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STURZ AUS ASGARD

Von Roxanne
Mai 1999

Warnung: Diese Geschichte enthält die Schilderung von Gewalt und Sex. Sie wurde nicht für Minderjährige geschrieben oder für Leute, die in diesen Dingen empfindlich sind. Wer trotzdem weiterliest, ist selber schuld. Wer allerdings mit so deutlichen Beschreibungen rechnet wie in einigen der englischen Stories, wird enttäuscht werden. ;-)))) Daran arbeite ich noch ;-))))))))).

Zugehörigkeit
Highlander - Die Serie

Zeitpunkt
805 AD, Beginn der Wikingerzüge

Vorkommende Charaktere
Methos

Vorwort
Verzeiht mir bitte alle Rechtschreib- und Tippfehler, ich habe leider nur eine englische Rechtschreibprüfung.
Konstruktive Kritik ist mir willkommen, über Lob und Fragen freue ich mich
Wer allerdings glaubt mich und/oder meine Geschichte durch den Schlamm ziehen zu müssen, der wird einfach ignoriert.

Ein ganz großes Dankeschön geht an Christina fürs Beta-Lesen und die schöne Zusammenarbeit.

Disclaimer
"Highlander" sowie alle damit in Verbindung stehenden Namen und Charaktere sind Eigentum von Rysher Entertainment, Davis/Panzer Productions, Inc. Diese Story ist für Fans geschrieben, und ich verdiene nichts daran.

Sigrun und Jeoffrey sind meine eigenen Charaktere

Quellen:
Wikingersaga von Pörtner
Die Edda
Bild der Jahrhunderte von Zierer


 

I.
Das falsche Dorf


Nordeuropa, ca. 805 A.D. Beginn der Wikingerzüge

Gegen Ende des Sommers machten sie sich auf den Heimweg. Diesmal waren sie bis zur
Iberischen Halbinsel vorgedrungen, 3 Drachenboote mit je 30 Mann Besatzung. Kleine Schiffe im Vergleich zu den großen Drachen, dafür schnell und wendig.

Die übrig gebliebenen Bewohner einiger Dörfer und kleinerer Städte würden sie noch eine Weile verfluchen . Mit dem Recht des Stärkeren waren sie über sie hinweggefegt wie der Nordwind. übers flache Land. Sie wußten, daß die Wikinger aus dem Norden immer wieder kamen. Aber niemals waren sie vorbereitet; immer bot sich den Seewölfen reiche Beute. Die Götter waren auf der Seite der Wölfe. Nicht auf der der Schafe.

Die mit einigen Sklaven, Stoffen, Wein, Getreide und etwas Gold beladenen Boote tasteten sich immer in Sichtweite der Küste nach Norden zurück. Um die Städte machten sie einen größeren Bogen. Wäre doch schade, aus Unvorsichtigkeit die Beute wieder zu verlieren.

Keiner der Männer dachte allerdings auch nur entfernt an die Möglichkeit einer Niederlage,
solange sie mit Sigrun fuhren. Sie sahen in ihr die von Odin gesandte Walküre, unter deren Führung sie unbesiegbar waren. Und Sigrun teilte ihre Meinung, sie glaubte an ihre Bestimmung als Gesandte der Götter.

Wie wäre es sonst zu erklären, daß ihre Wunden in kürzester Zeit heilten? Man konnte dabei zusehen! Wie sonst das plötzliche Gewitter, das zuckende Blitze in ihren Körper geschickt hatte, nachdem sie einem Herausforderer den Kopf abgeschlagen hatte? Wer konnte die Blitze der Götter überleben? Und schon zweimal hatten die Wellen der Nordsee sie verschont.

Odin wollte die Treue der Dänen belohnen - durch ihre Hilfe!

Die Boote legten nur dann an, wenn sie die Vorräte auffrischen mußten. Den ganzen Tag über war es windstill und drückend gewesen. Am späten Nachmittag ballten sich schwarze Wolken am Horizont und innerhalb weniger Minuten brach ein Gewittersturm über sie herein. Die Wellen schienen genauso schwarz zu sein wie die Wolken, kaum waren Meer und Himmel zu unterscheiden. Wenn da nicht die gewaltigen Schaumkronen gewesen wären, deren Gischt sie bis auf die Haut durchnäßte. Ran hatte ihre Rosse losgelassen und die Netze ausgelegt. Sicher würde sie in diesem Sturm einige Tote mit sich nehmen in ihr nasses Reich. Schon nach kurzer Zeit hatten sich die drei Schiffe aus den Augen verloren. Wer konnte sagen, welches davon wieder am dänischen Strand anlegen würde?

Sigrun stand mit ihrem Steuermann am Ruder, gemeinsam kämpften sie gegen die Gewalt der See. Das Wasser tropfte aus ihren Haaren, lief in die Augen, übers ganze Gesicht. Ihre Haut prickelte vor Kälte. Sigrun lachte. Sie liebte den Sturm und den Kampf. Dann fühlte sie sich am lebendigsten. Und sie wußte, daß das Meer ihr Verbündeter war, auch wenn es Opfer verlangte.
Als sich der Sturm ausgetobt hatte, waren sie allein. Es gab keine Möglichkeit, die anderen Schiffe wiederzufinden. In diesem Fall wußte jeder Schiffsführer, daß er auf sich allein gestellt war und nach Hause segeln sollte.

Das Unwetter hatte sie durchnäßt und frierend zurückgelassen. Sigrun´s Boot war weit abgetrieben, sie fanden nur mit Mühe zur Küste zurück. Die Lebensmittel waren durchweicht oder weggespült worden. Also mußten sie etwas zu essen finden und einen Platz, um die Schäden an ihrem Boot zu beheben .
In der ersten Morgendämmerung gelangten sie wieder in die Nähe des Festlandes. Undeutlich war die Mündung eines kleinen Flusses zu erkennen. Das wäre ein geeigneter Ankerplatz. Bewaldete Hügel zogen sich am Fluß entlang. Hier gab es Holz genug. Als sie näher kamen, hoben sich die Umrisse einiger Hütten vom grünen Hintergrund der Felder und des Waldes ab. Es gab also auch ein Dorf.

Nicht groß, vielleicht 15 Hütten. Ein Stück oberhalb des Dorfes stand das einzige Haus, daß aus Steinen errichtet war. Ein Turm, ein angebauter Stall und 2 kleine Nebengebäude waren ebenfalls von den hölzernen Palisaden umgeben.
Der Morgennebel hing noch in den Bäumen und ließ schon den Herbst ahnen. Die Dorfbewohner schliefen noch. In völligem Schweigen gingen sie an Land und näherten sich vorsichtig der Ansiedlung. Sie teilten sich, um Dorf und Festung gleichzeitig angreifen zu können.

Noch ein Moment atemloser Spannung, dann rannten. sie auf die Hütten zu. Sie schlugen ihre Waffen gegen die Schilde, heulten wie Wölfe und machten überhaupt soviel Lärm wie möglich. Ohrenbetäubend nach der morgendlichen Stille. Die Palisade konnte die Wikinger nicht aufhalten. Bevor die ersten Männer aufgeschreckt aus dem Haus liefen, hatten die Angreifer das Hindernis schon überwunden.

Nur so wenige Gegner? Es war kaum Kampf zu nennen! Auch vom Dorf her schallten die Schreie der Seewölfe siegessicher herauf. Der erste Ansturm kostete einige der Landleute das Leben. Die übrigen sollten verschont werden. Sie wurden noch gebraucht.
Zwei der Hütten gingen in Flammen auf. Die Frauen drückten ihre Kinder an sich und versuchten, sie zu beruhigen. Die Männer hatten allen Widerstand aufgegeben und wurden von den Dänen in eine der größeren Hütten gesperrt und von einigen Kriegern bewacht. Die Übrigen durchsuchten Festung und Hütten nach Vorräten und Werkzeug. Ein paar der gefangenen Frauen mußten sich um die Kochfeuer und das Frühstück kümmern.

Auf ihrem Rundgang kam Sigrun zum Stall. Er bot Platz für mehr als 20 Pferde..... aber nur 6 standen dort.
Wo zum Teufel waren die restlichen Pferde und ihre Reiter!
Sie machte auf der Stelle kehrt.

"Bjarne! Die Pferde sind weg. Deshalb waren so wenig Bewaffnete hier. Paßt auf die Gefangenen auf und sammle die Männer hier oben Beeilt euch!"

Er nickte ihr zu und nahm sein Horn vom Gürtel.

Der Ruf eines anderen Hornes vom Waldrand her kam ihm zuvor. Den überraschten Kriegern blieb kaum Zeit, die Helme zu befestigen und nach den Schilden zu greifen, da brachen die Reiter aus dem Unterholz hervor.

Verdammt, Reiter waren immer gefährlich für Kämpfer zu Fuß! Und ihre Leute waren verstreut über das ganze Gelände, es blieb keine Zeit zum Sammeln, keine Zeit, eine Verteidigung zu organisieren.

Die Reiter waren schon ganz nah. Ein Stück hinter ihnen rannte das Fußvolk. Jeder der Wikinger würde dort kämpfen müssen, wo er gerade war, auf sich allein gestellt. Und doch zweifelten sie - und besonders Sigrun - nicht daran, daß die Götter auch diesmal mit ihnen sein würden.

Da war es wieder, dieses Gefühl, daß sie bisher nur einmal gespürt hatte. Es war, als ob sich die Brecher einer stürmischen See direkt in ihrem Kopf überschlugen. Jeder Gedanke wurde zur Anstrengung.

"Versucht die Pferde zu treffen. Holt sie runter!"

Dann waren sie über ihnen. Der Führer der Reiter starrte den Krieger mit dem kunstvoll verzierten silbernen Halsschmuck aus schmalen Augen wütend an. Sein Schwert klirrte gegen den Schild, der die Raben Odins zeigte... Er drängte sein Pferd gegen ihn und wollte ihn zu Fall bringen. Im Stürzen warf der Wikinger den Schild weg, rollte sich unter dem Pferdebauch hin und her, versuchte das stampfende Tier zu treffen und gleichzeitig den Hufen über ihm zu entgehen. Mit einen Riesensatz sprang das Tier über ihn hinweg. Der Reiter sprang ab und landete sicher auf beiden Füßen. Die beiden Kämpfer hatten jeden Überblick über das Kampfgeschehen verloren, aber der Lärm und die Schreie schienen abzunehmen.

Der Wikinger war schneller auf den Füßen als sein Gegner erwartet hatte. Sie schlugen verbissen aufeinander ein. Nach kurzem gegenseitigem Abtasten war klar, wer über die größere Reichweite verfügte. Der Verteidiger des Dorfes traf mit einem tiefgeführtem Schlag das Knie des dänischen Räubers, dem die Beine wegknickten. Der Reiter hob sein Schwert zum letzten Schlag. .Ein böses Lächeln glitt über sein Gesicht. So hatte der Wikinger selbst viele Male seine Gegner angesehen, bevor....

" Worauf wartest Du? Schick mich zu meinen Göttern."

"Das wäre zu leicht für Dich."

Sein Schlag traf nur das Schwert und schleuderte es weit weg. Er trat mit Wucht gegen den Helm des Dänen und fesselte ihn, bevor er wieder zu sich kommen konnte. So ungewöhnlich schmale Hände, an denen die barbarischen , prachtvollen Ringe zu groß wirkten; glatte Arme, beinahe zarte Handgelenke? Das passte ganz zu dem Eindruck, den er während des kurzen Kampfes gewonnen hatte. Zuerst wollte er den Helm abnehmen, aber
dann ließ er es sein. Warum sollte er sich die Überraschung nicht noch ein wenig aufheben?

Die Reiter hatten gesiegt. Sigrun vermisste viele ihrer Leute, als sie in die Halle der Festung gebracht wurden. Gefesselt, aus vielen Wunden blutend, schmutzig und fassungslos.
Sie waren eindeutig nicht beliebt hier. Drohendes Murren erhob sich, als die Räuber die Halle betraten. Sie wurden beschimpft, geschlagen und dabei weiter zum Hochsitz des Herrn gedrängt.

Ja, es war ihr Gegner . Er saß entspannt auf seinem Sitz, die langen Beine weit von sich getreckt und unterhielt sich angeregt mit dem Krieger neben ihm. Halblange braune Haare,
braune Augen, ein scharfgeschnittenes Gesicht. Die Kleidung war einfach, ohne viel Gold und Prunk. Hellbraunes Leinen, dunkle Stiefel, ein dunkles Lederwams. Die Kleidung eines Kriegers, der Prunk nicht nötig hat.

" Ah, da kommen ja unserer ungebetenen Gäste." Er stellte den Becher ab, stand mit einer geschmeidigen Bewegung auf und stieg die 2 Stufen zu ihnen herab.

"Bevor ich euer Urteil verkünde, will ich doch sehn, was wir da gefangen haben." Er ging langsam um sie herum, blieb vor Sigrun stehen.

"Du bist also der Anführer dieser Seewölfe! Runter mit dem Helm!"

Eine der Wachen nahm ihr den Helm ab, der auch die oberer Hälfte des Gesichtes verdeckt hatte... Die langen Haare lösten sich … Er griff ihr ins Haar, wickelte es um seine Hand und zog ihr den Kopf in den Nacken.
"Oh, ich sollte sagen: die Anführerin! Welche Überraschung. "

Eine Hand löste die Schnallen , die den Lederharnisch hielte, die andere war in ihr Haar gekrallt. Schon während des Kampfes hatte er es vermutet: kein er, eine sie...Und er freute sich darüber.

Diese hier war von seiner Art. Das bot ihm noch viel mehr Möglichkeiten, sie seine Macht spüren zu lassen als bei den Sterblichen, versprach noch reizvoller zu werden.

" Wenn Du gewaschen bist, könntest Du sogar schön sein. " Das leichte Lächeln erreichte nicht seine Augen, die sie kalt musterten. Noch niemand hatte gewagt, sie so anzusehen.
Ihr wurde heiß vor Zorn.

"Du weißt nicht, mit wem Du redest. Nimm Deine Hände von mir und fürchte die Rache der Götter!"

"Nun, dann sag mir ,mit wem ich spreche?" Der Hohn in seiner Stimme machte sie rasend.

"Ich bin Sigrun, Tochter Hegnis aus Dänemark. Vor allem aber bin ich Odins Tochter. Er hat mich geschickt. Ihr werdet es nicht wagen, uns anzurühren, sonst werden euch alle seine Blitze vernichten!"

"Ihr seid Räuber und Mörder! Du bist die Führerin von Räubern und Mördern. Die Rache Deiner Götter bedeutet mir nichts, denn ich kenne Deine wahre Natur." Er hatte die Hand aus ihrem Haar gelöst und schlug ihr mit dem Handrücken ansatzlos und hart ins Gesicht. Sie taumelte gegen Bjarne, konnte sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Das Blut aus der aufgeplatzten Lippe lief über ihr Kinn. Sie wünschte sich nichts mehr als die Hände frei zu haben!

Ein Raunen ging durch die Reihen der Landleute. Sie wichen zurück, einige stöhnten. Sigrun´s Brüder sahen sich herausfordernd um, sie kannten das schon und wußten, wie es auf andere wirkte. Sie konnte fühlen, wie sich ihre Wunde schloß. Kleine weiße Lichter zuckten darüber hinweg, dann war die Haut wieder unversehrt. Triumphierend sah Sigrun ihren Feind an.

"Daran erkennst Du, das die Götter mich nicht verlassen haben. Deine Leute haben Angst vor mir! Laß uns frei, gib uns Holz und Vorräte und ich werde den Zorn Odins von euch nehmen."

Seltsam war nur, daß er kein Erstaunen zeigte, die Belustigung und der Spott nicht aus seinen Augen weichen wollten.

So war das also. Sie wußte nichts von ihrer Unsterblichkeit. Sie führte alles Seltsame, was damit verbunden war, auf den Willen ihrer Götter zurück. Interessant! Wie würde sie wohl beim Aufwachen reagieren, nachdem er sie getötet hatte? Einmal? Mehrmals? Das käme ganz darauf an.

"Du glaubst, ich bin beeindruckt? Ich werde dir zeigen wie sehr ich mich fürchte."

Er nickte dem großen blonden Krieger zu, der neben ihm gesessen hatte. Beide zogen ihre Schwerter. Wortlos griffen sie sich 2 der Gefangenen und fast gleichzeitig stießen sie zu.
Die beiden waren tot, noch ehe ihre Körper zu Boden fielen. Sie säuberten ihre Klingen an den Gewändern der Toten. Er trat wieder vor Sigrun hin.

"Mein Name ist Methos. Ich warte auf den Zorn Deiner Götter

Nichts geschah. Keine Blitze, kein Donner.

"Wo bist Du, Odin, wenn ich Dich brauche wie nie zuvor.? "schrie es in ihr.

Seine Augen verengten sich, glitzerten in wieder erwachter Grausamkeit, sein Gesicht war starr und ausdruckslos. Er legte seine Hände um ihre Kehle, tastete nach den pochenden Adern, die durch die helle Haut schimmerten. Er fühlte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. Sehr langsam drückte er zu, immer fester. Der Ausdruck in ihren Augen veränderte sich: ungläubig, fassungslos zuerst, dann begreifend und zuletzt ... Angst.

Das Blut rauschte in ihrem Kopf, alles begann sich zu drehen .War dieses Gesicht über ihr das Gesicht des Todes? Bevor sie bewußtlos wurde, hörte sie ihn sagen: "Du wirst meinen Zorn kennenlernen!"

Es war wieder wie damals, vor langer Zeit. Und er fühlte sich gut dabei. Sein Herz schlug schneller. Die weiche, seidige Haut unter seinen Händen, die nicht eingestandene Angst in ihren Augen erregte ihn mehr, als er erwartet hatte. Nur noch kurze Zeit……..

"Schafft sie ins Turmzimmer! Über die anderen entscheide ich später."

Die Herrin lag bewußtlos auf den Steinen. Bjarne und Afni knieten neben ihr, wollten sich nicht von ihr trennen lassen.

"Herr, Ihr habt gesiegt. laßt sie und uns frei. Wir können gutes Lösegeld zahlen. Ihr sollt es nicht bereuen. Sie ist die Tochter eines reichen Mannes. Wir werden schwören, nie wieder Eure Küste zu verheeren, wenn Ihr uns gehen laßt!"

Gewaltsam wurden sie auf die Füße gezerrt, weg von ihr.
"Habt ihr jemals auf die Bitten der Besiegten gehört? Nein? Ihr alle werdet euren Überfall bereuen. Und ich bin sicher, daß ihr nie wieder hier auftauchen werdet! Ganz einfach, weil ihr so gut wie tot seid!"

