lebte unauffällig und behütet im Palast.
Die Geburt der Zwillinge war problemlos verlaufen. Jetzt waren die beiden gut drei Wochen alt. Sie waren angenehme Kinder. Amidala fragte sich manchmal, ob sie nicht ein wenig zu ruhig waren. Aber wahrscheinlich würde sich das schneller ändern als ihr lieb war.
Wie um das zu bestätigen, fing ihr Junge – Luke hatte sie ihn genannt – leise an zu weinen. Amidala erhob sich, warf sich ihren Morgenmantel über und trat an die große Doppelwiege, die neben ihrem Bett stand.
Lukes Schwester Leia schlief noch und ließ sich auch nicht davon beeindrucken, dass Luke zu strampeln anfing. Amidala nahm ihn in die Arme und wiegte ihn leicht. Wenig später hörte Luke mit dem Weinen auf und sah sie mit seinen großen blauen Augen an. Es gab Amidala jedes Mal einen Stich ins Herz, wenn sie in diese Augen sah; Augen wie Anakins!
Was hätte sie dafür gegeben, ihr Glück mit ihm zu teilen.
Amidala warf einen Blick auf Leia. Auch sie war jetzt wach und sah Amidala aufmerksam an. Sie hat meine Augen, und ich glaube, sie wird mir sehr ähnlich werden, dachte die junge Frau. Und Luke wird nach seinem Vater gehen ... Sie sollte stolz darauf sein, aber sie empfand auch Unruhe. Wer wusste, wie beide Kinder sich letztlich entwickelten? Sie konnte nur hoffen, dass ihre Erziehung und später ihre Ausbildung zu Jedi die Weichen richtig stellten ...
Amidala nahm Leia in den anderen Arm und ging mit beiden Kindern zu dem großen Fenster ihres geräumigen Schlafraums.
Sie blickte auf den See, in dessen Mitte sich Aldera – die Hauptstadt Alderaans – befand und beobachtete das Treiben auf dem Wasser. Schnellboote und Fähren befuhren den kreisrunden Kratersee, der vor Urzeiten durch einen Meteoreinschlag entstanden war. Sie transportierten Besucher, Einwohner, Nahrungsmittel und andere Dinge.
Man konnte Aldera auch aus der Luft oder über große Brücken erreichen. Viele zogen den Luftweg vor und genossen das Erlebnis, die Hauptstadt – die man auch Weiße Stadt hätte nennen können – in voller Pracht zu bewundern.
Amidala konnte sich erinnern, dass sie Aldera vom ersten Augenblick an ins Herz geschlossen hatte. Die Stadt strahlte eine ungeheure Ruhe und Reinheit aus und erinnerte die junge Frau durch ihre sanften, runden Formen an Theed.
Alle Bauwerke waren strahlend weiß, und an windstillen Tagen spiegelten sie sich im kristallklaren Wasser des Sees, so dass es den Anschein hatte, unter Wasser befinde sich eine zweite Stadt.
Amidala befand sich in einem der höchsten Gebäude und hatte deshalb einen weiten, atemberaubenden Blick über das Land. Der Kratersee lag in einer Grasebene, die sich von Horizont zu Horizont erstreckte und von den verschiedenartigsten Wesen bewohnt wurde.
Auf Alderaan herrschte eine nahezu perfekte Harmonie zwischen den Bewohnern der Pflanzen-, Tier- und Menschenwelt.
Alderaan war wunderschön, erinnerte Amidala aber häufig an ihren Heimatplaneten Naboo. Sie sehnte sich nach Naboo. Sie hatte dort alles hinter sich lassen müssen: Familie, Freunde, Heim ... Aber sie hatte ihre Erinnerungen, und sie war sich sicher, dass Alderaan ihre zweite Heimat werden würde. Sie fühlte sich hier sehr geborgen; was nicht zuletzt an der Herzlichkeit lag, mit der sie von den Organas aufgenommen worden war und umsorgt wurde. Sie war schon nach kurzer Zeit ein Teil der Familie geworden.
Deshalb war sie zufrieden mit ihrem neuen Leben, obwohl es seltsam für sie war, ihrer Verantwortung als Königin von Naboo enthoben worden zu sein. Jetzt war sie nur noch für zwei Leben verantwortlich, aber diese Aufgabe nahm sie vollkommen in Anspruch.
Luke begann wieder unruhig zu werden. Er zog an Amidalas Haaren und schien einen ungeheuren Spaß daran zu haben, Haarsträhnen um den obersten Knopf ihres Morgenmantels zu wickeln.
Amidala lächelte und ließ die Macht durch sich strömen. Sie hatte nie eine Jedi-Ausbildung erhalten, aber sie nutzte die Macht intuitiv. Viel öfter noch ließ sie sich von der Macht vertauensvoll leiten. Manchmal bereute sie, keine Jedi zu sein. Dann würde sie ihre Kinder selber ausbilden können. Aber man konnte in Zeiten wie diesen Versäumtes nicht einfach nachholen. Sie würde sich mit dem Wissen begnügen müssen, dass ihre Zwillinge machtbegabt waren, dass sie schon jetzt mit der Macht verbunden waren, ohne irgendetwas dafür zu tun. Amidala spürte ihre Kinder als warme, leuchtende Präsenzen, wenn sie sich durch die Macht mit ihnen verband. Von Leia und Luke ging etwas aus, dass nicht in Worte zu fassen war. Aber machte sie das nicht auch verwundbar? Auch andere konnten ihre Kinder möglicherweise spüren ... Und diesen anderen würde sie ihre Kinder niemals überlassen.
Sie hörte die schlimmsten Berichte über das Treiben des Imperiums ... und noch Schlimmeres von ihm ...
Amidala vertrieb diese Gedanken. Luke und Leia waren doch noch so klein! Hier auf Alderaan sollten sie sicher sein ...


