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Aluka Miranda

(Eine Kurzgeschichte von Stephanie Tallen und Frédéric Weymann)

 

Widmung:

 

Diese Geschichte widmen wir (Frédéric und Stephanie) unserer lieben Freundin Ruth, die den Mut aufgebracht hat um fuer ein Jahr ins Ausland zu gehen und sich seit September `98 in einem Camphill-Dorf in Frankreich aufhaelt, in dem sie noch bis Ende Juni ´99 leben, wohnen und arbeiten wird.

Wir wuenschen Dir alles Liebe und Gute...

Amen ;-)

 

Vorwort:

 

Um diese Geschichte zu verstehen bzw. die darin enthaltenden Anekdoten, solltest Du, lieber Leser, folgende Geschichten von uns gelesen haben: "Trust no one – The truth is now there (Pseudo-Drehbuch)" und unser zweites Drehbuch, das leider nicht veroeffentlicht wurde... (hahaha), und Du solltest Dir folgende Serien, Filme und Werbungen ansehen bzw. sie kennen: "Akte X" (saemtliche Folgen auswendig...!!!), "The Simpsons" (eine Anekdote), "Switch" (besonders die "Nelly van Sale Home Show"), "The Truman-Show" (mehrere Anspielungen), "Werbung fuer unbekanntes Badezimmer-Reiningungs-Produkt" (...), und zu guter Letzt sollte der Inhalt folgenden Buches bekannt sein: "Das Buch der Vampire" von Matthew Bunson, welches garantiert auch fuer die Akte X Folge "Boeses Blut" angewandt wurde.

Aber jetzt der wichtigste und wohl auch bedeutendste Hinweis: diese Geschichte kann auch ohne oben genannten Vorkenntnisse gelesen und verstanden werden... ;-)

 

Und hier die Geschichte!

Viel Spass damit...

Meinungen, Fragen, konstruktive Kritik, Lobeshymnen... an LaCroixI@aol.com

 

 

 

 

Aluka Miranda

 

"Steht auf aus euren Betten, der neue Tag ist erwacht...". Laut singend wanderte Joshua durch das Haus, sein Akkordeon auf- und zuziehend. Vor jeder Tuer blieb er mindestens eine halbe Stunde stehen und beglueckte die dahinter gerade noch sanft schlummernde Person mit seinem melodischen Gesang. Als es ihm mehrere Stunden spaeter endlich gelungen war, die Hausinsassen aus ihren Betten zu locken, versammelte sich die kleine Gemeinschaft im Esszimmer, um sich mit einem reichlichen Mahl den Magen vollzuschlagen.

Petra, die erst vor wenigen Tagen als Praktikantin im kleinen Miranda-Dorf inmitten der unendlichen Kornfelder Kansas angefangen hatte und die nebenbei auch noch eine Bekannte von Mulder war, gaehnte laut und vulgaer auf und wandte sich dann an den Hausvater, der gerade dabei war, sein Akkordeon im feuerfesten, vergoldeten und mit Edelstein besetzten Tresor vor Anschlaegen zu sichern.

"Gaehn, wieso werde ich eigentlich schon um drei Uhr morgens geweckt?"

Mit einem Ruck verschloss Joshua die mit einem Retina-Scanner gesicherte Tresortuer und drehte sich dann zu ihr um, ein breites, diabolisches Laecheln auf seinem Gesicht.

"Naja, wie sollen wir es sonst schaffen, rechtzeitig um sieben mit dem Fruehstueck anzufangen, wo doch jeder darauf brennt, mindestens dreissig Minuten meinen neusten Kompositionen zu lauschen?"

"Die zufaellig alle den selben Text haben..." bemerkte Uhrt trocken, waehrend sie dabei war, ihr zehntes Broetchen in einem Bissen zu verschlingen.

Hinterhaeltig lachend antwortete Joshua daraufhin mit den Worten "Ich kann euch natuerlich auch aus dem Bett peitschen, wenn euch das lieber ist, hahahahahahaha!"

Von der Brutalitaet dieser Situation ueberwaeltigt, erlitt Moesha spontan einen extrem starken epileptischen Anfall.

Zum Glueck hatten alle anderen sieben Bewohner des Hauses ihre Notfallkoffer mit zum Fruehstueck genommen und begannen sofort damit, auf die zu Boden Gestuerzte einzustuermen und sie mit krampfloesenden Mitteln vollzupumpen.

Gerade als der Anfall voruebergegangen war und Joshua, Petra und die anderen gerade das harmonische Fruehstueck fortsetzen wollten, erklang das mehrfach verstaerkte und durch Tausende verstecke Lautsprecher in jede Ecke des Dorfes uebertragene Gelaeut der Dorfglocke, um alle Einwohner zum allmorgendlichen Treffen zusammenzurufen.

"Tja, das war's dann wohl mit unserem ersten Festmahl des Tages... Vielleicht sollte ich morgen schon um zwei Uhr anfangen, euch zu wecken, damit wir ein wenig mehr Zeit haben...", ueberlegte Joshua laut und verliess das Haus, um sich in die grosse Dorfhalle zu begeben. Haette er die Blicke seiner Mitbewohner gesehen, haette er garantiert seinen Schritt beschleunigt... Die anderen protestierten jedoch nicht, sondern begnuegten sich damit, ihm stoehnend in die Halle zu folgen.

Draussen war das Glockengelaeut noch um einiges lauter und alle hielten sich mit schmerzverzerrten Gesichtern die Ohren zu.

"Kann man das nicht leiser stellen?", schrie Petra zu Uhrt hinueber.

"Waass?!", gab diese zurueck und machte ein fragendes Gesicht.

"Kann man das nicht leiser stellen?", wiederholten Petra ihre Frage.

"Waaasss?!", war wieder Uhrts Reaktion und Petra winkte kopfschuettelnd und entnervt ab.

In der Halle angekommen schloss der letzte schnell die Tuer hinter sich und abrupt verstummte jegliches Geraeusch. Nichts war mehr zu hoeren.

Leicht verwirrt schaute sich Uhrt um und warf einen zweifelnden Blick auf die schaebige Tuer, die keinesfalls einen schalldichten und komplett isolierenden Eindruck machte. Zur Probe oeffnete sie die Tuer wieder einen Spalt breit, worauf sie fast von ohrenbetaeubendem Gelaeut erschlagen wurde. Schnell zog sie die Tuer wieder zu und sah sich verstohlen um, doch niemand hatte etwas bemerkt. So setzte sie sich auf eines der freien Nagelbretter, die auf dem Boden der Halle ausgelegt waren.

Als sich alle gesetzt hatten, erhob sich Hark von Miranda, der Dorfaelteste, der eine blau-rosa-karierte Robe trug, die ihm nicht einmal ueber die Knie reichte. Er stieg eine Empore hinauf, wodurch fuer alle anderen der Blick unter die Robe gewaehrt wurde.

Gebieterisch breitete er seine Arme aus.

"Meine Kinder... es wird Zeit fuer unsere morgendliche Sexorgie! Die erste Gruppe hat Spass, waehrend die andere zur Tarnung singt, damit es nach aussen hin voellig harmlos erscheint, was wir hier treiben... Danach wird gewechselt! Hahaha..."

Mit lustvollen Schreien riss sich darauf hin die erste Gruppe der Gemeine die Kleider vom Leib.

Uhrt und Petra gehoerten der zweiten Gruppe an und begannen schon einmal mit lustigen Stimmuebungen.

"Saaa dooooo.... lalala... Sa-ha, do-ho! ..."

"Ahh, ahhhh... ahhhh, ahh..."

"..."

Franzoesische Volkslieder waren das Resultat.

 

***

 

"Ja, Scully geben Sie alles, jajajajajajaJAAAA, vergewaltigen Sie mich... ich meine natuerlich die Kamera."

Laut schreiend und wild fotografierend sprang Mulder um die in Akten lesende Scully herum und gab dabei laute Stoehngeraeusche von sich.

"Mulder, lassen Sie diesen Unsinn," gab Scully nuechtern zurueck, "ich lese gerade in einer hochinteressanten Akte."

Mit einem gekonnten Handgriff entriss Mulder Scully die Akte und hielt sie hoch ueber seinem Kopf, um darin zu lesen. Zwar versuchte Scully verzweifelt, die Akte zurueckzuerlangen, doch sie war leider zu klein, um auch nur den Ellbogen des ausgestreckten Armes zu erreichen.

"Mulder, geben Sie mir augenblicklich die Akte wieder."

"Vergessen Sie es, Scully. Der Inhalt ist fuerwahr fesselnd".

Scully wollte gerade aufgeben, da durchzuckte sie eine geniale Idee. Rasch durchkramte sie eine ihrer Jackentaschen und fischte ein halbes Dutzend von unangespitzten Bleistiften heraus. Lockend winkte sie damit vor Mulders Gesicht hin und her.

"Sie bekommen im Gegenzug auch die Stifte von mir."

Mulders Gesicht verzog sich zu einer manischen Grimasse.

"SUUPPPER, her damit." Mulder liess die Akte auf den Schreibtisch fallen, griff nach den Schreibutensilien in Scullys Hand und eilte damit zum elektronischen Bleistiftanspitzer. Augenblicklich wurde der Raum von einem leisen Brummen durchstroemt.

Erleichtert liess sich Scully wieder in den Schreibtischstuhl fallen und setzte ihre Lektuere fort. Mulder wuerde die naechsten paar Stunden beschaeftigt sein... doch das Schicksal meinte es nicht gut mit ihr, denn kaum hatte ihr wohlgeformter Hintern das weiche Leder des Stuhles herniedergedrueckt, als auch schon die Tuer aufflog und ein unerwarteter Besucher das Buero betrat. Scullys Lippen formten sich zu einem stummen Schrei, waehrend ihre Hand langsam zur Waffe fuhr, um Phoebe Green gebuehrend zu empfangen...

"Stirb, du Sau!"

Der Abzug klickte. In der Hektik hatte sie doch tatsaechlich vergessen, die Waffe zu entsichern. Na, so ein Pech aber auch...

Gerade wollte sie ihren Fehler beheben, da loeste sich Phoebe auch schon in Flammen auf und liess nichts als eine Rauchwolke zurueck.

Scully konnte gerade noch eine geisterhafte Schemengestalt von Cecil L'Iveley ausmachen, die sich unter irrsinnigem Gelaechter ebenfalls in Luft aufloeste.

Kopfschuettelnd wandte Scully ihren Blick wieder von der Tuer ab.

"Was ist denn los, Scully?", fragte Mulder, der seine Anspitzorgie unterbrochen hatte. "Warum zielen Sie mit Ihrer Waffe auf die Tuer?"

"Aeh..., ach, ich dachte gerade... Ach, vergessen Sie es, Mulder. Ich wurde nur gerade von Geistern der Vergangenheit heimgesucht, die scheinbar noch keine Ruhe gefunden haben."

"Ach so", Mulder hoerte schon gar nicht mehr zu und wandte sich wieder seinen Bleistiften zu.