Seine Stimme war ruhig, gelassen, beinah freundlich. Sigrun´s Brüder wurden nach draußen gebracht und im Stall an die Pfosten gefesselt.
Der blonde Ritter hob die Frau hoch und grinste." Soll ich sie auf Dein Bett legen?"
"Nein. An der Wand sind Ketten. Die Schlüssel findest Du in meiner Truhe. So bequem will ich es ihr nicht machen."

 

***

 

Als sie aufwachte, hing sie mit ausgebreiteten Armen an der Wand des Turmzimmers. Ihre Füße erreichten knapp den Boden. .Der Hals und die Handgelenke, die ihr volles Gewicht tragen mußten, schmerzten .Sie konnte kaum schlucken und mußte um jeden Atemzug kämpfen.. Ihre Gedanken überschlugen sich. War denn das alles Wirklichkeit? Waren wir die Unterlegenen? Ich habe also nicht nur geträumt? Er hat gewagt, mich anketten zu lassen?

Langsam fühlte Sigrun, wie ihre Kraft zurückkehrte. Warum war sie noch am Leben? Immer waren ihre Verletzungen in wenigen Minuten geheilt, aber es war noch nie eine tödliche Wunde darunter gewesen. Hatte er sie doch nicht erwürgt?

Während sie langsam in die Wirklichkeit zurückfand, kam auch die Erinnerung an die Furcht wieder. Sie war es nicht gewöhnt, sich zu fürchten. Nur einmal in ihrem Leben hatte sie Angst empfunden, als vor Jahren ihr Boot auf einer Sandbank zerschmettert wurde. Alle anderen waren ertrunken. Sie allein war am nächsten Tag lebend am Strand gefunden worden.

Im Kampf kannte sie keine Furcht. Es machte ihr Freude und sie war jedem Gegner gewachsen. Immer war sie von einem Gefühl der Lebendigkeit, der Macht erfüllt gewesen, daß sie nirgendwo sonst gefunden hatte. Aber heute, als sie in das starre Gesicht mit den erbarmungslosen Augen sah und fühlte, wie ihre Lungen vergeblich nach Luft rangen, hatte sie zu zweitenmal in ihren Leben Angst empfunden.

Es hatte keinen Sinn solchen Gedanken nachzuhängen. Also zwang sie sich zur Ruhe und sah sich um:
Das Zimmer war kreisrund, die dicken Mauern von 2 kleinen Fenstern durchbrochen. Draußen schien die Sonne. Auf der anderen Seite des Raumes stand ein Bett, kunstlos gezimmert, mit Fellen und Decken ausgestattet. Zwei Truhen, rechts und links daneben. Auf der einen standen ein Krug, eine Waschschüssel aus Zinn und 2 Becher.
An der Wand hingen Tierfelle, ein Wolfsfell, ein Bärenfell, der Kopf eines Ebers. Ein paar Speere, eine Axt. Der Boden war mit sauberen Binsen bedeckt.

..Und auf einer der Truhen lagen Rollen. Solche Rollen hatte sie schon einmal gesehen. Es war in der einzigen größeren Hütte innerhalb einer Ansammlung kleinerer, wirklich schäbiger Behausungen. Der kleine, ebenso schäbige Mann hatte versucht, sie in Sicherheit zu bringen. Die silbernen Kerzenleuchter hätte er zurückgelassen und diese Dinger und ein Kreuz aus Holz wollte er retten. Wie lächerlich. Natürlich war es ihm nicht gelungen.
Es waren Schriftrollen! Ihr Feind konnte also wahrscheinlich lesen. Wer gab sich schon mit Lesen ab? Einige der Adeligen und diese Mönche, eigenartige Männer, die dem neuen Gott aus dem Südland angehörten und die keine Waffen führten. Die ihre Feinde lieben sollten - was für ein Gedanke - und sich nicht einmal richtig wehrten, wenn sie überfallen wurden. Wenn dieser Methos sich mit Lesen beschäftigte, konnte er dann wirklich so gefährlich sein?

Sie war gerade dabei, ihre Ketten zu untersuchen, als das Rauschen in ihrem Kopf wieder einsetzte. Die Tür öffnete sich.

"Du bist wieder wach. Dann können wir ja unsere Unterhaltung fortsetzen."
Er schloß die Tür hinter sich und kam langsam näher. Eine große, sehr schlanke Gestalt, längst nicht so kräftig wie die meisten ihrer Krieger. Eigentlich wirkte er nicht bedrohlich, aber sie wußte es jetzt besser.

"Öffne diese Ketten! Vielleicht vergesse ich dann, was Du gewagt hast Du hast kein Recht......"

 "Ich habe jedes Recht über Dich!" Mit einer raubtierhaften Bewegung ergriff er den Krug und schüttete ihr den Inhalt ins Gesicht.

"Damit Du ein bißchen abkühlst!" Er stand gelassen da, die Hände in die Seiten gestemmt. " Wenn Du bisher glaubtest, eine Tochter Deiner Götter zu sein, wirst Du das schnell vergessen müssen. Je schneller, desto besser für Dich. Du bist nur noch eine Sklavin. Meine Sklavin!"

Wieder legten sich seine Hände um ihren Hals. Entsetzt schnappte sie nach Luft. Nicht schon wieder!

Er lächelte, sah ihr in die Augen. " Diesmal .......nicht."

Er tastete im Nacken nach dem Verschluß der silbernen Kette, nahm sie ihr vom Hals, betrachtete interessiert die kunstvollen Ornamente und warf sie auf die Truhe. Dann griff er nach den goldenen Spangen, die ihre Oberarme umschlossen, streifte sie ab. Die Spangen um ihre Unterarme, die Ringe an ihren Händen. Eines nach dem anderen nahm er ihr. Seine Hände streiften leicht ihre Haut. Dann trat er einen Schritt zurück.

Das nasse Hemd klebte an Sigrun. . Sie spürte seinen Blick so wie einen Moment vorher seine Hände.

"Das war nur der Anfang. So wie den Schmuck werde ich alles nehmen! Deinen Körper, Deinen Stolz, Dein Leben. Du wirst lernen, was es heißt, besiegt zu sein."
Seine Stimme war sanft, freundlich, als ob er einem Kind etwas Wichtiges erklären wollte.

Voller Wut und Empörung zischte Sigrun ihn an: "Du wirst aus der Tochter Odins keine Sklavin machen!"

Er lachte amüsiert. Allein dafür würde sie ihn töten. "Ach, Du bist nicht die Erste. Ich habe eine gewisse Erfahrung darin."

Methos ging zum Bett, streckte sich darauf aus, die Arme hinter dem Kopf verschränkt.

"Der Hammer Thor´s wird Dich zerschmettern und Odin´s Raben werden das Fleisch von Deinen Knochen hacken!" knurrte sie ihn an.

"Spar Dir deine Kräfte für später auf. Und sei still, ich will mich ausruhen." Er sah seine Gefangene aus halbgeschlossenen Augen an und wirkte sehr zufrieden mit sich selbst. "Obwohl...Dein Anblick ist eher anregend. Du solltest Dich so sehen."

Er schloß die Augen und atmete nach kurzer Zeit langsam und regelmäßig.
Sigrun war fassungslos. Bisher waren ihr alle Männer mit Respekt, Achtung, oft auch Furcht begegnet. Dieser hier war absolut furchtlos und von unglaublicher Arroganz. Er hatte die Heilung ihrer Wunden erlebt und tat so, als sei das etwas ganz Alltägliches. Kein Erschrecken, noch nicht mal Erstaunen. Dieses Rätsel konnte sie jetzt nicht lösen, also verbannte sie es vorerst aus ihren Gedanken. Andere Dinge waren wichtiger!
Solange sie angekettet war, konnte sie nichts tun, weder für sich noch für ihre Brüder. Sie konnte nur hoffen, daß er sie bald losmachte, bevor sie weggebracht wurden. Wenn sie nicht mehr gefesselt war und seine Aufmerksamkeit nachließ, hätte sie eine gute Chance.

Furchtlosigkeit war oft auch Unvorsichtigkeit........wie sie heute selbst bewiesen hatten.

Die Minuten vergingen quälend langsam. Sigrun sah sich den Raum genau an, was ihr eventuell von Nutzen sein könnte. Da war nicht viel. Aber er trug einen Dolch im Gürtel. Sein Schwert lehnte griffbereit neben dem Bett. Wenn er nahe genug kam, was zu erwarten war... Dann sollte er sein eigene Klinge spüren.

Immer wieder mußte sie mit Gewalt ihren Zorn zurückdrängen. Wer zornig ist ,kann nicht mehr denken. Und sie mußte vor allem denken. Verdammt, wollte der Kerl denn nicht mehr aufwachen. Es wurde unbequem, sie konnte spüren, wie sich das Blut in den Beinen staute und sie immer unbeweglicher wurde.

Draußen wurde es schon langsam dunkel, als er sich endlich bewegte. Er streckte sich, stand auf.

"Schön, daß Du noch da bist. Ich gehe jetzt essen. Lauf bitte nicht weg, wir haben nachher noch eine Verabredung."

Bevor er die Tür erreicht hatte, sagte sie noch etwas zu ihm, kalt und schneidend:
"Auch wenn Du noch aufrecht stehst, Du bist tot. Du weißt es nur noch nicht!"

Methos drehte sich um, ein ironisches Lächeln huschte über sein Gesicht, seine Augenbrauen hoben sich. Sigrun hatte die Fäuste geballt und die Ketten strafften sich bis zum Äußersten. Aus schmalen Augen musterte sie ihn, als ob sie die beste Stelle für einen Dolchstoß herausfinden wollte.
" Weißt Du , wie man durch den Blutaar stirbt? Vielleicht solltest Du einen meiner Krieger danach fragen."
Sie lächelte nicht, aber er sah ihre Zähne schimmern, wie die eines Wolfes im Halbdunkel.
Dann fiel die Tür hinter ihm ins Schloß.

Aufatmend lehnte sich Sigrun zurück und zwang sich, ihre verkrampften Muskeln zu entspannen. Endlich allein!

Wenigstens konnte sie so für kurze Zeit ihrem Zorn freien Lauf lassen, sonst wäre sie daran erstickt. Unten in der Halle feierten sie ihren Sieg. Das Lachen und Schreien drang bis nach oben.

Nicht lange, und ihr Verstand wurde von demselben Brausen erfüllt, daß jedesmal das Erscheinen ihres Gegners anzukündigen schien. Schon ging die Tür auf und Methos trat ein. Zwei seiner Soldaten folgten ihm. Sie trugen Fackeln, steckten sie in die Wandhalterungen und entzündeten das Feuer im Kamin.

"Das reicht. Ihr könnt gehen."

 Methos nahm die Schlüssel aus der Truhe und schloß die Handschellen auf. Als die Ketten sie nicht mehr aufrecht hielten, gaben die Beine unter ihr nach und sie sank zu Boden.

Er goß Wein aus einem kleinen Krug in die 2 Becher und trank langsam. Den zweiten Becher brachte er ihr.

"Trink etwas. der Wein ist gut."

Sie trank in kleinen Schlucken. Wann hatte sie zuletzt etwas gegessen? Das mußte etwa 2 Tage her sein, bevor der Sturm eingesetzt hatte.

 "Steh auf ! Ich habe lange genug gewartet!"

" Hör zu. Wir sind keine Kinder mehr. Ich weiß, was Du willst und Du weißt, daß ich es Dir sehr schwer machen könnte. Ich will einen Vertrag mit Dir. Du läßt meine Leute frei und bekommst ein großes Lösegeld für sie. Ich will nicht, daß sie sterben. versprich es mir. Dann kannst Du von mir haben, was Du willst, ohne Gegenwehr, ohne Fluchtversuch."

Dabei mied sie seinen Blick, hielt den Kopf gesenkt und mußte sich keine große Mühe geben, müde und resigniert zu klingen.

Ein Moment der Stille, dann wurde sie hochgerissen und gegen die Wand gestoßen. Sein Gesicht war ganz nah, sein Körper drückte die Frau mit seinem ganzen Gewicht gegen die Steine.

" Du hast Deine Lage noch nicht ganz begriffen. Du bist nicht in der Position, Forderungen zu stellen oder auch nur Vorschläge zu machen."

Sie starrten sich an. Ihre Augen hatten die Farbe der aufgewühlten See. Und er.... sie war schon vielen Kriegern begegnet, sie lebte unter ihnen. Doch niemals hatte sie in einem von ihnen diese Lust am Bösen gefunden wie in diesem hier. Er sah den Haß, den Zorn in ihren Augen brennen, den sie nicht mehr verbergen konnte.

"So gefällst Du mir besser. Das sind Deine wahren Gefühle! Zeig mir, wie sehr Du mich haßt!"

Seine Lippen streiften ihren Hals, ihr Ohr. Er hielt sie fest gegen die Wand gepresst, seine Küsse wurden härter, seine Zähne gruben sich in ihren Hals, bis er Blut schmeckte.

Sein Atem ging schneller. Er wollte diese Frau. Eine richtige Frau, stolz, kämpferisch, eine Anführerin ... Keines dieser ängstlichen Mädchen, die in seiner Gegenwart nicht den Blick zu heben wagten… für die sein Wort Befehl war. Das hatte er jetzt lange genug gehabt. Diese hier zu zähmen würde wirklich Spaß machen. Eine echte Herausforderung. Wie lange würde sie ihren Stolz und Kampfgeist bewahren können?

Er hob den Kopf, um sie anzusehen. "Wenn ich Dich jetzt loslasse, gehst Du zum Bett und ziehst Dich aus!"

Das war die Gelegenheit. Sie stieß ihren Kopf in sein Gesicht, die Stirn krachte auf seine Nase. Aufstöhnend fuhr er ein Stück zurück, die Hände aufs Gesicht gepresst. Sie packte seine Schultern, riß ihn zu sich herunter, rammte ihm das Knie in die Leiste. Wo war der Dolch? Sie mußte ihn zu fassen bekommen! Dann fühlte sie den Griff des Dolches und riß ihn an sich. Fast im gleichen Moment wurde ihr Handgelenk von seiner Faust umklammert. Sie rangen miteinander und kämpften schweigend, keuchend um die Waffe. Plötzlich fühlte sie Widerstand im Rücken. Das mußte einer der Bettpfosten sein. Und schon schlug er ihre Hand mit solcher Kraft gegen das Holz, daß sie loslassen mußte. Er rammte ihr die Faust in den Magen, hob sie hoch und warf sie aufs Bett… Sofort war er über ihr, kniete auf ihren Armen. Das Haar klebte schweißnaß an der Stirn, Blut begann auf seinem Gesicht zu trocknen. Seine Augen glitzerten vor Wut.. Zwischen zusammengepressten Zähnen knurrte er sie an:

"Du hast Deine Chance gehabt. "

Eine Hand tastete die Decke nach dem Dolch ab. Sie sah, wie sich seine Finger um den Griff schlossen. Er suchte ihren Blick und ließ ihn nicht mehr los. Mit der Spitze der Waffe zeichnete er die Linie ihrer Augenbrauen nach, die Linie der Lippen, glitt langsam tiefer. An der Halsgrube angekommen, drückte er fester zu. Die Spitze durchdrang mühelos die Haut. Mit angehaltenem Atem wartete sie.

"Nein. Ich werde Dich noch nicht töten. Aber wenn ich mit Dir fertig bin, wirst Du wünschen ich hätte es getan."

Er sprach leise, sehr deutlich und seine Stimme ließ sie schaudern. Methos senkte den Dolch in den Halsausschnitt ihrer Tunika und zog ihn nach unten. Sie fühlte den Druck des kalten Metalles auf ihrer Haut. Der Stoff gab sofort nach, wurde zur Seite geschoben. Die Bewegungen des Körpers unter ihm, der sich zu befreien versuchte, schickten Hitzewellen durch seinen eigenen Körper. Er stieß die Klinge in den Bettpfosten und ließ beide Hände über die helle Haut gleiten, die sich über festen Muskeln spannte. Und für einen Moment hatte er fast vergessen, daß er eine Kriegerin im Bett hatte. Aus dem Gürtel zog er ein Stück rauhes Seil, packte beide Handgelenke , fesselte sie aneinander und irgendwo über ihrem Kopf an das Bettgestell. Sigrun zerrte an den Stricken und versuchte sie abzustreifen.

"Nicht, laß daß. Ich will nicht, daß Du Dich verletzt. Das tue ich schon für Dich."
Seine Stimme klang wirklich besorgt ,aber Sigrun hörte die böse Ironie dahinter .

"Jetzt gehörst Du mir." flüstere er nah an ihrem Ohr. Sein Atem brannte auf ihrer Haut, brutal zwang er ihre Lippen auseinander. Seine Hände strichen an ihren Armen entlang nach unten, öffneten ihren Gürtel.

Sie biß zu. Schlug ihre Zähne in seine Lippen, seine Zunge bis sie Blut schmeckte. Er fuhr zurück, seine linke Hand legte sich über seinen Mund. Als er sie ansah, flackerte unverhohlene Wut in seinen Augen und das Blut tropfte von seiner Hand .
Die Zeit reichte nicht, um sich herauszuwinden, ihre Tritten erreichten ihn nicht. Nur eine Sekunde der Verblüffung, dann holte er aus und schlug ihr ins Gesicht, zweimal, dreimal.

Jeder Schlag härter als der vorige. Durch den Dämmer der Benommenheit nahm sie wahr, wie er die Reste ihrer Kleidung aufschnitt. Sigrun wußte, daß sie verloren hatte.
Es war unfassbar.
Vergewaltigung - das war etwas, was nur anderen Frauen geschehen konnte. Daß sie selbst es würde erdulden müssen, war ihr nie in den Sinn gekommen. Es war ihr nicht fremd, sicher nicht. Wer zu schwach war, um sich und die Seinen zu schützen, hatte nichts anderes zu erwarten. Auch ihre Männer hatten es getan, nach jedem Sieg. Sie hätte es ihnen nicht verbieten können, selbst wenn sie es gewollt hätte. Aber warum hätte sie es verbieten sollen? Es war ganz einfach das Recht der Sieger.

Nur ........ diesmal war er der Sieger, der Mann über ihr mit den braunen Augen. Er beobachtete sie, wartete, daß sie wieder ganz bei Bewußtsein war.
Er wollte ihr nichts ersparen.
Sigrun drehte den Kopf zur Seite, soweit es ging. Ihr Gesicht lehnte sie gegen den Oberarm und verbarg ihre Augen. Wenn sie nichts mehr tun konnte, um ihren Körper zu schützen, wollte sie wenigstens alles tun, ihm ihre Seele zu entziehen.
Ihr Geist entfernte sich immer mehr, zog sich in das Land ihrer Erinnerungen, ihrer Visionen zurück.