Drei Monate später

   Nicht nur Amidala machte sich Gedanken über die Sicherheit der Geschwister. Auch Obi-Wan Kenobi dachte immer wieder daran, ob die Zwillinge auf Alderaan versteckt genug aufwuchsen. Er hatte die Königin verlassen, als Luke und Leia ein paar Tage alt waren, um sich wieder nach Tatooine zurückzuziehen, denn Alderaan beherbergte zu viele Imperiale; durch Bail Organas Mitgliedschaft im Senat bedingt. Ein heißes Pflaster für einen Jedi-Ritter, zudem für einen, der Obi-Wan Kenobi hieß.
Die Zwillinge waren schon bei ihrer Geburt außerordentlich gewesen. Obi-Wan hatte mit Freude festgestellt, dass seine Erwartungen in Bezug auf die Machtbegabung sowohl bei Leia als auch bei Luke zutrafen, ja noch übertroffen wurden.
Kenobi hatte Alderaan mit einem befreiten Gefühl verlassen. Er konnte wieder hoffnungsvoller in die Zukunft blicken.
Nach einiger Zeit kamen jedoch die ersten Zweifel. Waren Leia und Luke auf Alderaan tatsächlich sicher? Der Imperator verfügte über einige Häscher, die Machtbegabte aufspüren konnten. Und da sowohl die Zwillinge, als auch Amidala solche Personen waren, waren sie umso mehr gefährdet, weil sie beisammen waren.
Also musste man sie trennen.
Schweren Herzens machte Obi-Wan Kenobi sich auf den Weg nach Alderaan. Er hoffte inbrünstig, dass Amidala seine Beweggründe verstehen würde...

   Sie tat es, auch wenn sie dabei innerlich zerbrach.
Obi-Wan Kenobi entschied sich nach langem Zögern für den Jungen, so schwer es ihm auch fiel, zwischen den Kindern wählen zu müssen. Aber man durfte sie nicht zusammen lassen. Gemeinsam würden sie im Laufe der Jahre einen Pol der Macht bilden, den Wissende nicht lange übersehen würden. Das Risiko war zu groß, dass auch Vader oder der Imperator die Kinder aufspürten. Wenn man sie trennte, dann war diese Gefahr etwas gemindert.
Und Obi-Wan hatte eingesehen, dass er nicht beide Kinder zur gleichen Zeit zu Jedi ausbilden konnte. Schon seit Jahrhunderten hatten Jedi-Meister nur einen Padawan in ihrer Obhut. Vor Jahrtausenden war das noch anders gewesen. Aber jetzt musste er eine Wahl treffen.
Hoffentlich hast du dich richtig entschieden, Kenobi. Was, wenn das Mädchen stärker ist? Wenn ... Er konnte keinen Unterschied spüren, aber dennoch war da eine große Unsicherheit.
Amidala nahm ihm schließlich die letzten Zweifel.
"Nimm Luke mit, Obi-Wan", sagte sie zu ihm. "Auch wenn es mir das Herz zerreißt, eines meiner Kinder weggeben zu müssen. Aber ich spüre, dass er ein großer Jedi werden wird, wie sein ... Vater. Lass mir Leia. Sie ist noch so klein und zerbrechlich. Sie wird hier auf Alderaan aufwachsen, in der königlichen Familie der Organas ... Und ich werde wenigstens für eines meiner Kinder eine gute Mutter sein können!"