Scully steckte schnell ihre Waffe wieder ein und fuhr fort, in ihrer Akte zu lesen. Doch ein Gedanke liess sie nicht zur Ruhe kommen: Seit wann waren Phoebe Green und dieser Pyromane Cecil L'Iveley eigentlich tot? Geschah das nicht nur in einer anderen Kurzgeschichte, die noch gar nicht veroeffentlicht und nicht mal vollendet worden ist?

Innerlich zuckte sie mit den Schultern, es war ihr egal, solange diese Phoebe ihr nicht auf die Nerven fiel, und so widmete sich Scully wieder ihrer Arbeit.

Ploetzlich, die dramatische Stille durchbrechend, klingelte das Telefon auf Mulders Schreibtisch und begann tausend verschiedene Melodien zu spielen.

Entsetzt warf Scully einen Blick zu ihrem Partner herueber, der allerdings nicht die geringsten Anstalten machte, den Hoerer abzuheben und damit dieses nervtoetende Gespiele zu beenden.

"Mulder, was ist denn DAS?!"

Mulder blickte auf, sah sie fragend an, und wurde dann erst aus seiner Anspitztrance gerissen, so dass er endlich das Telefon bemerkte.

"Ach, das... Ich habe es mir installiert, als Sie in Urlaub waren, ich hatte ja nichts weiter zu tun. ... Ich meine natuerlich..."

"Nun gehen Sie schon ran, Mulder!"

Schnell griff dieser zum Hoerer, um einen Wutausbruch seiner Partnerin zu vermeiden. "Hallo?", fragte er in den Hoerer.

"Oh, du bist es, Petra, wie geht es dir?"

Scully sah Mulder an und formte dabei fragend den Namen "Petra" mit ihren Lippen, wobei sie die Augenbrauen hochzog.

Mulder winkte ab, hielt kurz die Sprechmuschel zu, fluesterte ein "Spaeter" zu ihr herueber und wandte sich dann wieder dem Telefongespraech zu.

"Was, du bist wo? In einem was-Dorf?! Miranda?

Wie bist du denn da gelandet? Wolltest du nicht in ein Camphill-Dorf?

Ach so, es ist fast das gleiche...

Es ist WAS passiert?!

In Ordnung, wir kuemmern uns darum."

Scully sah entsetzt auf, wieder einmal das Schlimmste erwartend.

"Gut, wir kommen dann so schnell wie moeglich vorbei", mit diesen Worten legte Mulder auch schon den Hoerer auf die Gabel.

"Scully, wir haben einen Job!"

"Ja, und zwar beim FBI um Faelle zu bearbeiten, die uns aus serioesen Quellen zugeteilt werden..."

"Glauben Sie mir, Scully, dieser Fall ist hochserioes, keine Sorge. In einem kleinen Dorf haben sich einige Todesfaelle ereignet, die bisher ungeklaert geblieben sind."

"Ist das nicht ein Fall fuer die zustaendigen oertlichen Behoerden?", seufzte Scully, kaum noch mit einem Erfolg ihrer Ueberredungstaktik rechnend. Und sie sollte recht behalten. Mit siegessicherer Miene verkuendete Mulder ihr: "Nicht, wenn es sich bei den unmittelbar Betroffenen um eine gute Bekannte handelt. Also kommen Sie schon mit, Scully! Sie haben sowieso keine Chance, sich hier noch herauszuwinden."

Er zerrte sie mit sich auf den Flur und in den Fahrstuhl hinein.

 

***

 

"Hallo.... ich heisse Wendy und bin nackt."

"Ich bin auch nackt, Mulder und will jetzt hemmungslosen Sex mit Ihnen, waehrend wir ueber den Highway jagen...", kam auch schon die Antwort einer weiblichen Stimme, die sich exakt wie die von Scully anhoerte...

Entsetzt schrie Scully auf, als sie hoerte, was auf der Kassette war, die sie per Zufall waehrend der Fahrt ausgewaehlt und ahnungslos in das Autoradio geschoben hatte... "Woher haben Sie denn das? So etwas habe ich doch nie gesagt!"

"Sie natuerlich nicht, aber Frohikes Computer schon..." Rasch fuegte er hinzu: "Natuerlich hat er sie NICHT fuer MICH angefertigt. Ich habe sie zufaellig bei ihm entdeckt und rasch konfisziert... aber das versteht sich natuerlich von selbst."

"Und wieso sagt dann mein digitales Ebenbild ´Ich bin auch nackt, MULDER?` Muesste es nicht in diesem Falle FROIKE heissen?" Sie oeffnete das Fenster und warf die Kassette heraus. Diese flog einige Meter, bevor sie die Frontscheibe eines weiter hinten fahrenden Wagens durchschlug.

"Hihaho, ich bin die Weihnachtsfrau!", rief Scully ploetzlich aus.

"Was?!?"

"Ach nichts, vergessen Sie es einfach. Ich falle jetzt mal eben fuer kurze Zeit ins Koma, damit wir bis zur Ankunft in der Kleinstadt nicht miteinander reden muessen."

"Waasss!?" Mulder starrte Scully entsetzt an.

Das koennen Sie doch nicht einfach machen! Wem sonst soll ich denn auf der Fahrt meine ueberaus interessanten Theorien und brisanten Neuigkeiten unterbreiten...?"

Scully seufzte. "Ich sehen schon, es gibt keinen Ausweg Ihnen zu entkommen..." Und mit eiserner Standhaftigkeit und dem Glauben an eine heile Welt, ueberstand Scully auch diese Fahrt mit ihrem Partner. Und sie war froh, als der Wagen durch den einladenden, hoelzernen Torbogen fuhr, der sie in das Miranda-Dorf einlud.

Jetzt konnte es nicht mehr weit sein.

Mulder lenkte den Wagen ueber eine holprige, von Schlagloechern uebersaete, staubige Strasse. Die beiden Agenten hatten Muehe, sich aufrecht in ihren Sitzen zu halten.

Ab und zu kamen ihnen Leute auf Fahrraedern entgegen, die ihnen freundlich laechelnd zuwinkten.

"Kommt es mir nur so vor, oder sind die Hinterreifen der Raeder allesamt so gut wie luftleer gewesen?", murmelte Mulder vor sich hin und schuettelte mit dem Kopf.

Die Sonne stand hoch am Himmel und da freundlicherweise die Klimaanlage des Wagens unter den Vibrationen zu Bruch gegangen war, hatten sie saemtliche Fenster heruntergekurbelt um wenigstens etwas erfrischenden Fahrtwind abzubekommen.

"Mulder, sehen Sie", rief Scully ploetzlich aus und wies rechts von sich aus dem Fenster. "Dort steht ein altes Schloss."

"Sieht mystisch aus", stellte Mulder fest, als er zu dem alten Gemaeuer herueber sah. "Wieso ist es wohl von so hohen Mauern umgeben? Ob dort wohl jemand lebt?"

"Ich kann es mir nicht vorstellen...", meinte Scully, doch in diesem Moment: "Sehen Sie, Scully, die Lichter sind angegangen!"

Scully sah herueber, und tatsaechlich, die Fenster waren nun hell erleuchtet. Da das Gemaeuer trotz der Sonne irgendwie im Dunkeln zu stehen schien, war das Licht im Inneren gut zu erkennen."

"Ich sehe gar keine Leute an den Fenstern", stellte Scully fest, nachdem sie das Schloss eine Weile beobachtet hatte.

"Vielleicht lebt dort doch niemand mehr und das Licht ist bloss zeitgesteuert...", spekulierte Mulder.

"Wozu?!", fragte Scully sofort.

Mulder zuckte mit den Schultern. "Vielleicht..."

"Mulder, haben Sie das eben gehoert?", unterbrach ihn Scully ploetzlich.

"Ja", Mulder nickte. "War das ein Schrei?"

"Ich glaube schon... da! Schon wieder!"

Schreie gellten durch die Luft zu ihnen herueber.

"Kommen die vom Schloss?"

"Vielleicht wissen die Leute im Miranda-Dorf mehr dazu, Scully. Wir sind da."

"Miranda...", Scully schuettelte den Kopf und verdrehte die Augen. Was kam da nun wieder auf sie zu...

Bald schon sollte sie es wissen!

Denn kaum hatten sie den Wagen am Rand des Weges abgestellt - befestigte und ausgebaute Strassen gab es nicht - , eilte auch schon eine Horde von Menschen auf sie zu. Die beiden Agenten hatten Muehe, sich gegen die Wagentueren zu stemmen um sie oeffnen und aussteigen zu koennen. Wild um sich schlagend bahnte sich Scully einen Weg zu Mulder.

"Mulder, wo sind wir?!"

"Haben sie die Inschrift des Torbogens denn nicht gelesen, oder eines der dreihundertundsiebenunddreissig Wegschilder, die ich ihnen auf dem Weg hierher laut vorgezaehlt habe?" Er sah seine Partnerin kopfschuettelnd an. "Wo waren Sie nur mit Ihren Gedanken, Scully...?"

Scully verdrehte nur die Augen und dachte mit Schrecken an diese Autofahrt zurueck, die sie wider Erwarten ueberlebt hatte. Und offensichtlich sogar ohne grosse psychische Schaeden. Allerdings vermutete sie gravierende Langzeitschaeden, die sich erst noch zeigen wuerden...

Scully schuettelte diese Gedanken ab, und versuchte sich auf den Fall zu konzentrieren, obwohl sie weder wusste, ob es einen solchen ueberhaupt gab...

"Kinder, Kinder!", schallte eine kraeftige Stimme durch das Gemurmel und Gerede der Menschen. "Geht wieder eurer Arbeit nach und lasst unseren Besuchern etwas Luft zum Atmen!"

Wie durch einen Zauber loeste sich die Menge auf und verteilte sich in die Haeuser, auf die Aecker und sonstwo hin. Ploetzlich standen sie alleine auf dem Platz, der der zentrale Ort des Dorfes zu sein schien. Alleine, mit dem Mann, dessen Worten die Menge blind gefolgt war.

Scully vermutete natuerlich sofort eine extreme Art von Massenhypnose, Gehirnwaesche oder aehnlichem und beobachtete alles aufmerksam und hoechst analytisch.

"Darf ich mich vorstellen, ich bin Hark von Miranda, der Dorfaelteste", begann der Mann und trat auf sie zu. "Aber Sie duerfen mich auch gerne `Dorfaeltester Hark von Miranda´ nennen..."

Jetzt zog selbst Mulder eine Augenbraue in die Hoehe.

Der Aelteste fuhr fort: "Petra hat mir bereits berichtet, dass Aussensei... aehm... Freunde von ihr kommen werden. Seien Sie willkommen."

"Wo ist Petra?", fragte Mulder dazwischen, was ihm einen schwer zu deutenden Blick des Alten einbrachte. Doch schliesslich bekam er seine Antwort: "Sie ist bei der Arbeit und wird diese erst gegen Abend beendet haben. Aber bis dahin koennte ich Ihnen einen Einblick in die Geschehnisse der letzten Tage geben."

"Das waere wirklich sehr nett", gab Scully zurueck um sich auch an dem Gespraech zu beteiligen.