Wenn er ein Mann gewesen wäre wie all die anderen, hastig, ungeschickt in seiner Gier, abgestumpft, dann wäre die Flucht gelungen.

Doch Methos war nicht wie die anderen.

Er spürte, wie ihre angespannten, verkrampften Muskeln sich lockerten. Wie ihr schneller keuchender Atem sich beruhigte, langsam und flach wurde. Und er wollte ganz sicher keine leblose Hülle im Bett haben!

Beinahe zart nahm er das blasse Gesicht in seine Hände, tastete an der Unterseite des Kiefers und drückt seine Daumen fest auf den Nervenknoten. Dabei drehte er ihr Gesicht wieder zu sich. Mit Befriedigung sah Methos, wie sich der Schleier über ihrem Blick hob und sie mit neu erwachtem Schrecken auf den Schmerz reagierte.

"Versuche das nie wieder."

Immer noch lagen seine Hände auf ihren Wangen, sein Daumen strich über ihre Lippen und teilte sie. Seine Knie drängten ihre Beine auseinander. Der Feuerschein beleuchtete die beiden verschlungenen Körper. Ein unbefangener Beobachter hätte sie für ein Liebespaar halten können.

Endlich löste er sich von ihr, stand auf und ging zur Waschschüssel. Er tauchte sein Gesicht ganz ein und wusch Blut und Schweiß ab. Während er sich abtrocknete, ging er zurück zum Bett und sah auf Sigrun hinunter. Sie hatte sich soweit wie möglich zusammengekrümmt, die Verletzungen und Blutergüsse hoben sich dunkel von ihrer Haut ab, begannen langsamer als sonst zu heilen. Sie hatte nicht geschrien, sie hatte nicht geweint oder um Gnade gebeten. Nur einige Male hatte sie ein Stöhnen nicht unterdrücken können. Ihre Hände waren blau angelaufen und blutig abgeschürft. Durch ihre Versuche, die Fesseln abzustreifen, hatte sich der Knoten nur enger zugezogen. Jetzt bebten ihre Schultern und er konnte ihr trockenes Schluchzen hören.

Methos zog den Dolch aus dem Holz und schnitt die Fesseln auf. Als sie seine Nähe spürte, zuckte sie instinktiv ein Stück zurück und sah in Erwartung neuer Angriffe zu ihm auf. In ihren Augen konnte er die Qualen eines gehetzten Tieres lesen.

" Wie ich Dir sagte: Zuerst der Schmuck, dann Dein Körper und jetzt - jetzt nehme ich mir Deinen Stolz.! Was bleibt Dir noch?"

Sie mußte um die Beherrschung ihrer Stimme kämpfen .

" Töte mich!" flüstere sie.

"Nein. Wir beide werden noch viel Spaß miteinander haben. Später.... vielleicht, wenn ich Dich nicht mehr will.."

"Ich werde Dich töten, wenn Du mich am Leben läßt! Und wenn es das Letzte ist, was ich tun kann!"

Er setzte sich auf den Bettrand, spielte mit der Klinge auf ihrer Haut. Sigrun fühlte das kalte Metall, die leichten flüchtigen Schnitte und kalte Schauer jagten über ihren Rücken. Der Spott in seiner Miene ließ ihn jünger und völlig harmlos aussehen.

"Nun, wenn Du mir drohst, werde ich zu meiner Sicherheit etwas dagegen tun müssen. Das siehst Du doch ein?"

Er griff beide Handgelenke, hielt sie fest in seiner linken Faust und drehte sein Opfer auf den Rücken. Die Klinge des Dolches setzte er auf die Stelle genau über ihrem Herzen.

"Noch kannst Du um Gnade bitten."

"Tu es! Ich wünsche mir den Tod!"

"Wie Du willst!"

Mit einem kurzen Stoß rammte er die Klinge in Sigrun´s Brust. Ihre Augen weiteten sich, aber er hatte gut gezielt. Dunkelheit und Stille breiteten sich in ihr aus.

Methos wartete etwas, bevor er den Dolch aus dem leblosen Körper zog. Dann erhob er sich, suchte seine Kleider zusammen und zog sich ohne Hast an. Die Zeit würde reichen, um Essen holen zu lassen und ihr wieder die Ketten anzulegen. Er warf ein paar Felle und Decken an die Stelle an der Wand, wo die Ketten hingen und verließ den Raum.

 

 

 II.
Das Raubtier in ihm


 

Methos hatte sich beeilt. Eine der Mägde trug ein Tablett mit Fleisch, Brot, Obst und einen Krug Wein. Die Magd warf einen scheuen Blick auf die verkrümmte reglose Gestalt auf dem Bett. Auch wenn diese Frau als Feindin gekommen war, tat sie ihr jetzt irgendwie leid . Eilig stellte sie das Tablett auf eine der Truhen und wandte sich zum Gehen.


Sie hätte besser aufpassen sollen. Aber ihre Augen und Gedanken waren noch immer bei der Frau, die wie eine zerbrochene Puppe auf dem Bett lag. Im Gehen stieß sie gegen Methos und rempelte ihn an. Sie kam nicht dazu, zu knicksen und sich zu entschuldigen, wie sie es tun wollte. Wortlos packte er sie bei den Schultern, drehte sie in Richtung Tür und gab ihr einen derben Stoß, der die Magd nicht nur zur Tür hinaus, sondern auch einige Stufen der Treppe hinabbeförderte. Sie raffte sich weinend auf und floh in eine dunkle Ecke der Halle, erschreckt und voller Angst.


Methos befestigte inzwischen die Ketten so an den Wandringen, daß sie lang genug waren, um seiner Gefangenen sitzen und liegen zu erlauben. Er hob Sigrun vom Bett, legte sie auf die Felle und schloß die Handschellen wieder um ihre Gelenke. Dann setzte er sich neben sie
und wartete.


Seine Gedanken wanderten zurück zu der Zeit, längst Vergangenheit, in der er als Tod die Alpträume der Menschen beherrscht hatte. Und ihre Tage ebenso. Er und seine schrecklichen Brüder hatten ohne Skrupel, ohne Erbarmen und ohne jeden Grund gemordet, verbrannt, vergewaltigt. Ohne jeden Grund außer ihrer Lust am morden, brennen, vergewaltigen.
Er rief sich den Horror in den Augen der Menschen zurück, die ihnen zum Opfer gefallen waren. Und er hatte sich gut dabei gefühlt, mächtig, unbesiegbar!. Dieser sehr alte Teil seiner Seele hatte in den letzten Monaten an Kraft gewonnen. Er hatte lange dagegen angekämpft und doch gewußt, daß er diesen Kampf irgendwann verlieren mußte. Wie schon oft in der Vergangenheit. Wenn der Druck zu stark wurde, mußte er nachgeben, um nicht den Verstand zu verlieren. Dieser jahrtausend alte Dämon nagte an seiner Seele. Lange war er dort eingeschlossen gewesen, tief unten, doch immer wieder hatte er sich den Weg gebahnt in das Bewußtsein des Mannes, in dem er wohnte, von dem er ein Teil war.
Und so hatte Methos auch dieses Mal den sinnlosen Widerstand aufgegeben und sich ins Dunkel fallen lassen. Wieder einmal hatte sein Dämon gesiegt!
Dieser uralte Dämon wollte herrschen, Menschen in Angst sehen, sie brechen und vernichten. Wenn das nicht so leicht war, umso besser. Jeder Widerstand steigerte nur sein Vergnügen. Methos konnte sich nicht erinnern, jemals einem Menschen, ob Mann oder Frau, sterblich oder unsterblich, begegnet zu sein, der ungebrochen diese Tyrannei überlebt hatte.

Auch dieser hier würde es nicht anders ergehen. Dann wäre Tod vielleicht zufriedengestellt und würde sich für weitere Jahrhunderte in den Tiefen seiner Seele verborgen halten.

Er saß im Schatten und beobachtete sie mit fast wissenschaftlichem Interesse. Der erste schmerzliche Atemzug hob ihre Brust, sie hustete. Ein leiser gequälter Ruf ging in Stöhnen über. Oh ja, auch er wußte, wie qualvoll das Erwachen sein konnte. Methos hatte keineswegs vor, es ihr leichter zu machen.


Sigrun hatte bei seinem Todesstoß gehofft, sich in Walhall wiederzufinden.
Sie hatte gekämpft und den Tod wie einen Freund willkommen geheißen. Aber die Schmerzen bereiteten sie auf die Wirklichkeit vor. Noch bevor sich ihre Lider hoben, sah sie ein Gesicht vor sich, blau bemalt, in dem nur die grausamen Augen zu leben schienen. Mit dem Leben kehrte dieses fremde, beklemmende Gefühl zurück - Furcht.

Als sie das Schlimmste überstanden hatte und fähig war, sich umzusehen, erkannte sie den Raum wieder, dem sie so gehofft hatte zu entkommen. Die Fackeln an der Wand gaben dürftiges , unruhiges Licht. Das Blut war auf ihrem Körper getrocknet, ihre Handgelenke wieder in Eisen geschlossen.


"Nein! Nicht länger!" murmelte sie unter Stöhnen.

 

"Hast Du wirklich gedacht, ich wäre schon fertig mit Dir?"


Seine Stimme kam aus dem Dunkeln. Sie hatte ihn nicht dort sitzen sehen. Daß er Zeuge ihrer Schwäche geworden war, demütigte sie noch mehr. Die Minuten vergingen. Sie konnte nicht sprechen. Und doch mußte sie wissen.... sie mußte ihn fragen. Nur er konnte die Antwort geben.

"Warum... warum lebe ich noch? Ich habe den Tod gespürt!"


Leises Lachen drang bis zu ihr.
"Du weißt es also wirklich nicht? Das dachte ich mir. Nun, ich werde es Dir sagen...... kurz vor Deinem letzten endgültigen Tod wirst Du es erfahren. Nicht früher!
Und bis es soweit ist, wirst Du noch oft sterben, wenn ich es will!"


Die Erschöpfung und Verzweiflung in Sigrun war diesmal echt und sie murmelte kraftlos:
"Du bist der grausamste Mann, dem ich je begegnet bin. Wer bist Du?"


Seine Stimme war nur noch ein sanftes Flüstern.
"Willst Du das wirklich wissen? Dann hör gut zu: ich bin der Tod..... Dein Tod!"


Er kniete dicht neben ihr, strich Sigrun die Haare aus dem Gesicht. Die Berührung war genauso trügerisch sanft wie seine Stimme. Vor sein Gesicht schob sich ein anderes, das sie schon kannte. Blau bemalt..... es war sein Gesicht.

In der nächsten Sekunde war sie allein. Stöhnend sank sie auf die Felle zurück. Sie fühlte sich so hilflos, zerschlagen, so unglaublich schmutzig. Und alles war ihre Schuld. Wenn sie nur vorsichtiger gewesen wäre, erst die Lage besser erkundet hätte. "Wenn" und "hätte", was für nutzlose Worte.
Eines der Felle zog sie über sich, legte die Arme um sich und rollte sich zusammen. Die Wunden ihrer Brust, an ihren Handgelenken, an vielen Stellen, waren noch nicht vollständig geheilt, aber die Schmerzen beherrschten nicht mehr ihr Bewußtsein. Die körperlichen Schmerzen......


Ihr Götter, ich war doch tot! Wie kann es sein, daß ich trotzdem lebe? Kann er mich immer wieder töten...... und zurückrufen? Wie es ihm gefällt? Sooft er will? Hast nicht mehr Du, Odin, die Macht über mein Leben und meinen Tod? Hat er diese Macht?


Sie glaubte die Antwort zu wissen und das Entsetzen darüber löste unkontrollierbares Zittern aus. Es wird lange dauern, bis er mich zum letzten Mal sterben läßt. Und wie wird es sein? Es muß eine Möglichkeit geben, mich endgültig zu töten. Er hat es gesagt!


Thor, gib mir von Deiner Kraft. Einmal alles ertragen und mutig sterben - das konnte ich. Aber immer wieder? Wie oft kann ich es ertragen, ohne zur Sklavin zu werden, die angstvoll um Gnade bettelt ? Du weißt, daß ich den Tod nicht fürchte, aber davor - davor fürchte ich mich.


Sigrun war entschlossen, nicht zu weinen. Und doch merkte sie nach kurzer Zeit, wie ihr Gesicht naß war, die Augen brannten. Sie konnte es nicht verhindern. Weinend glitt sie in einen Schlaf der Erschöpfung, der fast ihrem eben überstandenen Tod glich.

Methos hatte einen Boten an Graf Eudo geschickt. Er hatte hier ein angenehmes Leben gefunden und wollte sich das eine Weile erhalten. Die Reise mit den Mönchen war anstrengend gewesen, vor allem, da er ihre Frömmigkeit nicht teilte und für ihren bedingungslosen Gehorsam nur stillen Sarkasmus übrig hatte. Sie hatten in vielen Dingen das selbstständige Denken aufgegeben. Etwas, was er nie verstehen würde! Andererseits - sie waren gebildeter als die meisten Menschen dieser Zeit und er hatte Stunden um Stunden angeregter Gespräche mit ihnen verbracht. Danach hatte er das ruhelose Umherziehen für eine Weile satt gehabt und sich durch ein großzügiges Geschenk diese Stellung hier erkauft. Außerdem - er war ein guter Kämpfer und der Graf war froh, einen solchen Mann auf diesem Vorposten zu haben. Die Nachrichten von den Raubzügen der Wikinger waren beunruhigend und kamen in immer kürzeren Abständen.


Graf Eudo liebte Unterhaltung , besonders die Jagd. Hier konnte er ihm ein Vergnügen bieten, daß wirklich nicht alltäglich zu nennen war: eine Menschenjagd.
Gegen Mittag des nächsten Tages erreichte der Graf mit seinem Gefolge das Dorf. Methos empfing ihn zuvorkommend und charmant wie immer.
Die beiden sahen sich die Gefangenen an. Nur noch 15 Mann der ursprünglichen Besatzung hatten Sturm und Kampf überlebt.
Früh am nächsten Morgen wurden die Wikinger einzeln in den Wald gebracht. und freigelassen. Sie hatten einen Vorsprung von 1 Stunde, dann würde die Jagd beginnen.

Methos kam mit einem Toten zurück. Der Mann lag vor ihm auf dem Pferderücken. Ein blonder Mann, dessen Haar jetzt gerötet war vom Blut. Methos sah hinauf zum Turmfenster . Er machte sich nicht die Mühe, das Blut von seinen Händen zu waschen. Er stieg die Wendeltreppe hinauf und fühlte ihre Anwesenheit, so wie sie nun seine fühlen mußte. Es amüsierte ihn, daß sie nicht wußte, was das zu bedeuten hatte.


Ohne ein Wort schloß er die Handschellen auf. Bevor ihr klar wurde, daß ihre Hände frei waren, hatten er Sigrun´s rechten Arm so auf den Rücken gedreht, daß sie keiner Bewegung mehr fähig war.


Seine freie Hand griff ihr Haar und so führte er sie zum Fenster. Dort ließ er Sigrun Haar los und zeigte mit ausgestrecktem Arm nach unten.
"Schau hinunter! Sieh es Dir gut an!
Dann weißt Du, wessen Blut an meinen Händen klebt."
Ihr Blick war wie gebannt auf seine Hand gerichtet, seinen Arm. Da war getrocknetes Blut. Ja, und sie wußte, wessen Blut.
Immer mehr Reiter hatten die Jagd beendet und luden die Toten im Hof ab. Sie wurden auf einen Karren geworfen. Auch einige der Jäger waren verletzt oder wurden nur als Tote nach Hause gebracht. Die nordischen Krieger hatten sich nicht ohne Gegenwehr niedermachen lassen.


"Jeder hatte eine Stunde Vorsprung und eine Waffe seiner Wahl. Das war mehr, als sie erwarten konnten. Du solltest mir danken, daß sie im Kampf sterben durften und nicht am Galgen!"


Sie konnte ihre Augen nicht von dem grausamen Bild lösen. Nie wieder würde sie mit ihren Brüdern an Bord eines Drachen stehen, in der Halle ihres Vaters lachen und feiern, Seite an Seite mit ihnen in den Kampf ziehen. Da lag Bjarne, ihr Steuermann und guter Freund seit ihrer Kindheit. Eine Zeitlang war er auch mehr gewesen....Der junge Ivar, schnell, gewandt wie eine Katze, fröhlich. Jetzt war er kaum noch zu erkennen.
Sie hatte die Schmerzen in ihren Gelenken vergessen, sie hatte den Mann hinter sich vergessen. Alles, außer den Toten dort unten, mit denen ihr bisheriges Leben gestorben war.

Methos allerdings war sich ihrer Gegenwart um so bewußter. Er stand so dicht hinter ihr, daß er ihre Körperwärme auf seiner Haut fühlte. Ihre Haare, weich, seidig, so hell im Gegensatz zu seinen dunklen, wie rotes Gold. Die sonst vom Haar verborgene Halslinie, zart und verletzlich. Ihr Handgelenk in seiner Hand. Wieviele waren schon durch ihre Hand gestorben? Schmal , zerbrechlich und doch konnte diese Hand ein Schwert führen. Soviel Kraft in einem Frauenkörper.


Für Sekunden tauchte der Teil seiner selbst auf, der von der Einsamkeit der Jahrhunderte zerrissen wurde. Er hatte gelernt, damit umzugehen. Manchmal war die Einsamkeit besser zu ertragen als der immer wiederkehrende Verlust. Es war lange her, zu lange. Seine letzte Liebe ....nein, allein der Gedanke daran ...... Er wollte nicht mehr leiden.
Doch einen Atemzug lang konnte er den Gedanken nicht unterdrücken: wie es mit ihr wäre - ohne Hass und Gewalt.
Dann war es vorbei .
Der Tod ist einsam.