   Also nahm Obi-Wan Kenobi Luke mit nach Tatooine. Er gab ihn in die Obhut von Beru und Owen Lars; einem jungen Farmer-Ehepaar, mit dem er sich angefreundet hatte. Beru hatte vor Kurzem ihr erstes Kind verloren. Der Säugling hatte nur ein paar Tage gelebt. Während der bodenständige Owen mit diesem Verlust recht gut fertig wurde, war die sensible Beru seitdem in sich gekehrt und noch stiller geworden. Obi-Wan hatte diese Entwicklung als Fügung der Macht angesehen, denn so war Beru in der Lage, sich um ein anderes Kleinkind zu kümmern. Und Kenobi wusste, dass sie Luke wie ihren eigenen Sohn behandeln würde.

   Ein wenig erzählte Obi-Wan den Lars’ über die vergangenen Ereignisse; aber nur so viel, dass sie immer wachsam blieben was den Jungen betraf. Das musste zunächst genügen. Vielleicht würde er ihnen im Laufe der Zeit mehr erzählen ... Zudem war er selbst ja auch in der Nähe. Er würde ebenfalls auf Luke aufpassen.
Der Junge würde als Farmer aufwachsen – fernab vom Imperium, das Tatooine ignorierte, weil der Planet keinen Wert hatte – und von seinen Fähigkeiten und seiner Herkunft nichts ahnend, bis der entscheidende Tag kommen würde ... Obi-Wan Kenobi glaubte ganz fest daran, dass die Macht ihm zu gegebener Zeit einen Anstoß geben würde. Natürlich war er sich über die Risiken im Klaren. Luke mochte dann schon viel zu alt sein, um zu einem Jedi ausgebildet zu werden. Vielleicht war auch Anakin damals tatsächlich schon zu alt. Üblicherweise wurden Machtbegabte früh – als Kleinkinder – auf ihren Weg als Jedi vorbereitet, weil sie dann noch zu formen waren, ihre Persönlichkeit ihnen noch nicht im Weg stand und ein geeigneter Meister für sie gefunden werden konnte.
Du bist ein schöner Meister, Obi-Wan. Wo du so ein großes Talent dazu hast!
Aber anders ging es nicht. Luke konnte nicht schon jetzt ausgebildet werden. Die Jagd auf die Jedi hatte noch nicht einmal ihren Höhepunkt erreicht und sie würde voraussichtlich noch Jahre lang weitergehen. Es war einfach zu gefährlich für einen Jedi, seine Aufmerksamkeit einem neuen Padawan zu widmen; so egoistisch das auch war. Und Luke war noch ein kleines Kind. Er musste versorgt werden. Obi-Wan konnte das nicht. Nein, Lukes Ausbildung musste aufgeschoben werden.

   Dass diese Entscheidung richtig war, zeigte die folgende Zeit.
Sogar auf Tatooine trafen vermehrt Meldungen ein, dass die Jagd auf die Jedi von Woche zu Woche an Intensität zunahm. Obi-Wan hörte von Nam die grausigsten Geschichten, und mit jedem Mal wurde seine Trauer und Verzweiflung größer, aber auch seine Wut.
Wut darüber, dass so etwas überhaupt geschehen konnte, darüber, dass niemand diesem Treiben ein Ende bereitete, Wut über seine eigene Hilflosigkeit und den Zwang, sich verbergen zu müssen. Obi-Wan fragte sich oftmals, ob die Jedi nicht selbst Schuld hatten an ihrer jetzigen Situation. Immerhin war Palpatine nicht von Heute auf Morgen Imperator geworden. Eine einzige gemeinsame Aktion der Jedi hätte Palpatines Treiben schon frühzeitig ein Ende bereiten können. Statt dessen hatte sich der Rat in endlosen Debatten über das Für und Wider eines solchen Vorgehens verloren ... bis es zu spät war. Palpatines Macht wuchs ins Unermessliche und schließlich hatte er den Rat indirekt dazu gezwungen Coruscant zu verlassen. Bedeutete das nicht, dass der Rat seine Machtlosigkeit eingestehen musste?
Es gab für einen Jedi augenscheinlich keine andere Möglichkeit, als zu versuchen, das eigene Leben zu retten und auf eine bessere Zukunft zu hoffen.
Obi-Wan Kenobi würde darauf allerdings nicht nur hoffen ... Er würde auch etwas dafür tun. Er würde über Luke Skywalker wachen und ihn zu gegebener Zeit mit der Macht vertraut machen. Obi-Wan glaubte ganz fest daran, im entscheidenden Moment das Richtige zu tun ...


Wie es schließlich weiterging, wissen wir alle ...

Dairyû 9/99 4/2001