"Treten Sie ein in mein Haus", der Alte machte eine einladende Geste, die Scully sehr an gewisse Filme erinnerte, in denen die Maechte des Boesen ihre unschuldigen Opfer in die Falle und damit in die Verdammnis lockten.

Widerwillig folgte sie Mulder hinein.

 

***

 

"Und hier befinden wir uns im..." Hark breitete die Arme weit aus, atmete sehr tief ein und stiess mit der Luft laut stoehnend die Worte "Arterien-Flur!" aus. "Spueren Sie nicht, wie aetherische Kraefte des Kosmos diese amorph geformten Flure durchfliessen und uns mit neuer Kraft und Kreativitaet versorgen?"

"Sehr schoen", antwortete Scully trocken, "Wo ist bitte die Toilette?"

"Was? NEIIINNN!!!" Das Gesicht des Alten verzehrte sich zu einer Grimasse aus unendlicher Qual und Pein, waehrend er mit fuer sein Alter unmoeglicher Geschwindigkeit Richtung eines riesig-grossen Panik-Buttons an der Wand eilte.

Sofort Scully schlug zwei Raeder und konnte den Kopf des Aeltesten zwischen ihren Beinen einklemmen.

"Nein, nein, nicht das Bad." Laut keuchend und stoehnend kaempfte sich Hark weiter in Richtung des rettenden Schalter, seinem Koerper zum Aeussersten treibend.

"Halten Sie ihn auf, Mulder. Er darf den Schalter nicht beruehren." schrie Scully aus voller Kehle, waehrend sie den Kopf ihres Opfers mit Faustschlaegen bearbeitete... Endlich erwachte auch Mulder, der sich bis jetzt dank der herrschenden Ansammlung kosmischer Mana-Energie in Trance befand und gerade dabei war, seine Inneres mit der alles durchstroemenden Kraft in perfekten Einklang zu bringen. Seine rechte Hand schnellte zu seiner Dienstwaffe, doch es war zu spaet. Mit letzter Kraft erreichte Hark den Schalter und betaetigte ihn.

Lautes Klacken durchdrang die Stille des Hauses. "Sie sollten wissen, dass von diesem Moment an alle Toiletten- und Badezimmertueren durch jeweils acht aus Diamantenstahl gefertigten Riegel gesichert sind. Selbstverstaendlich habe ich vorsorglich auch in die Tueren und alle Waende dieses Hauses dicke Diamantenstahlplatten installieren lassen... ich muss ja nicht dafuer zahlen..." Mit diesen Worten begann der Aelteste laut aufzulachen und sein wieherndes Gelaechter erfuellte den Flur und den gesamten damit verbundenen Kosmos. Scully und Mulder konnte sich nur still in die Augen blicken. Sie hatten verloren.

Endlich war Mulder in der Lage zwei Worte auszustossen: "Ein Teufelskreis..."

"Verdammt Mulder, wieso darf ich eigentlich niemals eine Toilette benutzen? Ich durfte seit meiner Geburt noch nie diesem natuerlichen Beduerfnis, von dem alle immer sprechen, nachgehen..."

 

***

 

"Fragen Sie mich nicht, ich bin auch noch nie auf einer gewesen... Zumindest nicht, wenn uns die Leute zusehen..."

"Wer sollte uns denn zusehen, Mulder? Was fuer Leute denn?!", fragte Scully verstaendnislos und ein Hauch von Aerger mischte sich in ihren Tonfall.

Mulder dachte ueber seine eben gesagten Worte nach, schuettelte dann ratlos mit dem Kopf. "Das weiss ich allerdings auch nicht, Scully. Ich habe keine Ahnung, wen ich meine... Ach, was soll's. Wer sollte uns schon zusehen? ... Es sei denn..." das typische Funkeln trat in Mulders Augen "Scully, was waere, wenn wir uns in einer einzigen Fernsehshow befinden wuerden?"

Scully starrte ihn an.

"Alles waere gestellt, niemand waere der, den er vorzugeben scheint..."

Sie starrte ihn an. Verstaendnislos.

"Niemand waere echt! Alle waeren eingeweiht, Statisten, Schauspieler..."

Entsetzen machte sich auf ihrem Gesicht breit, verunstaltete es langsam zu einer Grimasse.

"Nur wir waeren die einzigen, die davon nichts wuessten... Die ganze Welt koennte uns in diesem Augenblick zusehen, Scully! Stellen Sie sich das doch nur mal vor!"

Mulder wedelte wild mit den Armen.

Scully starrte ihn an.

"Oder...", erschrocken sah Mulder seine Partnerin ploetzlich an. "Oder nur ich bin der einzige, der davon nichts weiss und selbst Sie sind nur eine Faelschung...!"

Misstrauisch betrachtete er nun Scully, sah sie scheinbar in einem voellig neuen Licht, doch bevor er sich weitere Gedanken machen und vielleicht hinter die Wahrheit des grossen Geheimnisses kommen konnte, schaltete sich Scully energisch dazwischen.

"Mulder, wovon um Himmels Willen, reden Sie da?!" Noch immer lag Entsetzen in ihren Augen, das nicht ganz zu der Situation passte. Versuchte sie, etwas zu verbergen?

"Mulder?", fragte sie vorsichtig.

Keine Reaktion.

"Mulder, Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass sie der Hauptdarsteller einer laecherlichen 24-Stunden-Serie sind, die rund um den Globus ausgestrahlt wird, oder?"

Bevor Mulder antworten konnte, regte sich der Aelteste zur Abwechslung auch mal wieder, nachdem er diesen hoechst interessanten Dialog der beiden gefolgt war, oder es zumindest versucht hatte.

"Worueber reden Sie beide da eigentlich?"

Mulder wurde aus seinen Gedankengaengen gerissen und sah zu Hark herunter, der immer noch auf dem Boden lag. Inzwischen hatte er jedoch seinen Kopf aus Scullys unbarmherzigem Scherenmove befreien koennen.

Erwartungsvoll sah Scully ihren Partner an, eine Antwort erwartend.

Fuer einen kurzen Moment noch schien Mulder seine Theorie in Erwaegung zu ziehen, schuettelte jedoch dann den Kopf und grinste. "Was fuer eine laecherliche Vorstellung, oder? Ich meine, wer wuerde sich denn solch eine Serie schon ansehen?!"

"Aeh... genau, Mulder", stimmte Scully zu. Erleichtert ueber diesen Sinneswandel. Aber, warum war sie ueberhaupt besorgt? Muesste sie nicht solch bizarre Theorien ihres Partners bereits zu Genuege gewoehnt sein? Oder handelt es sich womoeglich um keine Theorie? Tja, wir wissen es nicht... Aber vielleicht eines Tages... wenn zufaellig ein Filmscheinwerfer vom Himmel fallen und vor Mulders Fuessen landen sollte...

"Wo waren wir stehengeblieben?", fragte Mulder dann und sah seine Partnerin und den am Boden liegenden Dorfaeltesten an. Dann fiel es ihm wieder ein.

"Ach ja, Sie wollten uns nicht ins Bad lassen und haben dies auch mit recht bizarren und uebertriebenen Mitteln geschafft... Warum eigentlich?", fragte Mulder dann.

"Naja", begann Hark zoegernd. Wurde er etwa rot? "Ich... ich hab' das Bad heute noch nicht sauber gemacht..." Dann verdunkelte sich sein Gesicht und ein Schatten den Zorns und Aergers legte sich darueber. "Beziehungsweise ist meine Haussklavin... ich meine natuerlich... meine Jahrespraktikantin noch nicht so schnell gewesen!" Er stand auf und sogleich ertoente ein gellender Schrei durch den Flur, der sich dank der wunderbaren Architektur des Hauses in saemtliche Raeume fortsetzte: "Uhrt!!!"

"Uhrt?!", fragten Scully und Mulder wie aus einem Munde.

"Ja, das ist mein Name", erklang eine Stimme hinter ihnen.

Die beiden Agenten drehten sich um und standen einer jungen Frau gegenueber, die erst im Januar die 20 Jahre erreicht hatte...

"Sie sind Uhrt?", fragte Mulder.

"Ja, Uhrt Hanslang, ich bin eine der vielen Praktikantinnen hier im Dorf."

"Aha...", meinte Mulder nur und nahm es zur Kenntnis, ehe er fortfuhr. "Apropos Praktikantin... wissen Sie vielleicht, wo Petra ist? Ich meine, Sie war es schliesslich, die uns hierher gebeten hatte, um gewissen Vorfaelle zu klaeren, die sich hier ereignet haben sollen, aber ich habe sie bisher noch nicht zu Gesicht bekommen"

"Nun, Petra ist noch bei der Arbeit", entgegnete Uhrt, wobei sie dem Alten einen kurzen Blick zuwarf. "Aber ich kann Ihnen auch weiterhelfen, da ich nun mit meiner Arbeit fertig bin. Oder besser gesagt, diese nicht fortsetzen kann, da jemand das Bad verriegelt hat, und das fuer die naechsten paar Stunden..."

"Also schoen", meinte Scully dann zustimmend. "Was ist hier passiert?"

 

***

 

Uhrt bedeutete den beiden Agenten mit einer Geste, ihr zu folgen. Sie durchquerten den Arterienflur, bis sie an eine roetlich-braune Tuer gelangten. Die Arme spirituell umherwirbeltend, begann Uhrt zu sprechen: "Dies ist der Lebensspender, die Lebenszelle unseres Haus, die Quelle von Leben und Energie, die uns jeden Tag aufs Neue mit dem Notwendigen versorgt." Sie oeffnete die Tuer und gab den Blick frei auf einen sechseckig geformten Raum, deren Waende sowie Decke und Fussboden mit dem selben Farbton wie die Tuer gestrichen waren. In der Mitte stand ein grosses kugelfoermiges Gebilde, welches einen etwas dunkleren Braunton hatte und scheinbar durch eine grosse Luke geoeffnet werden konnte. Ihre vor Mystik spruehende Gestik und Sprachweise beibehaltend, fuhr Uhrt fort: "Dies ist der Zellkern, das Zentrum der Zelle, der Speicher der Lebensinformationen. Treten Sie bitte ein..." Beinahe schwebend taenzelte Uhrt in den Raum und vollfuehrte dabei auf der Tuerschwelle eine kunstvolle Pirouette.

Gebannt und wieder kurz vor einer Trance folgte ihr Mulder. Scully dagegen stampfte demonstrativ in den Raum, blickte sich kurz um und meinte dann ohne jeglichen Anflug von Gefuehl: "Die meisten Menschen wuerden diesen Raum als Speisekammer mit Tiefkuehlschrank in der Mitte bezeichnen." Ungeduld schlich sich in ihre Stimme. "Gut, warum haben Sie uns jetzt in dieses architektonisch-farbliche Desaster gefuehrt? Ich koennte jetzt zu Hause auf dem Christian Channel die vierstuendige Predigt von Pastor Clustermay verfolgen und jedes seiner Worte mit der Gemeinde nachsprechen. Aber nein, statt dessen muss ich durch dieses schreckliche Haus laufen, auf dem ich nicht einmal die Toilette ansehen geschweige denn benutzen darf und muss das psychedelische Gerede einer Wahnsinnigen ertragen. Ich will jetzt sofort erfahren, warum ich die sechsstuendige Fahrt auf mich genommen habe, um hierher zu kommen oder ich hole die Chronik aus dem Wagen!!" Mulders Augen weiteten sich, als er dieses unheilvolle Wort aus Scullys Mund vernahm. Scully warf ihm ein leichtes Laecheln zu. "Und Sie wissen ja, was das bedeutet, Mulder, nicht wahr?"