Er drückte Sigrun´s Unterarm weiter nach oben und zur Seite, zwang sie mit dem Hebeldruck auf die Knie. Seine freie Hand legte sich um ihre Kehle, spielte mit ihrer Angst, als der Druck zunahm und sie kaum noch atmen konnte. Er ließ ihr gerade genug Sauerstoff, um nicht in Bewußtlosigkeit abzugleiten. Und so wenig, daß die elementare Todesangst erhalten blieb, die sich weder durch Willen noch durch den Verstand unterdrücken ließ, Methos lachte leise, als er losließ und sie keuchend einatmen hörte. Seine sehnigen Finger glitten in den Ausschnitt der Tunika, legten sich um ihre Brust. Er spürte wie ihr Körper reagierte und die Muskeln sich spannten.
"Wehr Dich.... und Dein Arm bricht wie ein trockener Ast."
Er verstärkte den Druck so weit, daß er sicher sein konnte, den Arm unbrauchbar gemacht zu haben. Das leise Knacken im Gelenk und ihr kurzer Schrei sagten ihm genug. Dann ließ er plötzlich los, umschlang ihre Hüfte und presste sie fest an sich. Die freie Hand legte sich um ihren Kiefer, drehte ihren Kopf soweit, daß er ihr Stöhnen mit seinem Mund ersticken konnte. Durch sein Gewicht drängte er sie nach unten, hielt sie am Boden fest, das Gesicht in die Binsen gedrückt.

Sigrun lag ganz still. Er kniete neben ihr, drehte sie auf die Seite.


"Keine Tränen heute? Wie schade!"


Sie wich seinem Blick nicht aus. Sein zynisches Lächeln verblaßte, als er den Ausdruck der Ferne und Trauer in ihren Augen erkannte.


"Du wirst die Toten an Bord des Schiffes bringen lassen! Wenn der Drachen das offenen Meer erreicht hat, wirst Du ihren Scheiterhaufen entzünden. Und Du wirst mich nie mehr weinen sehen!"


Sie sprach leise, tonlos und es war keine Bitte.


Er gab keine Antwort, sah sie nur an. Er ließ zu, daß sie aufstand, zur Wand ging und sich selbst die Eisen um die Handgelenke legte.


"Schließ zu. Und laß mich allein!"

 

Methos verstand sich selbst nicht. Aber er tat, was sie verlangte und ging genauso wortlos, wie er gekommen war. Als die Tür hinter ihm zufiel, stand er auf der obersten Stufe, lange und regungslos. Dann schüttelte er den Kopf, wie um etwas sehr Lästiges daraus zu vertreiben und ging weiter.

Graf Eudo saß zufrieden auf dem Ehrenplatz in der Halle, berichtet jedem, der es hören wollte -oder auch nicht hören wollte - von seinen Taten an diesem ereignisreichen Jagdtag.

Methos suchte Jeoffrey, seinen Freund und Vertrauten, soweit das ein Sterblicher sein konnte.
Er fand ihn im Schatten am Eingang des Stalles.
"Laß die Wikinger auf ihr Schiff bringen. Unserer Männer sollen einen Scheiterhaufen errichten und das Boot aufs Meer hinausrudern. Eines unserer Boote wird euch begleiten und die Männer an Bord nehmen, wenn sie alles Nötige getan haben. Nimm Brandpfeile mit und schieße den Drachen in Brand. Sie sollen ein Begräbnis bekommen, wie es bei ihnen Brauch ist."


Jeoffrey sah Methos erstaunt an.


"Es geht auch einfacher. Weshalb soviel Aufwand?"


"Weil ich es so will!"


Methos hatte sich schon zum Gehen gewandt, als ihn Jeoffrey´s Hand zurückhielt.


"Was ist mit ihr? Weiß sie jetzt, wo ihr Platz ist?"


Der Ausdruck in den goldbraunen Augen seines Gegenübers ließ sich nicht deuten. Es schien ihm eine Mischung aus Ärger, Unverständnis und...... ja, Bewunderung.


"Sie ist stärker als ich dachte."


Jeoffrey sah ihm nach, als sich die schlanke Gestalt entfernte. Er ging durch das offene Tor zu einer Anhöhe, von der aus er das Meer sehen konnte.


Mit der Stiefelspitze zeichnete Jeoffrey Muster in den Staub. Er mochte Methos sehr, obwohl er oft spürte, daß sich in ihm noch mehr verbarg, als er bisher hatte erkennen können. Seine vorsichtigen Versuche, das Geheimnis seines Freundes zu erforschen, waren immer gescheitert. Methos hatte ihn amüsiert, aber bestimmt ins Leere laufen lassen. Manchmal war er für Tage oder sogar Wochen verschwunden gewesen.


Jetzt hatte Jeoffrey noch mehr Stoff zum Rätselraten. Ihm war schon mehrmals aufgefallen, daß Methos´ Wunden in enorm kurzer Zeit heilten. Er hatte ihm keine Erklärung gegeben, nur um sein Stillschweigen als Freund gebeten. Bei niemandem sonst hatte er dergleichen bisher beobachtet. Bis jetzt...... bis er feststellen konnte, daß die Verletzungen, die die Frau aus dem Norden davongetragen hatte, genauso schnell verheilten.


In den letzten Tagen hatte sich Methos verändert. Genauer: seit dem Überfall der Barbaren. Eine Aura der Grausamkeit, der Kälte ging von ihm aus, die nie vorher zu spüren gewesen war. Jeoffrey war gar nicht glücklich über diese Veränderung. Die Bauern und Dienstleute bekamen es auch zu spüren. Da war die Magd, die er die Treppe hinuntergestoßen hatte. Der Pferdeknecht, den er aus nichtigem Anlaß halb tot geschlagen hatte.... Sie gingen ihm aus dem Weg, obwohl er doch das Dorf gerettet hatte. Die Frauen, die in den Turm durften, um der Gefangenen Wasser, Kleidung und das Essen zu bringen, tuschelten. Sie steckten die Köpfe zusammen und schienen die Barbarin fast zu bedauern.
Und noch etwas war seltsam: keiner hatte sie schreien hören, nicht einmal in der ersten Nacht.

Er riß sich von seinen Gedanken los und erteilte die nötigen Befehle. Die verständnislosen Blicke ließen ihn kalt. Holz wurde an Bord des Schiffes gestapelt und mit Öl übergossen. Die Toten wurden darauf gebettet, man ließ ihnen sogar ihre Waffen.


Dann schleppten und ruderten sie den Drachen ein Stück aufs Meer hinaus. Die Sonne warf schon lange Schatten. Jeoffrey stand in dem kleinen Fischerboot, wartete, bis die Sonne hinter dem Horizont versunken war. Dann zogen die Brandpfeile feurige Spuren durch die Dämmerung. Zuerst zögernd, dann immer höher und kraftvoller leckten die Flammen an dem Holz. Bald war das Schiff völlig vom Feuer eingehüllt.

Sigrun war mit ihren Gedanken sehr weit weg. Die Ketten und Mauern waren kein Hindernis für ihren Geist, der von jedem ihrer Brüder Abschied nahm. Sie merkte nicht, daß die Mägde kamen, um ihr Wasser und Essen zu bringen. Sie sah nicht die Söldner an der Tür, die sie neugierig anstarrten und Witze rissen. Die zwei Frauen versuchten, sie zum Essen zu bewegen, sinnlos, sie hörte sie nicht.
Erst das eigenartige Wogen in ihrem Kopf bracht e sie zurück.
Methos sah, daß ihre Gedanken den Weg zurück in die Gegenwart suchten. Er sah die unberührten Speisen und wußte, wo sie gewesen war.

Bösartiger Spott klang aus seiner Stimme.


" Hat die Tochter Odin´s die toten Kämpfer nach Walhall geleitet? Keine Sorge, Du wirst ihnen bald folgen."

 

Sie stand auf, die Ketten klirrten leise. Er sollte nicht auf sie herabsehen dürfen.


"Ich kann es kaum erwarten. Aber Du hast mir etwas versprochen. Vergiß es nicht."


"Ich vergesse niemals etwas. Nur.... wird dieses Wissen Dein Sterben nicht leichter machen."


"Darum habe ich Dich auch nicht gebeten."


Seine Augen wurden schmal, als sie seinem hämischen Blick ohne Schwierigkeiten standhielt. Mehr noch, seinen Blick verächtlich zurückgab.


"Immer noch so stolz? Hast Du vergessen, daß Du mein Eigentum bist? Weißt Du nicht, daß dort unten ein Dutzend Kerle nur darauf warten, daß ich den Weg freigebe?"


Seine langen Finger gruben sich in Sigrun´s Schultern, wollten ihr weh tun, ihren Stolz zerbrechen. Methos suchte nach dem Flackern in ihren meergrauen Augen, das ihm Unsicherheit, Angst, Unterwerfung gezeigt hätte. Statt dessen fand er Stärke, Ruhe, Widerstandswillen. Der Tod ihrer Gefährten hatte die Last der Verantwortung von ihr genommen. Nun, da sie allein war, mußte sie sich um niemanden mehr sorgen. Die Angst um sich selbst konnte sie so unter Kontrolle halten, daß sie ihm verborgen bleiben würde.

Denn...... völlig besiegen konnte sie diese Angst nicht. Nicht mehr, seit sie unter seinen Händen nach Luft gerungen hatte, gestorben war und doch nicht tot. Nicht mehr, seit sie das blau bemalte Gesicht, daß sich in ihren Geist gedrängt hatte, als seines erkannt hatte.
In ihre Antwort legte sie alle Verachtung, alle Festigkeit, die sie noch aufbringen konnte. Wenn diese harten braunen Augen nicht bald von ihr ließen, würde er sie durchschauen.


"Das wirst Du nicht tun. So tief Du auch gesunken bist, Du wirst nicht Verrat an Dir selbst, an Deinem Stand begehen. Das ist eine Sache nur zwischen uns beiden und das weißt Du .Wir sind uns ähnlich, aber die da unten.....das ist Abschaum!"


Sein Ärger wuchs. Wie konnte sie es wagen, so mit ihm zu sprechen, ihm noch immer Widerstand zu leisten? Und sie hatte so verdammt recht mit ihrer Behauptung, mehr als sie ahnen konnte. Die gegenläufigen Bewegungen seiner Hände kamen zur gleichen Zeit. Seine linke Hand zog sie kraftvoll nach unten, auf die Knie. Mit der Rechten hatte er sein Schwert gezogen, holte aus, die Lippen zusammengepresst, daß Gesicht im Zorn erstarrt.
Sein Schwung stoppte erst, als die Klinge ihren Nacken berührte. Aus der dünnen roten Linie lösten sich die ersten Blutstropfen, färbten ihr Haar und seinen Stahl rot. Verdammt, er sollte durchziehen!


Sigrun hatte nicht wie so viele andere in Resignation den Kopf gesenkt. Das Gesicht ihm zugewandt, die weit offenen Augen nicht entsetzt, wie er es erwartet hatte, nicht überrascht...... sondern herausfordernd. Sie wollte es! Versprechen oder nicht, sie hoffte, ihn so weit zu bringen, daß er sie schnell tötete.
Und es wäre ihr fast gelungen.
Der Zorn in seinem Gesicht machte einen kalten Lächeln Platz. Er presste die Klinge noch etwas tiefer in ihre Haut, sah das schmerzliche Zucken um ihre Augen, tauchte seine Finger in das Blut und zog die rote Linie weiter um ihre Kehle. Färbte mit dem Blut ihre Lippen.

"Ich bestimme das "Wann" und das "Wie". Auch das wirst Du lernen!"

 

Methos trat ein paar Schritte zurück, legte Schwert und Dolch ab, außer Reichweite
Sigrun stand auf, wischte sich mit dem Handrücken das Blut von den Lippen. Ihre Augen verfolgten genau seine Bewegungen.


Es war ein Fehler gewesen, ihn anzusehen. Hätte er ihre Absicht nicht in ihrem Gesicht lesen können, wäre sie jetzt vielleicht schon tot. Nun aber würde er ihr diesen Gefallen nicht so schnell tun. Nein, der Tod war nicht so schrecklich, wie die Menschen annahmen. Für manche gibt es Schlimmeres als den Tod . Sie wollte nicht mehr kämpfen, sehnte sich nach dem Frieden, der absoluten Stille, die sie schon gespürt hatte . Die Abwesenheit allen Leides. Und doch würde sie jetzt kämpfen müssen. Er sollte sie nicht kampflos nehmen können wie irgendeine Hure.


Drei schnelle Schritte, der schlanke Mann mit der verblüffenden Kraft stand wieder vor ihr.
beide Hände faßten den Ausschnitt der Tunika, ein kurzer Ruck und der dünne Stoff riß bis zum Saum. Sigrun griff das lose herunterhängende Stück der Kette, schlug damit nach ihm. Das schwere Metall verfehlte Methos Kopf, traf Hals und Schulter. Er drehte sich weg, riß schützend die Arme hoch .Der nächste Schlag traf tiefer, als ein schwerer Tritt ihr die Beine unter dem Körper wegriß. Sie stürzte ohne sich abfangen zu können und schlug hart auf die Steine.


Methos war wütend. Nicht rasend, nicht besinnungslos vor Wut, aber doch sehr wütend. Jede andere hätte inzwischen ihre Lektion gelernt und alles getan, um ihn zufriedenzustellen. Aber nicht sie! Nun, daß würde ihr bald schon sehr leid tun.


In den fast 4000 Jahren, die er in den verschiedensten Kulturen dieser Welt gelebt hatte, hatte er sehr vieles gelernt. Einen großen Teil dieser Zeit hatte er damit verbracht, zu leiden. Einen noch viel größeren Teil aber damit, Terror und Schmerz und Tod über die Menschen zu bringen. Es waren nicht dieselben, die ihn hatten leiden lassen. Aber es waren auch Menschen.
Er wußte sehr gut, wie empfindlich, wie leicht zu verletzen der menschliche Körper war. Auch der einer Unsterblichen. Die Schmerzen blieben dieselben. Was für den Körper zutraf, galt auch für die Seele. Jeder hat seine eigene Grenze des Erträglichen. Bei vielen war diese Grenze sehr schnell erreicht. Bei einigen dagegen um so weiter gesteckt.
Das Erreichen und Überschreiten ihrer Grenze sollte für einen Mann wie ihn nicht schwer sein. Keine allzu große Herausforderung.

Sigrun trat nach ihm, hakte einen Fuß hinter sein Fußgelenk, trat mit dem anderen Fuß kraftvoll gegen sein Knie. Diesmal riß es ihn von den Füßen, er fiel, drehte sich im Fallen, kam neben Sigrun zu liegen. Ein Arm lag unter seinem Nacken, die starke Eisenmanschette der anderen Hand schlug gegen seinen Hals und drückte zu. Die Kette war so kurz, daß sie sich nicht um seinen Hals schlingen ließ. Sie hatte damit gerechnet, daß er mit seinen Händen versuchen würde, ihren Griff aufzubiegen. Mit dem Glitzern in seinen Augen, dem Arm um ihre Taille, während seine andere Hand ihr Kinn so heftig nach oben riß, daß sich ihre Hände automatisch lockerten, hatte sie nicht gerechnet.


Mit dem gleichen Schwung fühlte sie sich herumgerollt, ein Knie nagelte ihren Arm am Boden fest.


"Du willst immer noch kämpfen? Gut......daß macht meinen Sieg nur umso reizvoller." zischte er heiser, seiner Stimme noch nicht ganz sicher.


Eine seiner Hände wehrte ihre Schläge ab, die andere Hand löste den Ledergürtel .
Endlich gelang es ihm, ihren freien Arm einzufangen. Unter erheblichen Mühen konnte er beide Arme direkt unter den Eisenmanschetten mit dem Gürtel zusammen binden.

Sie kämpfte mit allem, was ihr noch blieb, Ellbogen, Knie, Zähne, bis er sie mit einem ungeduldigen Fluch auf den Bauch drehen konnte. Und dann kämpfte sie gegen die Panik, die in schwarzen Wellen über ihr zusammenschlug und alles Bewußtsein wegschwemmte.
Eine harte Hand packte ihren Nacken, wanderte höher, griff in die Haare und bog ihren Kopf zurück.

"Jetzt fühlst Du, wie es ist besiegt zu sein.Alle Deine barbarischen Götter können Dir nicht helfen. Aber ich kann es, wenn Du mich darum bittest."

Rauh, heftig der erste Satz. Dann leiser, einschmeichelnd, ins Ohr geflüstert.

Sie hatte sich die Lippen blutig gebissen, um nicht zu schreien.

"Keine Antwort? Wie oft mußt Du wohl sterben, bis Du mir gehorchst?"Das heftige Klopfen an der Tür ließ ihn unwillig knurren.

"Methos, Du wirst in der Halle erwartet. Wir haben noch mehr Gäste bekommen."

"Du mußt nicht die Tür einschlagen. Ich komme gleich!"

Im Aufstehen löste er den Gürtel von Sigrun´s Armen und drehte sie wieder auf den Rücken.Fast nachdenklich studierte er ihr Gesicht, strich mit dem Daumen über die heilenden, noch immer blutigen Lippen. Diesmal konnte sie es nicht ertragen, seinen Augen zu begegnen und hielt die flackernden Lider geschlossen. Sein Blick glitt tiefer. Seiner Aufmerksamkeit entging nicht, daß ihr keuchender unregelmäßiger Atem sich kaum beruhigte, daß die verkrampften zitternden Muskeln sich nicht lockerten. Ein wissendes Lächeln huschte über sein Gesicht.

"Ja. Das nächste Mal wirst Du mich bitten. Glaube mir!"

Sturz aus Asgard

 

III.
Wirklicher Verrat

 

Nachdem er Dolch und Schwert an sich genommen hatte, verließ er das Zimmer und stieg die Treppe zur Halle hinunter. Jeoffrey mußte schon vorgegangen sein. Er war nicht mehr zu sehen.
Als Methos fast das Ende der Treppe erreicht hatte, fühlte er den starken Buzz eines anderen seiner Art. Eines? Er lauschte in sich hinein. Nein, es waren zwei . Einer überlagerte den anderen.


Am Eingang der Halle blieb er einen Moment stehen, Lärm, Hitze, Lachen, der Geruch der Kochfeuer und Rauch hüllten ihn ein. Er ließ den Blick über die Menge gleiten, einige waren schon auf oder unter den Tischen und Bänken eingeschlafen. Auch sein Gast hing nicht mehr ganz anwesend in seinem Sitz. Obwohl er noch versuchte, sich mit den Fremden zu unterhalten, sah man ihm an, daß der Wein bald seinen Tribut fordern würde.
Die beiden Fremden.... sie hatten Methos auch gespürt, ihre Blicke begegneten sich. Jeder forschte in seinem Gedächtnis.

Jeoffrey wartete, bis er sicher sein konnte, daß Methos mit den Neuankömmlingen beschäftigt war, dann eilte er die Treppe hinauf, öffnete die Tür und näherte sich der Frau, die er im diffusen Licht der Fackeln nur undeutlich erkennen konnte. Sie lag still, zusammengerollt, mit dem Gesicht zur Wand und zuckte mit einem leisen Schrei zurück, als er sie an der Schulter rüttelte.