Mulder begann wild mit dem Kopf zu nicken. "Und ob ich das weiss, Meisterin... ich meine Scully, ich kann mich nur zu gut an das letzte Mal erinnern, als Sie sie zum Einsatz gebracht haben." Von Panik erfuellt, fuegte er schnell hinzu: "Sie sollten lieber tun, was die Frau verlangt, oder es wird hier fuer uns beide sehr ungemuetlich."

"Aehm... ist ja schon gut", entgegnete Uhrt in beschwichtigendem Tonfall und sah dabei Scully mit leicht enttaeuschtem Gesichtsausdruck an. "Ich dachte nur, dass sie vielleicht einen kleinen Einblick in die beeindruckende Geschichte dieses architektonischen Meisterwerkes erlangen wollten... Aber dem ist wohl offensichtlich nicht so."

"Nein danke, ich denke, ich habe genug gehoert", machte Scully noch einmal ihren Standpunkt deutlich. "Wuerden Sie uns nun bitte zeigen, warum wir hier sind!?... Schnell..."

"Eigentlich ist es wegen der Leichen hier", meinte Uhrt dann beilaeufig und fuehrte die beiden Agenten in das Innere des Raumes hinein.

"Leichen?!" Scully und Mulder sahen sich unglaeubig an.

"Ja, diese hier", Uhrt deutete mit dem Finger auf eine Stelle, die sich hinter dem runden Kuehlschrank befand, so dass Mulder und Scully erst einige weitere Schritte in den Raum setzen mussten.

Und dann sahen sie, worauf Uhrt zeigte: fuenf leblose Koerper lagen, wie wertlose Saecke gestapelt, hinter dem Kuehlschrank.

"Was um Himmels Willen...", Scully hatte es doch tatsaechlich die Sprache verschlagen und auch Mulder schien nicht zu wissen, was er dazu sagen sollte ausser: "Was ist mit den Leuten passiert?"

Uhrt, die nicht sonderlich beruehrt von der Sache zu sein schien, fuhr fort: "Nun, dass wuessten wir nun gerne von Ihnen! Das ist auch der einzige Grund, warum unser Dorfaeltester es gestattet hat, dass Fremde in unsere Gemeinde eindringen durften."

"Sie haben NICHT die Polizei verstaendigt?!", Scully war fassungslos. Wie konnte man nur so weltfremd, so voellig abgeschottet, so fern aller zivilisierten Entscheidungen und Instanzen sein? Sie wollte schreien, doch diese scheinbare Bestaetigung dieser "Gemeindemitglieder" ueber ihre offenbare Unkontrollierbarkeit, wollte sie dann doch nicht gewaehren.

"Sie haben also nicht die Polizei benachrichtigt...", sie seufzte, "also schoen, wie lange liegen diese Leichen schon hier und um wen handelt es sich?", fragte sie dann und trat einen Schritt naeher an den bizarren Haufen aus Koerpern heran.

"Also", begann Uhrt -in gewohntem Tonfall-, "es sind alles Mitglieder unserer Dorfgemeinde, und der erste wurde vor vier Tagen gefunden, die letzte gestern morgen."

"Wuerden Sie uns bitte fuer einen Augenblick alleine lassen?", bat Scully Uhrt, die daraufhin mit den Schultern zuckte und den Raum verliess.

Dann wandte sich Scully zu Mulder um.

"Mulder, wo zum Himmel sind wir hier?!"

Ein besorgter Ausdruck umspielte Mulders Augen. "Im Miranda-Dorf, Scully! Wissen Sie das denn nicht mehr?..."

"Natuerlich weiss ich das noch, Mulder!", fauchte sie, "aber ich wuenschte, ich haette diese Tatsache verdraengt...", fuegte sie murmelnd hinzu. "Meine Frage war aber sowieso voellig anders gemeint, als Sie sie nun wieder interpretiert haben!"

 

***

 

Eine Stunde spaeter hatte Scully es tatsaechlich bewerkstelligen koennen, dass sie einen Raum nur fuer sich alleine hatte. Fuer sich und die fuenf Leichen.

Nach zunaechst oberflaechlichen Begutachtungen der Koerper, war ihr aufgefallen, dass alle an mehreren Stellen des Koerpers kleine Einstich-Paare zu haben schienen. Um was es sich dabei jedoch genau handelte, konnte sie bis dahin noch nicht sagen. Es gab in diesem Dorf ja auch so gut wie keine Technik... es schien nicht einmal das Wort "Fortschritt" in dem Sprachschatz der Gemeindemitglieder zu existieren, wodurch ihre Ermittlungen erheblich beeintraechtigt und ihre Moeglichkeiten sehr eingeschraenkt wurden. Das einzige, das sie bis jetzt von allen Opfern definitiv sagen konnte, war, dass sie tot waren.

 

***

 

Waehrenddessen hatte Mulder beschlossen, sich moeglichst weit vom Raum fernzuhalten, in dem Scully gerade die Autopsie durchfuehrte und die Wartezeit auf die ersten Ergebnisse damit zu verbringen, die Frau zu finden, wegen der Scully und er ueberhaupt ins Miranda-Dorf gekommen waren. Da er allerdings keine Ahnung hatte, wo er mit seiner Suche beginnen sollte, ueberwand er sich, eine Frau - Mulder gab ihr spontan bei ihrem Anblick den Namen `Miss Esoterica´ - anzusprechen und sich zu erkundigen.

"Entschuldigen Sie, ich bin Agent Fox Mulder vom FBI. Haetten Sie kurz Zeit, um mir eine kurze, aber fuer den Fortlauf dieser Geschichte absolut ueberlebensnotwendige Frage zu beantworten?"

Die Frau schenkte ihm ein Laecheln, das absolute Ruhe und Heiterkeit ausstrahlte. Sie trug etwa zehn verschiedene Stoffrollen, die garantiert frueher einmal Gardinen gewesen waren und die sie auf hoch-komplexe Weise zu einem halben Meter dicken Kleid geformt hatte.

"Guten Tag, ich bin Prinzessin Burundiga aus dem Hause Fezenra."

Mulder blickte sie etwas verdutzt an: "Oh, ich haette jetzt ehrlich gesagt nicht erwarten, hier eine echte Prinzessin anzutreffen... Sie sind aus Europa hierher gezogen?"

Prinzessin Burundiga hielt einen Moment inne, um ueber Mulders Frage nachzudenken. Anscheinend hatte sie diese Frage ueberhaupt nicht erwartet.

"Aber nein, ich bin natuerlich nicht das Mitglied einer dieser dekadenten irdischen Adelshaeuser, ich bin ein Sprachrohr und eine Stellvertreterin des Kosmos und all seiner Wesen." Bei diesen Worten begann die kosmische Prinzessin verzueckt nach oben zu blicken und machte dabei weit ausladende Armbewegungen. Nachdem sie das fuenf Minuten getan hatte und dabei staendig Ausdruecke wie "Rama, Rama" oder "Kosmos, Kosmos, erfuelle mich" von sich gegeben hatte, entschied sich Mulder weiterzugehen und jemand anderes zu fragen. Doch gerade als er sich umwenden wollte, begann die Frau wieder zu sprechen: "Wo war ich? Ach ja, und das Haus Fezenra ist nicht der Name meiner Familiensippe, sondern es ist der Name des Hauses, in dem ich wohne. Alle Haeuser in diesem Dorf haben solche mystischen Name erhalten. In der Sprache des Kosmos bedeutet Fezenra die Quelle der Weisheit."

Wie bekannt, ist Mulder normalerweise offen fuer alle Art von esoterischen Geheimnissen, aber diesmal hatte er keine Zweifel, dass die Frau nur eine voellige Spinnerin war. Aber auf einmal kam ihm ein sehr interessanter und vor allem sehr amuesanter Gedanke in den Sinn. Ein breites Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.

"Die Sprache des Kosmos? Das klingt ja wirklich sehr interessant. Ist es moeglich, sie zu erlernen?"

Die Frau riss ihre Augen weit auf. Beinahe ekstatisch antwortete sie: "Jeder kann die Sprache des Kosmos erlernen, wenn er bereit ist, das kosmische Initiationsritual zu vollfuehren und somit eins zu werden mit allem..."

Mulders Grinsen wurde noch breiter.

"Und Sie als Stellvertreterin der kosmischen Kraefte sind sicherlich in der Lage, dieses Ritual durchzufuehren, nehme ich an?"

"Aber selbstverstaendlich. Sie moechten sich also dem Ritual unterziehen?"

Mulder konnte sein Lachen nur mit Muehe unterdruecken.

"Nicht ich, aber meine Partnerin versucht schon lange, die universelle Verschmelzung durchzufuehren, hatte aber bis jetzt noch keinen geeigneten Fuehrer gefunden. Sie wird Sie bald besuchen. Wundern Sie sich aber nicht, wenn sie vorgibt, wegen einer Zeugenbefragung vorbeizuschauen, sie gibt nicht gerne ihre wahren Wuensche preis..."

"Das wird sich aendern, wenn sie erst einmal ein wahres Kind des Kosmos geworden ist. Und Sie sind wirklich absolut sicher, dass Sie nicht auch eines werden wollen?"

Mulder begann sofort mit dem Kopf zu schuetteln. Das Schuetteln fiel vielleicht ein wenig zu stark aus, aber dies schien seiner Gespraechspartnerin nicht aufzufallen. "Nein, vielen Dank. Aber koennen Sie mir vielleicht sagen, wo ich Petra finden kann? Sie hat vor kurzem hier als Praktikantin angefangen..."

"Folgen Sie der Strasse, bis Sie den alten Bauernhof erreichen. Zu dieser Stunde werden Sie Petra dort garantiert antreffen..."

 

***

 

Und so machte sich Mulder auf zum Bauernhof. Auf dem Weg begegnete er vielen lustigen Gestalten, die noch lustigere Kleidung trugen und... egal.

Als er auf dem Hof ankam, ging er an einem Kuhstall vorueber vor dem er kurz ueberrascht stehenblieb, denn was er dort sah, war doch etwas ungewoehnlich: die Leute dort drin liefen allesamt nackt herum! Schliesslich sah er auch den Grund dafuer: vor dem Stall stand ein grosses Schild auf dem vorgeschrieben war, die Kleidung vor Betreten des Stalls abzulegen, da sie einem sonst frueher oder spaeter von den Kuehen vom Leib gerissen werden wuerde.

Mulder schuettelte grinsend den Kopf und setzte seinen Weg fort und dann sah er Petra auch schon. Sie kroch auf dem Acker vor dem Bauernhaus herum und machte merkwuerdige Bewegungen.

Verwundert und nicht wenig amuesiert, zog Mulder eine Augenbraue in die Hoehe. Dann setzte er sich wieder in Bewegung, durchschritt das Tor und ging auf Petra zu, wild winkend... "Juhu... Petra!", rief er ihr zu.

Erschrocken sah die junge Frau auf, wer hielt sie denn nun von den letzten Minuten ihrer Arbeit ab? Sie hatte es doch fast geschafft... Wenn nun jemand mitbekam, dass sie waehrend der Arbeitszeit ein Privatleben hatte? Hastig sah sie sich um, doch noch hatte niemand etwas bemerkt.

"Juhu!", rief Mulder wieder.

Petra stand hastig auf und winkte ihm schnell zu. Wenn er doch bloss aufhoeren wuerde, so peinlich laut zu schreien...

Endlich hatte er sie erreicht.

"Hi", begruesste sie ihn schlicht.

"Was denn, was denn, keine Umarmung? Kein Kuss?", witzelte Mulder.

Er erntete einen vielsagenden Gesichtsausdruck von Petra.

"Ist ja schon gut", beruhigte er sie. "Was ich eigentlich wollte, sind ein paar Antworten auf gewisse Fragen"

"Du willst wissen, was hier vorgeht, stimmt’s?", unterbrach ihn Petra. "Tja, wenn wir das wuessten, waeren du und deine Partnerin nicht hier", sie schuettelte mit dem Kopf. "Wir wissen es nicht. Niemand merkt etwas und am naechsten Morgen findet dann jemand die naechste Leiche."

Mulder stutzte. "Die Leichen wurden ausschliesslich am Morgen gefunden? Nicht abends oder in der Nacht?"

Petra schuettelte den Kopf. "Nein, immer morgens. Die Leute waren ja am Abend zuvor noch bei der Nachtmette anwesend, sonst haetten wir sie ja schon vorher vermisst."

"Die Opfer verliessen also nach dieser Nachtdingsbums noch mal ihre Haeuser...", ueberlegte Mulder laut.

"So muss es schon gewesen sein", stimmte Petra zu. "Aber soviel haben wir auch schon selbst herausgefunden."

"Weiss jemand von euren Leuten, was es mit den merkwuerdigen Einstichen an den Koerpern der Opfer auf sich haben koennte?", fragte Mulder weiter.

"Ist das eine Besonderheit?", Petra guckte erstaunt. "Wir dachten, es waere ein Zufall, dass alle Opfer solche Stiche hatten... naja..."

Ploetzlich sah Mulder aus dem Augenwinkel ein unbekanntes Flugobjekt durch die Luft fliegen und dann wurde Petra auch schon von einem Holzschuh am Kopf getroffen.

"Petra...", traellerte eine freundlich klingende Stimme, "die Arbeit ruft...!"

Petra rieb sich den Kopf und machte sich dann schnell wieder an ihre Arbeit. Sie fuhr fort, mit Lineal und kleinen Sproesslingen irgendeiner Pflanze bewaffnet, den genauen Abstand zwischen den Setzlingen festzulegen und diese einzupflanzen.

"Tja, dann werde ich mal wieder...", verabschiedete sich Mulder, noch immer etwas ueberrascht von dieser unerwarteten Attacke, doch er wandte sich noch einmal um. "Was ich noch fragen wollte..."

"Ja...?", fragte Petra ohne aufzusehen.

"Auf der Fahrt hierher sind wir an einem Schloss vorbeigefahren... Lebt dort jemand? Wir haben Schreie gehoert..."

Jetzt sah Petra kurz auf. "Ach, da haust bloss irgend so eine Sekte. Die Mitglieder duerfen nicht sprechen, nur schreien oder lachen..."

"Und warum sieht man nie jemanden an den Fenstern?", fragte Mulder.

"Das wissen wir auch nicht genau", meinte Petra. "Wir vermuten mittlerweile, dass die Fenster in den Raeumen einfach zu hoch gelegen sind, um hinauszusehen. Aber es ist uns auch egal, wir haben mit den Leuten nichts zu tun"

"Naja, dann..." Mulder wandte sich zum Gehen. Er wollte nun doch noch einige weitere Personen dieser doch recht eigenartigen Gemeinde befragen. Irgend jemand musste doch etwas zu den Todesfaellen wissen. Mulder beschloss mit den fuenf Leuten anzufangen, die die Leichen entdeckt hatten.

 

***

 

"Was denn, Sie haben ihn auch dort gefunden?!", Mulder war erstaunt. Er befragte nun schon den fuenften Zeugen und es hatte sich ergeben, dass alle Leichen im Bereich der Gewaechshaeuser gefunden worden waren.

"Und wieso erzaehlen Sie das erst jetzt?", wollte er wissen.

Die Frau zuckte mit den Schultern. "Ich dachte, es waere nicht von Bedeutung... Es gibt doch schliesslich wichtigere Dinge im Leben, als die Fundorte von Leichen, oder?", sie sah ihn an, dann machte sich ein euphorisches Grinsen auf ihrem Gesicht breit, als sie sich umwandte und begann einige pastellfarbende Tuecher um sich zu wickeln und schnueren. "Zum Beispiel das hier!", rief sie freudig aus. "Tanzen, Dahinschweben zu sonderbarer Musik, die keine ist... oder zu Gedichten..."

"Aehm, ... ich muss mal schnell was aus dem Wagen holen", murmelte Mulder, waehrend er leise und unauffaellig einige Schritte zurueck machte, sich dann ganz schnell umwandte und eilig zur Tuer herauslief.

 

***

 

"Lass Deine Seele wie eine Blume sein, die erblueht auf den von Sonnenlicht ueberfluteten Feldern des Lebens und der spirituellen Freuden."

"Aehh," Voellig entgeistert stand Scully in der Tuer und sah dem Alten zu, wie er - eine Sonnenblume in der rechten Hand haltend - durch sein Wohnzimmer zuckte und dabei von einer kranken Verrenkung zur naechsten ueberging. "Eigentlich wollte ich nur nach einem scharfen Kuechenmesser fragen."

Enttaeuscht beendete der Alte seinen wilden Veitstanz und warf die Blume in den Kamin, wo sie in einer gruen-pinken Stichflamme aufging.

"Folgen Sie mir in die Kueche."

Die beiden betraten wieder einmal den Arterien-Flur und folgte ihm in Richtung Kueche. Waehrend sie gingen, entschied sich Scully, ein Thema anzuschneiden, was ihr schon seit ihrer Ankunft unter den Naegeln brannte.

"Entschuldigen Sie, aber ich haette eine wichtige Frage an Sie."

"Fragen Sie ruhig, mein Kind. Ich werde versuchen, die Antwort in eine fuer Ihren schwachen Geist verstaendliche Form zu kleiden..."

"Oh, vielen Dank, also, ich habe mich vor meiner Abreise in Washington ueber Ihr Dorf informiert. Laut den Unterlagen folgen Sie in diesem Dorf einer Philosophie, die eine leicht modifizierte Form derjenigen ist, die die Camphill-Doerfer haben. Sie erhalten auch von verschiedenen gemeinnuetzigen Organisationen Gelder zur Unterstuetzung ihrer Arbeit."

"Dies entspricht alles der exakten Wahrheit. Sie haben sich wirklich gut auf diesen Einsatz vorbereitet.", antwortete der Alte schmeichelnd," Und wozu haben Sie nun noch eine Frage?"

"Nun ja, sowohl die Camphill-Philosophie als auch die Bewilligung der von Ihnen erhaltenden Gelder haben eine elementare Voraussetzung: Die Betreuung von behinderten Menschen... nun ja, ich habe mich schon ein wenig in diesem Dorf umgesehen und da hat sich mir unweigerlich die Frage aufgedraengt: Wo sind denn ueberhaupt in diesem Dorf behinderte Menschen?"

Hark von Miranda reagierte sofort auf Scullys Anfrage. "Nun ja..." Er blickte sich panisch um und riss dann ruckartig die Tuer des Wandschrankes auf, vor dem er gerade stand. "sie sind darin."

Misstrauisch betrachtete Scully den dahinter liegenden Raum. "In einem schallisolierten Wandschrank?"

"Genau". Mit diesen Worten betaetigte Hark einen geheimen Schalter, der in der Wandtuer verborgen war. Ehe sie wusste, wie ihr geschah, wurde Scully von einem maechtigen Luftstrom erfasst, der sie in den Schrank saugte. Blitzschnell schloss Hark die Tuer und liess Scully alleine im Wandschrank sitzen. Alleine, nicht ganz! Auf einmal erschienen zwei leuchtende Augen in der Dunkelheit und kamen auf Scully zu... von Panik erfasst blieb ihr nichts anderes uebrig, als zu schreien...

"FBI! Bleiben Sie, wo Sie sind! Ich bin bewaffnet und gefaehrlich! ... Und es erweckt nur den Anschein, als sei ich hilflos mit Ihnen in diesem Schrank eingesperrt..."

"Miau..."

"Wie bitte? Koennten Sie bitte deutlicher sprechen?", fragte Scully ueberrascht.

"MIAU...", kam auch prompt die Antwort.

"Ach, so, Sie sind eine Katze... Natuerlich! Ich muss mir an den Kopf fassen..." Scully hielt inne... "Warum rede ich dann ueberhaupt mit Ihnen?!", dann nach kurzer Pause: "Und warum sieze ich Sie?!... Ach, ich werde hier noch ganz verrueckt in diesem Dorf!"

"Wir auch, deshalb sitzen wir jetzt auch hier im Schrank!", meinte eine Stimme ploetzlich.

Erschrocken fuhr Scully hoch und stiess sich dabei den Kopf an dem untersten Einlegeboden des Schrankes. "Aua!!!" Sie rieb sich den Kopf. Dann fiel ihr die Stimme wieder ein. "Wer ist da?"

"Miau..."

"Nun hoeren Sie doch auf mit dem Unsinn! Ich weiss, dass sie keine Katze sind, zumindest keine Katze in dem Sinne, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut! Also antworten Sie mir gefaelligst!!!"

"Aber das ist wirklich eine Katze", gab die Stimme etwas beleidigt zurueck.

"Oh...", meinte Scully nur. "Aber trotzdem, wer sind Sie?", fragte sie dann.

"Ich bin ..."

Es klopfte an der Tuer.

"Ja, bitte!", antwortete Scully reflexartig, bevor sie sich ihrer Lage wieder bewusst wurde.

"Scully, sind Sie da drin?!" Mulders Stimme drang gedaempft durch die dicken Eichentueren des Schrankes, die wohl doch nicht so schalldicht waren, wie sie erschienen. Er haemmerte wieder gegen die Tuer.

Nun klopfte auch Scully ihrerseits von innen gegen den Schrank. "Mulder? Mulder, wir sind hier drin! Machen Sie um Himmels Willen die Tuer auf!" Sie haemmerte weiter gegen das Holz und haette beinahe Mulder erschlagen, als dieser ploetzlich die Tueren aufriss.

"Hey, hey, Scully! Nun mal langsam! Was machen Sie in diesem Schrank?"