"Sei still. Du mußt nicht vor mir erschrecken, Er ist unten eine Weile beschäftigt." flüsterte er.
Er hatte sich den zweiten Schlüssel "ausgeliehen" und schloß die Handschellen auf. Ein Bündel Kleider legte er neben sie.
Jeoffrey sah, daß ihr jede Bewegung schwerfiel.


" Zieh das zerrissene Zeug aus und diese Sachen an. Kannst Du laufen?"


Sigrun nickte mit zusammengebissenen Zähnen und musterte Jeoffrey mit äußerstem Mißtrauen. Zuerst zögernd, dann immer entschlossener wechselte sie die Kleidung.


"Was soll das? Was tust Du hier?"


"Ich hole Dich hier raus, ganz einfach."


Du bist sein Freund. Warum solltest Du Dich gegen ihn stellen?"


"Du glaubst doch nicht, daß ich es für Dich tue? O nein, täusche Dich nicht. Du hast uns angegriffen und genau diese Behandlung verdient. Aber ich muß es für ihn tun Schnell jetzt!"


Sie versuchte vergeblich, sein Gesicht zu erkennen Nun gut, seine Gründe konnten ihr gleichgültig sein. Sie hatte nichts zu verlieren.


Jeoffrey schloß die Tür von außen ab und sie hasteten die Treppe hinunter, durch die kleine Seitentür, die man nur gebückt passieren konnte, ins Freie. Die kühle, nach Blättern und Erde duftende Nachtluft machte Sigrun schwindelig und brachte sie aus dem Gleichgewicht. Ungeduldig zerrte er sie weiter. Bei ihrem Überfall war es nicht schwer gewesen, die Palisaden zu überwinden. Sigrun fragte sich, ob das hier wirklich die gleichen waren, als es ihr nur mit Mühe gelang, ihrem Helfer zu folgen und darüber zu klettern.


Sie rannten, stolperten keuchend über die steinigen Felder. Ein blasser, fast voller Mond stand am Himmel, mit vom Dunst verschwommenen Umrissen. Dann erreichten sie endlich den Waldrand. An dieser Stelle waren die Reiter aus dem Unterholz über sie gekommen. War das wirklich erst 3 Tage her? Oder 3 Ewigkeiten?
Jeoffrey hatte für Pferde und die nötigsten Vorräte gesorgt. Sie standen unter den ersten Bäumen.
Schweigend saßen sie auf und versuchten, soviel Vorsprung wie möglich zu gewinnen.

 

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Methos vergaß selten etwas. Oder jemanden. Er kannte die beiden Reisenden. Nicht gut, nicht einmal ihre Namen. Zu seinem Bedauern konnte er nicht mit Sicherheit sagen, ob sie ihn auch erkannt hatten. Aber das würde sich sicher feststellen lassen.


Den Fremden sah man an, daß sie einen weiten Weg hinter sich hatten. Sie ähnelten sich in gewisser Weise, kräftige Männer mit gebräunten Gesichtern und dunklen, kurzen Bärten. Das einzig gepflegte an ihnen waren ihre Waffen. Nach der ersten förmlichen Begrüßung begannen die drei Unsterblichen sich abzutasten.


"Wir sind nur zufällig hier und suchen Unterkunft für eine oder zwei Nächte. Wie hätten wir ahnen können, daß der Herr dieser Siedlung einer von uns ist?"


"Ihr seid willkommen hier, falls ihr keine Herausforderung sucht. Ihr seht, daß ich einen hohen Gast habe. Wir können einfach auseinander gehen, wenn ihr euch ausgeruht habt, und einander in freundlicher Erinnerung behalten."


Die beiden sahen sich flüchtig an, das genügte ihnen zur Verständigung.


"Ich denke, wir sind uns einig. Wir sind müde nach der monatelangen Reise. Der Weg von Spanien hierher war anstrengend und uns steht der Sinn gewiß nicht nach einem Kampf."


Rodrigo und Ignatio waren wirklich müde. Die Unterhaltung verlief schleppend und sehr bald rollten sie sich in ihre Mäntel und schliefen.


Methos war der Letzte, der noch wach am Tisch saß. Die Feuer waren heruntergebrannt, an den Wänden und unter den Tischen lagen die schlafenden Männer. Er war sich nicht sicher, ob sie ihn erkannt hatten.

711 - ca. 715 Iberische Halbinsel

Er war keiner von ihnen. Aber er ritt mit ihnen, trug dieselbe schwarze Kleidung, den Turban, den schwarzen Schleier vor dem Gesicht. Er war einer der Ratgeber, der Heerführer, die mit General Tarik über die Meerenge von Gibraltar kamen, um das marode, durch Bruderkriege ausgehöhlte Westgotenreich zu erobern. Er liebte die maurische Lebensart. Er lernte und er lehrte.


Viele der von dem Westgotenkönig Roderich unterdrückten, dezimierten Goten und Römer schlossen sich dem Heer Tariks an. Von ihm versprachen sie sich Befreiung, ein besseres Leben. Der Wüstensturm fegte über Spaniens Ebenen, schneller und erfolgreicher als erwartet Nur in den unzugänglichen gebirgigen Landschaften hielten sich noch gotische Fürsten in ihren Felsennestern, nachdem König Roderich schon längst geschlagen war.


Eine nach der anderen wurden sie ausgehoben. Das war eine der Aufgaben, mit denen Methos betraut war. Die Belagerung dauerte diesmal schon lange. So einen langen Aufenthalt konnte er sich nicht leisten.Und die Belagerten wußten das.


Methos saß im Zelt und diktierte einen Brief an Tarik, in dem er die Lage schilderte und um weitere Anweisungen bitten wollte. Die plötzliche Unruhe draußen ließ ihn aufsehen, als er auch schon die Anwesenheit eines anderen Unsterblichen fühlte. Seine Berberwachen stießen zwei spanische Soldaten herein. So, nicht nur einer. Er war unaufmerksam gewesen.
Sie kamen aus der Festung dort oben und hatten nicht etwa versucht zu fliehen, Nein, sie hatten die Wachen angerufen, sich ihnen offen genähert. Die beiden hatten ein Angebot für den Feldherrn der Berber.


" Was habt ihr schon zu bieten? Eure Köpfe sind die Mühe nicht wert!"


"Wir schlagen Euch ein Geschäft vor. Die Burg auf dem Gipfel kann sich noch lange halten wenn ihr uns aber angemessen belohnt, zeigen wir euch den Weg hinein!"


"Warum sollte ich euch belohnen? Seid sicher, auch ohne Belohnung werdet ihr darum bitten, alles sagen zu dürfen."


Das schmale Lächeln des seltsamen Berbers vor ihnen jagte den Söldnern kalte Schauer über den Rücken.


Methos ließ ihnen etwas Zeit, sich diese Möglichkeit vorzustellen. Dann fuhr er fort:
"Aber wir werden sehen. Vielleicht seid ihr in der Zukunft noch einmal nützlich für uns. Morgen Nacht werdet ihr uns führen. Wenn wir gesiegt haben, sollt ihr am Leben bleiben und belohnt werden. Andernfalls..... werdet ihr unseren Rückzug nicht überleben."


Es gab überall Verräter. Bald würde sich herumgesprochen haben, daß die Berber gute "Geschäftspartner" waren. Der geheime Fluchtweg, als letzte Rettung für die Belagerten gedacht und auf weiten Strecken durch Fels und Erdreich getrieben, wurde zu ihrem Verhängnis. Als in der dunkelsten Stunde der Nacht die "schwarzen Teufel " innerhalb der Mauern auftauchten wie von der Hölle ausgespuckt, lag der größte Teil der Besatzung in tiefem Schlaf. Es ging schnell.


Wer sich wehrte, wurde niedergehauen. Die anderen aber wurden weitaus besser behandelt als sie es im umgekehrten Falle getan hätten. Tarik war klug. Sein Befehl lautete, sich keine unnötigen Feinde zu schaffen. Dieses Land sollte ihre Heimat werden und je eher sie als neue Herren akzeptiert und geachtet wurden, um so besser.

Methos hielt sein Versprechen, belohnte die beiden Halunken und ließ sie , wenn auch mit Bedauern, ziehen.

 

Bretagne, im Jahre 805

Und nun lagen sie in seiner Halle und schliefen. Wenn er nicht genug andere Beschäftigung und Pflichten hätte - ein verächtlicher Seitenblick galt dem gar nicht mehr edel wirkendem Grafen, der schnarchend über dem Tisch hing - hätte er die Herausforderung gesucht. Nur so, aus Langeweile? Oder um die Welt von zwei Verrätern zu befreien? Er konnte sich ein zynisches Grinsen leisten. Und wer wird die Welt von mir befreien?


Aber so..... sollten sie einfach möglichst bald weiterziehen. Der Gedanke an seine Gefangene im Turm ließ ihn seine eigene Müdigkeit für einen kurzen Moment vergessen. Er würde jetzt schlafen gehen. Ob sie wohl schlafen konnte?


Es war besser, nicht nach oben zu gehen. Auch Unsterbliche brauchen manchmal Schlaf.
Die Luft im Saal war zum schneiden. Methos ging zum Stall, legte sich ins Heu und schlief sehr schnell ein.


Früh am nächsten Morgen wurde zum Aufbruch gerüstet. Graf Eudo zog die Bequemlichkeit seiner eigenen Burg den primitiven Verhältnissen hier an der Küste entschieden vor, er wollte die nächste Nacht in seinem Bett verbringen und nicht über irgendwelchen harten Tischen.
Die zwei Spanier baten, noch einen Tag bleiben zu dürfen. Warum nicht, solange sie keinem zur Last fielen.


Nachdem der Troß endlich abgezogen war, suchte Methos Jeoffrey. Seit wann hatte er ihn nicht mehr gesehen? Das war sonst nicht seine Art. Aber es war ihm in den letzten Tagen schon aufgefallen, daß alle ihm aus dem Wege gingen. Nun also auch sein Freund.
Es war nicht wichtig. Solange sie ihn nur fürchteten und gehorchten.
Womit wir beim Thema wären..... dachte Methos.


Kurz vor der Tür zum Turmzimmer stockte sein Schritt. Etwas war nicht, wie es sein sollte.
Etwas..... fehlte!

Er konnte ihre Anwesenheit nicht fühlen.
Die Tür war abgeschlossen, wie er sie hinterlassen hatte. Dann stand er mit grimmigem Blick vor dem leeren Lager an der Wand. Die wieder geschlossenen Handschellen lagen wie zum Hohn ordentlich nebeneinander auf der Decke. Wenn Methos jemals an Götter geglaubt hätte, dann würde er jetzt glauben, daß Odin, Thor, Loki, wie immer sie auch heißen mögen, ihre "Tochter" befreit hätten.


Der Schmerz in seiner Faust ließ ihn wieder klar denken. Er hatte sie sich an der Mauer blutig geschlagen und fluchte in der sonst längst verdrängten Sprache seiner Kindheit. So dicht! Noch einmal hätte ihr Wille ihm nicht standgehalten.


Seine Leute erschraken vor seinem Anblick. Die Wachen fühlten, das sie dem Tod ins Gesicht sahen. Schon nach den ersten Fragen und Antworten wurde ihm klar, wer dafür verantwortlich war. 2 Pferde fehlten, Sättel, Waffen, .... und Jeoffrey.
"Lohnst Du es mir so, Freund? " murmelte er beim Aufsitzen und begann die Jagd... allein..

Jeoffrey und Sigrun gönnten sich keine Pause. Sie ritten den Rest der Nacht, den folgenden Tag und einen Teil der nächsten Nacht. Bis die Erschöpfung sie in den Sätteln zusammensinken ließ und die Pferde mehr stolperten als Schritt gingen. Sie waren soweit gekommen, daß er es nicht riskieren wollte, sich in der Dunkelheit zu verirren und sie brauchten einfach Schlaf. Die dichten, fast unberührten Wälder machten das Vorankommen auf den schmalen Pfaden schwer, aber so fielen sie wenigstens niemandem auf.


Viel zu spät am nächsten Morgen vertilgten sie ausgehungert einen großen Teil ihrer Vorräte und sprachen zum ersten Mal wirklich miteinander.


"Ich verstehe nicht, warum du mich befreit hast. Du warst sein Freund, das Dorf war Deine Heimat. Jetzt hast Du alles verloren. Und von mir hast Du nichts zu erwarten, keine Belohnung, keine neues Leben......"


Jeoffrey lehnte sich gegen den Baumstamm hinter ihm, ein freudloses Grinsen zuckte über sein Gesicht.


" Weißt Du, als ich ihn kennenlernte, war ich ein Söldner. Ein bezahlter Totschläger, brutal, geldgierig, keiner Gefühle mehr fähig außer zu hassen. Alle zu hassen - am meisten mich selbst. Damals war ich sehr jung und ohne jede Hoffnung. Das Leben widerte mich an. Er hat mich aufgelesen, auf einem der unzähligen kleinen Schlachtfelder, auf denen die Eitelkeit oder Gier der adeligen Herren befriedigt wird. Ich weiß bis heute nicht, warum er mich mitgenommen hat. Am Anfang ließ er mich glauben, daß er eine Wache braucht. Bis ich merkte, daß er meinen Schutz nicht nötig hat, war ein Teil meiner Bitterkeit schon ausgelöscht Ich hatte wieder Freude an Dingen, die ich lange Zeit nicht mehr wahrgenommen hatte. Und so blieb ich bei ihm und wir wurden Freunde.
Also glaub mir, er war nicht immer so. So wie Du ihn kennst. Seit eurem Überfall, seit Du da bist, hat er sich verwandelt. Alle haben es gespürt. Als ob Du etwas Teuflisches in ihm geweckt hättest. Wenn Du nicht mehr da bist, vielleicht findet er dann wieder zu sich selbst. Natürlich kann ich nicht zurück, noch nicht. Ich werde es erfahren, wenn er die Suche aufgibt. Und ob ich zurückkehren kann. Ich habe dort noch andere Freunde"


Sigrun betrachtete das hohe Blätterdach, durch das nur vereinzelt blauer Himmel zu sehen war. Ein Bild und ein Satz tauchten aus ihrer Erinnerung auf. Als er sie ans Fenster gezerrt hatte, um ihr die Leichen ihrer Gefährten zu zeigen. "Du solltest mir danken, daß sie im Kampf sterben durften." Er hätte sie alle einfach hängen lassen können. So aber hatte er ihnen den ehrenvollen Tod ermöglicht, auf den jeder von ihnen gehofft hatte, der ihnen den Weg nach Walhall geebnet hatte. Nur zu seinem eigenem Vergnügen - und doch.

" Wenn Du das tust für ihn, Dein Leben riskierst, nur damit er "zu sich selbst findet", dann muß er wirklich sehr anders gewesen sein. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er das wert sein sollte."


Verachtung und Zorn mischten sich in ihrer Stimme.


"Er ist mehr wert als das. Er hat mir soviel gegeben, eine ganz neue Sicht des Lebens, unbedingte, loyale Freundschaft. Es ist ein Geheimnis um ihn."


Er sah ihr an, daß sie es nicht glaubte. Wie könnte sie auch?


"In ein paar Stunden werden wir aus diesen Wäldern heraus sein. Dann beschreibe ich Dir den Weg zur Küste und wir trennen uns. Ich habe etwas Silber, dafür kannst Du leicht ein Boot bekommen. Du kannst doch segeln?"


Sie sah ihn mit einem Blick an, der Jeoffrey an seinem eigenen Verstand zweifeln ließ. "Genauso gut könntest Du mich fragen, ob ich atmen kann!"


Gegen Ende des Tages erreichten sie wie versprochen offenes Land. Unter den letzten Bäumen stiegen sie ab, Jeoffrey ebnete den Boden und zeichnete den Weg zur Küste auf.


"Was wirst Du jetzt tun?" Ihr leichtes mitfühlendes Lächeln nahm ihm die letzten Zweifel an der Richtigkeit dessen, was er getan hatte. Auch sie war es wert.

 

"Ach, ich werde mich schon durchschlagen. Das mußt Du auch. Es ist ein weiter Weg nach Dänemark."


"Wenn ich zurückkomme, solltest du besser nicht dort sein. Aber falls doch..... halte Dich fern von ihm."


"Du weißt, daß ich das nicht tun werde!"


" Ja. Du bist ein tapferer Narr!"


Im selben Moment spürte sie das Rauschen, daß sie zuletzt im Turmzimmer gefühlt hatte. Woher?


"Er ist ein verräterischer Narr!"


Die eisige Stimme aus dem Dämmer des Waldes ließ beide erstarren. Methos trat hinter einem Baum hervor, das Schwert in der Hand. Seine Stimme .... sein Anblick... es war das Gesicht aus ihrer Vision, das Gesicht mit der blauen Bemalung, den uralten grausamen Augen. Panik wallte in Sigrun auf, sie war nahe daran, einfach loszuschreien vor Entsetzen. Ihre Hand krallte sich um den Griff ihres Schwertes, fand Halt daran. Und die Gewissheit, diesmal nicht hilflos ausgeliefert zu sein.


Jeoffrey fuhr sich mit einem resignierten Ausdruck übers Gesicht. Das Gefühl des Verlustes war stärker als seine Angst. Angst.... ja, er gab es vor sich selbst zu. Er fürchtete seinen besten Freund. Eigentlich hätte er lieber für ihn sterben wollen als durch ihn. Der Gedanke wurde von einem bitteren Lachen begleitet.


"Bitte.... Methos... laß es Dir erklären… wenn Du nur verstehen wolltest."


"Ich soll verstehen? Was? Daß Du mir die Frau gestohlen hast? Daß Du meine Freundschaft verraten hast?"


" Nicht Dir! Der Mann, der in den letzten Tagen Deinen Namen trug, das warst nicht wirklich Du!
Ich habe sie weggeholt.... um den echten Methos wieder zum Vorschein zu bringen."


"Wieder ein Fehler.... ein tödlicher, mein... Freund… Ich bin der wahre Methos. Der andere, den Du kanntest, war ein Schwächling, ein.... Irrtum!"


Völlig locker und seiner selbst gewiß ging er die paar Schritte auf das offene Grasland hinaus.
"Komm, Freund. Du hast Dir eine Belohnung verdient."


Mit der Schwertspitze deutete er auf Sigrun, unter hochgezogenen Augenbrauen warf er ihr einen spöttischen Blick zu.


"Und danach bin ich ganz für Dich da."


Demonstrativ setzte Jeoffrey sein Schwert auf den Boden, stützte beide Hände darauf.
"Ich will nicht gegen Dich kämpfen. Es ist so sinnlos, so falsch."


Er klingt verloren, dachte Sigrun. Als wäre er schon jetzt besiegt.


Methos trat näher, eine Bewegung aus dem Handgelenk, ein kurzes metallisches Blitzen und Jeoffrey zuckte zurück. Aus einem Schnitt in seiner Wange lief das Blut in den Halsausschnitt seines Hemdes. Noch immer rührte er sich nicht. Wieder das Zustoßen, so schnell, daß sie kaum mit dem Auge folgen konnte. Größer der Schnitt, tiefer diesmal, quer über die linke Brust.


Mit einem verzweifelten Stöhnen hob Jeoffrey endlich sein Schwert und schlug auf Methos ein, unkonzentriert, halbherzig, traurig. Mit wachsendem Entsetzen beobachtete Sigrun den ungleichen Kampf. Wenn Jeoffrey in anderer Gemütsverfassung gewesen wäre, hätte Methos einen ernsthaften Gegner gehabt. Er war sonst stark, geschickt und hatte von seinem Freund viel gelernt.


Doch diesen Kampf, diesen Gegner hatte er nicht gewollt. Jeoffrey focht in dem Bewußtsein, ein toter Mann zu sein.


Als Frau krampfte sich alles in ihr vor Übelkeit zusammen und sie mußte sie ihre ganze Beherrschung aufbieten, um nicht kopflos zu fliehen. Denn der Sieger stand fest. Und dennoch konnte sie ihre Augen nicht von den beiden Männern lösen, denn sie erkannte gute Kämpfer. Methos war schnell, seine Schläge von großer Genauigkeit. Er schien immer zu wissen, was sein Gegner vorhatte, reagierte, noch bevor Jeoffrey selbst den Gedanken zuende geführt hatte. Und bei aller Kraftentfaltung wirkte er elegant und anmutig .
Zuerst fiel es ihr nicht auf. Aber dann erkannte sie die Veränderung. Die pure Lust an der Grausamkeit war aus seinen Augen gewichen. Er wollte es nur noch zu Ende bringen. Die beiden hatten sich immer mehr in ihre Nähe bewegt. Sigrun fing Jeoffrey´s Blick auf, voller Wärme, Bedauern und Abschied. Ein Schritt rückwärts, ein Stolpern und er fiel. Methos holte aus, sie erkannte die Stoßrichtung und wußte, was sie zu tun hatte.


Ihr Schwert klirrte gegen seine Klinge, während sie den Stoß abzulenken versuchte und sich selbst als Schild vor ihren Befreier warf. Noch im Fallen wußte sie, daß es nicht genügt hatte Der scharfe Schmerz in ihrer Seite ließ sie aufschreien, ihre Hände konnten das Schwert nicht mehr halten. Sie spürte noch, wie Jeoffrey sich unter ihrem Körper herauswand, bevor sie das Bewußtsein verlor.

Der blonde Bretone kniete neben ihr, zog den Stoff von dem tiefen Stich, um zu sehen, ob ihr noch zu helfen sei. Und obwohl er es schon kannte, fuhr er doch zurück vor den kleinen blauweißen Blitzen, die in der Wunde zuckten. Die Gefahr hinter sich hatte er völlig vergessen, als sich diese eigentlich tödliche Verletzung vor seinen Augen zu schließen begann.

Methos stand mit finsterem Gesicht, betrachtete seine blutige Klinge. Versuchte sich darüber klar zu werden, was geschehen war. Die Fremde, die Frau aus dem Norden hatte Jeoffrey vor ihm, wirklich ...vor ihm gerettet? Wenn sie sich nicht in den Stoß geworfen hätte, würde er jetzt ein weiteres Mal vor einem vernichteten Leben stehen, daß ihm wertvoll gewesen war. Durch ihn vernichtet.... wie so viele vorher. Einmal hatte ihn der Dämon in seiner Seele dazu gebracht, diesen Mann töten zu wollen, der ihm ein Freund gewesen war wie seit vielen Jahrzehnten kein anderer. Ein zweites Mal sollte es ihm nicht gelingen. Nun endlich, nach all diesen Tagen, fühlte er Auflehnung gegen die Herrschaft des Bösen in sich.


Ein leises bösartiges Sirren, ein dumpfer Aufschlag und er wurde herumgerissen. Als Jeoffrey den Kopf hob, sah er den Pfeil hoch in der Schulter stecken. Methos´ Waffe lag im Gras und er versuchte, den Pfeil zu entfernen. Trotz der Schmerzen suchten seine Augen gespannt die Umgebung ab.


"Es geht so nicht. Zieh das Ding raus! Beeil Dich, sie werden gleich hier sein!"


Der Bretone war zu sehr Krieger, um lange zu zögern. Eine Hand drückte er gegen das Schulterblatt, mit der anderen zog er schnell und geschickt die heimtückische Waffe aus dem Muskel. Methos atmete mit offenem Mund, mühsam und stöhnend. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Sigrun sich aufsetzte, verwirrt nach ihrer Waffe tastete.


Und dann waren sie herangekommen. Er hätte es sich denken können. Der Ärger über seine eigene Unvorsichtigkeit half ihm, sich auf den Beinen zu halten und sein Schwert aufzuheben.


"Diesmal sollten wir nebeneinander kämpfen."


Sein Lächeln war noch schmerzverzerrt, aber ehrlich.
Jeoffrey grinste ihn erfreut an Seite an Seite erwarteten sie die Spanier.
Das konnte doch nicht sein! Sie hatten aus sicherer Entfernung den Kampf der beiden beobachtet, sahen den Blonden fallen und Methos zustoßen. Und hofften, nur noch einem Gegner gegenüber zu stehen. Daß sich die beiden Todfeinde gemeinsam gegen sie wandten, war unglaublich. Als sie aber so nahe gekommen waren, daß sie das Gesicht ihres Gastgebers erkennen konnten, schien eine eisige Hand über ihr Rückgrat zu gleiten. Es war nicht er oder... doch ...... auf erschreckende Art war es die ursprünglichste und wahrhaftigste Darstellung seines Wesens.


Wenn noch Zeit geblieben wäre, um zu fliehen, sie hätten es getan.
Keine Chance mehr zur Flucht, keine Zeit mehr für Überlegungen.
Im Hagel der Schläge setzte das Denken aus, sie reagierten automatisch, instinktiv, wie sie es seit Jahrhunderten geübt hatten.

Sigrun hatte keine Zeit, sich lange mit dem immer noch unfassbaren Gefühl der Rückkehr ins Leben aufzuhalten. Was sie jetzt sah, nahm ihre Aufmerksamkeit völlig in Anspruch.
Daß Jeoffrey noch lebte - gut- genau das hatte sie erreichen wollen. Aber daß jetzt diese beiden
zusammen kämpften...... und der nasse Blutfleck auf Methos´ Wams. Sie sah, daß ihm das Führen der Waffe schwerfiel. Woher kam diese Wunde? Genau so unerklärlich war ihr das Leuchten auf dem Gesicht des Bretonen, die Begeisterung, die er ausstrahlte. Er bewegte sich ganz anders als bei dem vorigen Duell. Jetzt erst wurde seine Qualität als Fechter deutlich.
Egal, welchen Ausgang die Sache auch nehmen würde, sie suchte ihr Schwert, stand auf und machte sich bereit.

Methos hatte sich soweit erholt, daß seine Bewegungen wieder fließend wirkten. Während des ersten Schlagabtausches war es Ignatio noch gelungen, Methos zurückzutreiben. Er mußte sich auf die reine Abwehr beschränken und hoffen, das die Schmerzen in der Schulter rasch genug abnehmen würden. Mit eiserner Verbissenheit gelang es ihm, diese kritische Zeitspanne zu überbrücken. Er erkannte den Stil des Spaniers. Einiges davon hatte er die Berber gelehrt. Und als er seine Kraft wiedererlangt hatte, ging es sehr schnell. Der Fremde hatte keine Chance mehr. Ein Ausfall, dem Methos geschickt auswich, Ignatio wurde von seinem eigenen Schwung vorwärts gerissen. Methos stand seitlich hinter ihm, ein kurzes energisches Durchziehen und sein Feind fiel.


Regungslos und schwer atmend stand der Mann neben dem Körper des Toten. Leichter Wind kam auf, steigerte sich zu heftigen Böen. Sigrun glaubte zunächst an eine Sinnestäuschung, als dünne Nebelschleier sich um den Toten bildeten, aufstiegen, sich zu weißen zuckenden Strahlen verdichteten. Die Strahlen wurden zu Blitzen, schlugen in die Bäume ein, setzten sie in Brand. Ein krachender Einschlag ließ ein Felsstück in tausend Teile zerspringen. Und sie suchten sich ihren Weg zu Methos, zuckten über sein Schwert, durchdrangen mit ungeheurer Gewalt seinen Körper, packten und schüttelten ihn, bis er in die Knie brach. Und er schrie..... er schrie....


Beim ersten Einschlag der Blitze schrie auch Sigrun, suchte Halt an einem Baum, umarmte ihn kniend, riß sich die Wange auf an der rauhen Borke. Das durfte nicht sein! Sie wollte nicht hinsehen, es nicht wahrhaben. Aber bei allem Entsetzen waren ihre Augen wie gebannt auf das Geschehen gerichtet. Nach endlosen Sekunden war es so schnell vorbei, wie es begonnen hatte.


Der schlanke Mann krümmte sich stöhnend über seiner Waffe zusammen, Hände und Kopf auf den Griff gestützt.


Wer kann die Blitze der Götter überleben?
Sie bewegte sich wie im Traum, ohne es selbst zu wollen. Aufstehen, einen Fuß vor den anderen setzen, ihre Fingernägel gruben sich schmerzhaft in die Handballen. Sie stand wie versteinert vor ihm, zu keiner Bewegung mehr fähig. Methos hob den Kopf, immer noch nach Atem ringend.


"Nun mach schon, so eine Chance bekommst Du nie wieder!"
Langsam streckte sie ihre Hand aus, berührte seine Schulter, wie um sich zu vergewissern , daß er kein Gespenst sei.


"Du ....du bist .......wie ich!" Die Worte kamen tonlos, kaum hörbar.

"Und Du bist so ahnungslos."


Während er sich schnell erholte und aufstehen konnte, gaben die Knie unter Sigrun nach , sie sank dort ins Gras, wo er eben noch gekniet hatte. Die Geschehnisse der letzten Tage, die körperliche Erschöpfung und der Schock des eben Erlebten mischten sich zu einem Chaos, daß ihr Denken ausschaltete und sie in einen tranceartigen Zustand fallen ließ, in dem sie blind und taub war für alles um sie herum. Nur ein Gedanke kehrte immer wieder: Wie kann er sein wie ich?

Methos registrierte dankbar, daß Jeoffrey hinter einem Felsen kauerte, unverletzt, wenn auch bleich und fassungslos. Rodrigo hatte nach dem Tod seines Partners die allgemeine Erstarrung zur Flucht genutzt.


" Das....das solltest Du mir aber erklären."


"Das sollte ich wohl. Später. Zuerst muß ich sicherstellen, daß der andere nicht zurückkommt."


Methos war froh, daß er einen guten Grund hatte, sich von den beiden zu entfernen. Der Aufruhr in seinem Inneren, die sich widerstreitenden Stimmen nahmen ihn so in Anspruch, daß er kaum in der Lage gewesen wäre, Erklärungen abzugeben. Und sich dem Haß der Wikingerin zu stellen. Sie würde genauso wie er mit dem Geschehenen leben müssen. Oder besser sterben?


Nichts, was er sagen oder tun konnte, würde es rückgängig machen oder auch nur leichter zu ertragen. Nur daß er mit Sicherheit mehr Übung im Umgang mit Schuldgefühlen hatte als sie. Und mehr Grund dazu, fügte in Gedanken hinzu, nicht ohne einen gewissen sarkastischen Humor.


Eigentlich machte es wenig Sinn, jetzt, kurz vor Sonnenuntergang die Verfolgung aufzunehmen. Er tat es trotzdem.

 

 IV.
Thors Blitze


 Jeoffrey sammelte trockene Zweige und richtete eine Feuerstelle her. Er freute sich auf das erste Feuer seit 2 Tagen. Die Sonne war versunken, nur noch ein schwacher Abglanz erhellte den Himmel im Westen.

Jeoffrey dachte mit Schaudern an das unheimliche Gewitter, daß sein Freund unbeschadet überstanden hatte. Glücklicherweise war er weder fromm noch abergläubisch, sondern eher nüchtern und von natürlicher Gelassenheit. Warum sich also von etwas verrückt machen lassen, was im Moment nicht zu klären war? Methos lebte und hatte scheinbar zu seinem eigentlichen Wesen zurückgefunden. Es war nicht das erste Geheimnis, daß er an seinem Freund entdeckt hatte. Er würde es ihm erklären, wenn er es für richtig hielte.

Für ihn war die Welt wieder in Ordnung
Solange jedenfalls, wie sein Blick nicht an der reglosen Gestalt auf dem Feld hängenblieb. In der zunehmenden Dunkelheit war Sigrun nur noch als Schatten zu erkennen. Einige Male war er versucht gewesen, sie anzusprechen und "aufzuwecken", aber irgendetwas hatte ihn immer wieder davon abgehalten. Sie schien sehr weit weg zu sein.
5 Jahre vorher,

erst 7 Jahre waren seit dem Überfall der Wikinger auf Lindisfarne vergangen. Keltische Mönche von Jona unter der Führung des heiligen Aidan hatten die Inselabtei im Jahre 635 gegründet und zu einem Zentrum der der Gelehrsamkeit und des Glaubens werden lassen. Der Ruhm Lindisfarne´s hatte sogar den Kontinent erreicht und wurde in einem Atemzug mit Lorsch, Fulda und der Reichenau genannt.

Der Bericht vom der Zerstörung der Abtei ging wie ein Lauffeuer um die damals bekannte Welt. Für einen Teil dieser Welt der Beginn der Angst. Angst vor den Nordmännern, den Wikingern, die nun immer öfter an den Küsten auftauchten und nach wenigen Stunden nur noch Tote und rauchende Trümmer hinterließen.

Für den anderen Teil der Welt der Beginn des Aufbruchs, die Entdeckung, wie leicht es war, sich zu holen, wonach der Sinn stand. Sie kannten keine Zweifel oder Bedenken, die christlichen Moralvorstellungen waren ihnen fremd. Wurde ein Krieger gefragt, woran er glaubte, so lautete die Antwort: "An meine eigene Kraft!" Die Schwäche des Gegners auszunutzen, war eine Selbstverständlichkeit. Wer nicht stark genug war, sich zu schützen, verdiente kein Mitleid und keine Schonung. Sie waren hart gegen sich selbst und gegen alle anderen. Wie das Land, aus dem sie kamen.

Bald nach Lindisfarne tauchten die schnellen Boote an der englischen Ostküste auf, sie verheerten Jona, Kintyre und die Isle of Man. Dann waren die Inseln vor der friesischen und der aquitanischen Küste an der Reihe.

Es war wie eine Flut, die alles überschwemmte und nicht einzudämmen war.
Hegnis Schiffe waren dabei, als die Nordmänner an der Irischen Küste landeten. Eines der Schiffe führte er selbst, das zweite seine Tochter. Wie immer waren die Bewohner völlig überrascht und kaum zu organisiertem Widerstand in der Lage.

Und doch war es diesmal anders. Sie teilten sich, um mehrere nah beieinander liegende Siedlungen gleichzeitig angreifen zu können.

Erstaunlich! Sigrun wunderte sich, als sich ihrer bis zu den Hüften nassen, brüllenden Kriegerschar einige der Bewohner entgegenstellten. Bewaffnet mit allem, was eben greifbar war, Axt, Hacke, Ruder. Bei den bisherigen Überfällen hatten die Opfer meistens ihr Heil in der Flucht gesucht. Und sie wunderte sich über das seltsame Gefühl in ihrem Kopf. Schmerz, Donnern, Brausen.

Die Hütten schmiegten sich an den Rand eines steil abfallenden Hanges. Ein Trampelpfad führte hinauf. Dort oben gab es sogar ein paar vom beständigen Seewind gebeugte Bäume.
Ihre Aufmerksamkeit richtete sich nicht mehr auf den Kampf um sie herum, sondern wurde wie von einem fremden Willen nach oben gelenkt, zum Rand der Klippe. Und dort sah sie ihn stehen. Als ob er lauschte oder ... etwas suchte.. . Ihre Blicke trafen sich. Scheinbar hatte er gefunden, wonach er gesucht hatte.

Sie ließ ihre Krieger zurück und rannte fast den Pfad entlang nach oben. Sie wußte, daß er auf sie gewartet hatte.

Seine Waffen sahen ganz so aus, als ob sie wirklich oft gebraucht würden. Er war älter als Sigrun, breiter und einen Kopf größer. Dieser Mann war sicher kein einfacher Fischer oder Bauer. Gleichgültig, er sollte seinen Kampf bekommen. Sie freute sich darauf, einem Gegner gegenüber zu stehen, der diese Bezeichnung auch verdiente.

"Ich bin Aelnoth von Kent."

"Du hättest dort bleiben sollen. Ich werde Kent von Dir grüßen."

Sie waren allein auf dem kleinen, zur Landseite hin abfallenden Plateau. Weder konnten sie den Kampf am Strand verfolgen noch waren sie von unten zu sehen.

Sie umkreisten sich Sigrun merkte schnell, daß er stärker war. Also ließ sie sich auf nichts ein, wobei ihm seine Kraft hätte von Nutzen sein können. Keine verkanteten Klingen, keine ineinander gehakten Hefte, kein Körperkontakt. Den Rest konnte sie mit Geschick und Schnelligkeit ausgleichen.

Sie hatte lange geübt, Versuche gemacht, wie sich der Nachteil ihres geringen Gewichtes ausgleichen ließe. Überaschende Vorstöße, präzise Schläge, Finten, die sie in den Rücken des Gegners brachten.
Aelnoth wurde zornig.

"Du weichst mir aus! Bleib endlich stehen!"

"Soll ich vielleicht noch den Helm abnehmen und niederknien, damit Du es einfacher hast?" lachte sie ihn aus.

"Wenn Du siegen solltest, werden sie Dich vielleicht gehen lassen. Ist das kein Angebot?"

Er konnte nicht mehr antworten, war außer Atem. "Aber Du wirst nicht siegen!"

Sigrun duckte sich unter seinem Stoß, seinem Schwertarm, glitt an ihm vorbei. Dabei zog sie die Klinge kräftig über seine Rippen. Und stand hinter ihm, bevor Aelnoth erfasst hatte, wie sie dahin gekommen war. Ihr Fuß traf ihn mit voller Wucht in der Kniekehle. Er fiel vornüber, mußte sich auf die Hände stützen. Die ideale Position für Sigrun. Ohne Zögern biß sich ihr Schwert durch seinen Hals.