Dann, nach einer kurzen Pause, fuegte er hinzu: "Und wen meinten Sie mit "wir"?"

Scully sah zurueck in den Schrank. "Na, mich und ..., wo ist er?"

"Wer?", Mulder sah ebenfalls in den Schrank hinein. "Scully?", er sah seine Partnerin vorsichtig und aufmerksam von der Seite an.

"Mulder, sehen Sie mich nicht so an!", rief sie genervt. "Ich bin weder wahnsinnig, noch durchgedreht! Ich leide auch nicht an irgendwelchen stressbedingten Halluzinationen oder habe sonstwas fuer Ausfallerscheinungen! Ich weiss, was ich gesehen habe... gehoert... na, wie auch immer! Es WAR jemand mit mir in diesem Schrank und er hatte eine Katze!"

"Eine Katze...?", stellte Mulder mit fragendem, leicht unglaeubigem Unterton fest.

"Ja, eine Katze!", bestaetigte Scully. Wieder sah sie sich in dem Schrank um, doch er war leer.

"Ich verstehe das nicht, Mulder..."

Mulder seufzte. "Ich weiss genau, wie Sie sich fuehlen, Scully. Selbst ich verstehe hier so einiges nicht..."

Um auf ein anderes Thema zu kommen, fragt er dann: "Haben Sie eigentlich durch die Untersuchungen der Leichen etwas herausfinden koennen, das uns weiterhelfen koennte?"

"Nicht viel, fuerchte ich", meinte Scully, und dachte mit Schrecken an diese Untersuchungen zurueck, die viel zu oberflaechlich und unwissenschaftlich durchgefuehrt worden waren. Aber, was sollte sie machen? Ihr waren in dieser Gemeinde, die offenbar einen Weg gefunden hatten, irgendwie jenseits des Fortschritts zu existieren, die Haende gebunden.

"Jede der Leichen weisst diese feinen, paarfoermigen Einstiche auf", fuhr sie fort. "Und es scheint den Opfern Blut zu fehlen. Ich kann aber nicht sagen, ob diese Menge durch die Wunden ausgetreten ist, oder ob jemand nachgeholfen hat..."

"Ich weiss inzwischen auch nicht viel mehr, als das saemtliche Leichen im Gewaechshaus-Komplex des Dorfes gefunden worden sind."

"Nun, dann sehen wir uns dort doch mal um", schlug Scully vor.

Die beiden verliessen das Haus und traten vor die Tuer nach draussen.

Die Sonne stand noch hoch am Himmel.

Mulder und Scully machten sich auf zu den Gewaechshaeusern. Als sie den Komplex erreichten, der sechs kleine Haeuschen umfasste: Dramatischer Sonnenuntergang.

In Sekunden wanderte der gluehend-leuchtende Himmelskoerper ueber den Himmel und versank dann im tiefen Rot hinter dem Horizont.

Die Nacht war hereingebrochen und senkte sich ueber das Dorf.

Ploetzlich war alles still, schien zu schlafen. Nur die Grillen zirpten ihre Lieder und ab und zu schickte ein Kaeuzchen seine Schreie in die Nacht hinaus.

Die beiden Agenten sahen sich an.

"Was war denn das eben?", fragte Mulder irritiert.

"Was denn, Mulder?", erwiderte Scully in einem Tonfall, als haette sie von all dem nichts bemerkt. Unauffaellig trat sie dabei an einen Baum heran, rueckte ein Stueck Rinde beiseite und drueckte einige Male schnell auf einen roten Knopf eines Kontroll-Panels und uebermittelte in Morsezeichen "viel zu auffaellig!"

"Scully, was machen Sie denn da?", fragte Mulder und kam naeher.

"Ach, gar nichts!", gab sie schnell zurueck und verbarg das Panel wieder hinter der Rinde.

"Oh, sehen Sie, Mulder!", versuchte sie ihn abzulenken und wies hinter ihn. Dann schob sie ihn auch schon ruecklings gegen eine Wand.

Verwundert und ueberrumpelt sah Mulder an der Wand hoch und erblickte eine riesige Reklametafel.

"Wo kommt denn die auf einmal her?", wunderte er sich und trat einige Schritte zur Seite, doch schnell zerrte ihn Scully wieder zurueck.

"Kommen Sie her, Mulder, Sie stehen im Bild..."

"Was?"

"Ach, nichts... Lassen Sie uns nun die Gewaechshaeuser untersuchen."

Mulder folgte Scully durch die inzwischen innerhalb von Sekunden aufgezogene, undurchdringliche Nebelwand.

"Hoeren Sie das, Scully?"

"Was ist denn, Mulder?"

"Ich hoere etwas... als wuerde jemand direkt vor mir...ahhhhhh" Bevor Mulder seine Worte beenden konnte, stolperte er auch schon ueber einen Rasenmaeher.

"Scully!! Sehen Sie, jemand hat mir gerade einen Rasenmaeher direkt vor die Fuesse geschoben!"

Scully schloss ihre Augen und schuettelte langsam den Kopf hin und her. "Mulder, Mulder, ich habe ja schon viel Unsinn von Ihnen gehoert, aber jetzt uebertreiben Sie eindeutig... Rasenmaeher, die sich durch Nebelwaende direkt vor die Fuesse von ahnungslosen Opfern bewegen oder bewegt werden... das ist nun wirklich absolut unsinnig."

Wie auf ein geheimes Stichwort lichtete sich die Nebelwand wieder.

"Und zweitens.... ohhh... Mulder, sehen Sie nur, was fuer ein unglaubliches Glueck! Sie sind nicht ueber einen gewoehnlichen Rasenmaeher gestolpert, nein, das ist ja der neue Mexa-Maeher Millennium, der neuartige, superkomfortable Luftkissenmaeher mit Blumensensor und Fernsteuerung fuer eine neue Generation von Maehen, nein, Maehen ist das falsche Wort, ich sage besser mexanen, der Rasen sieht aus wie beim englischen Koenigshaus und man muss nicht einmal das Haus verlassen!"

"Wovon reden Sie, Scully?"

"Ach, nichts. Lassen Sie uns einfach ins Gewaechshaus gehen. Und vielleicht bekommen sie den Maeher ja auch von den Dorfbewohner aus Dank geschenkt, damit Sie ihn zu Hause benutzen koennen..."

"Aber ich habe ueberhaupt keinen Rasen..."

"Oh...aehhm, gehen Sie schon mal vor, ich muss eben an den Baum und ... ich meine, ich muss eben mal fuer kleine Maedchen..."

"An einem Baum?!?"

"Gehen Sie einfach."

"Na gut."

Voellig verwirrt ueber die stattgefundenen Ereignisse wandte sich Mulder in Richtung Eingang des Gewaechshauses. Woher kam auf einmal dieser Rasenmaeher, wieso gab es hier Nebel, der innerhalb von Sekunden aufzog und dann genauso schnell wieder verschwand und woher hatten diese voellig rueckstaendigen Dorfbewohner so ein State-Of-The-Art-Geraet? Und vor allem, wieso sang Scully aus voller Kehle den Mexa-Jingel, waehrend sie sich ihm naeherte? Mulder entschloss sich dazu, darueber spaeter in seinem Zimmer - hatte er ueberhaupt ein Zimmer? - nachzudenken. Jetzt wollte er erst einmal das geheimnisumwitterte Gewaechshaus untersuchen. Mit einem Ruck riss er die Tuere auf...

... und wurde um ein Haar von mehreren Kuerbissen erschlagen, die gerade in dem Augenblick auf den Boden fielen, in dem Mulder die Tuer oeffnete.

"Seit wann wachsen Kuerbisse denn an der Decke?", fragte sich Mulder und schuettelte den Kopf. Er sah sich die Pflanzen und Ranken des Gewaechshauses genauer an. Keine der Pflanzen rankte bis zur Decke empor, geschweige denn, bis ueber eine Hoehe von einem Meter fuenfzig. "Von wo sind denn dann bloss die Kuerbisse heruntergefallen?", fragte sich Mulder erneut. "Es sei denn...", doch bevor er den Gedankengang vollenden konnte, kam Scully auch schon zur Tuer herein.

"Haben Sie schon etwas Verdaechtiges entdeckt?", erkundigte sie sich.

"Wachsen Kuerbisse eigentlich ausschliesslich auf dem Boden, Scully, oder gibt es auch Arten, die an Ranken hochwachsen koennen?"

Scully sah ihren Partner verwundert an, entschied sich aber dagegen, nach dem genauen Grund dieser Frage zu forschen. "Mulder, Kuerbisse wachsen nur auf dem Boden. Zwar an Ranken, wie auch Melonen, aber auf dem Boden."

"Aha", murmelte Mulder.

Scully sah foermlich die Zahnraeder in seinem Kopf rattern, als er wieder eine seiner Theorien entwickelte.

Mit dem Fuss stiess Mulder nun einige der Kuerbisse an, die vor ihm auf dem Boden lagen.

"Scully, sehen Sie. Diese Kuerbisse haben keine Verbindung mehr zu einer Ranke. Sie wurden also schon geerntet."

"Und?", Scully wurde ungeduldig.

"Warum also liegen sie noch hier, anstatt in einem der Haeuser zu Suppe oder sonstwas verarbeitet zu werden?"

Scully zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung, Mulder. Aber, was hat das denn mit dem Fall zu tun?"

"Scully, glauben Sie, dass Kuerbisse...", er hielt kurz inne.

"Was?"

Er winkte ab und verzog das Gesicht. "Ach, lieber nicht, Scully. Das klingt doch ein wenig ZU absurd!"

Scully seufzte und trat ihrerseits weiter in das Gewaechshaus hinein, um sich umzusehen.

"Scully..."

"Schhht!!!", Scully winkte ab und bedeutete Mulder, still zu sein.

"Was denn?!", fluesterte Mulder fragend.

Angestrengt horchte Scully in das Gewaechshaus hinein. "Ich dachte, ich haette was gehoert..."

"Gehoert?"

"Ja, eine Art... Knurren oder Brummeln", versuchte Scully zu erklaeren.

"Glauben Sie, dass ein Tier hier drin ist?", fragte Mulder. Dann fuegte er mit einem Grinsen hinzu: "Eine Katze vielleicht...?"

Scully verdrehte die Augen. "Mulder, ich denke nicht, dass es ein Tier war, dies ist schliesslich ein Gewaechshaus und selbst diese Leute hier werden sich sicher davor hueten, ein Tier hier herein zu lassen."

"Also, was sollte es Ihrer Meinung nach sonst sein?", fragte Mulder darauf hin.

Bevor Scully antworten konnte, erklang das Geraeusch erneut. Diesmal hoerte auch Mulder die ungewoehnlichen, fremdartigen Laute.

Vorsichtig folgte er dem Geraeusch und machte eine Stelle des Gewaechshauses ausfindig, an der das Pflanzenwerk besonders dicht war und die Blaetter bei jedem Ton leicht erzitterten.