Es war vorbei. Sie stand schwer atmend, nahm den Helm ab. Nicht nur Aelnoth war ins Schwitzen geraten.

Ein plötzlich aufkommender Wind kühlte ihre Stirn; wurde schnell heftiger und zerrte an ihren Haaren. Ungläubig und mit wachsendem Entsetzen starrte Sigrun auf das unheimliche Geschehen vor ihren Füßen.

Vom Körper des Toten lösten sich weiße substanzlose Schwaden, krochen ziellos über den Boden, verfestigten sich, formten sich zu Streifen, zu Blitzen, die ihren Weg zu Sigrun fanden. Sie schlugen in ihre Hände, ihre Brust, ihren Kopf wie in einen Baum auf dem Feld. Wollte Thor selbst sie mit Mjölnir´s Blitzen töten?
Sie wankte unter der Wucht der Einschläge, Schreie lösten sich von ihren Lippen. Ihr Denken setzte aus, wurde abgelöst von purem Horror und Schmerz. Als sie nach endlosen Sekunden wußte, es nicht länger ertragen zu können, war alles vorbei. Kein Wind mehr, keine Blitze, kein Schmerz. Sie fand sich kniend wieder, zerschlagen, keuchend und entgegen aller Erwartung ----lebend!
Ihre Augen waren unnatürlich geweitet und sahen, was kein anderer sehen konnte. Unklare Bilder, wie aus einem wirren Traum. Orte, wo sie nie gewesen war, Dinge, die sie nie erlebt hatte und doch...wußte, fühlte!

Langsam kehrte Sigrun´s Geist zurück. Sie hatte keine Brandwunden, ihre Finger waren so um das Heft des Schwertes gekrampft, daß sie sich nur mit bewußter Anstrengung öffnen ließen. Sie konnte sich nicht mal mehr auf den Knien halten, gab der Erschöpfung nach und ließ sich einfach fallen. Die Grasbüschel, der mit Steinen gemischte Sand unter ihrem Körper war zehnmal deutlicher als sonst zu spüren. Ihr ganzes Fühlen hatte eine Intensität erreicht, die sie nicht für möglich gehalten hätte - vorher. Die Wolken hoch oben schienen zum Greifen nahe und spiegelten sich in ihren Augen.
Der Kampf am Strand war längst entschieden .Aber wo war Sigrun? Ivar hatte sie den Klippenpfad hinaufeilen sehen. Er, Bjarne und einige andere hatten eben den Weg erreicht, als von oben ein krachender Einschlag zu ihnen dran. Einer der Bäume dort oben loderte hell auf und brannte. Über dem Plateau, auf einen eng begrenzten Gebiet, schien ein seltsames Gewitter zu toben. Sie sahen zuckende Lichter und den Widerschein am Himmel. Als die ersten unter ihnen die Oberkante der Klippe erreichten, sahen sie Hegnis Tochter unter den letzten grellen Entladungen zusammenbrechen.

Keiner der Wikinger war auch nur zu einem Wort fähig. Sie standen in schweigendem Entsetzen. Sigrun mußte tot sein, sie hatten sie verloren!

Und dann hörten sie in der atemlosen Stille ihr schweres Stöhnen, sahen, wie sich ihre Finger in den Sand gruben und sie langsam den Kopf von einer Seite zur anderen bewegte. Die Erstarrung der rauhen Krieger wich langsam. Als erster wagte sich Bjarne zu ihr, der rotblonde drahtige Mann, dem sie so viel bedeutete. Ihr Steuermann, ihr Geliebter, ja, oft auch ihr Beschützer. Der Mann, der ihr in der Schlacht den Rücken deckte. Mit dem sie des Nachts abseits von den anderen lag. Es war nicht die romantische, schwärmerische Liebe der südlichen Länder, es war Vertrauen, Verläßlichkeit und Freude am Körper des anderen, Genuß all dessen, was sie einander geben konnten.

Sigrun fühlte seine Hand unter ihrem Kopf, die andere Hand tastete über ihre Arme, ihre Hände, er konnte nicht fassen, daß sie lebte. Daß es keine Verbrennungen gab, keine Spuren der Blitzschläge. Die vertraute Berührung brachte sie in die Gegenwart zurück. Ihre Blicke trafen sich und der Versuch eines Lächelns mißlang ihr völlig.

"Daß Du lebst! Die Götter müssen Dich lieben!"

Bjarne half ihr auf die Beine, ließ sofort ihren Arm los, als sie sicher stand. Zuviel Gefühl war nicht angebracht, das hätten beide nicht gewollt und alle anderen mißbilligt.
Sigrun atmete einige Male tief und langsam durch, sah ihren Männern der Reihe nach in die Augen.

"Ich habe Thor´s Blitze gespürt und ich lebe. Ich habe Dinge gesehen, die kein anderer gesehen hat....."

Sie wurde durch die Rufe unterbrochen.

"Die Götter haben Dich geschickt"

"Odin´s Tochter führt uns in den Kampf!"

"Mit Dir sind wir unbesiegbar!"

Dann waren die Worte nicht mehr zu unterscheiden, alle brüllten durcheinander. Diesmal gelang ihr Lächeln.
Bretagne, 5 Jahre später

Der verlockende Feuerschein drang langsam in ihr Bewußtsein. Sie kniete völlig steif und kalt an der Stelle, von der sich Methos vor einer Ewigkeit erhoben hatte. Die Nacht war längst fortgeschritten. Das Schwert lag quer über ihren Knien. Der Schmerz in ihrer linken Hand weckte sie ganz auf. Ohne ihr Zutun hatte sich diese Hand um die Klinge gelegt und zugedrückt. Jetzt löste sich ihr Griff, die tiefen Schnittwunden in der Handfläche bluteten heftiger, begannen sofort auch zu heilen.

Jeoffrey saß im Halbschlaf vor dem Feuer.

Mühsam stand sie auf. Die Wärme und Geborgenheit des Feuers war so erstrebenswert wie nichts anderes auf der Welt. Jeoffrey schaute sie mit überaschend wachem Blick an, sagte aber nichts, sondern reichte ihr nur schweigend den dunklen Umhang, den sie auf dem Ritt getragen hatte. Ganz langsam spürte sie, wie die Kälte aus ihrem Körper wich und das Blut wieder schneller kreiste.
" Wo ist er?"

" Auf der Suche nach dem zweiten Angreifer."

"Ich hätte ihn kein zweites Mal hindern können, Dich zu töten. Warum hat er es nicht getan?"

"Ich denke, er hat zurückgefunden. Ich hoffe es. Sonst...."

Nach einer langen Pause setzte er hinzu: "Ich kann Dir nur mit Worten danken. Vielleicht kann ich es zu einer anderen Zeit anders tun."

"Du hast mir schon vor 2 Tagen mehr als genug gedankt. Ich war es Dir schuldig."

"Vielleicht. Aber deshalb hast Du es nicht getan, das wissen wir doch beide."

Sie lächelten sich über das Feuer hinweg an.

" Sigrun, Du hast etwas zu ihm gesagt, als er dort kniete. Was war es?"

" Daß er so ist wie ich...... das, was ihm geschehen ist, habe ich selbst erfahren. Niemals vorher habe ich es bei einem anderen gesehen oder auch nur davon gehört. Ich wollte weg, heim.... aber jetzt kann ich es nicht."

Ihre Stimme war immer leiser, immer monotoner geworden. Sie hatte mehr zu sich selbst als zu ihrem Gegenüber gesprochen.

" Aber trotzdem ist es nicht gut, wenn Du hierbleibst. Vielleicht solltest Du nicht mehr wissen wollen! Und vielleicht solltest Du ihm nie mehr begegnen. Noch ist es Zeit......aber ich weiß nicht, wie lange er fortbleibt."

Er starrte in die Flammen, das Knistern der Zweige im Feuer erschien ihm unnatürlich laut.
"Mir ist auch aufgefallen, daß euer beider Verletzungen so schnell heilen. Ich weiß nicht, warum. Nimm es einfach als Geschenk Deiner Götter und mach Dich auf den Weg nach Hause. Vergiß ihn, mich, vergiß alles, was war."

Sie antwortete lange nicht. Fast hätte er glauben können, sie sei im Sitzen eingeschlafen.
"Du weißt längst nicht alles. Er hat mich erstochen. In der ersten Nacht im Turm hat er mich getötet. Ich war tot und bin doch wieder erwacht. Genauso so wie heute!"

Sigrun sprang auf, packte seine Schultern und schüttelte ihn. Ihre Stimme wurde lauter, erregter mit jedem Wort, daß sie sagte. " Verstehst Du, ich war tot! Glaube mir, ich weiß, was das ist. Ich habe viele Tote gesehen und viele selbst erschlagen. Ihre Wunden sind nicht mehr geheilt und keiner stand wieder lebend vor mir!
Und er wußte, daß ich wieder aufwachen würde. Dein Freund saß neben mir und hat darauf gewartet! "

Der plötzliche Gefühlsausbruch war vorüber. Sigrun fiel in sich zusammen, als hätte sie damit ihre letzten Kraftreserven verbraucht, und zog den Mantel enger um die Schultern.
" Er wird mir sagen, warum ich nicht sterben kann!"

© © ©
Methos war langsam voran gekommen. In der Dunkelheit war so eine Verfolgung kein leichtes Unterfangen.

Sei doch ehrlich! Dir geht es doch gar nicht um den Kerl. Du willst Dich nur nicht mit den beiden dort hinten auseinandersetzen. Du willst nur ein paar Stunden herausschinden, bis es nicht mehr zu vermeiden ist. Du willst keine Fragen hören, keine Anklagen. Du willst ihr nicht in die Augen sehen müssen. Oder gar mit ihr kämpfen! Feigling!

Eine leise Stimme flüsterte im Hintergrund: vielleicht ist es gar nicht mehr nötig, wenn Du zurückkommst. Jeoffrey wollte sie zur Küste schicken. Es könnte ihm ja gelungen sein.
Dann hörte er seinen Dämon lachen und zuckte zusammen. Er hatte ihn oft so lachen hören. In plötzlichem Erschrecken blickte er um sich. Obwohl er doch wußte, daß diese Stimme, dieses Gesicht nur in seinem Inneren zu finden war. Kronos grinste ihm schadenfroh zu.
Ja, Bruder, es ist leichter, zu sein, wie wir waren. Wie ich bin. Und es macht viel mehr Spaß! Das hast Du gerade gespürt, nicht? Gib es zu, du hast wieder Geschmack gefunden an der absoluten Macht. Sie war stark und doch hilflos gegen Dich. Was für ein Gefühl! Aber Dein Sieg ist noch nicht vollkommen. Du konntest nur ihren Körper unterwerfen, nicht ihren Geist. Kehre um und beende, was Du begonnen hast. Sei, wie Du warst! Und dann komm zurück zu mir. Ich warte........ Eines Tages werde ich Dich finden, wenn Du nicht kommst. Ich werde Dich finden!
Methos atmete auf, als das Lachen endlich verhallte. Sollte das denn nie aufhören? Mit einem Mal wurde ihm bewußt, daß er noch die blaue Bemalung im Gesicht trug. Er zügelte sein Pferd, stieg ab und goß Wasser aus dem Schlauch auf eine Ecke seines Mantels. Damit rieb er sein Gesicht solange ab, bis es glühte und sich anfühlte, als sei der größte Teil der Haut mit verschwunden.

Auch seine Grenze war erreicht, in jeder Beziehung. Er schlang die Zügel seines Pferdes um einen Ast, rollte sich in den Umhang und schlief fast sofort ein.

Das eiskalte Wasser umspülte die Beine der beiden Kämpfer bis zur Mitte der Oberschenkel. Sie bewegten sich unglaublich langsam. Ihr Atmen, das Klirren der Schwerter wurden eigenartig gedämpft, verzerrt, wie sonst nur im dichten Nebel. Sie waren beide erschöpft, am Ende ihrer Kraft. Trotz des kalten Seewassers hatte sich ihre Haut mit einem Schweißfilm überzogen. Dann machte sie den entscheidenden Fehler. Er versuchte seinen Schlag zu stoppen. es gelang ihm nicht. Und er mußte mit einem stummen Schrei zusehen, wie seine Klinge ihren Kopf von den Schultern schlug. Die Wellen trugen rotschimmernde Schaumkronen. Sie nahmen ihren Körper mit sich fort..

Heftiges Atmen, Stöhnen weckte ihn auf. Die tausendfach geübte Reaktion auf die Gefahr begann, bevor er völlig zu sich gekommen war. Er fand sich mit dem Schwert in der Hand, den Rücken durch einen riesigen Baumstamm gedeckt und alle seine Sinne suchten den Feind. Und fanden nichts, niemanden. Erst dann wurde ihm klar, daß sein eigenes Stöhnen ihn geweckt hatte.

Entnervt glitt er am Baumstamm entlang zu Boden, stützte die Ellbogen auf seine Knie und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Verdammt, jetzt wußte er wenigstens, was er sicher nicht wollte.
Nur schade, daß er nicht wußte, wie er es würde vermeiden können!
Das konturlose Grau der frühen Dämmerung nahm langsam Formen und Farben an. Es war nicht mehr an Schlaf zu denken, obwohl er sich noch genau so zerschlagen fühlte wie am Abend zuvor. Wenn er wach blieb, konnte er wenigstens den Alpträumen entgehen, die ihn immer wieder heimsuchten. Sie fürchtete er mehr als jeden lebenden Gegner. Er hatte so viele davon und nun hatte er noch einen mehr. Es gab Zeiten, in denen er sie zurückgedrängt glaubte, fast überwunden. Das waren die Zeiten gewesen, in denen er wirklich geliebt hatte..... und geliebt worden war. Das vor allem.

Diese Zeiten waren so selten gewesen, ein kurzes Atemholen in einem zerstörerischen Leben. Und dann hatte er sie verloren, auf die eine oder andere Weise. Immer wieder verloren. Und seine Alpträume waren zurückgekommen in den einsamen Nächten, stärker als vorher, jedesmal stärker.

In vielen Kämpfen hatte Methos schon die Versuchung gespürt, mit Absicht zu verlieren. Sein Schwert wegzuwerfen, einen bewußten Fehler zu machen. Oft sehnte er sich nach dem Vergessen, dem nicht mehr leiden müssen. Aber immer hatte der unbedingte Überlebenswille in ihm gesiegt. Dieser Wille hatte ihn damals am Leben erhalten, als er nichts anderes hatte, an das er sich hätte klammern können und war tief in ihm verwurzelt. Nur überleben zählte, der nächste Tag, die nächste Nacht, auch wenn er sich oft fragte, wofür. Er wußte nicht, worauf er hoffte, wartete.
Gewiß nicht darauf, der Gewinner des Spieles zu sein. Vielleicht würde er es nie erfahren.

Er war so müde. Stöhnend lehnte er die Stirn an den Hals des Pferdes. Kein Mensch, aber ein warmes lebendiges Wesen, daß nicht vor seiner Berührung zurückzuckte, daß ihm wenigstens die Illusion geben konnte, nicht so ganz einsam zu sein.

Beinah das Schlimmste war, daß er sich an alles erinnerte, was geschehen war. Das tat er immer sehr gut, wenn sein Dämon ihn beherrschte. Diese Wikingerfrau - er vermied es, ihren Namen auch nur zu denken - wenn er sie nur unter anderen Umständen kennengelernt hätte. Sie hatte sich ihm verweigert - und er wußte doch, wie es anders hätte sein können. Immer noch konnte er ihre Haut unter seinen Händen spüren, ihre Wärme und Kraft. Methos erinnerte sich jeder Reaktion, ihrer Augen, ihres Körpers. Vielleicht war es doch nicht ausschließlich Furcht gewesen und Abscheu und Haß. Furcht, die sie niemals eingestehen würde und doch nicht hatte vor ihm verbergen können. Vor jedem anderen vielleicht, aber nicht vor ihm. Angst und Schmerz hatte ihn einen großen Teil seines Lebens begleitet, Der Geschmack der Furcht war ihm zu vertraut. In seinen dunklen Zeiten genoß er es, wenn sie Angst hatten.
Jeoffrey hatte zur falschen Zeit eingegriffen. Wenn er sie nur hätte dazu bringen können, ihn zu bitten. Um was auch immer, aber ihn. Damit hätte sie den entscheidenden Schritt getan, ihren Feind als Herrn anzuerkennen. Vor allem vor sich selbst. Er wußte sehr gut, daß es danach fast unmöglich für die Unterworfenen war, sich aus eigener Kraft aus dieser Abhängigkeit zu lösen. Wer erst einmal akzeptiert hatte, daß es einen Herrn gab, von dem alles zu befürchten - oder zu erhoffen - war, der hatte keinen eigenen Willen mehr, der war nicht mehr frei. Der hatte nicht einmal mehr die Freiheit des Geistes, die mit Ketten und Mauern allein nicht zu zerstören war. Und die vorher die Stärksten waren, deren Vernichtung war am gründlichsten.

Danach hätte sie die Flucht nicht mehr gewagt.

Und nachdem die Umklammerung des Dämons gewichen wäre, hätte er die Chance gehabt, das Verhältnis zu ihr zu ändern, zu bessern. Sie wäre für jede kleine Freundlichkeit dankbar gewesen. So waren sie alle. Dann hätte sie endgültig ihm gehört.
Falsch! sagte die distanzierte kühle Stimme seines Verstandes. Dann wäre sie nicht mehr die stolze, unabhängige Frau, die Du begehrt hast. Die Du immer noch in Deinem Blut spürst! Sondern nichts weiter als eine jederzeit verfügbare Sklavin, austauschbar, willenlos, uninteressant.

Und zu all Deinen Verbrechen müßtest Du noch hinzurechnen, daß Du eine starke Frau, unsterblich wie Du selbst, auf so würdelose Weise vernichtet hast. Du hättest sie auf schlimmere Art verloren als jetzt.
Ein resigniertes Lächeln grub sich in sein Gesicht. Na gut, er würde zurückreiten und sich stellen. Das zumindest war er ihr schuldig. Wenn sie kämpfen wollte, würde er versuchen, sie zu schonen. Vielleicht...... war das seine Chance, den absichtlichen Fehler zu machen? Vielleicht hatte er darauf - auf sie - gewartet?

Du bist wirklich müde, Freund. Kannst Du nicht mehr denken? Wie sollte sie Dein Quickening überleben? Aber....... wer weiß denn , ob sie weiterleben will.