"Das ist bestimmt ein Tier, Scully"

Doch Scully beachtete die Worte ihres Partners gar nicht, sondern ging naeher an die Quelle des Geraeusches heran. Als sie nur noch wenige Zentimeter von dem Pflanzenwerk entfernt war und dieses gerade beiseite schieben wollte, verstummte das Knurren abrupt. Ein gedaempfter Laut war zu hoeren und ploetzlich rollte ein Kuerbis vor die Fuesse der beiden Agenten.

"Was...?!" Scully sah Mulder fragend an, doch der zuckte auch nur mit den Schultern.

Als Scully daraufhin die Blaetter zur Seite schob, war dahinter, wie zu erwarten, nichts. Zumindest nichts, was als Quelle dieser Geraeusche in Frage kommen konnte, die sie bis vor wenigen Augenblicken noch gehoert hatten.

"Vielleicht hat sich der Kuerbis von selbst von der Ranke geloest und hat dabei dieses Zittern erzeugt", spekulierte Scully.

"Und woher kam dann dieses Gegrunze?", fragte Mulder.

"Gaerprozesse...?", schlug Scully vor. "Ach, ich weiss auch nicht!", fuegte sie dann hinzu.

"Mulder, hier ist nichts", meinte sie dann und wandte sich zum Gehen.

"Naja, zumindest nichts ausser den Kuerbissen...", berichtigte sie Mulder.

"Aber diese Kuerbisse werden ja wohl kaum von Bedeutung sein zur Loesung dieses Falls..." und mit diesen Worten hatte sie auch schon die Tuer des Gewaechshauses geoeffnet und war hinausgetreten.

Langsam folgte ihr Mulder.

Kam es ihm nur so vor, oder wurde er beobachtet? Von irgend etwas IN dem Gewaechshaus? Unbehaglich sah er sich um, doch er konnte niemanden ausmachen. Schnell verliess auch er dann das Haeuschen und schloss fest die Tuer.

Die Untersuchung der fuenf uebrigen Gewaechshaeuser brachte auch nichts Neues ein. Nur ueberall Kuerbisse, die zunaechst wie aus dem Nichts auf den Boden zu fallen schienen, sobald man die Tuer oeffnete, als waeren sie zuvor durch das Gewaechshaus geschwebt... Hier und da ein leises Knurren, doch weder Scully noch Mulder waren in der Lage, die Quelle dieser Geraeusche ausfindig machen zu koennen.

"Ich glaube immer noch, dass es die Kuerbisse sind, Scully", versuchte es Mulder erneut, doch Scully blockte sofort ab.

"Mulder, sowas wie fliegende Kuerbisse gibt es nicht. Und schon gar nicht welche, die dazu auch noch Geraeusche von sich geben."

Dann schoss es Mulder durch den Kopf. "Scully, ich hab's! Wie waere es mit..."

"Nein, Mulder!", sie hob dankend die Hand, "verschonen Sie mich fuer heute damit! Morgen vielleicht, aber nicht jetzt! Ich brauche erst mal etwas Schlaf..." Sie gaehnt herzhaft und ging davon.

"Scully?", Mulder blickte ihr hinterher. Schliesslich folgte er ihr. "Scully!", rief er.

Sie wandte sich um. "Was denn noch?!"

"Wo wollen Sie denn ueberhaupt schlafen?"

Bevor Scully antworten konnte, tauchte aus dem Nichts Joshua neben den beiden Agenten auf.

"Sie beide uebernachten natuerlich in meinem Haus!", er machte eine uebertrieben einladende Geste.

Scully und Mulder, denen bewusst war, dass es kein Entkommen mehr gab, willigten ein. Sie waren muede und hatten nicht mehr die Nerven dazu, sich wilde Ausreden einfallen zu lassen, um dieser Einladung zu entgehen. Also nickten sie Joshua zu und folgten ihm.

"Sie sind beide herzlich eingeladen...", traellerte er weiter. Und bei sich dachte er still, von grosser Vorfreude erfuellt: "Ich kann es kaum erwarten, den beiden meine neuste Komposition vorzuspielen..."

 

***

 

"Hallo, ich bin Dana, 34 Jahre alt, komme aus Washington D.C. und meine Hobbies sind Reiten, Waschen, Kleider buegeln und Nackttanzen..."

"Agent Scully!!", fiel ihr Joshua ins Wort, "Warum zerstoeren Sie so mutwillig unser nettes und total spontanes Vorstellungsspiel?"

"Sagen wir mal, dass ich den Sinn von solchen erzwungenen Vorstellungsrunden nicht zu erkennen vermag. Und nun entschuldigen Sie mich bitte, ich muss einige Befragungen durchfuehren. Mulder, wieso grinsen Sie so bei dem Wort 'Befragungen'?"

Mulder, der sein Lachen kaum unterdruecken konnte, brauchte einige Sekunden, bis er in der Lage war zu antworten: "Ich habe nur gerade an einen anderen Fall gedacht. Also, ich wuerde sagen, Sie beginnen bei dem Haus >>Fezenra<< und arbeiten sich dann weiter vor zur Mitte. Wir treffen uns dann dort..."

 

***

 

"Ding dong" rief die Klingel gen Himmel aus, als Scully sanft an der eisernen Kette zog, die sie nach mehreren Minuten endlich als Ersatz fuer einen Klingelknopf identifiziert hatte.

"Verloren auf ewig! Und wiedergefunden in glueckseliger Heiterkeit", vernahm sie daraufhin aus dem Inneren des Hauses. Schwungvoll wurde die Tuer aufgerissen und Scully schlug eine Mischung verschiedener Essenzen, Weihrauch und Kraeuterdaempfen entgegen. Durch die Nebelschwaden trat eine Frau heraus, die ein halbdurchsichtiges, weitgeschnittenes Kleid in einem hellen Pastell-Blau trug.

Scully zueckte ihren Ausweis und stellte sich knapp vor: "Ich bin Special Agent Dana Scully. Darf ich Sie zu den mysterioesen Todesfaellen, die sich in juengster Zeit hier im Dorf zugetragen haben, kurz befragen?"

"Aber selbstverstaendlich, ich habe Sie schon erwartet und habe bereits alles fuer die Fragestunde mit dem Kosmos vorbereitet. Folgen Sie mir bitte."

Mit diesen Worten verschwand die Frau wieder in den milchigen Schwaden, die den Innenraum des Hauses erfuellten.

"... mit dem Kosmos?" Verwirrt ging Scully der Frau nach.

Nach einigen Schritten erreichte sie etwas, was eine Art Altar zu sein schien. Ueber einer riesigen kreisrunden Marmorplatte, die mindestens einen Durchmesser von zehn Metern besass, schwebte eine Kugel aus reinem Kristall, in die Dutzende aus Jade gefertigte Symbole eingelassen waren. Durch ein kompliziertes System aus Spiegeln, die im gesamten Raum verteilt waren, wurde das Tageslicht eingefangen und auf die Kugel projiziert, welche dadurch in einem leuchtenden Weiss erstrahlte. Auf und in die Kugel geritzte Zeichen sorgten dafuer, dass ein komplexes Lichtmuster auf der Marmorplatte erschien.

"Aehm, sehr schoen, aber koennte ich Ihnen jetzt eben wenige Fragen stellen? Es dauert auch hoechstens zehn Minuten."

"Hier, setzen Sie das auf!" Die Frau erschien auf einmal vor Scully und stuelpte ihr einen ausgehoehlten Schafskopf ueber, an dem Hunderte von Girlanden und lange Spiralfedern befestigt waren.

"Und nehmen Sie diesen Stab der Verbindung in die Hand."

Scully spuerte in ihrer Hand eine Art Stange, welche von einer klebrigen Masse bedeckt war. Auf einmal war sie heilfroh, dass ihr der Schafskopf jegliche Sicht nahm. Sie versuchte, den Stab von ihrer Hand zu loesen, doch dieses hatte nur zur Folge, dass auch ihre andere Hand an dem Stab festklebte. Verzweifelt versuchend, den Stab von ihren Haenden zu loesen, taumelte sie durch den Raum und stolperte dabei ueber einen herumstehenden Bottich. Sie landete unsanft in einer schleimigen, nach Chemie schmeckenden Masse und auch ihre beiden Beine sowie Teile ihres Torsos verfingen sich an dem mysterioesen Stab der Verbindung.

"Ohoh, was muss ich da sehen, Sie haben sich einfach in das Bad der Transvibration fallen lassen... Sie sind wirklich ein wenig voreilig, aber nun ja, jetzt koennen Sie auch darin bleiben. Schoen, dass Sie schon eine altindische Meditationsstellung eingenommen haben. Einen Moment, ich nehme nur eben ein paar Designerdrogen – ich meine natuerlich einige psychedelischen Kraeuter des Kosmos – zu mir, dann koennen wir auch sofort mit ihrer Initiation beginnen... Ohmmm, das Leben ist eine Scheibe, ohmmm, Kosmos, oeffne deine Pforten des Lichts und lass uns sehen in dein allerheiligstes Scharschima... ohmm,..."

"HILLFFEEEE!"

Doch ihre Schreie blieben ungehoert, denn in exakt diesem Augenblick erhob sich ein riesiger Schwarm Kraehen aus den benachbarten Baumwipfeln, zog kreischend einige Bahnen um das Fezenra-Haus und machte sich dann auf in die unerforschten Weiten des Himmels gen Horizont.

 

***

 

"Lalala...", froehlich vor sich hin summend taenzelte Scully ueber den Dorfplatz, verwunderte Blicke auf sich ziehend. Auch Mulder beobachtete mit grossen Augen das ungewohnte Schauspiel, als er registrierte, dass Scully direkt auf ihn zu tanzte. Hastig sah er sich um, doch fuer eine Flucht war es bereits zu spaet, denn sie hatte ihn schon erreicht.

"Huhu, Mulder..., kommen Sie, lassen Sie sich von mir die unendlichen Weiten und Wahrheiten des Kosmos offenbaren..." Sie zerrte an seinem Mantel, wollte ihn mit sich fuehren, doch Mulder wehrte sich.

"Aehm, Scully... wirklich nicht", er versuchte, sie abzuschuetteln. "Ein ander‘ Mal vielleicht..." Was hatte er da bloss wieder angerichtete? "Lassen Sie los, Scully!" Er wehrte sich heftiger. "Scully!", rief er nun, doch seine Partnerin reagierte nicht, sondern taenzelte weiterhin um ihn herum und wedelte euphorisch mit den Armen.

Er packte sie bei den Schultern und schuettelte sie. Er rief ihren Namen, doch auch darauf reagierte sie nicht.

Dann reichte es ihm endgueltig. Er entschied sich zur einzigen noch verbliebenen Moeglichkeit. Mit einem geschickten Handgriff packte er Scully, drehte sie herum und hielt sie an den Beinen in der Luft. "Scully!", rief er ein letztes Mal, schuettelte sie noch einmal durch und setzte sie dann wieder vor sich auf dem Boden ab.

Verwirrt schuettelte Scully den Kopf, blinzelte, schaute um sich.

Dann sah sie ihren Partner fragend an. "Mulder? Was...? Ist irgendetwas passiert?"