V.
Antworten


Das Feuer war fast ausgegangen. Es gab nur noch einige dunkelrot glimmende Glutreste , die weder Wärme spenden noch die Dunkelheit vor Tagesanbruch durchdringen konnten. Beide hatten sich in die Mäntel gerollt und lagen still möglichst dicht an der Feuerstelle. Das Nahen des Herbstes war am Tag noch nicht zu spüren, aber nachts wurde es empfindlich kühl. Jeder horchte auf das gleichmäßige Atmen des anderen und gab sich selbst alle Mühe damit. Nur nicht merken lassen, daß man nicht schlafen konnte. Nur keinen Anlaß zu Fragen geben.

Jeoffrey war froh, daß Methos nicht mehr so kalt und bösartig war wie in der letzten Zeit. Er wollte nur das gewohnte Leben wieder aufnehmen, unbeschwert und anstrengend. Was kein Problem gewesen wäre, wenn sie nicht mehr da wäre. Aber sie war unglaublich dickköpfig und hatte sich nicht fortschicken lassen. Sie wollte ihre Rache und das nötige Wissen über die seltsamen Dinge, die sie gesehen hatte. Was von beiden sie mehr wollte, konnte er nicht sagen. Wohl beides - in der richtigen Reihenfolge. Sie hatte eindeutige Absichten in Bezug auf Methos´ Leben und war sicher nicht umzustimmen. In der kurzen Zeit seit ihrer Flucht hatte er sie schätzen gelernt, ihre ruhige, trotz allem entschiedene Art. Sie hatte nicht gejammert oder sich beklagt, sondern war schweigend an seiner Seite geblieben während der langen Stunden des Rittes durch den Wald. Er hatte beide gern und mußte um eines dieser Leben fürchten. Eher um ihres, wenn er sich die endlosen Übungsstunden ins Gedächtnis rief, die er mit Methos im Hof und am Strand verbracht hatte. Jeoffrey war kein Dummkopf, seine Phantasie und die Erinnerung an eigene Erlebnisse während der Kriegszüge im Dienste verschiedener Gebietsfürsten zeigten ihm recht deutlich, was sie während ihrer Gefangenschaft hatte ertragen müssen und er wunderte sich immer wieder, daß hier kein verstörtes zitterndes Etwas neben ihm lag. Nach den letzten Ereignissen konnte er sich leichter vorstellen, daß sie ein Drachenschiff befehligt und um halb Europa herum geführt hatte. Sie hatte nicht nur die Kraft zur Flucht gehabt, sondern auch soviel Mut, sich in den unaufhaltsamen Stoß zu werfen, der sie das Leben hätte kosten können. Und soviel Mut, hier auf den Mann zu warten, der ihr verhaßt sein mußte wie der Tod. Verdammt, er wollte sie nicht tot sehen. Er mochte Sigrun.

Als die ersten Vögel noch verschlafen ihre Stimmen erhoben und aus dem Dunkel der Nacht die Umrisse der Bäume hervortraten, wickelte sie sich leise aus ihrem Mantel und ging in den Wald. Nicht weit, nur außer Sichtweite. Sigrun wußte nicht, daß zur selben Zeit in einem ähnlichen Wald Methos aus seinen unruhigen Träumen schreckte. Hier gab es keine Eschen. Vielleicht konnte auch jeder andere Baum ihre Verbindung sein zum Weltenbaum, zu ihren Göttern. Sie fand eine Buche, die sie gerade mit den Armen umspannen konnte, legte ihr Gesicht an den Stamm und schloß die Augen. Sie hörte das Raunen der Blätter, als ob sie zu ihr sprechen wollten. Spürte die in der Rinde aufsteigende Kraft, den Herzschlag der Erde, die den Baum nährte.

Wer bin ich, Odin, wenn nicht Deine Tochter? Wie soll ich zurückkehren und meiner Sippe sagen, seht her, wir haben uns geirrt? Ich war nie die Gesandte der Götter, für die ihr mich hieltet. Alle anderen sind tot, ich habe sie nicht retten können. Und trotzdem lebe ich! Ich kann nicht sterben, wißt ihr.

Wie kann ich zurückkehren, ohne sie - und mich - gerächt zu haben? Wie kann ich sie rächen, wenn dafür der Eine sterben muß, der mir die Antworten geben kann? Wer sonst könnte mir sagen, wer ich bin. Kann ich ihn töten, wenn er so ist wie ich? Langsam fühlte sie ihre Verzweiflung schwinden und einer wachsenden Entschlossenheit Platz machen. Ihr Haß wurde nicht geringer, aberkühler, überlegter, nicht mehr blind. Nur eines veränderte sich nicht: der bebende Knoten in ihrem Magen, wenn sie daran dachte, auf wen sie hier wartete. Wenn sie an die Tage und Nächte dachte, in denen sich ihre Welt auf runde steinerne Mauern, Ketten, Angst und Demütigung verengt hatte. Wie würde das Leben aussehen mit Angst im Herzen? Wie sollte sie kämpfen....... mit der Furcht vor solch einer Niederlage? Nein, so war das Leben nichts mehr wert. Sie würde es freudig wegwerfen, wenn sie sicher sein könnte, ihn mitzunehmen. Und wenn sie gewußt hätte, wie. Nicht einmal mehr der Tod in der Schlacht, für sie und ihresgleichen das einzige erstrebenswerte Ende, war ihr möglich. Die aufgehende Sonne hatte die Dämmerung verdrängt. Ihre Handflächen lagen an der rauhen Rinde des Baumes und sie fühlte wieder ihre Kehle eng werden. Nein, nicht mehr - nie mehr - weinen. Schluß mit dem Selbstmitleid. Es gibt immer einen Weg! Sie mußte ihn nur finden.Dort in den Baumkronen konnte sie Misteln erkennen. Als alle Lebewesen geschworen hatten, Baldur kein Leid zuzufügen, war die Mistel vergessen worden. Und so wurde aus einem Mistelzweig der kleine heimtückische Pfeil geschnitzt, der Baldur, den lichten Gott, das Leben kostete. "Vielleicht wird es kein Mistelpfeil sein, der Dich tötet, aber ich werde ein Mittel finden. Du selbst wirst es mir zeigen."

Als Methos das provisorische Lager erreichte, sah er nicht mehr sehr gefährlich aus. Nur sehr müde. Bei Sigrun´s Anblick verdüsterte sich sein Blick noch mehr. Sie lehnte mit dem Rücken an einem Baum und sah ihm wenig erfreut entgegen. Jeoffrey ging auf Methos zu und umarmte ihn so heftig, daß der Schnitt in seiner Brust wieder zu bluten begann.

"Ich sollte daran denken, daß meine Wunden nicht so schnell heilen wie Deine. Es ist gut, Dich wiederzuhaben."

"Laß mich das neu verbinden."

Während Methos schnell und geübt einen neuen Verband anlegte, fragte er leise: "Warum hast Du sie nicht weggeschickt? Ich hatte gehofft, sie nicht mehr vorzufinden."

Jeoffrey grinste ihn verlegen an: "Was meinst Du wohl? Ich hab´s versucht. Aber sie hat einen verdammten Dickkopf. War Dir das nicht aufgefallen in der Zeit eurer hmm, Zweisamkeit?"

Methos verstaute die restlichen Leinenstreifen und warf seinem Freund einen giftigen Blick zu " Ich wette, Du hast Dich nicht sehr angestrengt."
Sigrun sah ihn auf sich zu kommen, spürte ihre Handflächen feucht werden und den Herzschlag bis zum Hals. Sie zwang sich dazu, ihre lässige Haltung beizubehalten. Eine Armeslänge voneinander entfernt, bohrten sich braune Augen in graue, keiner wollte zuerst den Blick abwenden. Wie so oft, wenn sich der alte Unsterbliche unsicher oder im Unrecht fühlte, behalf er sich mit Spott und Zynismus.

"Hat es Dir so gut gefallen, daß Du Dich nicht von mir trennen willst? Jeoffrey ist diskret, wir können ihn für eine Weile wegschicken."

Ihr freudloses Lächeln ließ nur ihre Zähne aufblitzen, wie damals im Halbdunkel des Turmzimmers. Es erreichte ihre Augen nicht.

"Träumst Du immer am hellen Tag? Wenn Du Dir wirklich Mühe gibst, kommst sogar Du darauf, was ich statt dessen noch von Dir wollen könnte."

"Auch wenn ich nicht rate, wirst Du es mir sicher gleich sagen."

"Ich muß wissen, wer ich bin. Du wirst mir viele Fragen beantworten. Und dann wirst Du sterben."

Ihre Antwort kam ruhig, bestimmt, es war eine einfache Feststellung. Wenn er wüßte, welche Anstrengung es sie kostete.

Methos wollte lachen, aber irgendwie gelang es ihm nicht. Er wollte sie schlagen, sie endlich dazu bringen, ihn nicht mehr so anzusehen. Denn diesmal konnte er diesen Blick voller Anklage und Haß nicht ertragen.Was dachte sich dieses Biest eigentlich? Hatte nicht sie Schuld an allem? Wer war denn über sein Dorf hergefallen ? Wäre sie doch bei dem Sturm ertrunken mit ihrer Mannschaft aus lauter Wilden. Jeoffrey´s Hand legte sich auf seine Schulter und ließ ihn die geballten Fäuste öffnen und die angespannten Muskeln lockern. Zum Teufel, warum konnte sie nicht einfach mit dem Schwert in der Hand auf ihn losgehen? Dann wäre die Sache so oder so bald beendet. Woher nahm sie nur diese aufreizende Ruhe?

"Ich denke, Du bist nur nicht nur Sigrun, sondern auch mir eine Erklärung schuldig. Wenn sie keinen Kampf fordert, hast Du erst recht keinen Grund dazu. Nicht, bevor Du uns gesagt hast, was wir beide wissen müssen."

So ernst und bestimmt hatte er Jeoffrey selten sprechen hören. Verdammt, die beiden hatten sich zusammen getan. Und er wollte es zwar nicht zugeben, wußte aber doch, daß keiner das Recht hatte, einer Unsterblichen das Wissen über ihre Natur und über die Regeln vorzuenthalten.
Immer noch wütend, stieß er hervor:

"In Ordnung. Ihr werdet Antworten bekommen. Und sie werden euch nicht gefallen! Du, Jeoffrey ,wirst den Rest Deines Lebens darüber schweigen. Und Du ,Sigrun, kannst dann gehen, wohin Du willst oder mich zum Kampf fordern. Es ist mir gleich."
Das erste Mal hatte er sie mit ihrem Namen angesprochen. Seine Wut über ihre Gelassenheit verrauchte langsam und ließ nur Erschöpfung übrig. Er hatte das alles so satt. Dort, wo er stand, ließ er sich im Gras nieder.

"Ihr dürft gerne stehen, wenn euch danach ist. Jeoffrey, hast Du noch Wasser und was zu essen? Was ich zu erzählen habe, wird etwas dauern."

Methos machte es spannend und langsam begann ihn die Situation doch zu amüsieren. Die erwartungsvollen Blicke der beiden hingen an ihm. Sigrun hatte sich vorgebeugt, um kein Wort zu verpassen. Methos wartete die Fragen nicht ab. Er erzählte die selben Dinge, die er auch in fast viertausend Jahren noch nicht so oft erzählt hatte. Einige Male denen, die seine Schüler waren. Einige Male denen, die er geliebt hatte. Und einige Male denen, die er kurz danach getötet hatte. Sie gehörte wohl zur dritten Kategorie. Nur eines ließ er weg: wie ein Unsterblicher getötet werden konnte. Danach sollte sie ihn selbst fragen. Sigrun war immer blasser geworden, immer ruhiger, als ob sie nicht mehr atmete. Sie starrte vor sich hin, die Lippen zu einem blutleeren Strich zusammengepresst. Jeoffrey schluckte ein paar mal, seine Stimme war heiser.

"Du erkennst auch diejenigen, die zu Unsterblichen werden?"

"Jeder von uns erkennt sie. Aber..... Du wirst keiner von uns sein.Vielleicht wärst Du es jetzt gerne, aber es ist nicht unbedingt ein Segen. Das darfst Du mir glauben."

Jeoffrey nickte niedergeschlagen. Ja, er wäre gerne so wie Methos. Was für Möglichkeiten, welche Vorstellung, ewig leben zu können. Methos konnte in Jeoffrey`s Gesicht lesen. Er ahnte, nein, wußte, daß jetzt endlose Fragen auf ihn zukommen würden. Und daß er würde antworten müssen, wenn Jeoffrey damit fertig werden sollte. Er hasste es, antworten zu müssen.

"Wenn es am Ende nur einen geben kann, müssen die anderen vorher sterben. Wie kann ein Unsterblicher getötet werden?" Sigrun´s Stimme war kalt und beherrscht.

Methos lachte und lehnte sich zurück, bequem auf den Ellbogen gestützt. Seine Finger zupften Grashalme aus und zerpflückten sie.

"Du hast gemerkt, daß ein wesentlicher Teil fehlt? Und Du möchtest gerne wissen, wie Du mich ins Jenseits befördern könntest, wenn ich Dir die Chance dazu geben würde? Wo hast Du nur diese schwarzen Gedanken her? Wir waren uns doch schon so nah gekommen."

"Du kannst Dir Deinen Hohn sparen. Ich will eine Antwort!"

"Beruhige Dich. Ich hatte nie vor, es Dir zu verschweigen. Solange Dein Kopf auf Deinen Schultern sitzt, wirst Du leben. Wirst Du alles überleben, egal auf welche Weise sie Dich töten . Es gibt nur eine Möglichkeit, einen von uns zu töten: ihm den Kopf abzuschlagen. Dann ist es endgültig."

"Deshalb also.......das war es damals. Er war ein Unsterblicher."

Sigrun sah wieder, wie ihr Schwert den Hals des Mannes aus Kent durchschlug, hörte den Fall des schweren Körpers und ihre eigenen Schreie, als die Blitze sie durchdrangen. Daher kamen die seltsamen Traumbilder, die ihr fremde Menschen, unbekannte Geschehnisse gezeigt hatten - nicht nur im Schlaf.

Die braunen Augen beobachteten sie genau. Es war so leicht, ihre Gedanken zu erraten.

"Du hast es schon einmal erlebt? Einen von uns getötet und ein Quickening erfahren, ohne zu wissen, was das ist?"

Sie nickte ,völlig in ihrer Erinnerung versunken.

Das Schweigen hielt an. Sigrun und Jeoffrey versuchten zu begreifen, was sie da gehört hatten. Für Jeoffrey hatte sich ein Fenster in ein Leben, eine Welt geöffnet, die ihn unwiderstehlich anzog, der anzugehören er sich leidenschaftlich wünschte und die ihm doch für immer verschlossen bleiben würde. Bisher war er zufrieden gewesen mit seinem Leben, den Späßen und kleinen oder größeren Freuden und Abenteuern, die sich ihm boten, seitdem er von Methos aus der Hoffnungslosigkeit herausgeholt worden war. Aber jetzt...... wußte er, daß es Menschen - waren das Menschen? - gab, die ganz andere Perspektiven hatten, deren Möglichkeiten und Pläne nicht durch den Zufall einer Krankheit, einer Verwundung zunichte gemacht werden konnten. Er wollte das alles sehen und erleben, was sie erleben konnten. Wie könnte er je wieder zufrieden sein - mit dem Wissen, daß seine Zeit so verzweifelt begrenzt war? Daß es tausend Dinge gab, die er deshalb nicht erfahren konnte, weil er nicht war wie SIE! Gott, warum war er nicht wie SIE!

Methos beschränkte sich auf die Rolle des Beobachters. Keiner der beiden war in der Lage, seine Gedanken zu verbergen, er sah sie an und konnte sehen, was sie dachten. Nichts als Komplikationen! Endlose Gespräche mit Jeoffrey warteten auf ihn, wenn er die Sache mit der Dänin erledigt hatte. Der Morgen, an dem er ans Aufgeben, an den beabsichtigten Fehler gedacht hatte, lag weit zurück. Sein Wille zum Leben, zum Überleben war schon immer sehr stark gewesen. Dieser Wille hatte auch diesmal wie so oft den Sieg davongetragen. Er hatte seinen Kopf fast 4000 Jahre behalten, auch jetzt würde ihn nicht freiwillig herzugeben. Sie war nicht die Erste. Und vielleicht - bestimmt - auch nicht die Letzte, die ihn so kennengelernt hatte. Warum sollte er sich von Schuldgefühlen überwältigen lassen? Wie unvernünftig. Und dieser dumme Traum. Was wäre denn so neu und schrecklich daran, sie zu töten? So war das Spiel nun mal: er oder sie. Egal, was vorher passiert war. Nun, vielleicht nicht ganz egal. Seine Augen konnten sich kaum von Sigrun lösen. Immer noch schön, trotz allem, immer noch ungebrochen und so verdammt beherrscht. Das war neu. Mit leichter Verblüffung stellte er fest, daß sie ihm auch in wachem Zustand nicht gleichgültig war. Daß er sie immer noch wollte. Und das ärgerte ihn am meisten.

Sigrun merkte nicht, wie Methos sie beobachtete. Und wenn, sie hatte andere Probleme. Bisher hatte sie sich ihren Göttern so nahe gefühlt, so vertraut. In der sicheren Gewißheit, von Odin geschickt worden zu sein, um seinem Volk beizustehen. Mensch nur für eine kurze Zeit , um dann zurückzukehren nach Asgard.
Das war alles ..... falsch?
Ein Irrtum?
Ein Ränkespiel Loki´s?
Wie grausam hatten ihre Götter sie im Stich gelassen, als sie Hilfe am Nötigsten hatte. Und jetzt dies. Es passte alles zusammen, sein Bericht und ihre Erlebnisse. Also war sie keine Gesandte der Götter, sie war nicht mal ein richtiger Mensch. Sie war ......anders.

Ihr Leben, so wie sie es kannte, war zuende.

Nach einer Ewigkeit, in der Sigrun blicklos vor sich hin gestarrt hatte, spürte sie doch die durchdringenden braunen Augen auf sich ruhen, die viel mehr sahen, als ihr lieb sein konnte. Diese Augen - sie mußte ihnen entkommen, bevor sie den Grund ihrer Seele erreicht hatten.

Ihre Bewegungen waren unsicher und steif, ganz anders als sonst, als sie aufstand und ihr Pferd bestieg. Zuerst langsam , dann immer schneller entfernte sie sich.

Sie schlug den Weg zur Küste ein, den Jeoffrey ihr aufgezeichnet hatte.

Fortsetzung folgt……