Mulder schuettelte schnell mit dem Kopf "Nein, nein, nichts ist passiert, Scully. Alles in bester Ordnung..." Er war erleichtert, dass sie sich offenbar an nichts mehr erinnern konnte, dass ihr im Fezenra-Haus widerfahren war. "Wir wollten nur gerade einige der Dorfbewohner befragen..."

"Befragen...", Scully runzelte die Stirn, dann blickte sie sich um. "Wie komme ich denn eigentlich hier her?... Habe ich nicht gerade noch..."

Mulder blickte erwartungsvoll zu ihr herueber und seine Besorgnis wuchs.

Dann schrie Scully laut auf. "Mulder!!!" Sie stuerzte auf ihn zu, es gab kein Entkommen. Schon hatte sie ihn zu Boden gerissen und schlug wild auf ihn ein. "Mulder, wie konnten Sie nur! Wissen Sie, was ich durchmachen musste?!"

Mulder versuchte unterdessen verzweifelt, ihre Schlaege abzublocken und als langsam ihre Wut abebbte und die Hiebe schwaecher wurden, gelang es Mulder, sich herum zu drehen, sich auf Scully zu setzen und ihre Arme zu fixieren.

"Mulder...", fluesterte Scully nach einigen Augenblicken. "...kuessen Sie mich, damit wir uns nach fuenf Jahren Zusammenarbeit und Freundschaft endlich duzen duerfen...!"

Nach einem Moment der Verwirrung zuckte Mulder die Schultern.

"Na gut..." Er beugte sich zu ihr herunter und ihre Lippen trafen sich in einem langen, innigen Kuss.

Drei Stunden spaeter waren sie in der Lage, sich voneinander zu trennen und den staubigen Boden des Dorfes zu verlassen.

"So, was machen wir jetzt?", fragte Scully.

"Ich bin inzwischen auf eine perfekte Loesung des Falles gestossen", meinte Mulder darauf hin.

Scully verdrehte die Augen und seufzte. "Aber bitte, nur oberflaechliche Analysen... und keine wilden Spekulationen!"

Mulder grinste und nickte dann.

"Also gut, ich hoere", fordert Scully ihn auf, loszulegen.

"Gut, zunaechst haben wir die Aussagen der Dorfbewohner, deren Gemeinsamkeit die Gewaechshaeuser sind. Dann haben wir weiterhin unsere Leichen, die ohne Ausnahme mit kleinen Einstichen uebersaet sind. Und schliesslich sind da die Gewaechshaeuser selber, in denen wir selbst Zeuge von etwas merkwuerdigen Vorfaellen wurden. Besonders die Kuerbisse dort erschienen... anders"

"Mulder", Scully sah ihn warnend an.

"Schon gut, schon gut, das war es ja auch schon", besaenftigte Mulder sie. "Es folgt lediglich meine Schlussfolgerung dieser Tatsachen, die dann zugleich eine optimale Loesung dieses Falls bietet.

Scully sagte nichts mehr, was Mulder dazu verleitete, fortzufahren.

"Ich bin ueberzeugt, das es sich hierbei um einen seltenen Fall von Vampirismus handelt. Kuerbisvampirismus..."

"NEIN!", unterbrach Scully ihn, mehr entsetzt als ablehnend.

"Aber, die Fakten sprechen alle dafuer", versuchte Mulder sie zu ueberzeugen. "Die kleinen Einstiche an den Leichen... Haetten wir jetzt vernuenftige Geraetschaften zur Verfuegung, wuerden wir mit Sicherheit herausfinden, dass es sich um Bisswunden handelt. Und die Kuerbisse in den Gewaechshaeusern... die waren doch lebendig!"

"Jetzt reicht es mir endgueltig!" Scully wandte sich von ihrem Partner ab. Dann sah sie ihn wieder an und meinte mit fest entschlossenem Tonfall: "Ich werde jetzt beweisen, dass DIESE Theorie unmoeglich stimmen kann!"

"Und wie, wenn ich fragen darf?", rief ihr Mulder hinterher.

Scully, die schon einige Meter weit davongestapft war, hielt kurz inne und drehte sich zu ihm um. "Indem ich in die Gewaechshaeuser gehen und die Kuerbisse inspizieren werde, obwohl diese Massnahme voellig laecherlich ist..." Sie wandte sich wieder um und ging weiter.

"Scully...", rief Mulder. Schnell machte er sich daran, ihr zu folgen, denn jetzt konnte es dramatisch und gefaehrlich werden...

Die Gewaechshaeuser waren in tiefe Dunkelheit getaucht, als die beiden sie erreichten. Kein Vogel der Nacht stimmte seinen geheimnisvollen Gesang an, noch waren andere Laute ausser den Fussstapfen der Agenten zu vernehmen. Leichter Nebel bedeckte den Boden und huellte ihn ein wie ein Mantel aus dem fernen Avalon, in dem Koenig Artus auf seine Rueckkehr wartete. Scully wandte sich um, doch wie auf ein geheimes Zeichen waren alle Lichter im kleinen Miranda-Dorf erloschen und durch die Schwaerze der Nacht liessen sich kaum mehr als die Ahnung von Haeuserumrissen erkennen. Sie beugte sich langsam zu ihrem Partner und fluesterte ihm zu: "Es sind sechs Gewaechshaeuser. Wir sollten uns trennen, um alle so schnell wie moeglich zu durchsuchen."

"In Ordnung. Ich werde dann hinten beginnen."

"Verstanden, ich beginne gleich hier vorne." Scully hatte den halben Weg hinter sich gebracht, als auf einmal die Stille der Nacht von leisem Flattern kleiner Fluegel durchrissen wurde.

Verwundert richtete Scully ihren Blick nach oben. Auf den ersten Blick konnte sie nichts weiter erkennen als einen wolkenverhangenen Nachthimmel, doch ploetzlich fiel ihr ein kleines Objekt ins Auge, welches an die hundert Meter von ihr entfernt in der Luft schwebte und sich langsam auf eines der Gewaechshaeuser zubewegte. Scully war nicht in der Lage, aus dieser Entfernung naehere Details zu erkennen, aber scheinbar handelte es sich bei dem Ding um eine Kugel mit Fledermausschwingen. Scully drehte sich in die Richtung, in die Mulder gegangen war, um ihn herbeizurufen, entschied sich dann aber doch dagegen. Das Risiko, entdeckt zu werden, waere zu gross gewesen. So schwieg sie und schlich langsam dem leisen Geraeusch hinterher.

Kurze Zeit spaeter hatte sie eines der vielen Gewaechshaeuser erreicht, in dem die Kuerbisse fuer das Dorf gezuechtete wurden. Durch die leicht geoeffnete Tuer schallten Grunz-, Stoehn- und Knurrgeraeusche nach draussen. Langsam liess Scully sich auf die Knie sinken und naeherte sich dann in gebueckter Haltung einem der vielen grossen Glasfenster. Die Wolkendecke war inzwischen aufgerissen und im fahlem Mondlicht, was nun ins Innere des Hauses fiel, konnte sie eine Versammlung aus dem Reich der untoten Flora beobachten. An die dreissig Kuerbisse hatten sich zu einer Runde zusammengefunden und schienen aufgeregt ueber die bedrohliche Situation, die durch die Ankunft von Scully und Mulder entstanden war, zu diskutieren.

Scully lehnte sich zurueck. Die Vampire hatten keine Ahnung, dass sie beobachtet wurden und – was noch viel wichtiger war – ihnen schien nicht bewusst zu sein, dass es in Kuerze zu daemmern beginnen wuerde und dass die Gewaechshaeuser so gelegen waren, dass sie als Allererste von den Strahlen der aufgehenden Sonne getroffen wuerden. Und das Licht der Sonne wuerde die maechtigen Herrscher der Nacht in wehrloses Gemuese verwandeln. Ein breites Grinsen breitete sich auf Scullys Gesicht aus. Sie zueckte ihr Taschenmesser und begann es zu polieren. Und dann wuerde Scullys grosse Stunde gekommen sein.

Nachdem er mehr als zwei Stunden damit verbraucht hatte, unzaehlige Kuerbisse auf besondere Merkmale zu untersuchen, ohne allerdings irgendeinen Erfolg vorweisen zu koennen, entschied sich Mulder, nachzusehen, was Scully bis jetzt herausgefunden hatte. Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel und so war es ein Leichtes fuer ihn, Scully wiederzufinden. Sie sass in einem der Gewaechshaeuser, umringt von Unmengen von Kuerbisresten und sah mehr als gesaettigt aus.

"Was ist hier passiert?"

Scullys Blick wurde glasig. Mit monotoner Stimme antwortete sie: "Ich kann mich an nichts erinnern."

"Ach so, dann ist ja gut. Dieser hoch-realistische Tonfall hat mich jetzt voellig ueberzeugt." Er ueberflog noch einmal mit seinem Blick das sich ihm bietende Bild. "Aber es scheint so, als waere der Fall jetzt geloest und zwar durch eine relativ ... unkonventionelle Methode, wuerde ich sagen."

Scully uebergab sich. "Dann koennen wir jetzt also endlich gehen? Bei weiteren Vorfaellen kann sich ja die hiesige Polizei darum kuemmern."

Auf einmal sprang sie auf und rannte wie wild aus dem Gewaechshaus. Mulder hoerte sie nur noch rufen: "Wir muessen hier wegfahren... und zwar schnell... ich glaube, mir muss der Magen ausgepumpt werden..."

Mulder eilte hinter ihr her, sprang in dem Wagen und die beiden jagten mit Hoechstgeschwindigkeit davon und liessen das kleine Miranda-Dorf hinter sich.

Es war vorbei.

 

***

 

Hoch oben in den schattigen, dunklen Wipfeln eines 1 Meter fuenfzig hohen Baumes, geschuetzt und verborgen vor den verderblichen Strahlen der Sonne, leuchteten zwei kleine gelbe Augen und verfolgten die beiden Agenten bei ihrer Abreise.

Es war noch lange nicht vorbei, nein, es hatte gerade erst begonnen. Tief in seinem Inneren spuerte der kleine Kuerbis seine Kerne wachsen. Ja, er wuerde sich vermehren und seine Saat der Nacht ueber das ganze Land... ueber die ganze Welt verteilen. Und eines Tages, wuerde es ihm endlich gelingen, die Weltherrschaft an sich zu reissen.

 

THE END

 

 

 

Anmerkung:

 

Die Legende von Kuerbisvampiren existiert wirklich und ist KEINE Erfindung von uns!

Es folgt ein zitierter Abschnitt aus "Das Buch der Vampire" von Matthew Bunson (Stichwort "Kuerbis"):

"Wie auch die Wassermelone ein Gewaechs, dem die Faehigkeit zugeschrieben wird, sich in einen Vampir zu verwandeln, wenn auch nicht in einen besonders gefaehrlichen. Geschichten von vampirischen Kuerbissen haben bei manchen Roma-Staemmen der Balkanlaender Tradition. Es heisst, ein Kuerbis, der laenger als zehn Tage aufbewahrt wird, beginne auf der Erde herumzurollen und drohend zu knurren; tritt ein Blutstropfen aus, ist dies ein Zeichen fuer die erfolgte Verwandlung."